Es ist elf Uhr, draußen schneit es, was das Zeug hält und mein
Magen meldet, daß es höchste Zeit sei für einen Snack.
Schließlich bin ich schon über zwanzig Minuten am LEERstuhl. Gerade
will ich mein Allerheiligstes verlassen, da läutet das Telefon. Ich
versuche, den Anruf auf die R.K.f.H. (Reisekostenstelle from Heaven)
umzulenken, aber vermutlich aus akutem Kohlehydratmangel verwechsele ich die
Knöpfe und habe plötzlich das Gespräch auf der
Freisprecheinrichtung.
- "Hallo?" quäkt eine männliche Stimme aus dem Lautsprecher, die
ich nicht kenne. "Ist da die Rechnertechnik?"
- Wenn ich etwas hasse, ist es, schon am frühen Morgen mit einem
veralteten, unpräzisen Terminus bezeichnet zu werden.
Rechnertechnik!
- "Systemadministration", melde ich mich knapp, "wie kann ich Ihnen
helfen?"
- Als ob ich wirklich zu helfen gedächte, hah!
- "Ah ... ja. äh ... auf meinen Bildschirm schneit es,
irgendwie ..."
- Ich werfe eine Blick auf die idyllische Adventslandschaft vor meinem
Fenster.
- "Schneit es?"
"Ja ... äh ... es grieselt ... so wie wenn man einen
schlechten Empfang hat ..."
"Sind Sie sicher, daß Sie in Ihren Computer und nicht aus dem Fenster
gucken?"
- Er versichert mir nacheinander, daß er ganz sicher sei, nicht aus dem
Fenster zu gucken, daß der Bildschirm auch eingeschaltet sei, daß
der Bildschirm kein Fernseher sei, der an keine Antenne angeschlossen ist, und
daß der Bildschirm sogar vom Fenster abgewandt stehe und er das
Schneetreiben draußen gar sehen könne.
Ich bin trotzdem nicht überzeugt! Außerdem habe ich überhaupt keinen
Bock, mich schon in Allerherrgottsfrühe mit dem Schnee anderer Leute
zu beschäftigen!
Während der DAU noch vor sich hin faselt, werfe ich einen Blick
auf den Ausredenkalender. 'Fehler ist wissenschaftstheoretisch nicht
beweisbar!' steht für heute drin.
- "Sie müssen zugeben", sage ich, "rein statistisch gesehen klingt das
alles ziemlich merkwürdig: Sie arbeiten tagaus, tagein mit Ihrem Rechner
und nie rufen Sie hier an und berichten, daß es in Ihrem Display schneit.
Und dann ausgerechnet an dem Tag, an dem es in München den ersten
richtigen Schneefall gibt, da läuten Sie hier Sturm und melden, es schneie
in Ihrem Display. Kommt Ihnen das nicht auch etwas mehr als zufällig
vor?"
"Äh ... ja ... nein ... ich
meine ..."
"Was ich sagen will, ist folgendes: wissenschaftstheoretisch gibt es keinen
Beweis für das Kausalitätsprinzip - das ist Ihnen natürlich
bekannt nicht wahr?"
- Ich warte hartnäckig, bis er sich ein 'Ja'
abringt.
- "Trotzdem müssen wir schon aus rein pragmatischen Gründen in der
Naturwissenschaft davon ausgehen, daß es Kausalität gibt, klar?
Diese - nennen wir sie mal - pragmatische Kausalität leiten wir
aus der empirischen Beobachtung ab, daß, wenn B immer auf A folgt, wohl A
die kausale Ursache von B ist. Können Sie mir soweit
folgen?"
"Äh ... schon ... aber was hat
das ...?"
"Auch wenn es philosophisch gesehen dafür keine logische Begründung
gibt."
"Mag ja sein, aber ..."
"Wenn es also auf Ihrem Display und draußen gleichzeitig anfängt zu
schneien, dann muß ich pragmatischerweise davon ausgehen, daß da ein
kausaler Zusammenhang besteht."
"Äh ... ja ... und?"
"Für das Wetter bin ich leider nicht zuständig."
"Aber ..."
"Vielleicht warten Sie erstmal, ob es auch in Ihrem Display aufhört zu
schneien, wenn es draußen aufhört, ja?"
- Ohne eine Antwort abzuwarten, lege ich auf und programmiere so schnell wie
möglich die Umlenkung auf die R.K.f.H. So weit ist schon gekommen,
daß ich den Usern Nachhilfe in Wissenschaftstheorie geben
muß!
Jetzt aber los! Inzwischen hängt mein Magen schon zwischen den Knien und
knurrt lauter, als es das Bundes-Immissionschutz-Gesetz zuläßt. Ich
marschiere schnurstracks in die Konditorei um die Ecke und inspiziere das
Angebot. Mit Befriedigung sehe ich, daß von allen Sorten
Süßteilen noch genügend Vorrat vorhanden
ist.
- "Und was darfs bei Eahna sein?" fragt mich die mausgraue Konditortante und
fixiert mich durch ihre dicken Brillengläser.
"Ja ... äh ... geben Sie mir eine Rohrnudel für
50 Pfennig und ein Nußhörnchen für
80."
- Die Konditortante hat schon die Rohrnudel in der Tüte, als sie merkt,
daß da irgendetwas nicht stimmen kann.
- "Die Rohrnudel kostet aber zwo fuffzig und des Nußhörndl kostet
zwo Mark ..."
"Das sehe ich", sage ich freundlich, "steht ja groß und deutlich
angeschrieben. Ich biete aber nur 50 Pfennig für die Nudel und 80
Pfennig für das Horn."
- Die Konditortante reaktiviert weitere 237 Gehirnzellen, die sich
eigentlich schon für die Vormittagsroutine in den Ruhezustand versetzt
hatten.
- "Die kosten aber des, was da steht!" erklärt sie nachdrücklich
und schwenkt drohend die Tüte mit der Rohrnudel.
- Ich setze mein gewinnendstes Lächeln auf; das mit den blitzenden
Goldbackenzähnen; ihr wißt schon.
- "Haben Sie schon vom neuen Rabattgesetz gehört? Alle
Verkaufsläden können jetzt freien Rabatt gewähren, so viel sie
möchten."
- Die Konditortante bleibt unbeeindruckt.
- "Hier gibt's aber koan Rabatt. Die kosten genau, was dran
steht!"
"Na gut", sage ich, "sehen Sie es mal so: Kurz vor Ladenschluß, so gegen
halb sieben haben Sie doch immer ein paar Süßteile über, die
keiner gekauft hat und die Sie morgen nicht mehr verkaufen können. Dann
setzen Sie die Preise immer 'runter, damit die Sachen noch weggehen. Und ein
paar bleiben trotzdem über. Stimmt doch, oder?"
- Die Konditortante räumt zögernd ein, daß dem
tatsächlich so sei.
- "Dann stellen Sie sich eben jetzt vor, daß ich genau die Rohrnudel
und das Nußhörnchen kaufen möchte, die heute Abend wieder
übrig geblieben wären."
"Äh ..."
"Da haben Sie heute sogar besonderes Glück. Weil, wenn ich die jetzt nicht
gleich kaufen würde für 50 und 80 Pfennig, dann hätte auch
das Herabsetzen nichts mehr genützt und Sie werden auf den Dingern sitzen
bleiben."
- Die chaotische Vermengung von Konjunktiv, Vergangenheitsform und Futur
bewirkt den erwünschten Brain-Overload bei der Konditortante. Sie
zieht schmerzhaft die Augenbrauen zusammen und beginnt dann langsam,
das Nußhörnchen in die Tüte zu stopfen.
Zurück in meinem Büro fahre ich die Schutzschilde hoch und schiebe
'The Godfather II, Teil 2' in das DVD-Laufwerk. Während ich die
Rohrnudel verkonsumiere, sinniere ich wie schon so oft darüber nach, wie
einfach das Leben doch wäre, wenn die Leute, ohne lange zu diskutieren,
einfach machen würden, was ich sage ...
|