- Ein langer, anstrengender, nervenaufreibender Arbeitstag geht zu Ende. Mit
anderen Worten: es ist so gegen 13 Uhr und ich bin auf dem Weg in die
Tiefgarage zu meinem Bastard-Mobil, da fällt mir siedendheiß ein,
daß ich vergessen habe, die Backup-Bänder von letzter Nacht über
den Lösch-Magneten zu ziehen!
Nun ist es zwar inzwischen äußerst unwahrscheinlich geworden,
daß sich ein DAU bei mir meldet und seine mysteriöserweise
verschwundenen Daten aus dem Backup wiederhaben will, weil, seitdem ich den
Seltene-Erden-Magneten aus dem Physikpraktikum stibitzt habe, kein einziges
Backup-Tape an unserem LEERstuhl mehr lesbar ist. Aber mein angeborenes
Pflichtbewußtsein läßt mir trotzdem keine Ruhe. Außerdem
braucht auch ein B.A.f.H. eine gewisse Routine; das gibt einem Halt und
Zuversicht im trüben Alltag, und außerdem schlafe ich besser, wenn
ich weiß, daß alle Platten am LEERstuhl ungesichert vor sich hin
eiern!
Ich eile also zurück zu meinem Allerheiligsten, biege den Schlüssel
schon in der Hand um die Ecke und ...
- "Holy Core-Dump! Was ist DAS denn?!"
- Vor meiner Bürotüre steht/schwankt/vibriert ein ... Ding, das
man am ehesten noch als Ausgeburt eines Albtraums von Steven Spielberg oder
George Lukas bezeichnen könnte. Es ist etwa ein Meter hoch, steht auf drei
kompakten Raupenbeinen, ist am ganzen Körper gespickt mit Antennen,
Drähten und waffenähnlichen Fortsätzen. Vorne, wo bei einem
normalen Wesen die Brust sein würde, sehe ich einen kleinen TFT-Schirm, auf
dem unleserliche Zahlenkolonnen durchflimmern. Oben drauf ist so etwas wie eine
Parodie eines Kopfes allerdings mit vier Augen und mehr Antennen, als einem
überlasteten UMTS-Funkmast gut tun würde. Hinter dem ... Ding
steht Yogi Flop, unser esoterischer Physikdoktorand, und grinst über das
ganze Gesicht. Es ist schwer zu sagen, was schlimmer aussieht, Yogis Grinsen
oder das ... Ding.
Ich mache den Mund auf, um etwas zu sagen (was bloß?), aber das ...
Ding kommt mir zuvor:
- "HALLO + ICH BIN SMARTBOT VERSION 24 + ICH BIN EIN
DERMATSCHISCHER LERNFÄHIGER ROBOTER"
"Dermatschischer?"
- ist alles, was ich im Moment herausbringen kann.
- "Er meint 'semantischer'",
- sagt der Kollege O., der unbemerkt hinter mir aufgetaucht
ist.
- "Die Sprachsynthese ist noch nicht so ganz ausgereift. Aber sonst schaut
unser SmartBot doch schon ganz toll aus, findest du
nicht?"
- Das ... Ding ... oder besser, der SmartBot, stellt sich als
Prototyp im SCHWAFEL-Projekt heraus, den Yogi Flop und der Kollege O. im
letzten halben Jahr zusammengebaut haben. Ich habe mich immer von ihrem Labor
ferngehalten, damit niemand etwa auf die unglückliche Idee kommen
könnte, mich zum Programmieren einzuspannen. Aber eben deshalb, das
heißt weil ich in Sachen SmartBot völlig unbedarft bin, bestehen der
Kollege O. und Yogi darauf, daß ICH die ideale, weil
unvoreingenommene Versuchsperson sei.
Ich ahne Übles und weise hastig darauf hin, daß Marianne oder Frau
Bezelmann noch viel unvoreingenommener seien als ich. Aber leider stellt sich
heraus, daß Frau Bezelmann dem SmartBot bereits Aufenthaltsverbot im
Bereich des Sekretariats gegeben hat, nachdem er 'den Raben Nero beleidigt'
habe. Und Marianne weigert sich ebenfalls zu kooperieren, weil das SCHWAFEL-Team
ihren Vorschlag, eine Roboterin zu entwerfen, abgelehnt
hat.
- "Na, schön",
- ergebe ich mich in mein Schicksal.
- "Und was soll ICH mit dem ... SmartBot anfangen? Soll ich mit ihm
Kreuworträtsel lösen oder Schach spielen?"
- Der Kollege O. schüttelt den Kopf.
- "Der SmartBot ist als selbstlernendes, automotives System ausgelegt. Als
erstes soll er lernen, sich in der Stadt zu bewegen. Geh mit ihm spazieren und
bring ihm alles Wichtige bei."
- "Was, bitteschön, ist denn am Spazierengehen
wichtig?"
- frage ich verblüfft.
- "Zum Beispiel, daß er auf dem Weg bleiben soll und nicht quer durchs
Gelände fährt und so weiter. Er soll durch Imitation lernen, aber du
kannst ihm auch einfache Befehle erteilen. Sag einfach 'SmartBot', damit wird
die Spracherkennung getriggert. Keine Angst: wir müssen sowieso alles
filmen und sind daher immer dabei."
- Ich beäuge den SmartBot mißtrauisch und aus sicherer Entfernung;
besonders die waffenähnlichen Fortsätze.
- "Ist er wenigstens friedlich? Beherrscht er die Asimovschen Robotergesetze?
Hattet ihr irgendwelche militärischen Sponsoren?"
- In der kleinen Gruppe Studenten, die sich aus dem Nichts um uns herum
kondensiert hat, lacht jemand unterdrückt.
Yogi Flop zaubert eine Mini-DV-Kamera aus der Jackentasche und nimmt uns aufs
Korn; der Kollege O. heftet mir einen grellrosa-farbenen Button ans Revers
und tippt etwas auf seinem tragbaren Infrarot-Keyboard. Der SmartBot rollt
zögernd auf mich zu und bleibt in etwa einem Meter Entfernung
erwartungsvoll stehen. Der Kopf dreht sich mit einem sirrenden Geräusch,
das unangenehm an eine automatische Zielerfassung erinnert, bis die zwei
mittleren Augen genau auf den rosa Ansteck-Button ausgerichtet sind. Mir
fällt auf, daß der Button ziemlich genau über meinem Herzen
steckt. Ich seufze und werfe resigniert sie Arme nach
oben.
- "Also schön, gehen wir!"
- Der SmartBot wirft genau wie ich zwei seiner Fortsätze nach oben, wobei
eine der Antennen abbricht und auf den Boden klappert.
- "Hoppala!"
- sagt Yogi Flop und die Studenten kichern wieder.
Aber der Kollege O. erklärt, daß es auch ohne GPS ganz gut
funktionieren sollte, und bedeutet mir einfach
weiterzumachen.
- "SmartBot",
- sage ich möglichst autoritär,
- "folge mir!"
"WEARSCHONTEN, CHEF!"
"Waaas?"
"Das sollte 'Verstanden' heißen",
- übersetzt der Kollege O. leise.
- "Logisch",
- sage ich, während wir zum Fahrstuhl gehen, und der SmartBot hinter mir
her wackelt.
- "Weißt du, ich bin wirklich froh, daß ihr das Ganze filmen
müßt ..."
- Im Aufzug sage ich:
- "Ok, SmartBot. Fahr' uns ins Erdgeschoß!"
"ZEIGE MIR WIE DAS GEHT, CHEF!"
- Ich gucke den Kollegen O. an, aber der zieht bloß auffordernd die
Augenbrauen hoch. Ich hebe also langsam den Arm und drücke fest auf den
Knopf fürs Erdgeschoß. Der Aufzug schließt die Türen und
fährt los.
- "WEARSCHONTEN, CHEF!"
- kommt es plötzlich von SmartBot, und eine dreifingrige Robothand wird
auf einem Arm ausgefahren, den sie vermutlich aus dem Film 'Die Rückkehr
der Borg' geklaut haben. Bevor jemand reagieren kann, drückt die Hand
zielsicher auf den roten ALARM/NOTHALT/NEVER-PRESS-THIS-BUTTON
Knopf.
Der Aufzug kommt mit einem unsanften Ruck zum Stehen und draußen
hören wir die Sirene losheulen. Dann geht das Licht aus und es wird
ziemlich dunkel.
- "SmartBot, Licht!"
- rufe ich, aber nichts passiert.
- "SmartBot, Bildschirmhelligkeit auf Maximum!"
"Darauf ist er leider noch nicht programmiert",
- sagt der Kollege irgendwo neben mir.
- "Hervorragend",
- sage ich bitter,
- "ein richtiger Lebensretter, euer SmartBot. Irgendwo hier muß doch
eine Sprechanlage sein ... Was ist das hier?"
"Das ist mein linkes Ohr",
- sagt Yogi Flop.
- "Aua!"
- Das schrille Geräusch überlasteter Motoren gellt plötzlich
durch den dunklen Aufzug.
- "Aber ich habe doch gar nichts gemacht mit deinem Ohr!"
"Nein, aber jemand knallt ständig gegen meine Schienbeine! Aua,
verdammt!"
- Irgendetwas schlägt mir so voll in die Magengrube, daß mir einen
Moment die Luft weg bleibt. Dann höre ich den Kollegen O.
brüllen:
- "Der SmartBot hat seine Bezugsperson verloren. Er kann den rosa Button nicht
mehr sehen ... Autsch! ... Er versucht jetzt, den Button wieder ins
Blickfeld zu bekommen ..."
"Dann schalt ihn doch ab! Hilfe!"
- Man hört, wie jemand schwer zu Boden geht.
- "Ich hab' das Keyboard verloren! Aua!"
- Zum Glück geht in diesem Moment das Licht wieder an. Ich reiße
mir den rosa Button von der Brust und halte ihn dem SmartBot direkt vor die
Linsen. Der Roboter, der schon halb über den schreienden YogiFlop gefahren
war, stoppt sofort.
- "HALLO + ICH BIN SMARTBOT VERSION 24 + ICH BIN EIN
DERMATSCHISCHER LERNFÄHIGER ROBOTER"
"Darüber reden wir noch",
- schnappe ich,
- "wie stellt man das verdammte Ding ohne Keyboard ab?"
"Äh ... gar nicht",
- stottert der Kollege O.,
- "warte ... hier ist es ..."
- Endlich fährt uns der Gehilfe des Hausmeisters mit Hilfe der
Handsteuerung ins Erdgeschoß und befreit uns aus dem Aufzug. Yogi Flop und
der Kollege O. untersuchen sofort mit besorgten Mienen den deaktivierten
SmartBot. Daß ich an ganzen Körper blaue Flecken habe, scheint
niemanden zu interessieren.
- "Ein Glück",
- atmet der Kollege O. erleichtert auf,
- "alles in Ordnung. Nichts passiert!"
- Ich starre ihn an.
- "NICHTS PASSIERT?!"
"Kleine Panne",
- erklärt der Kollege O. mit wegwerfender
Handbewegung.
- "Passiert uns im Labor auch ständig. Kein Grund besorgt zu sein.
Immerhin wissen wir jetzt, daß die Tracking-Funktion ausgesetzt werden
sollte, wenn die Kameras nur noch wenig Licht
empfangen ..."
- Ich schnappe nach Luft.
- "Wir werden in einem steckengebliebenen, dunklen Aufzug fast zu Tode
getrampelt ... äh ... zu Tode gewalzt, und du sprichst von einer
'kleinen Panne'! Wie viele Verluste habt ihr denn bei ernsthaften
Betriebsunfällen?!"
"Als Wissenschaftler muß man immer mit einem kleinen Risiko leben. Komm'
schon, wir versuchen es gleich noch mal."
- Ich schüttele ungläubig den Kopf und hefte mir den rosa Button
wieder ans Revers.
- "Aber nur, weil ich zu erleben hoffe, wie er einen von euch beiden über
den Jordan befördert!"
- Zwei Minuten später gehen wir langsam auf dem Bürgersteig an der
Schellingstraße entlang. Der wieder zum Leben erweckte SmartBot brummt wie
ein außerirdischer Schäferhund hinter mir her. Passanten machen einen
großen Bogen um uns oder wechseln lieber gleich auf die andere
Straßenseite. Eine wasserstoffgebleichte Politesse beobachtet uns mit
offenem Mund - was ihr gar nicht so schlecht
steht.
- "Ok, SmartBot",
- sage ich und bleibe bei einer Parklücke
stehen.
- "Überquere die Straße!"
"ZEIGE MIR WIE DAS GEHT, CHEF!"
- Ich drehe betont langsam den Kopf erst nach rechts, dann nach links, und
überquere dann die Fahrbahn.
- "WEARSCHONTEN, CHEF!"
- Der SmartBot dreht seinen Kopf nach rechts und scannt die leere
Straße. Dann dreht er den Kopf um 180 Grad nach links. In diesem
Moment biegt rechts ein UPS-Lieferwagen um die Ecke. Im denkbar
ungünstigsten Moment rollt der SmartBot los ...
Nachdem wir den geschockten UPS-Fahrer dem Roten Kreuz übergeben haben,
stehen der Kollege O., Yogi Flop und ich auf der Schellingstraße und
betrachten trübselig den Haufen Elektronikschrott im
Rinnstein.
- "Immerhin",
- sage ich, um überhaupt irgendwas zu sagen,
- "immerhin verstehe ich jetzt, wieso es schon die Versionsnummer 24
war ..."
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