- Es ist nicht mehr zu ignorieren! Wir rasen unaufhaltsam auf den
Jahresgipfel des Konsumterrors zu:
Xmas steht vor der Türe - und verschafft sich brutal und mit Hilfe
penetrantester Werbung auf allen Kanälen
Einlaß!
Und obwohl ich meine Türe abgeschlossen und den Schlüssel zweimal
rumgedreht, obwohl ich die Schutzschilde hochgefahren und Frau Bezelmann
verboten habe, mir unaufgefordert ihre steinharten Zimtsterne vorbeizubringen,
trotzdem rückt mir die allgemeine Massenpsychose genannt
Weihnachts-Hysterie allmählich auf die Pelle!
Ich schicke eine email an inhouse, in der ich darauf hinweise,
daß im Sekretariat umsonst Zimtsterne ausgegeben werden.
Schließlich mußte letztes Jahr mein Grundkurs ausfallen, weil 60%
der Studenten mit akuten Verstopfungsproblemen im Uni-Klinikum lagen. Mit etwas
Glück lassen sich so meine Weihnachtsferien (das einzig Gute an der ganzen
Geschichte!) um eine weitere Woche ausdehnen.
Im Big Brother sehe ich, daß die mittlere Auslastung im Linux-Cluster um
23% gestiegen ist. Eine kurze Überprüfung ergibt, daß auf fast
allen Workstations das Programm xsnow läuft. Ihr wißt
schon: das niedliche kleine X, das es auf der Oberfläche schneien
läßt, und ab und zu fliegt ein noch niedlicher roter
Nikolaus-Schlitten quer über das Display.
Zum Kotzen!
Ich ersetze das Binary von xsnow durch das von xacid, ein
hübsches kleines Programm von mir, das einen Salzsäureregen auf dem
Display simuliert: herunter rinnende Tropfen ätzen sich brutal durch alle
Windows. Als besonderes Schmankerl nimmt xacid bei allen Programmen,
die es verätzt, die Ausführungsrechte weg. Normalerweise kann der
Benutzer danach nicht mal mehr eine Konsole starten.
Um den Mitarbeitern meinen Standpunkt gegenüber den kommenden Festtagen
ein für alle Mal klar zu machen, füge ich in die Spam-Filter eine
Regel ein, welche jede Email kommentarlos löscht, die mit
Fröhliche Weihnachten oder Guten Rutsch unterschrieben
ist.
Mag ja sein, daß sich andere in dieser Zeit amüsieren; für mich
ist es wie immer mit harter Arbeit verbunden. Drei Stunden quäle ich mich
durch die einzelnen Projektbudgets des LEERstuhls, um festzustellen, ob wir den
bewilligten Etat auch wirklich bis auf den letzten Euro ausgegeben haben. Es
ist unglaublich, wie viel Geld jedes Jahr der Uni verloren geht, bloß
weil schlampige Projektmanager nicht haushalten können! Mit Hilfe einer
Monte-Carlo-Simulation und des Online-Katalogs vom Mediamarkt ermittele ich
streng wissenschaftlich die optimalste Verteilung der Restgelder auf diverse
Hardware-Teile, die schon länger auf meiner Wunschliste sind. Zum Beispiel
eine DVD-Jukebox mit 512 Slots, eine Dolby 5.2 Profi-Anlage und
andere Kleinigkeiten ...
Während ich noch die Online-Bestellungen ausfülle, bumpert es auf
einmal heftig an meine verrammelte Bürotüre. Ungläubig rufe ich
die Web-Cam im Flur auf mein Display. Das muß ein Irrtum sein. Das letzte
Mal, daß jemand meine Schutzschilde mißachtet hat, mußte
immerhin nachher das Technische Hilfswerk anrücken. Man sollte meinen,
daß die überlebenden Mitarbeiter und StudentInnen (da wars wieder!)
wenigstens die fundamentalen Überlebensregeln gelernt
hätten.
Vor meiner Türe steht ein Typ mit einer Packung Verbandswatte vor dem
Gesicht und roter Mütze. In der rechten Hand hat er etwas, das entfernt
wie ein manifestierter N-Gramm-Decision-Tree aussieht, in der anderen Hand
hält er einen blauen Müllsack. Im Hintergrund (mit gehörigem
Sicherheitsabstand) erkenne ich undeutlich eine dicht zusammen gedrängte
Menschenmenge, aus der lächerlich rote Zipfelmützen herausragen. Ich
meine, Frau Bezelmann in der ersten Reihe zu sehen.
Während ich noch fassungslos aufs Display schaue, hebt der Typ die Hand
und bollert wieder gegen meine Türe.
- "Ho, ho, ho!"
- tönt es gedämpft von draußen.
Ich nehme ein Kaminfeuerzeug aus der Schreibtischschublade,
überprüfe, ob das Magazin voll geladen ist und öffne meine
Bürotüre.
- "Ho, ho, ho!"
- dröhnt es triumphierend in mein Gesicht. Eine Glühweinfahne
ersten Ranges nimmt mir für einen Moment den Atem. Das erklärt
einiges! Nur wer schwer alkoholisiert ist, kann sich zu der Wahnsinnstat
hinreißen lassen, an meine Türe zu bollern! Im Hintergrund
ertönt unterdrücktes Gekicher. Ich sehe Frau Bezelmann mit dem Raben
Nero auf ihrer Schulter; beide tragen eine rote Zipfelmütze. Marianne ist
auch da, in einem gewagten Coca-Cola-roten Minikleid mit weißem
Pelzbesatz am großzügigen Ausschnitt. Sogar der Kollege Rinzling hat
sein Büro verlassen. Der grünlichen Gesichtsfarbe nach soll er wohl
den Grampus darstellen; allerdings verdirbt die weiße Atemschutzmaske den
Gesamteindruck erheblich.
Ich schaue dem Kollegen O. - denn er ist es natürlich -
fest ins Gesicht oder vielmehr in das, was nicht von der Verbandswatte verdeckt
wird, und frage mit eisig beherrschter Stimme, was der Firlefanz vor meiner
Türe bedeuten solle.
- "Ho, ho, ho!"
- fängt er wieder an mit seiner künstlichen Großvaterstimme
und späht angestrengt auf einen großen
Zettel.
- "Äh ... du bist doch wohl der Assistent Leisch, nicht
wahr?"
- Ich bestätige, daß dem so sein, und weise darauf hin, daß
ich mich mit Fremden normalerweise nicht duzen würde.
Der Kollege O. ignoriert das geflissentlich:
- "Hier steht, daß du in diesem Jahr gar mächtig deine Kollegen getriezt
hast. Ist das wahr?"
"Nicht die Bohne!"
- sage ich.
Gelächter und Buhrufe im Hintergrund.
- "Und dann steht hier noch, daß du deine Studenten gewaltig mit
schwierigen Prüfungen und Hausarbeiten gequält
hast ..."
- Johlen und Pfiffe von den Studenten, die sich hinter Frau Bezelmann
verschanzt haben, damit ich ihre Gesichter nicht sehen kann. Wenn die
wüßten, daß ich im Moment alle Überwachungskameras im
Gang mitschneide. Nach Weihnachten werden sie ihre Daten nicht mehr
wiedererkennen!
- "Ich bin sicher,"
- erkläre ich gelassen,
- "daß Sie mich verwechseln. Wahrscheinlich mit dem Kollegen O.;
der wohnt übrigens da drüben."
- Ich deute auf O.s Bürotüre. Der 'Nikolaus' gerät etwas aus
dem Konzept.
- "Äh ...",
- sagt er, aber ich lege gleich noch etwas nach:
- "Und falls das nicht auf Ihrem Zettel steht: Der Kollege O.
mißbraucht unsere Datenbank, um seine Sammlung lilafarbener
Unterwäsche zu katalogisieren. Ich finde, daß er dafür
mindestens 10 Rutenhiebe verdient hätte,
oder?"
- Pandämonium im Gang hinter Frau Bezelmann.
Der 'Nikolaus' versucht mit erhobener Stimme, seine Autorität
wiederzugewinnen:
- "Hrrrrm ... es geht hier jetzt nur um Dich, Leisch! Äh ...
was für gute Taten im letzten Jahr kannst du mir berichten, damit ...
äh ... damit du etwas aus meinen Sack erhalten
kannst?"
- Ich begucke sorgfältig den blauen
Müllsack.
- "Ich bin mir nicht so sicher, ob ich etwas aus einen zerrissenen
Müllsack erhalten will. Na, gut. Meine guten Taten letztes Jahr: Ich habe
ein neues SPAM-Filter installiert, das auch die meisten privaten Emails
erwischt; die Durchfallquote im Vordiplom konnte Dank meines Engagements auf
67% gesteigert werden; die Gesamtsummer abgerechneter Reisespesen
(hauptsächlich meiner eigenen natürlich) hat die 100.000 Euro
überschritten; ach ja, und ich habe mich dem allgemeinen Trend der
Studenten angeschlossen und das Rauchen angefangen!"
- Der Kollege O. ist von meinen Leistungen so überwältigt,
daß er momentan aus seiner Rolle als 'Nikolaus'
fällt:
- "(Normalstimme) Was? Du rauchst jetzt?! Ähm ... hrrrrm ...
(Großvaterstimme) das ist aber keine ... äh ... keine gute
Tat, mit dem Rauchen zu beginnen ..."
- "Nicht?"
- wundere ich mich.
- "Ich dachte, wenn alle das machen ... Leider habe ich immer noch
Probleme mit der Technik ..."
- Ich hole eine riesige Havanna und das Kaminfeuerzeug aus der
Tasche.
- "... zum Beispiel, weiß sich nicht, welches Ende man bei diesen
Dingern anzündet ..."
- Ich stecke die Havanna in den Mund und versuche, sie mit dem Kaminfeuerzeug
anzuzünden. Dank einer kleinen technischen Modifikation produziert das
Feuerzeug eine 60-Zentimeter-Stichflamme, die durch einen dummen Zufall (sic!)
voll die Verbandswatte des Kollegen O. erwischt. Der Kollege gibt
quiekende Ferkellaute von sich und schlägt mit seiner Rute nach den
schnell höher lodernden Flammen. Marianne stürzt
geistesgegenwärtig nach vorne und reißt dem Kollegen O. den falschen
Bart herunter.
Der beißende Rauch löst natürlich sofort die Feuermelder im
Gang aus, die ich in mühsamer Fummelei so hingetrimmt habe, daß sie
schon ansprechen, wenn sich unten im Foyer jemand eine Zigarette anzündet.
In Sekunden wird die ganze Bagage vor meinem Büro mit eiskaltem
Löschwasser eingesprinkelt.
Das wird ihnen hoffentlich eine LEERE sein!
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