- Es ist fast elf Uhr, ich schalte seufzend den DVD-Player aus und mache mich
auf zu meiner heutigen LEERveranstaltung. Was heißt hier 'heutigen'. Es
ist inzwischen sowieso nur noch die Einzige, weil in allen Anderen die
Teilnehmerzahl erwartungsgemäß auf Null geschrumpft ist. Unsere
Studenten sind zwar keine Genies (wobei ich das durchaus als Kompliment
auffasse; wer will schon freiwillig als Einstein für die Hiroshima-Bombe
verantwortlich sein!), aber sie merken doch ziemlich schnell, wenn ihre
Anwesenheit nicht gerade bejubelt wird. Auf diese Weise reduziert sich
normalerweise mein vorgeschriebenes LEERdeputat von acht Wochenstunden in
kürzester Zeit auf Null, und ich kann mich dann voll und ganz den wirklich
wichtigen Dingen des LEERbetriebs widmen.
Aber nicht in diesem Semester. Ein kleines Häufchen persistenter
Hauptfachstudenten läßt sich selbst mit den ekelhaftesten
mathematischen Herleitungen nicht aus meiner Veranstaltung Maschinelle
Logik für Fortgeschrittene vergraulen. Zäh wie die Kletten,
diese Brüder! Ich schaffe es zwar regelmäßig, mit meiner
monotonen Stimme den halben Kurs ins Koma zu schicken, aber die Studenten
kommen hartnäckig immer wieder!
Ich betrete mit fünf Minuten Verspätung (wichtige Dozenten
kommen IMMER zu spät!) den Seminarraum, schreite unverzüglich nach
vorne zur peinlich sauber gereinigten Tafel (die Haustechnik weiß genau,
wann und wo ich Vorlesungen habe!) und greife ohne langwierige
Begrüßung zur Kreide. Zeit ist Geld, und Geld ist knapp, sagt unser
geliebter Landesherr Stoiber. Wozu also Zeit und damit Steuergelder mit Palaver
vergeuden, wenn man alles auch an der Tafel herleiten
kann!
Bevor ich noch die erste Herleitung fertig habe, fällt mein Blick das
erste Mal ins Auditorium. Fünf Studenten in der ersten Reihe haben statt
den üblichen Kollegheften jeweils ein Kissen vor sich auf der Bank
liegen.
Ich breche die Herleitung ab und erkundige mich in scharfem Ton, was das zu
bedeuten habe. Ob die Herren Studenten etwa vorhätten hier zu
übernachten. Nach einigem Hin und Her antwortet ein
Student:
- "Äh ... das ist so: ... ähm ... der Rudi, der
sitzt normalerweise hier neben mir ... der hat ... der ist das letzte
Mal in Ihrem Seminar eingeschl ... hmm ... ist ein wenig eingenickt
und ... und ist dummerweise mit dem Kopf nach vorne auf die Bank ...
und da hat er sich das Nasenbein gebrochen. Und da dachten wir,
daß ... wenn ... rblpfmmbl ...
pffffl ..."
"Aha!"
- sage ich streng.
- "Wer glaubt, daß er in meiner Vorlesung ein Kissen zum Schlafen
brauchen kann, der beherrscht den Stoff offensichtlich schon so gut, daß
er sicher die nächste Herleitung an der Tafel vormachen
kann!!"
- Null Komma Null Zwei Sekunden ist kein Kissen mehr zu
sehen.
- "Na, gut",
- knurre ich und schmeiße die Kreide aufs
Katheder.
- "Da Sie offensichtlich ein paar Anschauungsbeispiele für die Logik
brauchen, werde ich Ihnen ein paar aus dem wirklichen Leben
erzählen."
- Die Studenten, die alle schon den Kopf eingezogen und die Augen
zugekniffen hatten, atmen erleichtert auf.
- "Beispiel Numero Eins: Unser allseits verehrter B.MP.f.H. Stoiber
verkündet, daß alle Universitäten Bayerns pauschal 10%
einsparen müssen. Die Rektoren kommen auf dem Bauch angekrochen und
jammern vor den Stufen des bayerischen Throns, daß dann aber rein
rechnerisch ein ganzer Haufen Studienfächer abgeschafft werden müsse
und gleichzeitig stiegen doch aber die Studentenzahlen. Ein Lakai des B.MP.f.H.
antwortet ihnen streng: Dann müssen sich die Universitäten eben
spezialisieren! Das, meine Herren, ist ein Beispiel für politische
Logik. Was fällt Ihnen an diesem Beispiel auf?"
- Ein Student in der letzten Reihe hebt zögernd die
Hand.
- "Wenn sich jede Universität auf Studienfächer spezialisiert, die
es dann sonst nirgends mehr gibt, folgt daraus, daß lediglich alle
Studenten, die das Fach studieren wollen, dort hinziehen. Daraus folgt aber,
daß es genauso viele Studenten sind wie vorher und daß durch
Spezialisierung kein Geld eingespart wird."
"Es sei denn ...",
- ermuntere ich den Gedankengang weiter.
Nachdenkliches Schweigen.
- "Es sei denn",
- meldet sich ein anderer Student,
- "man verhindert, daß die Studenten dort
hinziehen ..."
"Indem man ...?"
"Indem man gesetzlich festlegt, daß jeder Schüler nur an der
Universität studieren darf, die seinem Gymnasium am nächsten
liegt."
"Sehr gut!"
- sage ich zufrieden.
- "Ich muß erstaunt feststellen, daß Sie offensichtlich in meinem
Kurs tatsächlich etwas gelernt haben!"
- Obwohl ich das eigentlich ja gar nicht beabsichtigt hatte; muß ich in
Zukunft etwas vorsichtiger sein, was ich so alles in meinen LEERveranstaltungen
daher labere.
- "Sie sehen also",
- fahre ich fort,
- "daß Sie schon mit ganz einfacher Deduktion in der Lage sind, die
wahren Absichten hinter politischen Entscheidungen voraussagen zu können.
Nur ... leider muß ich Sie enttäuschen: Sie hätten mit
ihrer Herleitung vollkommen Recht, wenn es sich um einen normalen Menschen mit
normaler Logik gehandelt hätte. Ich sagte aber, daß es sich um ein
Beispiel von politischer Logik handele. Und politische Logik agiert ohne
Gesetzmäßigkeiten im freien Raum der zufallsgesteuerten
Ganglien (26) von Politikergehirnen. Mit anderen Worten: niemand plant,
unsere Bewegungsfreiheit einzuschränken. Im Gegenteil wird gar nichts
geplant; es wird nur ein wenig angewärmte Luft
bewegt."
- "Beispiel Numero Zwei: Ein Dozent fährt auf einen Kongreß nach
Bangkok. Der Kongreß dauert von Di bis Fr. Die Hotelübernachtung
kostet 15 Euro. Der Dozent fliegt aber erst am So morgen zurück, weil
Flugreisen, die sich über einen Sa erstrecken, nur ein Viertel vom
normalen Flugpreis kosten. Der Dozent spart somit trotz der zusätzlichen
zwei Übernachtungen 1760 Euro ein. Bei der Abrechnung der Reisekosten
erstattet die Reiskostenstelle nur drei Übernachtungen, weil - ich
zitiere - am Sa und So keine dienstlichen Tätigkeiten
stattgefunden haben.
Das, meine Herren, ist ein Beispiel für administrative Logik. Was
können Sie aus diesem Beispiel lernen?"
- Ein Student meldet sich.
- "Daß man im Zusammenhang mit Behörden niemals logisches Denken
antizipieren sollte?"
"Richtig! Und hätte unser Dozent diesen Ratschlag beherzigt, dann
hätte er ...?
"... den teureren Flug am Fr Abend genommen, weil er es ja eh nicht aus
eigener Tasche bezahlen muß!"
"Ausgezeichnet! Verallgemeinert heißt dies: Schalten Sie immer ihren
Logikapparat aus und vergessen Sie alles, was Sie bei mir gelernt haben, wenn
Sie es mit Behörden oder Vorschriften zu tun
haben!"
- Die Studenten grinsen unsicher.
- "Beispiel Numero Drei: Eine große Firma kündigt an, daß es
die nächsten drei Jahre keinerlei Lohnerhöhungen geben wird und
daß außerdem 20% der Mitarbeiter entlassen werden sollen. Die 20%
besten und höchstqualifizierten Mitarbeiter machen daraufhin verbittert
nur noch Dienst nach Vorschrift, werden schließlich mit enormen
Abfindungssummen entlassen und finden sofort viel besser dotierte Stellen bei
der Konkurrenz. Von den restlichen 80% werden alle über 50-jährigen,
die aber den Hauptteil des Knowhows der Firma tragen, entlassen. Wie
würden Sie mit Logik die Zukunft dieser Firma
prognostizieren?"
- Nach einigem Zögern melden sich ein paar
Studenten.
- "Ja?"
"Die Firma hat ihr Knowhow und die engagiertesten Mitarbeiter verloren.
Folglich wird die Qualität ihrer Produkte bestenfalls auf gleichbleibendem
Niveau bleiben. Gleichzeitig profitiert die Konkurrenz, indem sie die
motiviertesten Mitarbeiter einstellt. Folglich werden die Produkte der
Konkurrenz mit der Zeit besser werden. Daraus folgt, daß die Firma immer
mehr Schwierigkeiten beim Absatz ihrer Produkte haben
wird."
"Ausgezeichnet",
- sage ich.
- "Nun, der Aktienkurs einer Firma spiegelt nicht nur den derzeitigen Wert
der Firma wieder sondern vielmehr noch dessen zukünftige Entwicklung.
Folglich müßte nach besagter Ankündigung der Aktienkurs unserer
Firma ins Bodenlose abstürzen. Statt dessen steigt er um 15%. Das nennt
man die Logik der alten Männer. Möchte jemand versuchen,
diese Logik zu analysieren?"
- Schweigen und Kopfschütteln im Auditorium.
- "Nun",
- sage ich,
- "es ist eigentlich ganz einfach. Im Top-Management sitzen fast
ausschließlich Bastard Manager from Hell (B.M.f.H.). Das liegt an der
bekannten Tatsache, daß nur ein Bastard rücksichtslos und
gewissenlos genug ist, sich den Weg in den Vorstand einer großen
Aktiengesellschaft freizuschießen. Die B.M.f.H.s sind aber alle schon
über 60 (können Sie gerne anhand der Top-100-Manager-Liste des
Manager-Magazins nachprüfen), weil das Abschießen von Konkurrenten
einfach so seine Zeit braucht. Nun ist ein B.M.f.H. nicht dumm: er weiß
genau, daß es maximal 5-8 Jahre dauern wird, bis er selber wieder
abgeschossen bzw. in den Aufsichtsrat abgeschoben wird. In dieser Zeit
muß er das maximal mögliche Kapital aus seiner Position
herausschlagen. Er wird also alles tun, um die Dividende seines Aktienpaketes
in die Höhe zu treiben, auch wenn es nur ein paar Jahre gut geht. Dazu
eignet sich am besten das Feuern und Rausekeln von hoch bezahlten
Arbeitskräften. Der angenehme Nebeneffekt ist, daß natürlich
mit höherer Dividende auch der Aktienwert zumindest kurzfristig in die
Höhe schießt, und der B.M.f.H. nochmal einen guten Schnitt machen
kann, wenn er im richtigen Moment sein Aktienpaket
verkauft.
Was können Sie also in Bezug auf die Logik alter Männer
lernen?"
- Ein Student meldet sich:
- "Äh ... man sollte auf der Basis von logischen Deduktionen keine
Börsenspekulationen machen?"
- Ich schüttele mißbilligend den Kopf.
- "Quatsch! Haben Sie denn nicht zugehört? Sie sollten natürlich
nur von Unternehmen Aktien kaufen, die gerade ankündigen, die halbe
Belegschaft rauszuschmeißen!"
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