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10.10.2001 BASTARD   MAILING   LIST   © Florian Schiel
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Catborg
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Für manche Leute war früher alles besser. Im Sommer schien praktisch ununterbrochen die Sonne, im Winter lagen mindestens drei Meter richtig weißer Schnee (und nicht nur nebeneinander!). Die Studenten waren schlauer, die Studentinnen hübscher und die Professoren professoriger. Die Uni war noch eine richtige Universität, wo Leute ohne Robe und Hut nichts zu suchen hatten. Die Stundenpläne waren dünner bzw. existierten nur in der Phantasie besonders krankhaft veranlagter Streber, die Biergärten waren grüner, das Bier billiger und die Wespen stachen heftiger als heute. 
Der LEERkörper bestand aus einem Haufen vertrottelter und bezwickerter, aber liebenswerter Graubärte, die bei zahlreichen Anlässen höchst würdevoll in ihren schwarzen Talaren hinter dem Dekan einherzuschreiten vermochten. Und die Hausmeister hießen noch Pedelle und waren originelle Schlitzohren, die heimlich unter dem großen Physiksaal illegal Bier an die Studenten ausschenkten und im Fasching zwei Augen zudrückten, wenn in der Anatomie schweinische Orgien gefeiert wurden. Mit den Worten eines großen Dichters: Damals waren kleine pelzige Wesen von Alpha Centauri noch richtige kleine pelzige Wesen von Alpha Centauri. Einfach Klasse! 
Andere Leute sind der Meinung, daß früher alles alles eher bescheiden aussah. Es gab noch kein Ozonloch, so daß man ewig im Englischen Garten herumflezen mußte , um einen gescheiten Teint zu bekommen (selbst bei großzügiger Applikation von Tiroler Nußöl), es gab haufenweise Schnee aber keine Snow-Boards, um darauf herumzurutschen, kein MTV. Die Studenten waren ein Haufen eingebildeter, verzogener Müttersöhnchen mit albernen Mützen, die Studentinnen - sogenannte 'höhere Töchter' - gingen hauptsächlich zur Uni, um sich einen angehenden Großbürger zu angeln und hatten Frisuren zum Abgewöhnen. Gelernt wurde eigentlich gar nichts; wenn außer Burschenschafts-Kneipen etwas anstand, war es allenfalls Rudern oder Fechten oder sonst irgendeine idiotische Leibesertüchtigung, und - achja - die Wespen stachen früher auch schlimmer als heute! Die Professoren waren nur auf ihren Standesdünkel und auf ihre Machtkämpfe innerhalb des Dekanats ge-tuned, und wenn sie damit nicht vollständig ausgefüllt waren, gaben sie ihre engstirnige Weltsicht als alleinige Wahrheit an ungebildete Gymnasiasten weiter, deren hauptsächliches Verdienst darin bestand, aus einem reichen Vaterhaus zu stammen. Die sogenannten Pedelle waren sadistische Kleingeister, die ihre unverarbeiteten Minderwertigkeitskomplexe in Studentenquälereien auslebten. Mit den Worten eines großen Dichters: Damals waren kleine pelzige Wesen von Alpha Centauri noch richtige kleine pelzige Wesen von Alpha Centauri. Abscheulich! 
Und dann gibt es noch mich: Den Bastard Assistent from Hell, der den ganzen Käse namens Kulturgeschichte schon seit der Zeit verfolgt, als gewisse langarmige, baumbewohnende Primaten das ewige Grünzeug satt hatten und sich dazu aufmachten, einen gescheiten Toaster zu konstruieren. Und ich GLAUBE nicht, daß es früher irgendwie besser war, und ich GLAUBE auch nicht, daß es früher irgendwie schlechter war, denn ich WEISS, daß es immer gleich mies und witzig zugleich war! Und soweit ich den göttlichen Schöpfungsplan noch im Kopf habe (es handelt sich dabei um kein besonders umfangreiches Pamphlet; eher so ein paar schwammige Anleitungen!), wird sich daran in absehbarer Zeit auch nix mehr ändern! 
Zumindest nicht an der Uni! 
Und bestimmt nicht an meiner! 
Um nur ein Beispiel zu nennen: Vor ein paar Jahrhunderten - damals noch in Landshut - habe ich einige junge Candidati Studiosi im fortgeschrittenen Stadium der Kneipe mühelos davon überzeugt, daß sich die Kraft ihrer Lenden, ihr Gemächt oder wie immer ihr ES nennen wollt (damals hatte man tolle Namen dafür und es gab sowieso nur Männer an der Uni!) um ein Vielfaches vergrößern würde, wenn sie DIESES in ihr volles Bierglas tauchen und das Bier sofort anschließend auf ex hinunterstürzten. Noch heute hängt in der alten Pinakothek ein - zugegeben vom Alter schon ziemlich eingeschwärztes - Ölbild des Johann Maurus von Bolden, das einen meiner Studenten, Friedrich Alexander von Freising, beim Vollzug der geschilderten Handlung zeigt (der offizielle Ausstellungsführer der Pinakothek listet das Bild allerdings unter dem Titel 'Tanz auf Tisch im Kellerlokal'! Ich bin übrigens nicht darauf!).
Heute sitze ich mit meinem Hauptseminar im Biergarten, um den Beginn der Sommerferien angemessen zu feiern, und vielleicht auch die Tatsache, daß trotz meiner Bemühungen immerhin 4 von 25 Studenten bis zum Ende des Sommersemesters überlebt haben. Nach der dritten Maß, wenn das anfängliche Gealbere und Geschnattere dem bierernsten Schweigen gewichen ist, bei dem jeder in seinen Bierkrug starrt und schwer philosophische Gedanken wälzt oder versucht, den Würgereflex zu unterdrücken, nachdem also die Bedienung die vierte Maß vor uns placiert hat, ziehe ich wie ganz in Gedanken aus der hinteren Gesässtasche ein ausrangiertes Handy, packe es mit Zeigefinger und Daumen am Ende der Gummiantenne und tauche es langsam und feierlich in meinen Bierkrug. 
Die Studenten glotzen mit hängenden Augenlidern. 
Ich trockne das Handy sorgfältig mit einer Serviette ab und verstaue es wieder in meiner Tasche. Dann schaue ich über den Tisch. 
"Is' irgendwas?" knurre ich. 
"Äh ...", sagt der 'Oberschlaumeier' und blinzelt. (Jede Vorlesung, jedes Pro- und Hauptseminar, überhaupt jede LEERveranstaltung hat ihren 'Oberschlaumeier'. Man erkennt ihn daran, daß er schon eine Frage parat hat, bevor man den ersten Satz zu Ende formuliert hat, in dem man eigentlich nur darauf hinweisen wollte, daß Stricken, Raubtiere und Kleinkinder in der Veranstaltung nicht erwünscht seien.) "Äh ... warum ... wieso tauschen ... tauchen Schie Ihr Handy in ... in ... äh ..." 
"Wieso?" frage ich verwundert. "Machen Sie das etwa nicht regelmäßig?" 
Ich lasse die Frage dramatisch in der alkoholgeschwängerten Luft hängen und schaue die Studenten der Reihe nach an. 
Der Oberschlaumeier überlegt 15 Sekunden lang angestrengt und verdreht dabei ein wenig die Augen nach innen. Dann schüttelt er so energisch den Kopf, daß er fast von der Bank gefallen wäre. Der neben ihm sitzende Kommilitone packt ihn gerade noch am Kragen und zieht ihn wieder in die aufrechte Position, mit der der Biergartenbesucher gewöhnlich beweist, daß er kein langarmiger, baumbewohnender Primat ist sondern ein Exemplar der Gattung Homo sapiens. 
Der Student am anderen Ende der Bank hat inzwischen sein eigenes Handy hervorgezogen und versucht mit gerunzelter Stirne, die beiden schwankenden Handy-Bilder zur Deckung zu bringen. 
"Nein?", lallt er schließlich (er klingt mehr wie "Naaaoooööö?"), "nich sehr regelmäßig ..." 
"Woher bezieht ein Handy seine Energie?" frage ich streng und in genau dem Tonfall, den ich normalerweise im Seminar anschlage. Durch alle vier Studenten geht ein deutlicher Ruck und sie starren mich mit glasigen Augen an. 
"Äh ... ausch ... aus dem Akku ... ?" 
"Sehr richtig! Und der Akkumulator basiert auf ... ?" 
"Des is' Schemie ... irgendwie ... mit Lithschium, oder so ..." 
"Chemie? Und zwar genauer handelt es sich um ...? 
"???" 
"... Elektrolyte! Und was sind Elektrolyte?" 
"... in ... in Flüssischkeit gelöste Schalze ...?" 
"Exakt! Und was passiert mit Flüssigkeit, wenn sie länger erwärmt wird? Sie ...?" 
Schweigen. 
"Na! Was passiert mit dem Bier hier, wenn ich es einfach in der Sonne stehen lasse!" 
"... es wird ... es wird lack?" 
"Es verdunstet natürlich!!!" brülle ich. Die Studenten zucken zusammen und setzen sich noch gerader hin, soweit das in ihrem Zustand noch möglich ist. 
"Und dann ändert sich natürlich die Salzkonzentration der Elektrolyte und das Ding geht kaputt! Und um dem vorzubeugen ist es natürlich essentiell, die Elektrolyte feucht zu halten. Aber man sollte dafür kein Wasser nehmen, weil ...?" 
Nur angestrengtes Achselzucken. 
"Weil Wasser nicht genügend Salze enthält!!!" brülle ich noch lauter. Die Bedienung schaut kurz herüber. "Und weil dann die Salzkonzentration wieder nicht stimmt! Aber in Bier ..." 
Ich hebe wichtig den Zeigefinger. Die Studenten versuchen konzentriert, die beiden Zeigefinger zur Deckung zu bringen. 
"Im Bier sind genau die richtigen Salze enthalten!" schließe ich triumphierend. 
Durch den Lärm aufgeschreckt kommt die Bedienung an unseren Tisch gewatschelt. 
"Sie wolln no a Maß?" Sie schaut kritisch auf unsere noch unberührten Bierkrüge. 
Ich beachte sie nicht weiter. Wenn man seinen akademischen Nachwuchs beLEERT, ist das eine ernste Angelegenheit und man darf sich auf gar keinen Fall ablenken lassen. 
"Also verlängert sich logischerweise damit die Lebenszeit des Akkumulators!" doziere ich den Vortrag zu Ende. Die Bedienung guckt genauso wie die Studenten. 
"An Akkumator hamma nich'. Wolln Sie no a Maß? Oda an Russn? Oda an ..." 
Kein Mensch achtet auf die Bedienung. Alle beobachten gespannt, wie der Kommilitone am Ende des Tisches sein Handy an der Antenne packt und über seinen Bierkrug in Stellung bringt. 
"Aba ... aba wos machns jetzt denn da ... wos ..." 
Wie unter Trance holen auch die anderen Studenten ihre Handys hervor und lassen sie langsam und feierlich in die Maßkrüge sinken. 
"Ja san die dann alle ... ja seits ihr denn bled oda wos ..." Die Bedienung rennt laut schreiend zum Ausschank.
Wie gesagt, MEINER Meinung nach hat sich gar nichts geändert: Vielleicht sind ein paar Details anders als damals in Landshut, aber im Prinzip ist es immer noch ziemlich mies und witzig zugleich.
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