The Truth ... and nothing but the Truth (2)
- (REPLAY MODE ON)
- "Du hast mich schon verstanden! Außerdem sind diese Schiffe, die du
da als Schuhe mißbrauchst, eine Beleidigung für 4000 Jahre
abendländische Zivilisation!"
- Ich schaffe es tatsächlich, weitgehend unverletzt mein Allerheiligstes
zu erreichen und die Türe hinter mir zu verrammeln. Verwirrt tupfe ich mir
den Kaffee von meinem 'Ich-bin-root-ich-darf-das'-T-Shirt und frage mich, was
eigentlich passiert sei. Marianne donnert inzwischen draußen mit ihrem
Posaunenkasten gegen die verschlossene Bürotüre, was das Nachdenken
auch nicht gerade leichter macht.
Habe ich wirklich noch im Weglaufen gerufen, daß wirklich nur eine
verklemmte Power-Lesbe einen Posaunenkasten als Phallus-Ersatz benutzen
würde? Ich wische mir den Schweiß von der Stirne; das wird mir
Marianne niemals verzeihen! Wahrscheinlich wird sie mir in der Tiefgarage bei
den Männerparkplätzen (die auf meine vehementen Proteste bei der
Gleichstellungsbeauftragten hin eingerichtet wurden) auflauern, mich mit ihrem
Titanium-Posaunenkasten zu Matsch prügeln und anschließend einen
Buchenholzpfahl (-phall?) durch mein zuckendes Herz hämmern. Großer
Core-Dump! Eine Sonderermächtigung der Klasse 1 hatte ich mir ganz anders
vorgestellt!
(REPLAY MODE OFF)
Zwanzig Minuten später bricht Marianne ihren Angriff ab (sogar Marianne
weiß, daß man sich mit einem Posaunenkasten nicht durch eine
feuerfeste Brandschutztüre hämmern kann!), das Telefon läutet,
und völlig zerstreut hebe ich automatisch ab.
- "Hallo? Ist dort die Rechner-Hotline?"
- Eine von unseren Userinnen ist dran, ein typischer DAU, aber mit
interessanten Kurven.
- "Ich habe ein Problem mit meiner Diss",
- sagt sie völlig unbedarft,
- "ich bin ganz sicher, daß ich sie gestern noch im Unterverzeichnis
'Promotion' gespeichert habe, und heute finde ich das ganze Verzeichnis nicht
mehr ..."
- Habt ihr da noch Worte? Also, ich nicht. Eigentlich ist alles schon
gesagt ...
Routinemäßig werfe ich einen Blick in den Bastard Ausredenkalender:
'Statische Entladungen wegen Plastiklineal' steht drin. Wie einfallsreich! Aber
für eine DAU vielleicht noch ganz neu; man kann nie wissen. Ich mache den
Mund auf, um etwas von statischen Aufladungen zu schwafeln, und sage statt
dessen:
- "Ihre Diss ist deshalb verschwunden, weil ich sie gestern Nacht
gelöscht habe. Ich dachte, das wäre der einfachste Weg, Sie dazu zu
bekommen hier anzurufen. Jetzt werde ich Ihnen einreden, daß Sie selber
aus Versehen mit einem aufgeladenen Plastiklineal Ihre Daten gelöscht
haben, und danach die Diss auf ganz wunderbare Weise aus dem Backup wieder
einspielen. Aus Dankbarkeit werden Sie sich mit mir zum Abendessen verabreden
und mit ein bißchen Geschick bekomme ich Sie dann heute noch ins
Bett."
- Scheiße, scheiße, scheiße! Ich könnte mir glatt die
Zunge abbeißen! Dabei hat bis jetzt alles so gut geklappt! Die Braut kann
ich jetzt für alle Zeiten abhaken!
Aber nach einer Pause von 5 Sekunden kommt das
Unerwartete:
- "Ähm ... wäre acht Uhr ok?"
- Nachdem ich mich tatsächlich mit der DAU verabredet habe, sondiere ich
über meine WebCam, ob die Luft auf dem Gang rein ist und schleiche
vorsichtig hinüber in die Werkstatt. Auf dem Rückweg begegnet mir
Frau Bezelmann mit einem Packen unterschriftsreifer Dokumente unterm
Arm.
- "Herr Leischschsch! Ichchch brauchchche Ihre Unterschschschrift
auf ... W... wasss haben Sssie denn da im
Gesssicht?!"
- Ich spüre deutlich wie mein Mund zu sagen versucht, daß Sie das
gar nicht angehe, Sie heliumgekühlte Kaktus-Fetischistin. Zum Glück
kommt nur ein
- "Hm hm Hmm hm hem hm, Hm mhm hemmm-hmhehm
Hmhmm-Hemhmhmhm!"
- heraus, weil ich mir kreuz und quer Teppichklebeband über das
Schandmaul geklebt habe. Frau Bezelmann bedenkt mich mit einem ihrer typischen
Minus-230-Grad-Celsius-Blicke, und ich kann praktisch sehen, wie sie
denkt:
- "Jetzzzt issst der arme Irre komplett über den Jordan!" - und
gleich darauf sagt sie es auch.
- Ich versuche ihre momentane Verblüffung auszunutzen und mich in mein
Allerheiligstes zu verdrücken, aber Frau Bezelmann schneidet mir den Weg
ab und hält mir fordernd die Unterschriftenmappe unter die
Nase.
- "Moment nochch! Dasss hier mussssss sofort unterschschrieben werden, damit
ichch meinen letzzzten Guerilla-Nahkampf-Kursssusss als berufliche Fortbildung
ersssetzzzt bekomme!"
- Frau Bezelmann erstarrt ein zweites Mal vor Schreck. Ich nicht. Seit dem
Vorfall mit der Übungshandgranate bei der Erstsemestereinschreibung
überrascht mich gar nix mehr!
Ich nehme den Kugelschreiber und sehe hilflos zu, wie meine Hand statt
meines unleserlichen Unterschriftkrakels schreibt:
- "Das könnte Ihnen so passen, Sie studentenmordende,
heliumgekühlte Kaktus-Fetischistin!"
- Ich schaffe es lebend zurück in die Werkstatt, die zum Glück auch
eine feuerfeste Brandschutztüre hat. Allerdings sagt das nicht viel; jetzt
hängt alles davon ab, ob Frau Bezelmann wie üblich ihre Panzerfaust
im Wagen dabei hat oder nicht. Schätzungsweise bleiben mir sechs Minuten,
bis sie aus der Tiefgarage wieder zurück ist.
Ich mache mir eine stabile Handfessel aus dem verbleibenden Klebeband und binde
meine rechte Hand hinten am Gürtel fest. Gar nicht so einfach mit nur
einer Hand und verklebtem Mund! Ich bin noch nicht mal ganz fertig, da bricht
draußen auf dem Gang ein mehrstimmiger Tumult aus. Ich gucke vorsichtig
um die Ecke und sehe den Kollegen O. und den Kollegen Rinzling in engem
man-to-man-combat. Der Kollege O. hat den Kollegen Rinzling in den
Schwitzkasten genommen, während dieser von hinten O.s Haare gepackt hat
und mit aller Macht daran zerrt. Beide überhäufen sich mit den
wüstesten Beschimpfungen, die aber bei nüchterner Betrachtung
allesamt der Wahrheit entsprechen. Unser B.H.f.H., der zufällig
vorbeikommt, versucht die beiden Streithähne zu trennen, aber anstatt sie
zur Vernunft zu rufen, brüllt er statt dessen, daß beide akademische
Nichtstuer und intellektuelle Schmarotzer seien, die mit ihrer angeblichen
Wissenschaft seine Steuergelder verprassen würden. Daraufhin fallen die
beiden gemeinsam über den armen B.H.f.H. her, der von seiner eigenen
Äußerung so verblüfft ist, daß er viel zu spät
anfängt sich zu wehren, und der Kollege Rinzling landet den ersten und
einzigen Kinnhaken seines Lebens, bevor ihn der B.H.f.H. kopfüber in den
Abfallrollwagen der Putzfrau steckt.
Weiter hinten haben sich Jenny und Marianne in den Haaren (buchstäblich!),
und vor dem Mikroprozessor-Praktikum sehe ich Yogi Flop, unseren notorischen
Frauenfeind, inmitten eines aufgebrachten Mobs von Studentinnen
blutüberströmt zu Boden gehen. Jetzt weiß ich endlich, warum
die Dinger Stilettos heißen!
Mitten im Chaos steht der Chef, vermutlich der Einzige im Institut, der sowieso
immer die Wahrheit sagt, und betrachtet mit offenen Mund diesen Ausbruch
erzwungener Wahrhaftigkeit an seinem LEERstuhl. Und als am Ende des Ganges auch
noch Frau Bezelmann mit ihrer Panzerfaust auf der Schulter auftaucht,
beschließe ich, daß es an der Zeit ist nach Hause zu gehen, SE1 hin
oder her!
Wie ich es mit nur einem Arm die Feuerleiter hinunter geschafft habe, wird mir
später auf ewig ein Rätsel bleiben. Auf jeden Fall komme ich mehr
oder weniger unverletzt bis zur U-Bahn-Station, und als ich probeweise bei der
Kioskbesitzerin nach einem extra-milden Fishermen's Friend frage und dann, als
sie sich umdreht, eine Fahrkarte stibitze, atme ich erleichtert auf.
Offensichtlich scheint der Wahrheitswahn tatsächlich auf unseren LEERstuhl
beschränkt zu sein.
Zuhause, kaum daß ich mich von den superklebrigen
Teppichklebebändern befreit habe, logge ich mich beim LEERstuhl ein und
sichere alle Texte, die auf sämtlichen Rechnern am Institut
einschließlich Email am heutigen Tag geschrieben wurden, auf ein
separates Laufwerk. Wenigstens die nächsten Tage möchte ich noch
meinen Spaß haben ...
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