Aus dem 'Survival Guide for the German University' von
Leisch:
Der Professor
Wir kommen jetzt endlich zum wichtigsten Archetypus des Hochschul-Umfeldes, dem
Professor. Ein echter Professor definiert sich dadurch, daß er sich
selbst für den Mittelpunkt des Universums hält. Alle anderen
Definitionen funktionieren nur begrenzt, weil - wie immer - die
Sache, wenn man sie genauer betrachtet, erstaunlich kompliziert
ist.
Der klassische Professor ist der LEERstuhl-Inhaber für ein bestimmtes
Wissenschaftsgebiet, für das ihm die LEERbefugnis zugesprochen wurde. Er
ist verantwortlich dafür, daß das jeweilige Fach vernünftig
geLEERt wird, d.h. LEERveranstaltungen und Prüfungen abgehalten werden.
Eine LEERbefugnis muß nicht mit einem Studienfach identisch sein; die
meisten Professoren tragen mit ihrer LEERE nur zu einem Studienfach bei, an dem
noch viele andere HochschulLEERER beteiligt sind. Andererseits können auch
Nicht-Professoren eine LEERbefugnis erhalten; um sie von den öffentlich
berufenen Professoren zu unterscheiden, nennt man sie Privat-Dozenten. Und um
die Sache vollends zu verwirren, gibt es auch noch Honorar-Professoren und
außerordentliche Professoren. Aus dem bisher Gesagten wird sonnenklar,
daß es viele Wege gibt, an den begehrten Titel
heranzukommen:
- Man wird auf einen LEERstuhl berufen.
Schwierig. Ohne das richtige Vorleben, das richtige Parteibuch oder die
richtigen Beziehungen fast unmöglich. Wenn man das wirklich vorhat, sollte
man sich sorgfältig überlegen, ob man sich um eine C3 oder C4-Stelle
bewirbt: C3 ist definitiv gemütlicher, bringt jedoch fast die gleiche
Kohle. C4 ist fast immer mit der Leitung eines ganzen Instituts verbunden;
meistens bringt das mehr Stress, als die Alimente wert
sind.
- Man läßt sich zum Honorar-Professor
ernennen.
Kommt nur für Leute in Frage, die entweder Macht oder Geld haben, am
besten beides. Vorteil: kein Mensch erwartet von einem Honorar-Professor,
daß er sich öfters als zweimal im Jahr (zum Sektempfang des Rektors)
an der Uni blicken läßt.
- Man ergattert sich eine Beamtenstelle der A-Laufbahn (s. Abschnitt 'Der
akademische Rat'), habilitiert und gammelt so lange an der Uni herum, bis das
Ministerium einen nach etwa fünf Jahren zum 'Außerordentlichen
Professor' ernennen muß.
Dauert länger, hat aber einige Vorteile: Keine Berufungsverhandlungen,
keine Verantwortung (man bleibt ja schließlich A-Beamter), kein
übermäßiger Stress.
- Man wird Lehrer an einer Fachhochschule.
Ok, aber man hat dann praktisch kein eigenes Personal zum Rumscheuchen. Die
Sekretärin muß man sich unter Umständen mit anderen
'Professoren' teilen.
- Man wandert in ein Land aus, in welchem schon ein normaler Lehrer mit
'Professore' betitelt wird.
- Man kauft sich den Titel bei einer einschlägigen Internet-Agentur.
Unter Umständen ziemlich teuer.
- Man läßt sich auf den Vornamen 'Profiterolius/Profiterolia'
umtaufen und kürzt in Zukunft mit 'Prof.' ab.
- Man geht gar nicht erst an die Hochschule, sondern läßt sich zum
Profess, Profilograph oder Profos ausbilden.
Der Titel allein macht aber noch keinen echten Professor. Um wirklich als
akademischer Halbgott akzeptiert und verehrt zu werden, muß man die
folgenden essentiellen Verhaltensregeln beachten. Mehr dazu findet der
geschätzte Leser unter dem Abschnitt 'Die Professur: Die Kunst des
Halbgotts'
(...)
Die Professur: Die Kunst des Halbgotts
Dieses Kapitel sollte sich vor allem der Leser zu Herzen nehmen, der ernsthaft
erwägt, sich einer gründlichen Charakter-Umwandlung zu unterziehen,
also vorhat, selber Professor zu werden. Abgesehen von den ganzen formalen
Voraussetzungen, die ich bereits im Kapitel 'Archetypen' angesprochen habe,
geht es hier im Wesentlichen um ein kleines Vademecum des korrekten,
professoralen Verhaltens.
Von der Kunst der Marotte
Die sogenannte Marotte ist das Markenzeichen des erfolgreichen
HochschulLEERERs. Im Prinzip kann man sich als Professor beliebig viele
Marotten zulegen. Es empfiehlt sich jedoch, um die Wiedererkennungsleistung der
übrigen Uni-Angehörigen zu optimieren, lieber einige wenige
Spezial-Marotten zu entwickeln und sorgfältig zu kultivieren. Solche
idiosynkratische Eigenheiten sind wesentliche Voraussetzungen für eine
erfolgreiche Karriere.
Es versteht sich von selbst, daß ich im Rahmen dieses Ratgebers
keine Vorschläge für Spezial-Marotten aussprechen kann, da diese
logischerweise in dem Moment, wo sie schriftlich fixiert sind, per
definitionem keine Spezial-Marotten mehr darstellen. Ich beschränke
mich daher auf eine eingeschränkte Sammlung von allgemeinen Marotten,
die eigentlich jeder erfolgreiche HochschulLEERER aus dem effeff
beherrschen sollte.
- Ein Professor kommt immer zu spät; und zwar je höher er seinen
Wichtigkeit einschätzt, umso später.
- Ein Professor muß immer 'noch schnell ein sehr wichtiges
Telefongespräch' führen. Aber niemals am Handy, weil dann andere
mithören könnten.
- Ein Professor ist grundsätzlich für die nächsten zwei Jahre
ausgebucht.
- Ein Professor ist das einzige Wesen, das monologisch zu kommunizieren
vermag.
- Ein Professor merkt nicht, wenn jemand anderes etwas sagen will, und wenn
es doch mal passiert, daß jemand anderes etwas äußert, dann
hört er es nicht.
- Ein Professor beginnt mehr Gedankengänge und Nebensätze, als er
zu Ende führen kann.
- Ein Professor weiß entweder sehr wenig von allem oder sehr viel von
einem Spezialgebiet, dessen Breite gegen Null strebt. Einen Mittelweg gibt es
nicht.
- Ein Professor vergißt alles, was er eben noch wußte und noch
mehr.
- Ein Professor braucht im Durchschnitt 178% mehr Wörter, um einen
Sachverhalt auszudrücken, als der durchschnittliche
Nicht-Professor.
Von der Kunst der Häsitation
Es fällt schwer, sich einen anderen Berufsstand vorzustellen, der die
Kunst der sogenannten 'gefüllten Pause' oder 'Häsitation' weiter
entwickelt hat, als der des Universitäts-Professors. Ich wage zu
behaupten, daß ich einen mir völlig unbekannten, ordentlichen
LEERstuhl-Inhaber am Telefon nach ca. 25 Worten mit 100%iger Sicherheit
als solchen zu identifizieren vermag. Das ist keine besondere Leistung, wenn
man bedenkt, daß es Meister in diesem Fach auf bis zu
1,87 Häsitationen pro Wort bringen.
Obwohl das aufmerksame Zuhören eines Vortrages mit "Ähs" und "Hmms"
nach fast jedem Wort nicht gerade leicht fällt, scheint niemand damit ein
besonderes Problem zu haben: Im Gegenteil meine ich beobachtet zu haben,
daß junge Hochschullehrer, welche die Kunst der Häsitation noch
nicht beherrschen, bei der Studentenschaft weniger Respekt genießen, auch
wenn ihr Vortrag flüssig und gut formuliert ist. Aus alledem folgt,
daß der erfolgreiche Halbgott sich so bald als möglich mit dieser
Kunstform vertraut machen muß, wenn er ernsthaft daran denkt, an seiner
Hochschule zu Respekt und Ansehen zu gelangen.
Als kleine Einführung hier ein paar praktische Tipps:
- Bei den Häsitationen (gefüllten Pausen) unterscheidet man
zwischen:
vokalischer Häsitation: 'äh', 'öh', 'ah',
'oh'
nasalierter Häsitation: 'hm', 'hmm', 'mhm'
vokalisch-nasalierter Häsitation: 'ähm',
'öhm'
vokalischer Häsitation mit Trill: 'errr'
glottal-respirativer Häsitation: 'hrrrm'
mental-stimulativer Häsitation: 'na!'
repetitiver Häsitation: 'der ... der ... der', 'die ...
die ... die ...', 'das ... das ...
das ...'
Mischformen der obigen: 'der ... äh ... der ...
hrrrm ... ähm ... die ...'
- Die genauen Regeln der Plazierung von Häsitationen sind überaus
komplex und lassen sich eigentlich nur durch permanente Übung richtig
anwenden. Generell gilt: je mehr Häsitationen in einen Satz integriert
werden können, ohne daß die Zuhörerschaft den Faden verliert,
desto überzeugender der professorale Eindruck.
- Die unmittelbare Wirkung der Häsitationen auf die Zuhörerschaft
kann durch folgende Effekte noch deutlich gesteigert
werden:
Angestrengtes Suchen nach Wörtern
Leerer Blick an die Decke (wahlweise auch in unbestimmte
Ferne)
Lange Pausen, die aber sofort beendet werden, wenn einer der Zuhörer
droht, das Wort zu ergreifen.
Langes Reden scheinbar ohne Luft zu holen
Speichelbläschen in den Mundwinkeln
Lange komplizierte Schachtelsätze ohne Verbum (oder wenn schon ein
Verbum vorkommen muß, dann in möglichst komplexer Form, wie z.B. 'haben
vorbeizukommen müssen vorgehabt')
Für den wirklich erfolgreichen Einsatz der Häsitation empfehle ich dem
erfolgreichen Halbgott den häufigen Besuch von Vorlesungen emeritierter
Kollegen.
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