Es gibt Tage, eigentlich ziemlich viele, an denen würde man am liebsten
die Jalousien herunterfahren und mit dem Laptop im Bett bleiben. Viel
seltener - aber es kommt vor - vielleicht einmal in 600 Jahren,
gibt es auch Tage, die würde ich nicht für 100 Mio Mark
missen wollen. Heute ist so ein Tag! Heute ist Bastards Doom
Day!
Die Geschäftsleitung (Nicht die! Die andere!) hat mir sämtliche
Freiheiten gegeben! Tag der offenenen Türe, hehehe! Ein Plätzchen ist
für jeden noch frei, harharhar! Heute kann mir niemand
was!!!
Es beginnt schon, als ich in der frischen Morgenluft beschwingt zu meinem
Roadster schlendere: Der Penner, der seit 16 Jahren auf der
Heizungsentlüftung des Allianzgebäudes seinen Stammplatz hat,
hält mir seinen stinkenden, aufgeweichten Pappbecher unter die Nase und
lallt mit alkoholgeschwängertem Atem: "Ey, Mann! Haste mal 'ne
Maaak?"
Ohne mit der Wimper zu zucken, schicke ich ihn in die
'Hölle-der-nicht-alkoholoischen-Getränke'.
Auf dem Weg zum LEERstuhl schneidet mich auf der Leopoldstraße beim
Spurwechsel ein MX5 mit einer geföhnten Blondine am Steuer. Ich muß
tatsächlich scharf auf Tempo 110 herunterbremsen, um eine Kollision gerade
noch zu vermeiden. Ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen, pudert
sich die geföhnte Blondine beim nächsten Rotlicht direkt vor mir in
aller Ruhe die Nase, obwohl die Ampel schon seit eineinhalb Sekunden auf
grün steht.
Mit besonderer Genugtuung versetze ich die geföhnte Fahrkünstlerin
samt ihrem MX5 in den
'Höllenkreis-der-Einbahnstraßen-ohne-Parkplätze-und-Linksabieger'.
Wie jeden dritten Mittwoch im Monat (d.h. wie an jedem NORMALEN dritten
Mittwoch) hole ich mir noch schnell die neueste Ausgabe von 'Hacker's Havoc' am
Kiosk. Wie jeden dritten Mittwoch mault mich der Zeitungsverkäufer an,
daß ich kein passendes Kleingeld habe und mit einem Tausender bezahlen
muß. Vor den Augen der entsetzten Klientel schicke ich den impertinenten
Zeitungsverkäufer in die 'Hölle-des-ewigen-Wechselgeld-Mangels'. Da
hat er dann Zeit bis in alle Ewigkeit, sich über sein Lieblingsthema
aufzuregen.
Nur so nebenbei, und um nicht aus der Übung zu kommen, schicke ich diverse
Studenten, die mir auf dem Weg zum Aufzug begegnen, in die Höllenkreise
der verloren gegangenen Hauptseminarscheine und der niemals endenden
Examensprüfungen.
- Bevor ich noch die Schilde hochfahren kann, klingelt auch schon das
Telefon. Normalerweise würde ich zu dieser nachtschlafender Stunde, um elf
Uhr vormittags, niemals 'rangehen, aber heute hechte ich zum Schreibtisch und
schnappe mir den Telefonhörer. Die Sekretärin von den
Alttestamentlern im Hintergebäude ist dran. Ich erkenne sie an ihrer
salbungsvollen Predigerstimme.
- "Ja, äh ... ist dort die ... die
Rechnerbetreuung?"
- Noch gestern hätte ich sie allenfalls mit der R.K.f.H.
(Reisekostenstelle from Heaven) weiter verbunden; heute erkläre ich mit
zuckersüßer Stimme, daß sie hier genau richtig sei und um was
es sich denn handele.
- "Ja ... also: ich muß für den Herrn Professor einen Antrag
auf Erteilung eines Freisemesters ausfüllen. Und ich komm' mit den neuen
Formularen in Word nicht zurecht ..."
"Aha", sage ich gespannt, "und was genau klappt nicht mit dem
Formular?"
"Äh ... der Herr Professor will sein Freisemester in Oxford verbringen und
ich weiß nicht, wie ich die Kosten eintragen soll, weil ... es gibt
doch
kein Pfundzeichen auf der Tastatur, oder?"
- Oh, Jubel! Ohne mich weiter auf dieses fundamentale Problem der deutschen
PC-Bürokratie einzulassen, schicke ich die Alttestamentlerin mitsamt ihrem
Pfundzeichen-losen PC in die
'Hölle-der-ewig-falschen-Tastaturtreiber'.
Ich hab' noch nicht mal den Hörer wieder auf der Gabel, da stürzt
Marianne wutschnaubend mit ihrem Posaunenkasten unterm Arm in mein
Allerheiligstes.
- "Du hast heut' Nacht wieder meine Jobs auf dem Rechnerknoten B ge-killed!"
beschuldigt sie mich, bevor ich ihr einen wunderschönen guten Morgen
wünschen kann. "Und die Zwischenergebnisse auf dem Raid-Array sind auch
weg, obwohl ich sie gestern Abend noch dort gesehen habe! Was hast du zu deiner
Verteidigung vorzubringen?!"
- Marianne rückt drohend gegen meinen Schreibtisch vor, hinter dem ich
mich einem ersten Reflex folgend verschanzt habe, und hebt den Posaunenkasten.
Dann erst fällt mir ein, daß heute ja Bastard's Doom Day
ist.
- "In der Simulation waren 65% redundante Rechenschritte", behaupte ich frech
und betrachte ungerührt den Posaunenkasten, der dunkel über meinem
Haupt schwebt. "Deshalb habe ich mir erlaubt, den Job zu stoppen, damit die
Rechenzeit für sinnvollere Aufgaben eingesetzt werden
kann ..."
- In Wirklichkeit brauchte ich mehr Platz auf dem Raid für meine
DVD-Raubkopien, und Mariannes blöder Job hat die gelöschten Files
immer wieder neu angelegt.
- "Waaas?! Redundante ... was erlaubst du dir ... und selbst WENN
da ein paar redundante Rechenschritte drin waren, gibt dir das noch lange nicht
das Recht ... he!"
- Ich habe den Posaunenkasten blitzschnell in den Heizungsraum von Dantes
Inferno versetzt; dort kann er helfen, die höllische Temperatur aufrecht
zu erhalten. Marianne guckt verdutzt auf ihre leeren Hände. Bevor sie sich
noch von dem Schreck erholen kann, schicke ich sie zum
'Höllenkreis-der-niemals-endenden-FI-Simulationen'.
Die Sache macht richtig Spaß! Ich ändere noch ein paar Parameter an
Mariannes Höllenkreis, füge ein paar klassische Paradoxa hinzu und
erhöhe den Gödelfaktor um 1000, so daß schon ganz harmlose
mathematische Herleitungen unweigerlich auf das Ergebnis 1=2 führen. Da
wird Marianne ihre wahre Freude dran haben!
Später schlendere ich nach vorne zum Sekretariat, um Frau Bezelmanns
ekelhaften Raben Nero in die 'Hölle-voller-Katzen' zu schicken, aber bevor
ich dort ankomme, fängt mich der Chef im Gang ab.
- "Ah ... äh ... Leisch ... hmm ... gut ...
äh ... gut, daß ich Sie ... ähm ... daß
wir uns ... hmm ... begegnen ... hrrrm ... ich
muß ... äh ... soll morgen einen kurzen Vortrag ...
hmm ... ein ... ähm ... eine Kurzdarstellung
unserer ... äh ... der laufenden Projekte am ...
hmmm ... Institut geben ... äh ... beim
Kultusministerium ... ja ... äh ... könnten
Sie ... ich bräuchte dazu ein paar ... äh ...
Power-Point-Folien ... hmm ... so etwa zwanzig ...
fünfundzwanzig Folien würden ... äh ... würden
reichen ..."
- Mit besonderem Genuß schicke ich den Chef stante pede in die
'Hölle-mit-der-niemals-endenden- Rede-vor-der-UN-Hauptversammlung-
ohne-Konzept-und-mit-Power-Point- Präsentation-die-sich-nicht-
öffnen-läßt'.
Ich will gerade weiter zu Frau Bezelmann ins Sekretariat - vielleicht
braucht sie eine spezielle
'Close-Combat-Hölle-mit-ungeladener-Kalaschnikow'? -, da kommt
plötzlich eine durchdringende Stimme aus dem
Off:
- "He, Leisch!!"
- Ich drehe mich um - und sehe den Kollegen O. in der Türe zu
meinem Büro stehen.
- "He, Leisch! Schläfst du, oder geht deine Kalenderfunktion falsch? Das
SCHWAFEL-Projekt-Vorbereitungs-Meeting hat vor 10 Minuten begonnen; wir
warten nur noch auf dich! Jetzt komm schon!"
- Seufzend klicke ich auf den Abort-Button in meinem neuesten DooM-Clone und
mache mich auf den Weg zurück in die langweilige
Wirklichkeit ...
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