- Ein kurzer Anruf bei der Bezirksfinanzdirektion bestätigt meine
schlimmsten Befürchtungen: das Urlaubsgeld ist tatsächlich ersatzlos
gestrichen worden. Und ich hab' es nicht mitbekommen, weil alle haus-internen
Mitteilungen, die es bis in meine Mailbox schaffen, sofort umweltfreundlich nach
'/dev/null' entsorgt werden.
Na schön, kein Problem. Was sage ich immer zu den Doktoranden, die seit
nunmehr sechs Monaten vergeblich versuchen, den neuen 10TeraByte-File-Server
für ihre langweiligen Finite-Elemente-Simulationen zu
mißbrauchen?
- "Als Wissenschaftler muß man vor allem eines haben: tonnenweise
kreatives Denken, um mit den ganzen lästigen Kleinigkeiten fertig zu
werden, die den Weg zum Doktorhut so steinig machen!"
- (Auf dem neuen File-Server lagern übrigens meine ganzen
Video-Downloads!)
Ich gehe also in meinen Mailer und schicke folgende Nachricht an
'inhouse':
- "Da in der letzten Zeit vermehrt Paßwort-Reset-Vorgänge zu
vermerken sind, weil Studenten und Mitarbeiter mit Hochschulreife offensichtlich
nicht dazu in der Lage sind, sich ein einfaches Paßwort zu merken, sieht
sich die IT-Abteilung gezwungen, ab sofort für jede Neuzuteilung eines
Paßwortes eine Gebühr von 75 EUR zu erheben, um die
administrativen Kosten einigermaßen abzudecken. Zahlbar in bar vor der
persönlichen Zuteilung des Paßwortes.
Ideal für notorische Schussel und Alzheimer-Kandidaten: Das 5er-Paket zum
ermäßigten Preis von 400 EUR.
Datum, Leisch"
- Dann lasse ich kleines C-Programm über die zentrale Paßwortdatei
laufen, das in allen Paßwortschlüsseln genau ein Bit umsetzt. Naja,
genau genommen nicht in allen Schlüsseln; man muß schließlich
diplomatisch sein. Die Codes von Marianne, Frau Bezelmann und dem Chef bleiben
unangetastet.
Marianne, weil sie immer noch diesen infernalischen Titanium-Posaunekasten bei
sich im Büro liegen hat. Frau Bezelmann, weil ich zufällig mitbekommen
habe, daß sie ihren Jahresurlaub auf einen ausgedienten kasachischen
Panzerfaust-Übungsgelände verbracht hat, und seitdem eine
verdächtig lange Pappröhre hinter dem Postkaktus an der Wand des
Sekretariats lehnt. Und der Chef, weil er sich bei seiner Vergeßlichkeit
und dem miesen Professorengehalt die Gebühren kaum leisten
könnte.
Apropos der Chef: Wie jedes Jahr kurz vor seinem ausgedehnten Sommerurlaub,
der - wie jedes Jahr - unter dem Label 'Konferenzreise' staatlich
(stattlich?) bezuschußt wird, steht er plötzlich unangemeldet und zum
denkbar ungünstigsten Zeitpunkt bei mir auf der Matte.
Um als Professor erfolgreich zu sein, muß man weder ein genialer
Wissenschaftler sein (obwohl es angeblich auch nicht schadet), noch besonders
fleißig, noch ein besonders guter Manager. Das wirklich Wesentliche ist
ein sechster Sinn dafür, wann man den Leuten, von denen man etwas will, am
meisten auf den Senkel gehen kann. Als Professor hat man nämlich den
unschätzbaren Vorteil, daß die Leute einen nicht so leicht
rausschmeißen oder abwimmeln können. Selbst der hartgesottenste
Bürokrate läßt einen Professor zumindest ausreden, bevor er mit
Engelsgeduld versucht, ihm klarzumachen, daß selbst eine Exzellenz-Uni
kein ausreichendes Budget für eine Marsexpedition hat. Und wer mal einen
echten Professor erlebt hat, der weiß, daß es lange, sehr lange
dauern kann, bis dieser einen Satz zu Ende bringt (wenn
überhaupt).
Unser Chef hat diese seltene Gabe. Er taucht bevorzugt so gegen 11 Uhr 30
am LEERstuhl auf, also genau dann, wenn unsere Verwaltungsbeamten so langsam zur
Mensa aufbrechen, klemmt sich ans Telefon bzw. versucht zum tausendsten Mal,
Frau Bezelmann dazu zu bringen, daß sie ihn verbindet, und behämmert
einen armen Haushaltsbeamten oder Reisekostenstellenvorsteher oder gar den
Kanzler persönlich solange mit Ähms und Hmms und Sätzen ohne
erkennbares Verbum, bis die schließlich das Handtuch werfen und ihm alles
zusagen, was er will - wenn er sie nur wieder vom Haken
läßt!
Die Einführung von Caller-ID hat anfangs die Erfolgsquote des Chefs
spürbar gedrosselt, ganz einfach weil die Beamten dann sehen konnten, wer
da anruft und einfach nicht mehr abgehoben haben. Nachdem der Chef daraufhin
völlig unbeeindruckt bis zu 45-minütige Nachrichten auf den Mailboxen
verteilt hat, hat sich das Problem sehr bald wieder
erledigt.
Und jetzt in diesem Moment, gerade als ich eine
25 EUR-Luxus-Gourmet-Schuhback-Pizza im Heißluftofen habe (geschickt
als Backup-Roboter getarnt), steht der Chef in meinem Allerheiligsten und
fängt mit seinem Lieblingsthema an, wieso wir immer noch keine
Fortsetzungsförderung im SCHWAFEL-Projekt hätten.
SCHWAFEL steht für 'Semi-Conducting Hyper-Wavelets Applied For Extensive
Linguistics' oder so ähnlich, und ist eines dieser schwachsinnigen, aber
finanziell bombastisch ausgestatteten 'Zukunftsprojekte', bei denen niemand so
ganz genau weiß, worum es eigentlich geht, aber alle sich einig sind,
daß es ganz, ganz HighTech und an vorderster Front etc.etc. ... und
daß jeder, der wissenschaftlich etwas auf sich hält, da mitmachen
muß.
Was das Mitmachen angeht, bin ich durchaus derselben Meinung - immerhin
stammt mein Breitband-Beamer aus der letzten Fördersumme. Aber den
Fortsetzungsantrag zu schreiben und noch dazu in den Sommerferien ... nee
danke!
Aber der Chef läßt nicht locker. Vielleicht hat er sogar den Braten
bzw. die Pizza gerochen und dröhnt unablässig weiter über
Vorbereitungstreffen, Richtlinien und Förderquoten, bis ich mich aus purer
Verzweiflung - es riecht inzwischen schon deutlich verkokelt - dazu
breitschlagen lasse, wenigstens auf das nächste Vorbereitungs-Meeting der
lokalen SCHWAFEL-Gruppe zu gehen.
Hochzufrieden mit diesem unerwarteten Teilerfolg verschwindet der Chef zum
Golfspielen - und ich hole die verkohlte Gourmet-Pizza aus dem Ofen. Meine
Laune sinkt auf den absoluten Tiefpunkt. Buchstäblich in schwärzester
(= verkohlter) Stimmung schleiche ich hungrig hinüber zu den theoretischen
Linguisten, die diese Woche einen erneuten Versuch in Sachen SCHWAFEL
unternehmen wollen.
Wie alle Projektvorbereitungstreffen läuft auch das SCHWAFEL-Treffen nach
uraltem bewährtem Schema ab: Versammelt sind außer dem
Versammlungsleiter lauter Unterlinge, die von ihren Chefs verdonnert wurden und
Null Komma gar keine Lust haben, sich in dieser Sache irgendwie zu engagieren.
Andererseits müssen sie so tun, als ob, weil sie sonst später von
ihren Chefs eines auf den Deckel kriegen. Der Einzige, der mit Enthusiasmus bei
der Sache ist, ist der Versammlungsleiter, weil der die ganzen anstehenden
Teilaufgaben an die Projektpartner verteilen darf. Der Leiter sagt also zum
Beispiel:
- "Nächster Punkt: Modulabstimmung. Ganz essentieller Punkt im Antrag. Es
geht darum, wie die Software-Module von SCHWAFEL IV effektiv zusammen
agieren. Vorgeschlagen wurde eine Stapel- oder eine Blackboard-Architektur. Wer
möchte sich darum kümmern ...?"
- Wir anderen überlegen fieberhaft, ob das jetzt ein Teilantrag mit
relativ viel oder relativ wenig Aufwand ist, und was noch für Aufgaben
anstehen. Soll man zuschlagen? Oder besser noch abwarten? Vielleicht kommen noch
ganz triviale Aufgaben hinterher und dann ärgert man sich, weil zu
früh vorgeprescht ist. Andererseits wurden jetzt schon sechs Teilprojekte
verteilt ...
Währenddessen versuchen alle peinlichst, Blickkontakt mit dem
Versammlungsleiter zu vermeiden. Ein kurzer Blick genügt meistens schon als
Trigger für eine direkte Aufforderung, und dann ist es ganz schön
schwer, sich da wieder 'rauszuwinden ...
- "Leisch? Wäre das nicht was für Ihr
Department?"
- So ein Mist! Weil ich an was anderes gedacht habe, hat mein Blick aus
Versehen den des Versammlungsleiters in der Spiegelung der Tafel getroffen. In
so einem Notfall hilft nur noch eiskalt lügen.
- "Ich weiß nicht",
- sage ich zweifelnd,
- "eigentlich gibt es einen Fakultätsbeschluß, daß wir uns in
Zukunft weniger mit formal-informatischen als vielmehr
inhaltlich-statistisch-empirischen Arbeiten befassen
sollen ..."
- Nichts von diesem Schwachsinn ist wahr, aber das können die anderen
nicht wissen, weil sie nicht aus unserer Fakultät
sind.
Am eiskalten Stahlblick des Leiters sehe ich, daß er nicht Willens ist,
mich so leicht wieder vom Haken zu lassen. In so einem Fall hilft es manchmal,
einen harmlosen Ersatzköder auszuwerfen.
- "Aber ich könnte anbieten, eine Wiki-Plattform für die
Koordination der Teilanträge einzurichten und zu
verwalten ..."
- Der Leiter zögert den Bruchteil einer Sekunde. Daran erkenne ich,
daß er diesen Punkt tatsächlich noch auf seiner Agenda stehen hat;
vermutlich ganz hinten unter dem harmlosen Punkt
'Sonstiges'.
- "Schön",
- sagt er zögernd und macht einen Vermerk im
Protokoll,
- "Antragskoordination mittels Wiki bei Leisch. Auch ein wichtiger
Punkt ..."
- Dann schaut er sich nach einem weiteren Opfer um.
Nach dem Meeting setze ich mich zur Entspannung an den Rechner und programmiere
eine Wiki, in der jede Nacht per Zufall einzelne Absätze zwischen den
gelinkten Teilprojektsanträgen ausgetauscht werden. Ihr glaubt das jetzt
vielleicht nicht, aber mit ziemlicher Sicherheit werden sich dadurch unsere
Chancen auf Förderung drastisch erhöhen ...
|