- Der Fakultätsrat hat in seiner unerschöpflichen (und ebenso
unergründlichen) Weisheit beschlossen, daß ab sofort alle
Einschreibungen für unsere LEERveranstaltungen nur mehr elektronisch
erfolgen dürfen. Einschreiblisten auf Papier seien einer
Exzellenzuniversität nicht mehr angemessen, heißt es im Protokoll.
Ich bin mir ziemlich sicher, daß keiner der Mitglieder des
Fakultätsrates - die studentischen Alibi-Vertreter vielleicht
ausgenommen - auch nur einen blassen Dunst davon hat, was 'elektronische
Einschreibung' überhaupt bedeuten soll, aber es klingt halt so verdammt
gut, und an der Fachhochschule machen sie es schon seit zwei Semestern, also
bitte!
Natürlich landet der Auftrag irgendwann, also so nach drei Monaten
Gremienwanderung, auf meinem Schreibtisch, entweder weil es sich sonst niemand
zutraut oder weil alle wissen, daß ein Serverdienst, den ich nicht
persönlich eingerichtet habe, sowieso Null Chancen hat, jemals zu
funktionieren.
- (Wobei ich jetzt nicht sagen will, daß die von mir 'eingerichteten'
Serverdienste alle einwandfrei funktionieren. Wer bin ich
denn?!)
- Ich stürze mich also mit gewohnter Arbeitswut in das Projekt und
recherchiere ein paar Wochen lang im Internet, um die schlechteste
Public-Domain-Software zu finden, die sich eventuell für so einen Zweck
mißbrauchen läßt.
- (Ich nehme an, ihr wißt alle, wie man zuverlässig eine miese
Server-Software findet? Man richtet sich ganz einfach nach der niedrigsten
De-installationshalbwertszeit, klar?)
- Keine zwei Wochen später habe ich den idealen Kandidaten (programmiert
in Tadschikistan) gefunden und installiert und freigeschaltet. Natürlich
kann niemand von mir erwarten, daß ich die ganzen LEERveranstaltungen
selber einpflege, weshalb alle Dozenten vom Dekan verdonnert werden, es
gefälligst selbst zu tun, und zwar am besten noch gestern, weil ich durch
die lange Suche nach der schlechtesten Software sowieso schon eine Woche zu
spät dran bin.
Erwartungsgemäß schafft es keiner der Kollegen, auch nur eine
vernünftige Seite ins Netz zu bekommen; dabei muß ich aber der
Wahrheit halber zugeben, daß ich bei den sowieso schon zahlreich
vorhandenen Bugs noch ein bißchen nachgeholfen habe. Da auch die
ausgehängten Stundenpläne an den Hörsälen aus dem System
ausgedruckt werden sollen, weiß kein Mensch (die Dozenten eingeschlossen),
wo was wann stattfinden soll. Die Kollegen behelfen sich dadurch, daß
jeden morgen ein Run von der ersten U-Bahn auf die begehrtesten
Hörsäle stattfindet, und wer zuerst da ist, gewinnt
natürlich.
Es vergeht wieder eine Woche, in der die Studenten wahllos durch irgendwelche
LEERveranstaltungen wandern, ohne daß irgendwelche
Zulassungsvoraussetzungen oder Inhalte bekannt sind. Ich wette, daß einige
durch puren Zufall ein paar interessante Dozenten kennenlernen, insofern ist das
neue System tatsächlich ein Gewinn.
Trotzdem beschließt das Leitungsgremium in der dritten Semesterwoche,
daß das kein Dauerzustand werden könne, und bittet mich, eine extra
Sprechstunde für Dozenten und auch noch gleich eine für die Studenten
einzurichten. Ich bin wie immer kooperativ und trage sofort einen Termin
für die Dozenten-Sprechstunde in das systeminterne Kalendersystem ein:
Jeden Samstag um 5:30 - 7:00 Uhr.
- (Die Studenten vergesse ich erstmal, weil die ja sowieso nichts haben,
worin sie sich eintragen könnten.)
- Natürlich gehe ich zum ersten Termin nicht selber hin, weil sowieso
klar ist, daß keiner der Dozenten es geschafft hat, in das interne
Kalendersystem einzudringen (ich bin mir nicht sicher, ob es überhaupt noch
einen Internet-Browser gibt, der diese Seiten vernünftig darstellen kann;
ich habe jedenfalls keinen gefunden).
In der nächsten Woche allerdings sickerte der Termin der Sprechstunde
irgendwie zu den Kollegen durch (Frau Bezelmann?), und am Samstag morgen wimmelt
es vor meinem Gang von völlig verpennten und schlecht gelaunten
HochschulLEERERN.
Ich stelle mich also vorne hin und erläutere mit unverständlicher
Brummelstimme und zahllosen Fachausdrücken das neue Einschreibsystem.
Unterstützend werfe ich mit dem Beamer unleserliche Blockschaltbilder an
die Wand, die ich aus dem Signalflußplänen meiner Home-Videoanlage
kopiert habe. Den ersten Dozenten, der es wagt eine Frage zu stellen, fahre ich
heftig an, daß er ja wohl kaum geeignet sei, eine LEERveranstaltung an
einer Exzellenz-Uni abzuhalten, wenn er nicht mal kapiere, wie dieses simple
Einschreibsystem funktioniert.
Eine Woche später ist immer noch keine LEERveranstaltung im Netz abrufbar,
mit Ausnahme des Physikalischen Praktikums III, das traditionell jedes Semester
wieder von mir angeboten wird, in das aber seit 1996 kein Student mehr wagt sich
einzuschreiben.
- (Es gab damals ein paar tragische Zwischenfälle in der
Überdruckkammer, und obwohl niemals nachzuweisen war, daß ich etwas
damit zu tun hatte, scheint das der Studentenschaft irgendwie in Erinnerung
geblieben zu sein.)
- Eine hastig einberufene, außerordentliche Fakultätssitzung kommt zu
dem tiefschürfenden Schluß, daß es so nicht weitergehen könne. Als
aber einer der Professoren der Altsumerischen Medientheorie vorschlägt,
doch dann ganz einfach auf die elektronische Einschreibung zu verzichten
und wieder papierene Einschreiblisten auszulegen, erntet er nur hämische
Bemerkungen, a la dann könne man ja gleich Keilschrift auf Tontäfelchen
vorschreiben.
Wie immer, wenn keine offensichtliche Lösung des Problems sichtbar ist,
beschließt der Fakultätsrat, der bewährtesten Methode,
nämlich der Leugnung des Problems, zu folgen, weswegen wieder zwei Wochen
ins Land ziehen, ohne daß sich etwas Wesentliches ändert.
Höchstens die Studenten und Dozenten gewöhnen sich allmählich an
die veränderte Situation (der Mensch ist doch erstaunlich
anpassungsfähig!) und verlagern die meisten Seminare in die umliegenden
Cafes, weil ja sowieso jedesmal andere Teilnehmer auftauchen, und somit ein
aufbauender Unterricht ziemlich sinnlos geworden ist.
In der 12. Semesterwoche berichtet kurz die Abendzeitung über das
Phänomen; die Medien verlieren aber bald wieder das Interesse, als sich
herausstellt, daß nur unsere Fakultät betroffen ist, und das Ganze
überhaupt nichts mit Eisbären-Babys zu tun hat.
Zu Anfang der 15. Semesterwoche weise ich den Pro-Dekan bei einer Tasse
Kaffee diskret darauf hin, daß mein Antrag auf Multimedia-Ausstattung aus
den Mitteln der Exzellenz-Initiative immer noch unbeantwortet im Dekanat
herumliege. Der Pro-Dekan, selber einer der HochschulLEERER, die seit Monaten
nicht mal wissen, wie viele Hörer sie eigentlich in ihren Seminaren haben
könnten, wenn eine Einschreibung möglich wäre, kapiert den Wink
mit dem Laternenmast und rast sofort zum Dekan. Keine drei Tage später sind
alle LEERveranstaltungen ordnungsgemäß im Netz abrufbar (ich habe die
tadschikische Einschreibsoftware durch eine koreanische ersetzt) und alle
Studenten, die noch nicht aus Verzweiflung das Fach gewechselt haben, sind
ordentlich eingeschrieben.
Leider ist das Semester jetzt aber bereits vorbei, so daß sich der
Fakultätsrat gezwungen sieht, eine allgemeine Amnestie-Regelung für
dieses Semester zu verabschieden (Amnesie-Regelung?), derart daß jeder
Student drei Seminarscheine seiner freien Wahl erhält, und wir vergessen
das Ganze.
Die Fachschaft und der AStA veranstalten deswegen prompt eine große Party
(wie immer zusammen mit dem Dolmetscher-Institut, weil die die hübschesten
Mädels in München haben), und ich erhalte als Ehrengast eine
Freibierkarte über maximal 100 Maß Bier.
Insofern muß ich zugeben, daß - entgegen meiner
anfänglichen Skepsis - der Status als Exzellenz-Uni unser
wissenschaftliches Leben tatsächlich deutlich positiv verändert
hat.
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