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14.03.2001 BASTARD   MAILING   LIST   © Florian Schiel
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Recruiting
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Bastard's Doom Day
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Ich blase den Staub von meinen Tastaturen und kippe den vierzig Zentimeter hohen Postberg unbesehen in den Recycling-Papierkorb. Der erste Arbeitstag nach einem 12-wöchigen Urlaub ist immer irgendwie deprimierend. Der Ausflug auf die Seychellen hat ein riesiges Loch, eigentlich schon mehr einen Krater, in meine Finanzen gerissen. 
Mißmutig stochere ich mit dem Cursor ('to curse' = fluchen!) in den Online-Kontoauszügen, die alle im kameradschaftlich-fröhlich-roten Zahlen über das Display flimmern. Warum mußte ich auch ausgerechnet diesen mies bezahlten Bastard-Posten an der Uni erwischen? Bastard Broker from Hell, zum Beispiel, die verdienen Größenordnungen mehr als ich ... 
In den Mailboxen ist auch nur gähnende LEERE (oooops!), weil die meisten Kollegen und Studenten noch in den Semesterferien sind. Nicht die kleinste Nachricht, die eine auch nur minimale Erpressung wert sein könnte. Ich frage bei Frau Bezelmann im Sekretariat nach, ob nicht vielleicht ein Tantiemen-Scheck von Hacker's Havoc angekommen sei, aber Frau Bezelmann zieht nur hämisch ihre Mundwinkel nach unten und bemerkt lediglich mit vor Genugtuung triefender Stimme, daß es noch fast zwanzig Tage bis zum Monatsende seien. Und bei der R.K.f.H. (Reisekostenstelle from Heaven) ist auch nichts mehr zu holen, seitdem Sethimus Thyphon, der Bastard Bureaucrat from Hell, sämtlichen Schriftverkehr mit meinem Namen darauf persönlich überwacht. (Angeblich hat Sethimus sogar extra einen roten Stempel 'Vorsicht Leisch!' anfertigen lassen, der auf alle meine Anträge geknallt wird!) 
Mist! Muß mir unbedingt weitere Finanzquellen erschließen! 
Nach kurzen Überlegen wähle ich die Nummer des Ministerpräsidenten! Natürlich erwischt man auf diese Weise nicht den Stoiber selber - den erwischt man (= Normalbürger) sowieso niemals am Telefon -, aber nach einigem Hin- und Her-Geschalte bekomme ich wenigstens einen seiner persönlichen Referenten, den Herrn Breitmoser, an die Strippe.
Herr Breitmoser wirkt ziemlich gehetzt; er habe in drei Minuten eine Kabinettssitzung. Da ich mich aber vorsorglich mit 'CSU-Kreisvorsitzender Leisch' betituliert habe, und er natürlich nicht weiß, von welchem, vielleicht sogar wichtigen CSU-Wahlkreis ich stamme könnte, gibt er mir 45 Sekunden, mein Anliegen vorzutragen. 
Ich sage ihm ohne Eile, daß das mehr als genug sei, vor allem, wo ich doch als ein Mensch bekannt sei, der - wie er sicher wisse - auch die schwierigsten politischen Sachverhalte in kürzester Zeit glasklar und sogar dem Standard-CSU-Wähler halbwegs verständlich vermitteln könne, wobei der Huber sogar mal gesagt haben soll, der Leisch, der ... 
"Jajaja", unterbricht mich Breitmoser nervös. "Worum geht es denn nun eigentlich?" 
"Finden Sie nicht auch", frage ich unvermittelt, "wir hatten ein bisserl viele Rücktritte in letzter Zeit, gell? 
"Was hat denn das damit zu tun?" fragt Breitmoser verblüfft. 
"Ich erklär's ihnen gleich. Wissen Sie da oben in der Staatskanzlei überhaupt, was die Leute hier unten an der Basis in diesem Zusammenhang so wirklich auf die Palme bringt?" 
"..." 
"Nicht die Ministerrücktritte selber. Nein, nein. Das ist schon in Ordnung. Irgend jemand muß ja daran schuld sein, daß die Ferkel jetzt alle BSE kriegen und so weiter ..." 
"Die Rinder!" 
"Richtig! Die verwechsle ich immer. Also damit haben wir gar kein Problem! Aber haben Sie sich schon mal überlegt, was so ein Ministerrücktritt den Steuerzahler kostet?" 
"Ja, natürlich, wir haben sogar ..." 
"Eben! Horrende Übergangsgelder! Pensionen in 5-stelliger Höhe! DAS ist es, was den Wähler aufregt! Die bayerische Volksseele kocht! Da kann der Stoiber ja gleich fünfzig Minister mehr einstellen, wenn er alle die Zurücktreter auch noch finanzieren muß, nicht wahr?" 
"Schon, aber ..." 
"Und jetzt kommt mein g-e-n-i-a-l-e-r Vorschlag: Der V-Träger!" 
Zwei Sekunden Pause in der Leitung. 
"Wie bitte?" 
"Jeder Inhaber eines politischen Amtes, sagen wir mal, vom Staatssekretär an aufwärts, bekommt einen professionellen V-Träger, einen Verantwortungs-Träger, zugewiesen. Der V-Träger braucht überhaupt keine politische Vergangenheit zu haben, keine besondere Ausbildung, keine besonderen Fähigkeiten. Im Prinzip könnten Sie sogar Arbeitslose dafür heranziehen. Seine einzige Aufgabe besteht darin, die Verantwortung für sämtliche Aktivitäten, einschließlich der zahlreichen ... hmm ... steuer- und strafrechtlichen Vergehen der echten Amtsinhaber zu übernehmen. Dafür zahlen wir ihm ein normales Beamtengehalt der gehobenen Laufbahn - er ist ja immerhin Geheimnisträger -, und wenn er dann seinen Hut nehmen muß, die üblichen Pension." 
"So, aha. Aber ..." 
"Für eine zurückgetretene Gesundheitsministerin können Sie zwanzig V-Träger bekommen! Ist Ihnen überhaupt klar, was man da einsparen könnte? Und wir könnten viel öfters Ministerrücktritte haben als bisher ..." 
"Wollen Sie mich eigentlich verarschen, Mann? So einfach ist das doch ..." 
"Ich weiß schon, was Sie sagen wollen: Am Anfang gäbe es noch Schwierigkeiten mit den V-Träger-System, weil wir jetzt schon echte Minister und einen echten Stoiber ohne V-Träger davor haben. Aber sogar dafür hätte ich eine Übergangslösung. Wenn der Stoiber zurücktreten muß, dann wählen wir einen V-Träger zum neuen Ministerpräsidenten und der Stoiber regiert im Hintergrund einfach weiter. Das merkt ja sowieso niemand, was in der Staatskanzlei alles abgeht, gell? Und in Zukunft machen wir es gleich nach den Wahlen immer so, daß nur die V-Träger photographiert werden dürfen. Auf diese Weise kann der Stoiber in Zukunft während einer Legislaturperiode das gesamte Kabinett vier-fünfmal zurücktreten lassen, ohne daß es zu einer Diskontinuität in den Regierungsgeschäften kommt. Wir hätten dann schon fast italienische Verhältnisse quasi ..." 
In der Leitung tritt eine längere Denkpause ein. Beinahe kann man hören, wie auf der anderen Seite die Zahnräder klicken. Dann zögernd: 
"Ich werde Ihren Vorschlag mal in der nächsten Arbeitsbesprechung vorbringen. V-Träger, wie? Naja ... ähm ... vielleicht ... Aber eines muß vor vorne herein klar sein: zu niemanden ein Wort, klar? Oder haben Sie etwa schon mit anderen ...?" 
Ich versichere Breitmoser, daß bisher kein Mensch niemals nicht von V-Trägern gehört habe. Jedenfalls nicht von mir. 
"V-Träger ..." 
höre ich ihn in die Muschel murmeln, während er sich eine Notiz macht. Anscheinend gefällt ihm die Idee immer besser. 
Bevor er auflegen kann, füge ich noch hinzu: 
"Äh ... ja ... noch etwas: Da es ja quasi meine Idee war, und ich deshalb zwangsläufig davon wissen muß, könnten Sie dem Ministerpräsidenten doch nahelegen, beim nächsten Ministerrücktritt gleich an mich als zukünftigen V-Träger zu denken. Ich bin sicher, daß ich das als Nebentätigkeit ausgezeichnet hinkriege ... Leisch war der Name, L E I S C H." 
Breitmoser überlegt einen Moment, sieht dann aber sofort ein, daß ich als Geheimnisträger verpflichtet werden müsse, und verspricht, es dem Stoiber genau so weiterzugeben.
Nachdem ich aufgelegt habe, überlege ich einen Moment, ob es sinnvoll wäre, im irgendeinem der bayerischen Ministerien einen kleinen Datenschutz-Skandal auszulösen, um dem Stoiber noch eindringlicher die Genialität meiner Idee vom V-Träger vor Augen zu führen. 
Aber dann fällt mein Blick zufällig auf Frau Bezelmann Abendzeitung, die ich vorhin aus Rache habe mitgehen lassen: "MKS auf dem Vormarsch! Innenminister lehnt Veranwortung für schwache Grenzkontrollen ab!" lautet die Überschrift. 
Ich lehne mich entspannt zurück. Mein V-Träger-Posten ist nur noch eine Frage der Zeit ...
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Bastard's Doom Day
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