- In meinem Allerheiligsten herrscht die typische gespannte Atmosphäre
eines U-Boots beim Kampftauchgang. Die Jalousien sind heruntergelassen und nur
die Monitore und Kontroll-LEDs verbreiten ein geisterhaft flackerndes Licht.
Yogi Flop und ich drängen uns vor der Master-Konsole, während ich
hektisch Kommandos in die Tastatur hacke.
- "Sch....! So funktioniert das nicht!"
- stöhnt Yogi Flop.
- "Vielleicht sollten wir die Pakete am IP-Adreß-Translator im Switch
vorbei leiten ...?"
"Dann riskieren wir dauernde IP-Paket-Kollisionen",
- antworte ich abwehrend. Ich werfe einen Blick auf die große Digitaluhr
an der Wand.
- "Nur noch 19 Minuten! Mist!"
- Der Bastard Hausmeister von Hellinger (B.H.v.H.) ist auch in meinem
Allerheiligsten. Von Technik hat er zwar keine Ahnung, aber zur moralischen
Unterstützung während der Krise hat er einen Kasten Augustiner
Edelstoff besorgt. Da weder Yogi noch ich im Moment eine Hand frei haben, um
eine Bierflasche zu halten, bemüht sich der B.H.v.H. tapfer für uns
mitzutrinken. Gerade öffnet er die vierte Flasche mit dem Daumennagel (ein
richtiger Bastard kann das!), da klingelt das Telefon. Ich schnappe mir den
Hörer, brülle ein kurzes 'Wir arbeiten daran!' und schmeiße ihn
wieder auf die Gabel. In einer Krisensituation wie dieser kann man sich wirklich
nicht um das Gejammere aller möglichen DAUs kümmern, die ihre
Lieblings-Webseiten nicht mehr öffnen
können.
- "Da ... jetzt seh' ich was ..."
- brabbelt der B.H.v.H. aufgeregt und deutet mit der Bierflasche in Richtung
Bildschirm.
- "Nein, das ist nur das Startup-Bild von Yogis
Net-Sniffer",
- winke ich ab.
- "Oh",
- sagt der B.H.v.H. enttäuscht.
Nachdenklich schaut er auf die Flasche in seiner Hand und kneift zweimal
angestrengt die Augen zusammen.
- "Komisch, ich hatte doch erst drei Halbe! Ich ... ich dachte jetzt
eben, ich sehe eine nackte ... äh ... Frau, die sich mit einer
Gurke ..."
"Das ist schon richtig"
- sage ich,
- "manche Programmierer haben eben einen komischen Geschmack. Aber das
löst nicht unser Problem."
- Das Telefon läutet wieder. Diesmal mache ich mir nicht mehr die
Mühe, überhaupt abzuheben. Die Uhr zeigt noch 17 Minuten bis
Null.
- "Die Datenpakete kommen jetzt zwar durch den Switch, aber die Frame-Rate
ist viel zu niedrig",
- meldet Yogi enttäuscht.
- "Und das obwohl ich jetzt
schon alle anderen Ports gesperrt habe."
- Bevor ich antworten kann, bumpert es heftig an meiner Türe. Mariannes
125dB-Stimme dringt mühelos durch die panzerverstärkte
Türfüllung.
- "Leisch, was hast du mit dem Netzwerk angestellt! Meine sämtlichen
Finite-Elemente-Simulationen sind abgestürzt!"
"Stör' uns jetzt nicht, wir arbeiten bereits
daran!"
- brülle ich durch die geschlossene Türe
zurück.
- "Wir?! Wieso denn wir?! Wer ist denn da noch drin bei dir?! Mach' endlich
die verdammte Tür auf! Oder ich hole meinen
Posaunenkasten!"
- Letztere Drohung nehmen wir relativ gelassen zur Kenntnis. Nach dem letzten
Posaunenkasten-Angriff im Frühjahr hat der B.H.v.H meine vollkommen
demolierte Holztüre durch eine dreifach verstärkte
Feuerschutztüre aus dem alten Atombunker unter dem Verwaltungsgebäude
ersetzt. Die Türe war dort wirklich vollkommen überflüssig:
erstens ist die Wahrscheinlichkeit eines Atomschlags auf die Universität
inzwischen mehr als unwahrscheinlich geworden, und zweitens hätte sich ja
sowieso nur die Verwaltung darin retten können! Und wen sollen die danach
dann verwalten, frage ich? Also bitte!
- Während Marianne vergeblich mit ihrem Edelstahl-Posaunenkasten auf die
Atom-Türe eindrischt, gehen Yogi und ich zum x-ten Mal alle Optionen
durch, die uns noch offen stehen.
- "Erstens: wir hacken uns direkt in den Backbone-Rechner im Rechenzentrum und
öffnen eine Peer-to-Peer-Verbindung."
- Ich schüttele den Kopf.
- "Schaffen wir in der kurzen Zeit nicht mehr!"
"Zweitens: wir verzichten aufs Bild und haben dann nur
Audio!"
"Komm' gar nich' in Frage!"
- Das war der B.H.v.H.
- "Drittens: wir legen einen Bypass vom Lichtleiter am Switch vorbei direkt
auf dem Port, den unser Rechner hier hat."
- Ich nicke nachdenklich:
- "Das sollte auf jeden Fall klappen. Dann haben wir zwar keine Firewall mehr,
aber im allgemeinen schützen sich die ANDEREN vor UNS und nicht WIR vor den
ANDEREN. Hehehe! Die Sache hat nur einen Haken."
- Ich deute auf die vibrierende Türe.
- "Der Switch ist im Rechnerraum. Wie kommen wir an Marianne
vorbei?"
- Die Uhr zeigt noch 14 Minuten.
In diesem Moment legt das Telefon wieder los. Diesmal allerdings springt der
Hörer bei jedem Läuten ein paar Millimeter in die Höhe. Daran
erkenne ich, auch ohne aufs Display zu schauen, daß Frau Bezelmann dran
sein muß. Resigniert hebe ich ab.
- "Ja? Wir haben hier ein ernstes Netzwerkproblem und ich kann jetzt
wirklich nicht ..."
- Frau Bezelmann läßt mich nicht mal
ausreden.
- "Herr Leissssch! Der Chefff möchchchte wissssen, wo der neue Beamer
hingekommen issst!"
- Ich werfe einen Blick auf den nagelneuen 10000-Euro-Beamer, der bis jetzt
leider nur die langweilige Ansicht einer Linux-Oberfläche auf die Leinwand
wirft.
- "Ist er nicht in der Gerätekammer?"
- frage ich zurück, um Zeit zu gewinnen und um eine direkte Antwort zu
vermeiden. Frau Bezelmann hat sich neulich einen dieser neuen akustischen
Lügendetektoren zugelegt, und man kann ja nie
wissen ...
Frau Bezelmann versichert mir mit zahlreichen 'sss' und 'schschsch',
daß der Beamer natürlich nicht da sei, sonst würde sie ja wohl nicht
bei mir anrufen.
- "Ich glaube",
- sage ich, einer plötzlichen Eingebung
folgend,
- "ich glaube, ich habe Marianne als Letztes mit dem Beamer
gesehen ..."
- Man beachte das 'ich glaube'; nachher kann ich immer noch sagen, daß
ich eben falsch geglaubt habe.
- "Marianne!"
"... und wenn ich mich nicht sehr täusche, habe ich Marianne gerade
noch im Gang vor meinem Zimmer ... äh ...
gehört."
- Mit einem angriffslustigen Schnauben unterbricht Frau Bezelmann die
Verbindung, und wir drei harren gespannt der weiteren Entwicklung. Das
Hämmern des Posaunenkastens hört plötzlich
auf.
- "Was machen wir, wenn Marianne abstreitet, den Beamer zu
haben?"
- flüstert Yogi Flop, während draußen im Gang ein heftiger
Wortwechsel losbricht.
- "Damit wird sich Frau Bezelmann nicht zufrieden
geben",
- raune ich zurück.
- "Vergiß nicht, daß sie im ihren Sekretariat diesen neuen
Lügendetektor hat. Ich wette ..."
- Ein lautes Kreischen und andere Kampfgeräusche, die sich langsam in
Richtung Sekretariat entfernen, bestätigen, daß ich die Wette
gewonnen hätte. Yogi Flop sprintet mit einem Patch-Kabel bewaffnet los in
in Richtung Rechnerraum. Ein Blick auf die Uhr: noch
11 Minuten!
Ein dumpfer Schlag läßt die glücklicherweise wieder
verschlossene Stahltüre erzittern und zeigt uns
unmißverständlich an, daß Marianne unerwartet schnell wieder
zurückgekehrt ist.
Das Telefon klingelt. Der verzweifelte Yogi Flop ist dran. Er komme
nicht in den Rechnerraum, berichtet er aufgeregt, weil irgendjemand den
Zugangscode geändert habe.
- "Das kann nur Frau Bezelmann gewesen sein",
- sage ich,
- "vermutlich weil sie verhindern will, daß in Zukunft jemand den Beamer
ausleiht ... Hmm ... Du gehst jetzt ganz unschuldig ins Sekretariat
und sagst, daß der Chef den Beamer selber gefunden hat, aber das
Videokabel fehlt. Und das kann ja nur im Rechnerraum sein. Dann muß sie
dir den neuen Zugangscode geben, ok?"
- Noch sechs Minuten! Der B.H.v.H. öffnet vor lauter Nervosität drei
Bierflaschen auf einmal.
Ich aktiviere per remote shell das eingebaute Micro in Frau Bezelmanns
PowerPC.
Prompt hören wir die unsichere Stimme von Yogi
Flop:
- "Äh ... hallo, Frau Bezelmann ...
äh ..."
"Wasss wollen Sssie?!"
- Yogi stottert die Geschichte vom fehlenden Videokabel
herunter.
- "... und ... und deshalb ... ähm ... brauche ich
den neuen Zugangscode zum Rechnerraum ... damit ich ...
äh ... damit ich dem Chef das Patch-Kabel ... äh ...
das Video-Kabel bringen kann ... äh ..."
"Wasss haben Sssie denn da?!"
"Das? Äh ... das ... das ist nur ein Kabel ... auch ein
Kabel, meine ich ... also kein Patch-Kabel ... äh ... und
bestimmt kein Video-Kabel ... also eigentlich gar kein ...
äh ... Kabel ..."
- Der B.H.v.H. und ich wechseln einen besorgten Blick. Hört sich ganz so
an, als ob Yogi kurz vor dem Zusammenbrechen sei.
Ich schnappe mir den Telefonhörer und wähle die Nummer des
Sekretariats. Während es läutet, starte ich mit fliegenden Händen
ein Programm auf meinem Laptop. Gerade als Frau Bezelmann abhebt, tippe
ich:
- "Hallo Frau Bezelmann?"
- Aus dem Lautsprecher des Laptops quäkt die unverwechselbare Stimme
des Chefs:
- "Ähm ... hallo ... äh ... hallo? ...
hrrrrrm ... hallo? ... äh ... Frau ... äh ...
Frau Bezelmann?"
- Der B.H.v.H. reist die Augen auf. Anscheinend hat er mein spezielles
Sprachsynthese-Programm 'Chef-IV' noch nie in Aktion
erlebt.
Ich tippe:
- "Wo bleibt denn Herr Flop mit dem Video-Kabel?"
- Das Synthese-Programm 'Chef-IV' macht daraus:
- "Hm ... wo ... äh ... wo bleibt denn Herr ...
ähm ... Herr ... äh ... Herr Dings ...
Herr ... na! Herr Flop mit ... ähm ... mit dem ...
hmm ... dem Dings-Kabel ... mit dem ...
ääääh ... na, Sie wissen schon ... mit
dem ... hallo?"
- Wir hören, wie Frau Bezelmann Yogi Flop knurrend den Zugangs-Code gibt.
Noch 7 Minuten bis zur Katastrophe!
Weitere 4 nervenaufreibende Minuten verstreichen, während derer uns
nicht anderes übrig bleibt, an unseren Fingernägel zu knabbern und
Mariannes erstaunliche Ausdauer im Türe-Eindreschen zu bewundern.
Dann - endlich - bekommen wir die ersten vernünftigen Daten!
Katastrophe abgewendet! Gleichzeitig läutet wieder das Telefon. Yogi,
völlig außer Atem, ist dran:
- "Der Bypass ist drin, bekommt ihr Daten? Ok, aber ... aber wie komme
ich jetzt wieder zu euch rein ...?"
"Komm hinunter in den Biergarten. Wir ziehen dich mit einem Ethernetkabel
zum Fenster hoch!"
- Genau 26 Sekunden vor Null hieven der B.H.v.H und ich den völlig
erschöpften Yogi Flop über die Fensterbrüstung. Mit letzter Kraft
hechtet er sich in einen der drei Sessel und schnappt sich eine Bierflasche. Mit
glänzenden Augen, wie begeisterte Kleinkinder vor dem ersten
Weihnachtsbaum, sitzen wir drei friedlich vor dem gestochen scharfen Bild des
10000-Euro-Beamers und sehen den Beginn der weltweit ersten
Life-Internet-Übertragung von 'Chicago Power-Lesben Mud-Wrestling' auf der
Leinwand erscheinen.
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