- Die erste Video-DVD ist noch nicht ganz durchgelaufen, als es plötzlich
an meiner Türe klopft.
Hmm, mal kurz überlegen: ich glaube, den Fall hatten wir nicht mehr seit
1984, als eine Studentin alle Warnungen ihrer Kommilitonen in den Wind schlug
und versuchte, mir kurz vor dem Mittagessen eine Frage über Meta-Compiler
zu stellen. Ihr weiteres Schicksal wurde in althergebrachter akademischer
Tradition von Studentengeneration zu Studentengeneration weitergegeben, wobei
ich zugeben muß, daß die Schilderungen des Gemetzels im Laufe der
Zeit ein wenig unrealistische Ausmaße angenommen
haben.
Der Chef kann es nicht sein, der ist im Urlaub, will sagen, auf einer wichtigen
Konferenz in Hawaii. Frau Bezelmann nimmt gerade an einer Zusatzausbildung zum
Führen von militärischen Kettenfahrzeugen teil (was sie sich wie immer
als berufliche Weiterbildungsmaßnahme finanzieren läßt),
Marianne ist im Urlaub und der Rest der Kollegen hat Besseres zu tun als ihr
Leben aufs Spiel zu setzen.
Da! Es klopft tatsächlich noch einmal, allerdings schon deutlich zaghafter,
so als ob der Klopfende sich insgeheim nichts sehnlicher wünschte, als
daß ich nicht in meinem Allerheiligsten wäre.
Ich nähere mich lautlos der Türe, und als es zum dritten Mal klopft,
reiße ich mit einem heftigen Ruck die Türe auf und
brülle:
- "Ja?!"
- Aus den Augenwinkeln sehe ich mehrere Personen um die Ecke hechten.
Fünfzehn Zentimeter vor mir steht ein schlacksiger Student mit Horror-Akne
im Gesicht. Mit beiden Händen umklammert er ein Papierbündel, das vom
Schweiß schon völlig durchgeweicht ist, und starrt mich aus so weit
aufgerissenen Augen an, daß ich meine, den Sehnerv sehen zu können.
Sein Mund schließt und öffnet sich langsam, aber es kommt kein Ton
heraus.
Bevor ich etwas sagen kann, verdrehen sich seine Augäpfel erst nach innen,
dann nach oben, und er kippt um wie ein nasser Sack. Na gut, denke ich grimmig,
während ich die Türe schließe und das Video wieder starte, das
war's dann hoffentlich für die nächsten 24 Jahre! Aber kaum habe ich
es mir wieder gemütlich gemacht und kurz vor dem Non-Happy-End (Filme mit
Happy-End widern mich an!), klopft es doch tatsächlich schon
wieder.
Diesmal hat sich das Akne-Substrat sicherheitshalber zwei Meter weiter weg
aufgestellt. Als ich wutschnaubend die Türe aufreiße, schwankt er
zwar wie unter einem heftigen Windstoß, aber verliert wenigstens nicht das
Bewußtsein.
- "Nun?!"
- herrsche ich ihn an.
- "Ich ... äh ... <glubb> ... ich wollte in Ihre
Sprechstunde ... ich brauche ein Testat ..."
"Sprechstunde?!"
- Ich muß einen Augenblick überlegen, bis es mir wieder
einfällt: Frau Bezelmann veröffentlicht tatsächlich in jedem
Vorlesungsverzeichnis eine angebliche Sprechstunde von mir, weil das nun mal so
Vorschrift ist. Aber bis jetzt ist noch nie jemand auf die hirnrissige Idee
gekommen ... Na, ist ja auch egal! Ich wende mich gleich der
interessanteren Frage zu:
- "Was denn für ein Testat?! Seit wann gibt es bei uns
Testate?"
- Die Tatsache, daß es etwas gibt, was ich nicht weiß, scheint dem
Studenten soviel Mut einzuflößen, daß er näher tritt und
mir das schweißnasse Papierbündel unter die Nase
hält.
- "Nach der neuen Studienordnung für den
Bachelor",
- stammelt er,
- "müssen alle besuchten Lehrveranstaltungen per Testat bestätigt
werden. Also auch das Physikalische
Praktikum III ..."
- Jetzt weiß ich, woher ich das Gesicht kenne. Das letzte Mal habe ich
es gesehen, wie es in der defekten Unterdruckkammer festgesteckt hat. Stimmt!
Ich hatte schon fast vergessen, daß im letzten Semester drei Studenten (!)
bei mir erfolgreich die Prüfung des Phys III abgelegt haben. Marianne
meinte damals, wir sollten schon mal vorsorglich das Nobelkommittee informieren,
weil das vorher noch nie jemand geschafft habe. Tatsache ist, daß ich am
Prüfungstag erkältet war und nicht so ganz auf der Höhe, sonst
wäre das nie passiert.
- "Kommen Sie 'rein und geben Sie das Zeug mal her",
- knurre ich finster und überfliege die ausgedruckten
Richtlinien.
Leider stimmt, was das Akne-Substrat gesagt hat: jeder HochschulLEERER ist ab
jetzt verpflichtet, außer der üblichen Prüfung auch noch
persönlich ein Testat auszustellen. Was für ein Blödsinn! Wer
sich das wieder ausgedacht hat! Unnötiger Bürokratismus, der hart
arbeitende Wissenschaftler von wichtigeren Aufgaben
abhält!
- "Hah! Moment, da unten steht aber auch, daß Sie sich das Testat auch
von Prüfungsamt ausstellen lassen können, wenn wir die Noten
übermittelt haben. Warum machen Sie das nicht?"
- Der Student druckst eine Weile herum, dann gibt er zu, daß das
Prüfungsamt im letzten Semester nach Garching umgezogen ist, und er nur
für das Testat eine Stunde mit der U-Bahn unterwegs wäre, und ich
hätte doch sowieso heute meine Sprechstunde, und ...
blablalaberfasel ...
Ich seufze innerlich. Wahrscheinlich muß ich die Sache anders anpacken,
sonst habe ich in Zukunft keine ruhige Minute mehr. Bastard-Regel No 14:
'Wenn dir jemand mit Bürokratie kommt, schlage mit doppelter oder
dreifacher Bürokratie zurück!'
- "Na schön. Zuerst mal muß ich mich mal ordnungsgemäß
davon überzeugen, daß Sie wirklich der sind, für den Sie sich
ausgeben. Können Sie sich denn ausweisen? Da könnte ja jeder kommen
und einfach irgendwelche Testate
erschleichen ..."
- Der Student hat damit gerechnet und präsentiert stolz seinen brandneuen
Reisepaß komplett mit biometrischem Chip.
- "Hmm",
- sage ich skeptisch und betrachte das Bild genau unter der
Lupe,
- "das schaut aber gar nicht aus wie Sie. Unter den ganzen roten ...
äh ... Flecken kann man ja gar nichts
erkennen!"
- Der Student guckt auf das Lichtbild, das ihn so ähnlich schaut wie ein
Akne-Substrat dem anderen, und schluckt Übles
ahnend.
- "Ich fürchte, da müssen wir schon auf andere biometrische Merkmale
zurückgreifen",
- sage ich mit möglichst grimmiger Stimme.
Zunächst einmal nehme ich Fingerabdrücke von allen zehn Fingern;
danach schaut der Student aus wie ein Taschendieb, der aus Versehen in einen
Stempelkissenladen geraten ist. Danach folgt ein gründlicher 'Iris-Scan'
mit meinem Laserpointer, der den Studenten vorübergehend so blind macht wie
einen Maulwurf, den es auf den Zugspitzgletscher verschlagen hat. Während
er sich blind durch meine Büro tastet, sage ich
beiläufig:
- "So, das Schlimmste ist ja schon überstanden. Jetzt noch der
Blutgruppentest ..."
"Blutgruppentest?!"
"... Urinprobe und Penisvariante ..."
"Was?! Penisvariante?!"
"... ach ja, und ein paar Haarbüschel mit
Wurzeln ..."
"Aua!!"
"... die brauche ich noch für den DNA-Test. Gut! Das sollte dann
für eine eindeutige Identifizierung im Sinne des § 675
Absatz 1 Teil III genügen."
- Aber das Akne-Substrat hat es trotz partieller Blindheit bereits
geschafft, die Türe zu finden und ist verschwunden.
Hoffentlich spricht sich die Sache schnell herum, denke ich und knalle die
Türe zu, sonst muß ich in Zukunft die erbeuteten Haarbüschel vor
meiner Bürotüre an die Wand nageln!
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