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04.09.2008 BASTARD   MAILING   LIST   © Florian Schiel
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Ein kurzer Anruf bei der Bezirksfinanzdirektion bestätigt meine schlimmsten Befürchtungen: das Urlaubsgeld ist tatsächlich ersatzlos gestrichen worden. Und ich hab' es nicht mitbekommen, weil alle haus-internen Mitteilungen, die es bis in meine Mailbox schaffen, sofort umweltfreundlich nach '/dev/null' entsorgt werden. 
Na schön, kein Problem. Was sage ich immer zu den Doktoranden, die seit nunmehr sechs Monaten vergeblich versuchen, den neuen 10TeraByte-File-Server für ihre langweiligen Finite-Elemente-Simulationen zu mißbrauchen? 
"Als Wissenschaftler muß man vor allem eines haben: tonnenweise kreatives Denken, um mit den ganzen lästigen Kleinigkeiten fertig zu werden, die den Weg zum Doktorhut so steinig machen!" 
(Auf dem neuen File-Server lagern übrigens meine ganzen Video-Downloads!) 
Ich gehe also in meinen Mailer und schicke folgende Nachricht an 'inhouse': 
"Da in der letzten Zeit vermehrt Paßwort-Reset-Vorgänge zu vermerken sind, weil Studenten und Mitarbeiter mit Hochschulreife offensichtlich nicht dazu in der Lage sind, sich ein einfaches Paßwort zu merken, sieht sich die IT-Abteilung gezwungen, ab sofort für jede Neuzuteilung eines Paßwortes eine Gebühr von 75 EUR zu erheben, um die administrativen Kosten einigermaßen abzudecken. Zahlbar in bar vor der persönlichen Zuteilung des Paßwortes. 
Ideal für notorische Schussel und Alzheimer-Kandidaten: Das 5er-Paket zum ermäßigten Preis von 400 EUR. 
Datum, Leisch" 
Dann lasse ich kleines C-Programm über die zentrale Paßwortdatei laufen, das in allen Paßwortschlüsseln genau ein Bit umsetzt. Naja, genau genommen nicht in allen Schlüsseln; man muß schließlich diplomatisch sein. Die Codes von Marianne, Frau Bezelmann und dem Chef bleiben unangetastet. 
Marianne, weil sie immer noch diesen infernalischen Titanium-Posaunekasten bei sich im Büro liegen hat. Frau Bezelmann, weil ich zufällig mitbekommen habe, daß sie ihren Jahresurlaub auf einen ausgedienten kasachischen Panzerfaust-Übungsgelände verbracht hat, und seitdem eine verdächtig lange Pappröhre hinter dem Postkaktus an der Wand des Sekretariats lehnt. Und der Chef, weil er sich bei seiner Vergeßlichkeit und dem miesen Professorengehalt die Gebühren kaum leisten könnte. 
Apropos der Chef: Wie jedes Jahr kurz vor seinem ausgedehnten Sommerurlaub, der - wie jedes Jahr - unter dem Label 'Konferenzreise' staatlich (stattlich?) bezuschußt wird, steht er plötzlich unangemeldet und zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt bei mir auf der Matte. 
Um als Professor erfolgreich zu sein, muß man weder ein genialer Wissenschaftler sein (obwohl es angeblich auch nicht schadet), noch besonders fleißig, noch ein besonders guter Manager. Das wirklich Wesentliche ist ein sechster Sinn dafür, wann man den Leuten, von denen man etwas will, am meisten auf den Senkel gehen kann. Als Professor hat man nämlich den unschätzbaren Vorteil, daß die Leute einen nicht so leicht rausschmeißen oder abwimmeln können. Selbst der hartgesottenste Bürokrate läßt einen Professor zumindest ausreden, bevor er mit Engelsgeduld versucht, ihm klarzumachen, daß selbst eine Exzellenz-Uni kein ausreichendes Budget für eine Marsexpedition hat. Und wer mal einen echten Professor erlebt hat, der weiß, daß es lange, sehr lange dauern kann, bis dieser einen Satz zu Ende bringt (wenn überhaupt). 
Unser Chef hat diese seltene Gabe. Er taucht bevorzugt so gegen 11 Uhr 30 am LEERstuhl auf, also genau dann, wenn unsere Verwaltungsbeamten so langsam zur Mensa aufbrechen, klemmt sich ans Telefon bzw. versucht zum tausendsten Mal, Frau Bezelmann dazu zu bringen, daß sie ihn verbindet, und behämmert einen armen Haushaltsbeamten oder Reisekostenstellenvorsteher oder gar den Kanzler persönlich solange mit Ähms und Hmms und Sätzen ohne erkennbares Verbum, bis die schließlich das Handtuch werfen und ihm alles zusagen, was er will - wenn er sie nur wieder vom Haken läßt! 
Die Einführung von Caller-ID hat anfangs die Erfolgsquote des Chefs spürbar gedrosselt, ganz einfach weil die Beamten dann sehen konnten, wer da anruft und einfach nicht mehr abgehoben haben. Nachdem der Chef daraufhin völlig unbeeindruckt bis zu 45-minütige Nachrichten auf den Mailboxen verteilt hat, hat sich das Problem sehr bald wieder erledigt. 
Und jetzt in diesem Moment, gerade als ich eine 25 EUR-Luxus-Gourmet-Schuhback-Pizza im Heißluftofen habe (geschickt als Backup-Roboter getarnt), steht der Chef in meinem Allerheiligsten und fängt mit seinem Lieblingsthema an, wieso wir immer noch keine Fortsetzungsförderung im SCHWAFEL-Projekt hätten. 
SCHWAFEL steht für 'Semi-Conducting Hyper-Wavelets Applied For Extensive Linguistics' oder so ähnlich, und ist eines dieser schwachsinnigen, aber finanziell bombastisch ausgestatteten 'Zukunftsprojekte', bei denen niemand so ganz genau weiß, worum es eigentlich geht, aber alle sich einig sind, daß es ganz, ganz HighTech und an vorderster Front etc.etc. ... und daß jeder, der wissenschaftlich etwas auf sich hält, da mitmachen muß. 
Was das Mitmachen angeht, bin ich durchaus derselben Meinung - immerhin stammt mein Breitband-Beamer aus der letzten Fördersumme. Aber den Fortsetzungsantrag zu schreiben und noch dazu in den Sommerferien ... nee danke! 
Aber der Chef läßt nicht locker. Vielleicht hat er sogar den Braten bzw. die Pizza gerochen und dröhnt unablässig weiter über Vorbereitungstreffen, Richtlinien und Förderquoten, bis ich mich aus purer Verzweiflung - es riecht inzwischen schon deutlich verkokelt - dazu breitschlagen lasse, wenigstens auf das nächste Vorbereitungs-Meeting der lokalen SCHWAFEL-Gruppe zu gehen. 
Hochzufrieden mit diesem unerwarteten Teilerfolg verschwindet der Chef zum Golfspielen - und ich hole die verkohlte Gourmet-Pizza aus dem Ofen. Meine Laune sinkt auf den absoluten Tiefpunkt. Buchstäblich in schwärzester (= verkohlter) Stimmung schleiche ich hungrig hinüber zu den theoretischen Linguisten, die diese Woche einen erneuten Versuch in Sachen SCHWAFEL unternehmen wollen. 
Wie alle Projektvorbereitungstreffen läuft auch das SCHWAFEL-Treffen nach uraltem bewährtem Schema ab: Versammelt sind außer dem Versammlungsleiter lauter Unterlinge, die von ihren Chefs verdonnert wurden und Null Komma gar keine Lust haben, sich in dieser Sache irgendwie zu engagieren. Andererseits müssen sie so tun, als ob, weil sie sonst später von ihren Chefs eines auf den Deckel kriegen. Der Einzige, der mit Enthusiasmus bei der Sache ist, ist der Versammlungsleiter, weil der die ganzen anstehenden Teilaufgaben an die Projektpartner verteilen darf. Der Leiter sagt also zum Beispiel: 
"Nächster Punkt: Modulabstimmung. Ganz essentieller Punkt im Antrag. Es geht darum, wie die Software-Module von SCHWAFEL IV effektiv zusammen agieren. Vorgeschlagen wurde eine Stapel- oder eine Blackboard-Architektur. Wer möchte sich darum kümmern ...?" 
Wir anderen überlegen fieberhaft, ob das jetzt ein Teilantrag mit relativ viel oder relativ wenig Aufwand ist, und was noch für Aufgaben anstehen. Soll man zuschlagen? Oder besser noch abwarten? Vielleicht kommen noch ganz triviale Aufgaben hinterher und dann ärgert man sich, weil zu früh vorgeprescht ist. Andererseits wurden jetzt schon sechs Teilprojekte verteilt ... 
Währenddessen versuchen alle peinlichst, Blickkontakt mit dem Versammlungsleiter zu vermeiden. Ein kurzer Blick genügt meistens schon als Trigger für eine direkte Aufforderung, und dann ist es ganz schön schwer, sich da wieder 'rauszuwinden ... 
"Leisch? Wäre das nicht was für Ihr Department?" 
So ein Mist! Weil ich an was anderes gedacht habe, hat mein Blick aus Versehen den des Versammlungsleiters in der Spiegelung der Tafel getroffen. In so einem Notfall hilft nur noch eiskalt lügen. 
"Ich weiß nicht", 
sage ich zweifelnd, 
"eigentlich gibt es einen Fakultätsbeschluß, daß wir uns in Zukunft weniger mit formal-informatischen als vielmehr inhaltlich-statistisch-empirischen Arbeiten befassen sollen ..." 
Nichts von diesem Schwachsinn ist wahr, aber das können die anderen nicht wissen, weil sie nicht aus unserer Fakultät sind. 
Am eiskalten Stahlblick des Leiters sehe ich, daß er nicht Willens ist, mich so leicht wieder vom Haken zu lassen. In so einem Fall hilft es manchmal, einen harmlosen Ersatzköder auszuwerfen. 
"Aber ich könnte anbieten, eine Wiki-Plattform für die Koordination der Teilanträge einzurichten und zu verwalten ..." 
Der Leiter zögert den Bruchteil einer Sekunde. Daran erkenne ich, daß er diesen Punkt tatsächlich noch auf seiner Agenda stehen hat; vermutlich ganz hinten unter dem harmlosen Punkt 'Sonstiges'. 
"Schön", 
sagt er zögernd und macht einen Vermerk im Protokoll, 
"Antragskoordination mittels Wiki bei Leisch. Auch ein wichtiger Punkt ..." 
Dann schaut er sich nach einem weiteren Opfer um. 
Nach dem Meeting setze ich mich zur Entspannung an den Rechner und programmiere eine Wiki, in der jede Nacht per Zufall einzelne Absätze zwischen den gelinkten Teilprojektsanträgen ausgetauscht werden. Ihr glaubt das jetzt vielleicht nicht, aber mit ziemlicher Sicherheit werden sich dadurch unsere Chancen auf Förderung drastisch erhöhen ...
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