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09.07.2004 BASTARD   MAILING   LIST   © Florian Schiel
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Anarchie
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David Lynch
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Ich rase mit 90 Sachen zur Zeit des schlimmsten Berufsverkehrs über den Mittleren Ring. Mein 7er-BMW, unser offizielles Versuchsfahrzeug im SCHWAFEL-Projekt, schnurrt wie ein Kätzchen, während ich auf der linken Spur dahingleite. Ich werfe einen Blick auf die Uhr: Acht Uhr dreißig. So macht es sogar dem BAfH Spaß, rechtzeitig zur Arbeit zu erscheinen! 
Stop! Moment mal, ganz langsam: 
Alle, die München kennen, wissen, daß hier etwas nicht stimmen kann: Morgens um acht Uhr dreißig geht auf unseren 'Ring- und Ausfallstraßen' (O-Ton Verkehrsfunk) gar nix mehr! Alles total verstopft! Also bitte, was soll dieser Schwachsinn, den uns der B.A.f.H. da wieder verklickern will! Um die Zeit kann man froh sein, wenn man nicht noch auf der Autobahn zum Mittagessen gehen muß! 
Tja, das mag ja alles so stimmen, aber das springende Wörtchen im vorigen Satz ist 'man'. 
Und der B.A.f.H. ist bestimmt nicht 'man', oh nein! 
Habt ihr schon mal darüber nachgedacht, warum jeden Morgen alles so verstopft ist? Richtig: weil jeder Münchner Möchte-gern-Medien-Mogul ganz alleine in seinem 80.000 Euro Daimler oder BMW zur 'Arbeit' fährt, während er mit der neuesten Bordelektronik (Aufpreis lächerliche 16.000 Euro) herumspielt! 
Und damit sind wir auch schon bei der Lösung, warum der B.A.f.H. als einziger freie Fahrt hat. Habt ihr's schon erraten? 
Ganz einfach: alle diese elektroniküberfrachteten Wägelchen haben eine Navi, die von einem Server die Staumeldungen abruft und den Fahrer in weniger verstopfte Bereiche umlenkt. 
Ein ausgeklügelter Cron-Job auf unserem Mail-Server (in den ich mindestens 2 Wochen Programmierarbeit des SCHWAFEL-Projekts investiert habe) lanciert nach einem exakt mit meiner Fahrroute abgestimmten Zeitplan verschiedene Stau(falsch)meldungen, die dafür sorgen, daß alle Verkehrsteilnehmer, die auf ihre Navi hören, auf andere Routen abbiegen und so den Weg für mich frei machen. 
Wissenschaft ist doch etwas Herrliches! Vor allem, wenn die öffentlich geförderte Grundlagenforschung zu solch greifbarem Fortschritt für MICH führt! 
Da ich dank des SCHWAFEL-Projekts so früh im Büro bin, habe ich endlich mal Zeit, bis zum Mittagessen alle Tageszeitungen im Netz durchzuschauen. Schlimm, was da alles drinsteht! 
Äußerst befriedigt sehe ich, daß Kollege Stoiber seine Anti-Logik-Kampagne eisern durchhält. Wieso längere Arbeitszeiten im öffentlichen Dienst zu mehr Arbeitsplätzen führen soll, hat immer noch niemand kapiert, weil es da nix zu kapieren gibt! Wichtig ist lediglich, daß man seinen Standpunkt konsequent nach unten vertritt - am besten mit eisenbeschlagenen Trachtler-Bergschuhen! Daß das funktioniert, sieht man daran, daß selbst nach der triumphalen Meldung des Wissenschaftsministeriums, daß man dieses Jahr infolge der Sparmaßnahmen 2000 Grundschullehrer weniger einstellen müsse, sich niemand ernsthaft fragt, wieso eigentlich eine solche Maßnahme neue Arbeitsplätze schafft. 
Hmm, vielleicht sollte ich von meinem Kollegen lernen. Ich könnte zum Beispiel öffentlich erklären, daß die HiWis logischerweise doppelt so effektiv arbeiten, wenn man ihnen nur noch den halben Stundensatz zahlt, und dann die Differenz auf mein Konto auf den Caymens überweisen. Aber gerade als ich zur Tat schreiten und ein diesbezügliches Memo verfassen will, sehe ich in einem Rundschreiben der Uni-Leitung, daß mir irgendein Bastard im FiMi zuvorgekommen ist: Effektiv ab sofort werden alle Stundensätze der HiWis, die seit 13 Jahren unverändert geblieben sind, um 10% gekürzt. Begründung: mit der 42-Stundenwoche verteile sich das virtuell auf die Woche hochgerechnet HiWi-Gehalt auf 42 Stunden statt bisher auf 38 Stunden und somit müsse die einzelne Stunde plötzlich weniger entlohnt werden. 
Den Bastard Logician from Hell, der auf diesen Trichter gekommen ist, müßte man sofort dem Nobelpreis-Kommittee melden! 
(Für die, die es noch nicht wissen: HiWi = Hilfswissenschaftler = Lohnsklave; FiMi = Finanzministerium) 
Trotzdem finde ich, daß meine Kollegen in Politik und Wirtschaft den Hebel immer noch nicht an den richtigen Stellen ansetzen. Irgendwie ist das doch immer wieder die gleiche langweilige Globalisierungs-Masche: 
"Wenn wir den Leuten nicht auch noch die und die Gelder aus der Tasche ziehen, dann wandert Siemens nach Timbuktu aus!" 
Nicht sehr fantasievoll, wenn ihr mich fragt. Aber mich fragt ja keiner - leider! 
Dabei hätte ich noch jede Menge Vorschläge, wie man 'mehr Arbeitsplätze schaffen' könnte: 
  • Abschaffung aller Feiertage, über deren Heiligkeit sich nicht alle Konfessionen einig sind. Begründung: Minderheitschutz. 
  • Umstellung von Winter- auf Sommerzeit nicht wie üblich nachts sondern tagsüber: eine Arbeitsstunde gewonnen (umgekehrt dann natürlich nachts!). 
  • Der Schalttag 29. Februar ist immer ein Arbeitstag - auch wenn er auf einen Sonntag fallen sollte. Desgleichen der Geburtstag des Ministerpräsidenten ... 
  • Umwidmung aller Sozialabgaben als Arbeitgeberanteil. Bisher werden nämlich nur 50% der Sozialabgaben als Arbeitgeberanteil deklariert (obwohl das natürlich völliger Bullshit ist; letztlich zahlen alles die Arbeitnehmer!). Mit der gleichen Logik können wir in Zukunft behaupten, daß 100% der Sozialabgaben vom Arbeitgeber gezahlt werden. Damit ändert sich erstmal de facto gar nix, aber meine Kollegen auf den Vorstandsetagen können dann in Zukunft noch mehr darüber jammern, wie hoch die Lohnnebenkosten in Deutschland seien, und daß man deshalb leider, leider alle Firmen nach Indien verlegen müsse. Es sei denn, man einige sich auf die 84-Stunden-Woche ... 
  • Genereller Steuererlaß für alle B.M.f.H. (Bastard Manager from Hell) mit mehr als 300.000 Euro Jahreseinkommen. Begründung: Wenn die B.M.f.H.s plötzlich netto so viel mehr verdienen, dann könnte es ja vielleicht sein, daß sie die Überschüsse nicht wie üblich nach Luxemburg verschieben, sondern ausgeben und somit die Binnenkonjunktur ankurbeln ... 
  • Arbeitnehmer mit Kleinkindern arbeiten in Zukunft 10 Stunden mehr pro Woche. Begründung: zu Hause bekommen sie ja sowieso keine Ruhe, und wenn sie dann nur unausgeschlafen im Büro herumhängen, leidet darunter unsere Wirtschaftsleistung ... 
Die Liste ließe sich fast unbegrenzt fortsetzen! 
Das Telefon reißt mich aus meinen Politfantasien. Am Display sehe ich, daß es ein interner Anruf ist, deshalb hebe ich ab. Schließlich warte ich immer noch darauf, daß mir die R.K.f.H. die Spesenabrechnung New York 1991 erstattet, und es könnte ja sein ... 
Aber leider ist es nicht die R.K.f.H. - die Personalabteilung ist dran und will von MIR wissen, ob denn am LEERstuhl die erweiterte Wochenarbeitszeit von 42 Stunden schon umgesetzt worden sei. 
"Ja", 
sage ich. 
Zehn Sekunden Pause. Als sie am anderen Ende merken, daß nix mehr von mir kommt, fragen sie vorsichtig: 
"Und ... äh ... darf man fragen, wie Sie das machen? Ich meine, kontrollieren Sie nach, ob auch wirklich alle Mitarbeiter ...?" 
"Nein", 
sage ich. 
"Äh ... Sie kontrollieren also gar nicht?" 
"Nein, man darf nicht fragen!" 
"Oh ..." 
Die Personalabteilung braucht ein paar Sekunden, um den Frage- und Antwort-Stack neu zu ordnen. Dann sind sie wieder synchron: 
"Und warum darf man nicht wissen, wie Sie das machen?" 
"Weil dann zu befürchten ist, daß irgendein Journalist davon Wind bekommt. Und dann haben wir sofort eine Klage vor dem internationalen Gerichtshof für Menschenrechte am Hals. Von Amnesty International ganz zu schweigen." 
"Häh? Wieso? Wieso Menschenrechte?" 
"Wollen Sie es wirklich wissen?" 
Die Personalabteilung bestätigt, daß sie wirklich will. 
"Also: wir haben jedem Mitarbeiter einen AÜH zugeordnet." 
"AÜH?" 
"'Arbeitsüberwachungs-HiWi'. Der AÜH ... hmm ... begleitet den Mitarbeiter den ganzen Tag von dem Augenblick, wenn er den Campus betritt, bis tief in die Nacht, wenn er ihn wieder verläßt. Jeder AÜH ist mit einer Stoppuhr und einer elektrischen Viehpeitsche ausgestattet ..." 
Die Personalabteilung unterbricht mich mit dem ungläubigen Hinweis, daß wir ja nach den Sparmaßnahmen kaum noch genügend HiWis hätten, um so eine Überwachung durchführen zu können. 
"Oh, da liegen Sie aber ganz falsch", 
sage ich fröhlich. 
"Erstens haben wir ja kaum noch Mitarbeiter, weil fast alle Stellen inzwischen kassiert worden sind, und zweitens wurden ja auch die Stundensätze der HiWi gekürzt, weshalb wir jetzt viel zu viel Geld für HiWis haben. Sie sehen also, das ist gar kein Problem. Wo war ich? Ach ja: der AÜH hat also eine Stoppuhr und eine elektrische Viehpeitsche. Wenn nun der Mitarbeiter vom festgelegten Arbeitsplan von 8 Komma 4 Stunden abweicht, zum Beispiel bleibt er länger als 27 Komma 34 Minuten beim Mittagessen oder länger als 2 Komma 14 Minuten auf dem Klo oder er telefoniert länger als 3 Komma 45 Minuten, dann erinnert ihn der AÜH nachdrücklich an seine staatstragenden Pflichten ... Übrigens sehe ich, daß wir schon 2einhalb Minuten telefonieren, wir sollten also allmählich ..." 
Aber die Personalabteilung ist absolut nicht überzeugt und insistiert auf weiteren Erkundigungen. 
"Hören Sie", 
sage ich, 
"das mag ja alles wirklich faszinierend für Sie sein, aber die Zeit schreitet voran und ich denke, wir sollten das Ganze auf ein späteres Gespräch .... AAAAAAOOOOOORRRRGGGHHH!!!!" 
Ich simuliere den Todesschrei der Killer-Zombies von PROXIMA III und lege auf.
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