- Ausnahmsweise bin ich heute mal in relativ guter Laune. Technisch
heißt das, daß ich nicht gleich am Montag morgen sämtliche
Raid-Konfigurationen der Genetiker im Erdgeschoß zerschieße, obwohl
das eigentlich auf meiner Task-Liste steht. Ich beschränke mich lediglich
darauf, ihrem Mail-Server einen milden kleinen Buffer-Overflow-Stups zu geben
und lasse es damit gut sein.
Der Grund für meine gute Laune ist zwei-rootig: Einerseits hat der Chef
endlich seinen 6-monatigen Jahresurlaub angetreten (der in der offiziellen
Amtsprache des LEERstuhls 'Sabbatical' genannt wird), und ich habe somit die
nächste Zeit völlig freie Hand hier. Andererseits hat heute morgen ein
unbedarfter Erstsemester es gewagt, mich vor der dritten Kaffee-Infusion auf dem
Gang anzusprechen.
Einfach so!
Ohne Vorankündigung!
Nicht mal einen Termin hat er gehabt!
Wo kämen wir denn dahin, wenn hoch bezahlte Beamte mit Pensionsanspruch
während der Ausübung ihrer Pflichten (ein Beamter hat keine feste
Arbeitszeit, nur eine 'Treupflicht'!) so einfach mir-nichts-dir-nichts von
jedem dahergelaufenen Primaten angesprochen werden
könnte?!
Nachdem der Notarztwagen wieder abgezogen ist, und während der Assistent
des Hilfshausmeisters noch mit dem Dampfstrahler die Schmauchspuren auf dem Gang
vor den Hochspannungspraktikum entfernt, fahre ich geistig und körperlich
aufs Angenehmste angeregt die Schutzschilde hoch und freue mich auf einen
langen, ungestörten Nachmittag mit dem 'Bastard Open Web Project'
(bastard.netaction.de).
Während ich noch darüber nachgrübele, mit welcher
JavaScript-Funktion ich möglichst viele Browser-Typen gleichzeitig zum
Absturz bringen könnte, läutet plötzlich das
Telefon.
Das ist insofern erstaunlich, als ich natürlich, um ungestört arbeiten
zu können, in der ISDN-Anlage meine Nebenstelle auf die Telefon-Auskunft
von Timbuktu umgelenkt habe. Und damit nicht genug: für den absolut
unwahrscheinlichen Fall, daß ein Telecom-Techniker meine
ISDN-Konfiguration bemerkt und mit den korrekten Daten überschreibt, habe
ich einen kleinen Cron-Job eingetragen, der jeden morgen vor meinem
Dienstantritt, also so gegen 12 Uhr, meine Konfiguration wieder
einspielt.
Nach allem menschlichen Ermessen KANN dieses Telefon also gar nicht
klingeln!
Einen Moment lang überlege ich, ob man es bei dieser logisch einwandfreien
Argumentation belassen und das Klingeln ganz einfach als logisch
Nicht-Existentes ignorieren solle, aber dann überwiegt doch meine
angeborene Neugierde: Auf dem Display ist keine Caller-Id angegeben, nur
daß der Anruf von außerhalb kommt. Hmm. Ich starte einen praktischen
kleinen Tracer, den ich vor ein paar Monaten von einem Rechner im
Polizeipräsidium geklaut habe, und hebe ab.
- "Hallo",
- sage ich neutral.
- "Hallo, Leisch",
- sagt es am anderen Ende der Leitung.
- "Kennen wir uns?"
- frage ich verblüfft.
- "Noch nicht",
- antwortet er,
- "ich würde ganz gerne am BOWP mitarbeiten."
"Aha",
- sage ich,
- "aber wir lassen da auch nicht jeden ran. Haben Sie ... hast du denn
irgendwelche Referenzen?"
- Der Anrufer überlegt kurz.
- "Ich denke, die Tatsache, daß ich auf diesem Telefon angerufen habe,
sollte doch reichen, oder?"
- Inzwischen habe ich gesehen, daß jemand vor vier Minuten mit
'root'-Rechten die ISDN-Konfiguration geändert hat, und mein Tracer hat
sich irgendwo auf einem australischen Telefon-Satelliten
aufgehängt.
- "Na schön",
- knurre ich.
- "Hast du auch einen Namen?"
"Äh ... Peter Mustermann",
- kommt prompt die Antwort.
- "Ok",
- sage ich,
- "wenn du deinen wahren Namen genannt hättest, wäre unser
Gespräch sowieso beendet gewesen. Gratuliere, du bist - vorerst -
mit im Team, zusammen mit den anderen 14 Peter Mustermännern! Um
Verwechslungen auszuschließen, werde ich für dich einen Account unter
dem Namen 'peter_mu15' anlegen, ok? Dein Paßwort schicke ich in ein paar
Minuten an peter_mu15@web.de. Du solltest also dafür Sorge tragen,
daß es diese Adresse dann auch gibt. Soweit zu den Formalien. Welche
Aufgabe möchtest du in BOWP übernehmen?"
"Äh ... hmm ... kümmert sich schon jemand um die
sporadischen Serverausfälle?"
"Peter Mustermann 7 schreibt gerade ein Skript dazu."
"Ah! Na, dann ... wie wärs mit einem
Mailbomben-Launcher?"
- Ich seufze.
- "Das machen schon Peter Mustermann No. 4 und 8. Wir bräuchten eher
jemanden, der noch scheußlichere Hintergrundgeräusche entwickelt.
Die, die wir jetzt haben, sind noch nicht nervig genug. Wie wär's
damit?"
"Ähm ... ich weiß nicht ..."
"Oder du könntest die BAfH-Videoabteilung übernehmen. Du weißt
schon: Harmlose Video-Clips mit verborgenen, sublimen Botschaften, die das
Unterbewußtsein des Betrachters dazu bringen, noch mehr
Bastard-Bücher zu kaufen."
- Das scheint peter_mu15 eher zu gefallen, und ich schicke ihm gleich mal ein
paar Beispiel-Video-Clips, die erst mal SEIN Unterbewußtsein triggern
werden. Hehehe!
Kaum bin ich damit fertig, marschiert Frau Bezelmann im Sturmschritt und ohne
anzuklopfen in mein Allerheiligstes, den mittlerweile fast kahlen Nero auf der
Schulter.
Mit drohender Null-Kelvin-Stimme informiert mich Frau Bezelmann, daß
sowohl sie als auch der Rabe die Darstellung des Sekretariats in BOWP
'ssskandalösss' finden.
- "Besssondersss der Possstkaktusss!"
- zischt sie mit funkelnden Augen,
- "issst eine Frechheit! Schaut ausss wie ein misssglückter
Weihnachtssssbaum mit rosssa Waschlappen drin! Und Nero sssieht ausss wie eine
ordinäre, alte, russsische Krähe!"
- Ich gucke verblüfft Nero an, der sich theatralisch aufplustert und
gleichzeitig versucht, mich mit seinen gelben Knopfaugen zu hypnotisieren, und
sage unwillkürlich:
- "Aber Nero IST doch eine alte kahle Krähe!"
- Das erweist sich als schwerer taktischer Fehler. Frau Bezelmann hält
mir einen unerbittlichen Zwei-Stunden-Vortrag über die Unterschiede
zwischen Krähen und Rabenvögeln, mit ausführlichen
Ergänzungen, was die gemeine russische Saat-Krähe und die
oberbayerischen Karwendel-Kolkraben angeht. Als sie in der Dämmerung
endlich das Feld räumt, bin ich so fertig, daß ich es gerade noch
schaffe, eine Krankmeldung für den Rest der Woche zu fälschen.
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