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29.06.2005 BASTARD   MAILING   LIST   © Florian Schiel
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Tequila
Software Patents 1 weiter 
Giga LAN
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Völlig erschöpft lasse ich mich in meinen Supero-Elasto-Pneumo-Chef-Sessel mit integrierter Liftkraftverstärkung fallen und fahre sofort die Schutzschilde hoch. Eine Weile sitze ich nur da und atme passiv. Dann gucke ich mühsam in den Mini-Rückspiegel an meiner Workstation, den Frau Bezelmann mir zum letzten Geburtstag geschenkt hat ("Damit Sie von nun an Ihre Falten besser sehen können!"), und versuche, meine Augen wieder in eine normale Form zu kneten. Nur mit mäßigem Erfolg allerdings: sie bleiben deutlich rechteckig, blutunterlaufen und mit dunklen Ringen darunter effektvoll dekoriert. Ich seufze. 
Nie, nie, nie wieder lasse ich mich auf eine LAN-Party einladen. Das schwöre ich beim heiligen Core-Dump! 
Wahrscheinlich muß man das einfach akzeptieren: Es gibt einige wenige Sachen, die sind sogar für einen Bastard zu hart: Ein tollwütiges Wiesel in der Hose, der 'Blaue Bock' im Fernsehen, Windoofs-Updates über Modem ... und jetzt kommen LAN-Parties auch noch auf meine Liste! Erstaunlich, was diese Youngsters da aushalten! Diese bleichen Teenager schauen aus wie gerade geborene Giraffen, die ein leises Lüftchen umfegen könnte. Und dann veranstalten sie, ohne mit der Wimper zu zucken, ein 48-stündiges Massengemetzel. Mit kurzen 5-Minuten-Pausen, um sich mal ein Stück Pizza reinzuschieben. Und dann sofort wieder den Finger am Abzug. Ein Überlebenstraining der US Marines ist nix dagegen! 
Drei Kannen Kaffee später bin ich soweit, daß ich wenigstens mal meine Email scannen kann. Die ganzen Departments- und Dekanatsmeldungen schiebe ich ungelesen nach /dev/null; alle Absender mit der Email-Adresse '@studenten.uni-muenchen.de' kommen wie üblich auf die Liste 'Zu-Löschende-Accounts'. Danach bleiben nur noch eine Hand voll Sex-Spams, denen es gelungen ist, sich durch alle drei Spam-Filter zu mogeln, und eine Email vom Europäischen Patentamt. Ein Herr Patrick O'Kinsley fragt an, ob ich ihn wegen meiner Patenteinreichung Nr. K/8356-XL aufsuchen könne. Es gebe da einige 'Unklarheiten, was den Gegenstand der Patentschrift' angehe. Ganz gegen meine sonstige Gewohnheit, amtlich Vorgänge erstmal vernünftig 'abhängen' zu lassen, schicke ich postwendend einen Reply, daß ich schon morgen bei Herrn O'Kinsley vorsprechen werde. Schließlich ist das eine ebenso gute Ausrede, mein morgiges Einführungsseminar ausfallen zu lassen, wie jede andere! 
Am nächsten morgen sitze ich im Europäischen Patentamt dem Sachbearbeiter gegenüber, der das Pech hat, immer meine Patenteinreichungen bearbeiten zu dürfen. Da mich Herr O'Kinsley bereits kennt, hat er mich nicht wie alle anderen eine Stunde warten lassen, sondern ganz im Gegenteil sogar selber schon auf mich gewartet. Vermutlich kann er sich noch an das letzte Mal erinnern, als ich aus purer Langeweile über ein Recherche-Terminal in der Eingangshalle den Zentralrechner in Brüssel heruntergefahren habe. 
Herr O'Kinsley trägt heute eine karierte Fliege unter dem runden Gesicht und schaut nicht sehr glücklich drein, aber das ist normal. Er blättert eine Weile ziellos in einem Haufen Papier, der die rechte Seite seines Schreibtisches bedeckt. Dann schaut er mich an und setzt zum Reden an, aber außer einem erstickten Stöhnen kommt nichts heraus. Herr O'Kinsley guckt hilfesuchend in seinem Büro herum, und aus Höflichkeit gucke ich ebenfalls. Wohin man auch schaut: überall ist Papier in verschiedenen Stadien des Zerfalls gestapelt, zum Teil meterhoch. Herr O'Kinsley seufzt und beginnt wieder im Papier auf seinem Schreibtisch zu wühlen, diesmal auf der linken Seite. Schließlich zieht er einen lose gehefteten Packen aus dem Stapel, in welchem ich unschwer meinen Patentantrag erkenne, und betrachtet ihn wie ein besonders widerliches Insekt. Er blättert lesend bis auf Seite vier, schlägt dann in einer unendlich matten Bewegung mit dem Rücken der linken Hand auf das Papier und schaut mich zum zweiten Mal an. Dreimal setzt er vergeblich zum Reden an, während ich geduldig warte. Schließlich wird es mir zu blöde und ich sage ungnädig: 
"Ich hoffe sehr, daß das Patent möglichst bald erteilt wird. Wie Sie sich sicher denken können, haben schon einige Firmen begonnen, meine Idee zu mißbrauchen!" 
Herr O'Kinsley schnappt nach Luft und seine Augen treten so stark hervor, daß ich schon fürchte, sie werden auf den Schreibtisch fallen und in seinem Papierstapeln verschwinden. 
"Mißbrauchen ...", 
japste er mühsam und lockert sich mit dem Zeigefinger das Band seiner Fliege. 
"Sie ... Sie ... Sie wollen ernsthaft? ... neinneinnein ... ich glaube, Sie verstehen das nicht ..." 
Er schließt einen Moment die Augen, um seine Kräfte zu sammeln. Dann sagt er mit aller Autorität, die er aufbringen kann: 
"Wir können das Patent auf Ihre ... Ihre ... Idee nicht erteilen!" 
"Und wieso bitteschön nicht?" 
will ich wissen. 
"Weil ... weil es sich nicht um eine Erfindung handelt, sondern um eine ... eine ... Handlungsvorschrift!" 
"Was soll das denn sein, eine 'Handlungsvorschrift'?" 
frage ich unschuldig. 
"Naja, Sie beschreiben in Ihren Patentantrag keine Erfindung, sondern nur eine Methode ... eine detailierte Step-by-step-Anleitung ... das können wir unmöglich annehmen!" 
"Eine Step-by-step-Anleitung?" 
wiederhole ich in skeptischem Ton. Herr O'Kinsley nickt krampfhaft. 
"Eine Step-by-step-Anleitung", 
sage ich freundlich, 
"ist doch nur ein anderes Wort für Algorithmus oder Programm, nicht wahr?" 
Herr O'Kinsley schüttelt so heftig den Kopf, daß die Schweißtropfen bis zu mir her fliegen. 
"Wieso denn nicht?", 
bohre ich hartnäckig weiter, 
"Ein Algorithmus ist doch nichts anderes als eine detailierte Step-by-step-Anleitung an den Computer. Das müssen Sie ja wohl zugeben!" 
"Schon, aber ..." 
"Nach der neuen Software-Patent-Richtlinie kann ich jeden beliebigen Algorithmus patentieren lassen", 
fahre ich gnadenlos fort, 
"Wenn also mein Idee, wie Sie sagen, aus einer Step-by-step-Anleitung besteht, dann kann ich sie folglich auch patentieren lassen!" 
Herr O'Kinsley bekommt vor Aufregung einen Schluckauf.: 
"Ja ... <hick> ... nein ... <hick> ... das heißt ... <hick> die Richtlinie gilt doch nur für Algorithmen, die auf einem Computer laufen!" 
"Wer sagt, daß meine Erfindung NICHT auf einem Computer laufen kann? Wenn Sie wollen, kann ich es Ihnen gleich hier vorführen ..." 
Ich ziehe einen PDA aus der Jackentasche. 
Herr O'Kinsley ringt die Hände. 
"Aber Herr Leisch ... <hick> ... Sie können doch nicht DIESEN speziellen Algorithmus patentieren lassen ... <hick> ... Das geht doch nicht! Das müssen Sie doch einsehen!" 
Ich sage ungnädig, daß ich überhaupt nichts einsehe und daß ich mich auch nicht erinnern könne, von so einer Einschränkung in der EU-Richtlinie gelesen zu haben. 
Herr O'Kinsley gibt auf und ruft per Telefon ein halbes Dutzend Juristen zu Hilfe. Das erweist sich jedoch als Fehler, weil die Experten, wie immer in solchen Situationen, sofort aufs Heftigste zu streiten beginnen, ob, wer, wie, wann, wo und warum das Recht, die Pflicht, die Möglichkeit, den Willen, die Schuldigkeit habe, einen solchen Patentantrag zu stellen, zurückzuziehen, abzulehnen, zu akzeptieren oder zu verbrennen. Die Diskussion wird immer hitziger, weil keiner den anderen aussprechen lassen will, und führt schließlich dazu, daß die Experten sich in zwei Lager Pro und Contra Patenteinreichung spalten. Nachdem alle juristischen Verbalinjurien erschöpft sind, verschanzen sich die beiden Lager hinter hohen Papierstapeln an entgegengesetzten Enden von Kinsley's Büro, und fangen an, sich gegenseitig mit Papierkugeln und Büromaterial zu beschießen. 
O'Kinsley und ich ducken uns aus der Schußlinie und robben auf dem Bauch aus dem Büro. Geistesgegenwärtig schnappe ich mir noch meinen Patentantrag von seinem Schreibtisch, damit er nicht etwa aus Versehen 'verloren geht'. 
Draußen auf dem Gang hat sich bereits die übliche Menschenmenge angesammelt, die immer spontan aus dem Nichts entsteht, wenn es brennt, ein Massenmörder dreißig Geiseln erschossen hat oder sonst irgendetwas Interessantes passiert. Sie fragen O'Kinsley, was da in seinem Büro los sei, aber dieser hat inzwischen so stark Schluckauf, daß er nur noch '<hick>' sagen kann. 
Ich zerre den unglücklichen Sachbearbeiter in eine ruhige Ecke und halte ihm meinen Patentantrag unter die Nase. 
"Nachdem wir die Detailprobleme erfolgreich gelöst haben, erwarte ich eine rasche Bearbeitung meines Patents", 
sage ich. 
"<hick>" 
"Ganz im Vertrauen: die Recherche können Sie sich eigentlich sparen: kein normaler Mensch würde auf so eine Idee kommen, nicht wahr?" 
O'Kinsley nickt zuerst, dann schüttelt er heftig den Kopf: 
"<hick>!" 
Um ganz sicher zu gehen füge ich noch hinzu: 
"Erinnern Sie sich noch an ihren Zentralrechner in Brüssel?" 
"<hick>?!" 
"Nur ein Tipp: es könnte sein, daß Sie bald einen neuen brauchen - vor allem, falls es bei der Bearbeitung meines Antrags unerwartet zu irgendwelchen Verzögerung kommen sollte ..." 
"<hick><hick>!!!" 
"Genau", 
sage ich freundlich und rücke O'Kinsley die schiefe Fliege zurecht, 
"und hier ist mein Antrag. Passen Sie gut darauf auf!" 
Ich drücke ihm den zerknitterten Antrag in die schweißigen Hände. Auf dem Titelblatt steht in riesengroßen Lettern:
'Antrag für die Erteilung eines Patents
für die Methode
wie man ein Patent für eine Software beantragt'
 
Auf dem Nachhauseweg male ich mir schon mal genüßlich aus, was die Rechtsabteilung der Firma WinzigWeich für Gesichter machen wird, wenn ich eines Tages mit meinem Patent dort aufkreuze.
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