- Es wird euch nicht entgangen sein, daß es in Bayern schneit. Genauer
gesagt, haben wir seit Äonen die Sonne nicht mehr gesehen - nicht,
weil sie etwa nicht scheint, sondern weil die Schneewächten vor dem Fenster
die Sicht versperren. Es schneit und schneit, und in Niederbayern fangen die
öffentlichen Gebäude an, reihenweise unter der Schneelast
zusammenzubrechen. Ich finde es übrigens sehr bemerkenswert, daß
hauptsächlich öffentliche Einrichtungen und Gebäude mit viel
Publikumsverkehr zusammenkrachen. Man sollte meinen, daß gerade solche
Gebäude besonders sicher und stabil gebaut werden. Aber vermutlich haben da
auch wieder ein paar Bastard Architects from Hell etc. ihre Hände im
Spiel.
Jedenfalls beobachtet die Hausinspektion mit großer Sorge die Situation:
erstens ist die Uni fast ausschließlich mit Flachdächern bedeckt und
zweitens handelt es sich bei der Uni auch um ein öffentliches Gebäude.
Um etwas Schwung in die Sache zu bringen, installiere ich einen winzigen
Funklautsprecher von Aldi hinter der abgehängten Decke im Flur der
Theologen im obersten Stockwerk. Den Sender schließe ich an meine
Workstation an und spiele ein Dauer-Potpourri der besten
Türenknarzgeräusche aus 15 Jahren 'The Munsters'
ab.
Dann warte ich ruhig ab.
Alle Welt spricht von der Chaostheorie. Ihr wißt schon: der besagte
Schmetterling, der in New York mit den Flügeln wackelt und damit einen
Monster-Hurrikane wie letztes Jahr auslöst. Aber in keiner dieser
Veröffentlichungen werden praktische Tipps gegeben, wie man den verdammten
Schmetterling dressieren muß, damit die Sache funktioniert. Ich ziehe die
pragmatische Chaosmethode vor: Der Schmetterling ist in diesem Fall der kleine
Lautsprecher im fünften Stock, der Hurrikan ist die Tatsache, daß
schon nach 27 Minuten bei den Fundamentaltheologen im fünften Stock
Panik ausbricht, und das Gebäude sofort evakuiert
wird.
Um der Evakuierung zu entgehen, verbarrikadiere ich mich mit einer Thermoskanne
Kaffee und einem raubkopierten Arcade-Game im Rechnerraum und schließe die
Türe von innen ab. Während ich, kuschelig gewärmt von
2,5 TeraByte Raid-Arrays, ein paar Millionen Ufos in die nächste
Dimension ballere, stehen die Kollegen draußen vor der Cafeteria bibbernd
im Schneesturm und warten, bis die Feuerwehrleute die 50 Zentimeter Schnee
und Eis vom Dach gekratzt haben.
Gerade noch rechtzeitig für die Kaffeepause darf das Fußvolk wieder
ins Gebäude, und ich mische mich unauffällig unter die Kollegen in der
Bibliothek. Marianne schaut mich scharf an, und fragt mißtrauisch, wieso
sie mich draußen gar nicht gesehen hätte. Ich behaupte frech,
daß ich den Hausmeistern beim Schneeschippen geholfen hätte. Zum
Beweis deute ich auf die dicken Blase an meinem rechten Zeigefinger, die ich vom
permanenten Drücken auf den Feuerknopf bekommen habe.
Wir sind noch nicht mal bei der dritten Tasse Kaffee, da taucht plötzlich
Frau Bezelmann, die schon allerseits vermißt wurde, in der Tür auf.
Ihre blitzenden Brillengläser und die genüßlich nach unten
gezogenen Mundwinkel lassen nicht Gutes ahnen. In ihren Klauen hält sie
einen bedrohlichen Stapel Papier, und auf ihrer Schulter sitzt Nero, der Rabe,
der sein schadenfrohes Gekrächze nicht zurückhalten
kann.
(Es ist eines der ungelösten Mysterien des Universums, wieso ein an sich
völlig harmloser Stapel gebleichter und geplätteter Zellulose, der mit
etwas Druckerschwärze verziert ist, sich sofort in eine bedrohliche
Monstrosität verwandelt, wenn Frau Bezelmann damit in der Hand auf einen
zukommt.)
- "Herr Leischschsch!"
- zischt sie in die plötzlich eingetretene, ungewöhnliche Stille in
der Bibliothek.
- "Hmm?"
"Der Dekan hat Sssie zzzur Kontaktperssson für den kommenden Ssstreik
ernannt!"
"Aha",
- sage ich vorsichtig.
- "Und was heißt das, bitte?"
- Frau Bezelmann läßt den fetten Stapel Papier genüßlich
neben meiner Kaffeetasse auf den Tisch knallen.
- "Dasss bedeutet, dasss Sssie verantwortlich sssind für die Meldung
aller Mitarbeiter, die ssstreiken, für die Meldung aller Ssstreikaktionen,
die am LEERssstuhl ssstattfinden und für die Aufrechterhaltung der
ssssogenannten Notdienssste!"
- Alle Anwesenden außer Frau Bezelmann und mir werden schlagartig um
einige Schattierungen bleicher.
- "Oh",
- sage ich erfreut und bedenke meine Kollegen mit einem breiten
Grinsen,
- "das ist ja zur Abwechslung mal was Erfreuliches!"
- Dann fällt mein Blick wieder auf den
Papierstapel.
- "Und was ist das hier, bitte schön?"
- Frau Bezelmann erläutert ausführlich und mit sichtlichem
Vergnügen, daß es sich dabei um zwei Dutzend verschiedene Melde-,
Ausweis- und Berichtsformulare handele, die ich für meine
verantwortungsvolle Tätigkeit benötige. Mein breites Grinsen gefriert
zu einer entsetzten Grimasse.
- "Soll das heißen, ich soll die alle
ausfüllen?"
- Frau Bezelmann bestätigt dies eisig strahlend und ergänzt,
daß es sich nur um die Vorlagen handele. Es seien zum Beispiel für
jeden Mitarbeiter und Streiktag Papiere auszufüllen.
Langsam dämmert es mir, daß es sich hier NICHT um eine unerhoffte,
legalisierte Gelegenheit handelt, die Mitarbeiter zu terrorisieren, sondern
vielmehr um handfeste Bürokratenarbeit. Und wenn ich etwas hasse, dann das
Ausfüllen von Formularen. Die einzigen Formulare, die ich meinen
Händen zu berühren gestatte, sind solche, die mehr oder weniger direkt
zum Aufpolstern meiner privaten Finanzen dienen.
COMMENCING EVASIVE ACTION PLAN
- "Ich glaube nicht, daß ich mich für diese Position besonders
eigene",
- sage ich ablehnend, was ein allgemeines Aufatmen bei den Kollegen
auslöst.
Aber Frau Bezelmann macht alle unsere Hoffnungen zunichte, indem sie
erklärt, daß es sich um eine direkte Dienstanweisung des
Department-Direktors handele, deren Nicht-Befolgung als Insubordination geahndet
werde. Unaufgefordert fügt sie hinzu, daß ich mich nicht einmal durch
Urlaub dieser Pflicht entziehen könne, es sei denn, ich hätte den
Urlaub bereits angetreten oder vor mindestens drei Monaten beantragt. Und
Krankheit oder Tod müsse vom Amtsarzt bestätigt
werden.
- "Ich sehe, daß Sie sich verdammt gut mit diesen Vorschriften
auskennen",
- knurre ich mißmutig.
- "Wieso eigentlich?"
- Es stellt sich heraus, daß Frau Bezelmann in ihrer letzten Position
beim Landesamt für Vogelschutz selber als Streik-Kontaktperson fungiert
hat. Übrigens wurde das Landesamt für Vogelschutz kurz nach diesem
Streik komplett aufgelöst, was die Politiker jetzt mit der herannahenden
Vogelgrippe bitter bereuen.
Ich ziehe mich mit dem Formularstapel in mein Allerheiligstes zurück,
google nach den entsprechenden Stichworten und brüte drei Stunden lang
über den grauenhaften Gesetzestexten, die da hochkommen. Dann ist es nur
noch eine Frage der Psychologie: Welche Web-Seiten konsultiert unser
Departments-Direktor in dieser Angelegenheit? Am einfachsten wäre es,
seinen Rechner zu knacken und im Cache nachzuschauen, aber seit dem die Bastard
female Ass(i) from Hell (B.f.A.f.H.) für das Netzsegment der Verwaltung
zuständig ist, komme ich da nicht mehr rein, ohne die B.f.A.f.H. zum
Abendessen einladen zu müssen. Ich gehe statt dessen in den altersschwachen
Proxy des Rechenzentrums und suche nach der Rechner-Signatur des
Direktors.
Aha! Sieht so aus, als ob er sich ausschließlich auf die internen
Web-Seiten unserer Verwaltung verläßt. Bestens!
Ein paar Änderungen später bin ich soweit, daß ich den
Abwehrschlag einleiten kann. Ich wähle die direkte Nummer des
Direktors.
- "Hallo?"
"Hallo. Hier Leisch."
- Ich kann hören, wie das Kleinhirn des Direktors reflexartig versucht,
den Hörer aufzulegen, aber das Großhirn behält standhaft die
Kontrolle. Darauf kann man sich bei Direktoren eigentlich fast immer verlassen;
deshalb sind sie ja auch Direktoren geworden und nicht Hausmeister, die bei
meinem Anblick sofort das Zeichen gegen den bösen Blick machen und
rückwärts vor mir zurückweichen, bis sie über irgendwelche
Arbeitsgeräte fallen. Ganz selten findet man einen Direktor, bei dem das
Kleinhirn die Kontrolle übernehmen darf. Und meistens ist das dann nur ganz
kurz bevor die Männer mit den weißen Turnschuhen
aufkreuzen.
So und so, erläutere ich also dem Großhirn des Direktors, ich
hätte erfahren, daß ich als Kontaktperson für den kommenden
Streik eingeteilt worden sei.
Der Direktor bestätigt es vorsichtig.
- "Da gibt es leider ein Problem",
- sage ich mit genau der Stimme, mit der normalerweise die Leitstelle in
Houston den Astronauten mitteilt, daß sie aus Versehen nur noch
Hühnchen in Rotweinsauce an Bord haben.
- "Ich muß die mir übertragene Verantwortung leider
ablehnen."
- Der Direktor will natürlich den Grund wissen.
- "Interessenskonflikt",
- erläutere ich lapidar,
- "ich plane nämlich selber, in den Ausstand zu
treten."
- Der Direktor weist mich darauf hin, daß ich als
Netzwerkverantwortlicher unter die Notdienst-Klausel falle, und daher nicht
streiken dürfe.
- "Mit einer Ausnahme",
- sage ich genüßlich.
- "Laut Paragraph 341, Absatz 12, DVO Streik, darf ich als
Gewerkschaftsmitglied streiken, wenn ich einen geeigneten Vertreter brennen, der
sich verpflichtet nicht zu streiken. Als Vertreter benenne ich meinen
Assistenten Herrn Nero Schwarz."
- Unnötig zu sagen, daß der Absatz 12 erst seit ein paar
Minuten existiert, und auch nur in dem Proxy-Cache, den der Direktor von seinem
Internet-Explorer aus aufruft.
Und daß Nero genau genommen kein Uni-Angestellter ist, ist vermutlich da
oben auch nicht bekannt, denn Frau Bezelmann beantragt seit drei Jahren
regelmäßig Essensmarken für ihren Raben. Und bekommt sie
auch.
- "Aber ... aber ... aber Sie sind doch gar kein
Gewerkschaftsmitglied. Jedenfalls nicht nach unseren Unterlagen
hier ..."
- Leider muß ich dem Direktor mitteilen, daß seine Unterlagen da
nicht ganz auf dem neuesten Stand seien:
- "Ich bin Mitglied der BGFH, und das schon seit ihrer
Gründung!"
- Es ist kaum allgemein bekannt, wie einfach es ist, eine Gewerkschaft zu
gründen. Vor allem, wenn man zufällig Zugang zum Verwaltungsrechner
des Amtsgerichts hat ...
Daß die 'Bastard Gewerkschaft From Hell' erst seit einer halben Stunde
existiert, brauche ich dem Direktor ja nicht auf die Nase zu binden. Im Notfall
kann ich mir ja immer noch schnell mit Gimp einen Gewerkschaftsausweis
zusammenkleistern.
Die Nachricht von meiner Befreiung vom Streikmeldedienst spricht sich in
Windeseile am LEERstuhl herum. Aber die Freude der erleichterten Kollegen ist
nur von kurzer Dauer: Schon am Nachmittag wird bestätigt, daß der
Direktor stattdessen Frau Bezelmann ernannt hat ...
|