Die Katze hat es sich wie immer auf meinem 22-Zoll-Display gemütlich
gemacht und blinzelt nur manchmal, wenn ich besonders schwungvoll auf die
Enter-Taste haue. Daß das Gehäuse wie bei allen meinen Geräten
offen ist und sie direkt auf der Anodenspannung von 2 Kilovolt liegt,
scheint ihr nichts auszumachen; wahrscheinlich weil sie immer mit allen vier
Pfoten gleichzeitig dort oben landet. Das Fell sträubt sich ein wenig; das
ist alles.
Nachdem ihr angestammtes Zuhause, die alte Mikrovax in Yogi Flops Labor,
letzten Monat entgültig den Weg alles Irdischen sprich in Richtung
Sondermüll-Container eingeschlagen hat, war die Katze eine Zeit lang durch
den LEERstuhl gehuscht, offensichtlich auf der Suche nach einer neuen,
vorgewärmten Bleibe, und hat sich dann für mein Allerheiligstes
entschieden. Vermutlich, weil ich den wenigsten Parteiverkehr
habe ...
Zuerst hab ich sie rausgeworfen. Ich bin nun mal ein Einzelgänger und habe
keine Angst, es auch zuzugeben. Nichts irritiert mich mehr, als wenn mir jemand
beim Fälschen von Spesenabrechnungen direkt ins Gesicht
schaut!
Aber dann habe ich bemerkt, daß Nero, der Rabe, mein Allerheiligstes
nicht mehr so oft heimsucht wie früher. Es ist jetzt schon eine ganze
Woche vergangen, und ich habe immer noch alle meine Kreditkarten, sogar die
Mensa-Magnetkarte ist noch da!
Also darf die Katze bleiben; die meiste Zeit schläft sie
sowieso.
- Es klopft und, bevor ich noch das neue elektromagnetische Schloß
aktiviere kann, kommt eine Studentin herein. Ganz offensichtlich ein
Frischling; sonst wüßte sie, daß man auf diese Weise an diesem
LEERstuhl nicht alt wird.
- "Guten Tag!" sagt sie fröhlich. Also auch noch eine Ausländerin!
Aber bevor ich noch Luft holen kann, um sie an die frische Luft zu
befördern, hat sie schon die Katze entdeckt.
"Nein, wie süüüühüß!" schreit sie in dem
Tonfall, den die Evolution aus mir schleierhaften Gründen in weiblichen
Gehirnen mit dem Kindchen-Schema verknüpft hat. Kenne keine Katze, die es
toll findet, angequietscht zu werden.
- Die Studentin eilt zu meinem Schreibtisch und fegt dabei mit einer
riesigen, müllsackartigen Umhängetasche meine geheiligte
DVD-Raubkopien-Sammlung vom Regal.
Die Katze reißt die Augen auf, bleibt dann aber doch sitzen, weil sie
wohl irrtümlich davon ausgeht, daß ich sie schon retten werde, wenn
es hart auf hart geht. Hah!
- "Darf man ... darf ich sie mal kurz streicheln ...?" fragt sie
ungeniert, die Hand bereits ausgestreckt.
- Ich bemerke mit Grausen, daß eine der DVDs - Twin Peaks -
aus der Hülle gefallen ist, und sich ihr Stiletto-Absatz nur
3 Millimeter daneben in den PVC-Fußboden bohrt. Ich setze zu einem
Donnerwetter der Klasse 4 an, aber dann überlege ich's mir
anders.
- "Das würde ich lieber nicht machen", sage ich mit dem speziell
unterkühlten Tonfall, mit dem sonst in einschlägigen Filmen der
Countdown bis zur Selbstzerstörung heruntergezählt
wird.
"Aber warum denn nicht?" Ihre Hand schwebt bereits über der Katze,
die gelangweilt nach oben schielt.
"Weil - das keine Katze ist, sondern ein Catborg!"
"Häh?"
- Mit anderen Worten: DUMMY MODE ON
- "Ein Catborg, eine hybride Lebensform, halb ... äh ...
Katze, halb Maschine. Natürlich nur ein
Versuchstier ..."
"Aber ..."
"Und als Catborg, das heißt als halbelektrische Lebensform, sitzt er
nicht nur einfach da und wartet darauf, daß jemand ihn streichelt,
sondern er lädt sich gerade auf."
"Lädt sich auf ...?
"Schon mal von Tigern gehört, die man nicht beim Fressen stören
sollte? Genauso sollte man einen Catborg niemals beim Aufladen
stören!"
- Die Studentin ist jetzt völlig aus dem
Katze-streichel-und-hätschel-Konzept gebracht. Sie starrt erst mich, dann
die Katze ungläubig an.
Die Katze, an soviel Aufmerksamkeit nicht gewöhnt, schnurrt laut und
behaglich.
- "Sie schaut genauso aus wie eine Katze", sagt die Studentin
mißtrauisch, "und sie schnurrt auch wie eine."
"Das, was da wie ein Schnurren klingt", erkläre ich kühl, "ist in
Wirklichkeit der 50-Hertz-Thyristor-Spannungswandler im
Oberbauchbereich."
- Die Katze gähnt. Ich werfe einen Blick auf die Systemkonsole des
Linux-Clusters.
- "Der Catborg hat jetzt 87% Ladung erreicht; das wird sich noch etwa eine
Stunde hinziehen."
- Die Studentin hat sich inzwischen einigermaßen wieder gefangen. "Das
glaube ich einfach nicht. Das ist doch ein ganz normale Katze.
Unglaublich ..."
Ich zucke resigniert mit den Schultern. "Bei uns am LEERstuhl können Sie
glauben, was sie wollen; nicht so wie bei den katholischen Theologen
gegenüber ... Aber das ändert auch nichts an der Tatsache,
daß das da ein Catborg ist. Und sogar ein ziemlich
gelungener."
Dei Studentin überlegt eine Sekunde. "Was würde ... was passiert
denn, wenn ich sie ... ihn anfasse?"
Ich zucke wieder mit den Schultern. "Er hat genauso seine tierischen Instinkte
wie alle anderen Tiere. Vermutlich wird er glauben, daß Sie ihm sein
Futter - also den elektrischen Strom - wegnehmen wollen und sich
natürlich zur Wehr setzen." Ich mache eine Kunstpause und grinse
hinterhältig. "Denken Sie an den besagten
Tiger."
- Ich lächele normalerweise nie und Grinsen gehört auch nicht zu
meinen bevorzugten Freizeitbeschäftigungen. Komischerweise scheint aber
mein Grinsen bei Frauen immer so etwas wie einen unwiderstehlichen Drang zu
oppositionellem Verhalten auszulösen (Keine Ahnung, wieso das so ist.
Ehrlich nicht!). Ich weiß nicht, ob das anderen Männern auch so
geht, aber wenn, dann ist das ein Effekt, den man ausnutzen sollte (Das war
wieder mal ein kostenloser Tipp, Leute, den ihr in eurem PalmTop vermerken
solltet!). Zum Beispiel kann ich Marianne zur Weißglut bringen, wenn ich
ihr beim Kaffeetrinken einfach nur gegenüber sitze und die ganze Zeit vor
mich hin grinse wie einer, der seine rechte Gehirnhälfte verlegt hat und
dem jetzt erst klar wird, daß der Ort der Verlegens wahrscheinlich in der
rechten Hirnhälfte gespeichert war. Meistens endet das damit, daß
Marianne zu allem was ich äußere, genau die konträre Meinung
hat, was bisweilen sehr hilfreich sein kann.
Auch heute hat mein Grinsen genau den richtige Effekt: die Studentin glaubt mir
aus purer Opposition heraus nicht. Sie streckt entschlossen ihren Arm aus, um
das Geheimnis des vermeintlichen Catborgs zu ertasten. Natürlich bekommen
beide, die Studentin und die Katze, einen sauberen elektrischen Schlag, weil
die Katze ja, wie bereits erwähnt, auf der 2 Kilovolt Anodenspannung
hockt.
Die Katze denkt logischerweise, daß sie von dem komischen Menschen
heimtückisch angegriffen wurde, und fährt mit kehligem Wutgeheule
ihre Nylon-Fräsen aus. Den Rest bekomme ich nur noch akustisch mit, weil
ich mich sicherheitshalber aus der potentiellen Gefahrenzone auf den Gang
zurückgezogen habe.
Das ist auch etwas, was man entweder schon im ersten Jahr an der Uni lernt oder
man überlebt nicht lange: Wissenschaftliche Experimente verfolgt man am
besten vom Gang aus. Idealerweise bei geschlossener Türe.
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