- Trotz der letzten Spam-Orgie (wir erinnern uns) wagen es immer noch einige
naive DAUs, sich wegen des zunehmenden Spam-Verkehrs an unserem LEERstuhl zu
beschweren. Damit diese Leute endlich mal den Ernst des Lebens kennenlernen,
poste ich ihre Email-Adressen auf einem Fake-Web-Server mit 100000
künstlichen Webseiten, die alle kreuzweise untereinander gelinkt sind.
Jeder Email-Harvest-Bot wird sich darauf stürzen wie ein ausgehungerter
Eisbär auf einen vergammelten McDonalds-Fishmac! Um die Sache abzurunden,
schicke ich ihre hostnames auch noch an diverse Blacklist-Server, so daß
auch abgeschickte Email praktisch nirgendswo mehr angenommen
werden.
Erschöpft, aber tief befriedigt nach dieser Großtat gehe ich
hinunter in den Biergarten vor der Cafeteria und genehmige mir meinen
Frühschoppen. Im Geiste deklariere ich die nächste Stunde als
'Sprechstunde', damit ich sie mit gutem Gewissen zur 42-Stundenwoche
zählen kann. Das ist vollkommen in Ordnung, solange ich im Biergarten mit
hübschen Studentinnen spreche. (Hübsche Studentinnen sind mehr als
genug da, weil für heute Nachmittag eine
Semesterabschluß-Schaum-Party geplant ist. Die Fachschaftsvertreter der
technischen Chemie sind gerade dabei, ein gigantisches Planschbecken auf der
Terrasse mit Schaum zu füllen.)
Mit hübschen Studentinnen ins Gespräch zu kommen, ist für einen
erfahrenen BAfH kein Problem. Ich sage zum Beispiel:
- "Hi! Ich bin das Ergebnis eines tragisch mißlungenen genetischen
Experiments im humanbiologischen Institut. Eigentlich wollten sie in mir die
die Kraft eines Tigers mit dem Charakter eines Delphins kombinieren. Leider ist
was schiefgegangen und jetzt habe ich nur die fusselige Denkweise des Delphins
und den Schwanz des Tigers abgekriegt!"
- oder:
- "Hi! Habt ihr zufällig meinen Freund Brat vorbeikommen sehen? Er
trägt einen altgriechischen Speer und hat einen lächerlichen Helm
auf ..."
- Eine Stunde später habe ich ein Dutzend Telefonnummern und
Email-Adressen eingesammelt, mit denen ich mich später in aller Ruhe
befassen werde ...
Ich will gerade in mein Allerheiligstes zurückkehren, als der 'Engel' samt
seinem Fahrrad die Terrasse betritt. Nein, keine Panik! Das ist kein ehemaliger
Kollege von mir, der den Zorn des Himmels auf mein Haupt herab beschwören
soll. Der 'Engel' ist genauso sterblich wie ihr alle, nur - er hat eine
etwas extravagante Art sich zu kleiden: glitzerndes Ballkleid mit Reifrock,
darunter ein langärmeliges Sweat-Shirt, Bergschuhe, eine kompliziert
drapierte und ziemlich hohe weiße Perücke, auf dem Rücken
befestigt: zwei ziemlich große silberne Plüschflügel, von denen
der eine leider abgeknickt ist. Um dem Ganzen den letzten Touch zu geben,
trägt er eine riesige Skibrille und eine Zahnspange mit externem Spannband
und bayerische Wadenstrümpfe. (Kein Scheiß!)
Ich taste unauffällig nach meiner Jackentasche. Tatsächlich: ich habe
die DigiCam dabei!
Es ist schwer zu glauben, aber der 'Engel' schafft es tatsächlich,
in dieser komplizierten Montur auch noch Rad zu fahren! Direkt vor
meiner Bank verfängt sich allerdings eine der Flügelspitzen in der
Fahrradkette, und der 'Engel' flucht gottserbärmlich. Sehr im Gegensatz
zu seinem luftig-weiblichem Outfit hat er eine kräftige, tiefe Stimme,
die weithin durch den Biergarten schallt:
- "Kreuzkruzifix! Sch ... Kette, verdammte!"
- Eine hilfsbereite Fremdsprachen-Didaktik-Studentin will helfen, wird aber
aufs Heftigste weggeschnauzt; der 'Engel' ist bekannt dafür, daß er
Niemanden an sich heranläßt. Der 'Engel' zerrt heftig an seinem
Flügel und schert beinahe den anderen Flügel am Lenker ab. Ich
rücke ans Ende der Bierbank und beuge mich weit vor, damit ich besser
sehen kann - was den verzweifelt kämpfenden Engel natürlich noch
mehr in Rage bringt.
- "Was glotzde denn so affig?!"
- keucht er wütend. Das Fahrrad kippt und beinahe verliert er das
Gleichgewicht.
- "Ich hab' noch nie einen Engel gesehen, der so blöd ist, daß er
sich mit seinen Flügeln in der Fahrradkette
verfängt",
- sage ich ernsthaft, denn es stimmt sogar, und stütze mich
gemütlich auf meine Ellbogen.
Der 'Engel' läuft vor Wut lila an und verheddert sich auch noch mit seiner
Zahnklammer in der Handbremse.
In diesem Moment kommen der leitende Hausmeister, der Gehilfe des leitenden
Hausmeisters und der Stellvertreter des Gehilfen des leitenden Hausmeisters von
ihrem zweiten Frühschoppen aus der Cafeteria, bleiben wie ein Mann stehen
und stieren mit offenen Mündern den 'Engel' an. Ich winke heftig dem
leitenden Hausmeister, und er kommt mit seinem Troß im Schlepptau
zögernd näher.
- "Der gute ... hmm ... Mann braucht offensichtlich
Hilfe",
- sage ich energisch.
- "Wir wollen ja dieses Jahr nicht noch mehr tragische Todesfälle,
oder?"
- Die Hausmeister kapieren augenblicklich meine zarte Anspielung auf den
ertrunkenen Wartungstechniker im Liftschacht und schütteln heftig ihre
Klingonenhäupter. Damals haben sie einen geharnischten Rüffel vom
'Obersten der Klingonen' (Leiter der Hausinspektion) abbekommen, und der dritte
Frühschoppen wurde ersatzlos gestrichen. So was bleibt einem Hausmeister
natürlich lange im Gedächtnis.
- "Also: einer hält den Vorderreifen fest, einer den ...
äh ... Menschen",
- kommandiere ich aus sicherer Entfernung.
- "Und Sie versuchen, die Flügel aus der Kette zu
bekommen!"
- Der 'Engel' tobt und spuckt, aber der Stellvertreter des Gehilfen des
leitenden Hausmeisters ist nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen und
umklammert ihn einfach wie ein Schraubstock von hinten. Der leitende
Hausmeister versucht derweil tapfer, die Flügelspitze aus der Kette zu
befreien. Es geht aber nicht - unter anderem deshalb, weil ihm der rasende
Engel mit den Bergschuhen gezielte Tritte gegen das Schienbein verpaßt.
Ich mache unauffällig die Kamera fertig und rufe dem Hausmeister zu,
daß er die Kette zurückdrehen müsse.
- "'s geht aber ned!"
- schnauft er angestrengt.
- "Aua! Kreizkruzifix nochmal!"
"Sie müssen alle ein Stück
zurückgehen!"
- schreie ich über den Tumult und drücke wie wild auf den
Auslöser.
- "Wenn das Hinterrad sich rückwärts dreht, dann dreht sich auch
die Kette zurück!"
- Gehorsam hoppelt die Hausmeistertruppe ein paar Schritte nach hinten und
zerrt den heulenden 'Engel' mit sich. Der Gehilfe des leitenden Hausmeisters
schreit noch eine Warnung, aber es ist bereits zu spät: sein
Stellvertreter stolpert über den Rand des Planschbeckens und fliegt
rückwärts in den Schaum - und die ganze laokoonische Truppe
folgt samt Fahrrad den vereinten Gesetzen der Dummheit und
Schwerkraft.
Später, als ich die Bilder per attachment an die lokalen Abendblätter
schicke, sinniere ich darüber nach, was die hiesige Boulevardpresse
eigentlich ohne mich anstellen würde ...
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