Ich blase den Staub von meinen Tastaturen und kippe den vierzig Zentimeter
hohen Postberg unbesehen in den Recycling-Papierkorb. Der erste Arbeitstag nach
einem 12-wöchigen Urlaub ist immer irgendwie deprimierend. Der Ausflug auf
die Seychellen hat ein riesiges Loch, eigentlich schon mehr einen Krater, in
meine Finanzen gerissen.
Mißmutig stochere ich mit dem Cursor ('to curse' = fluchen!) in den
Online-Kontoauszügen, die alle im kameradschaftlich-fröhlich-roten
Zahlen über das Display flimmern. Warum mußte ich auch ausgerechnet
diesen mies bezahlten Bastard-Posten an der Uni erwischen? Bastard Broker from
Hell, zum Beispiel, die verdienen Größenordnungen mehr als
ich ...
In den Mailboxen ist auch nur gähnende LEERE (oooops!), weil die meisten
Kollegen und Studenten noch in den Semesterferien sind. Nicht die kleinste
Nachricht, die eine auch nur minimale Erpressung wert sein könnte. Ich
frage bei Frau Bezelmann im Sekretariat nach, ob nicht vielleicht ein
Tantiemen-Scheck von Hacker's Havoc angekommen sei, aber Frau Bezelmann zieht
nur hämisch ihre Mundwinkel nach unten und bemerkt lediglich mit vor
Genugtuung triefender Stimme, daß es noch fast zwanzig Tage bis zum
Monatsende seien. Und bei der R.K.f.H. (Reisekostenstelle from Heaven) ist auch
nichts mehr zu holen, seitdem Sethimus Thyphon, der Bastard Bureaucrat from
Hell, sämtlichen Schriftverkehr mit meinem Namen darauf persönlich
überwacht. (Angeblich hat Sethimus sogar extra einen roten Stempel
'Vorsicht Leisch!' anfertigen lassen, der auf alle meine Anträge geknallt
wird!)
Mist! Muß mir unbedingt weitere Finanzquellen
erschließen!
Nach kurzen Überlegen wähle ich die Nummer des
Ministerpräsidenten! Natürlich erwischt man auf diese Weise nicht den
Stoiber selber - den erwischt man (= Normalbürger) sowieso
niemals am Telefon -, aber nach einigem Hin- und Her-Geschalte bekomme ich
wenigstens einen seiner persönlichen Referenten, den Herrn Breitmoser, an
die Strippe.
- Herr Breitmoser wirkt ziemlich gehetzt; er habe in drei Minuten eine
Kabinettssitzung. Da ich mich aber vorsorglich mit 'CSU-Kreisvorsitzender
Leisch' betituliert habe, und er natürlich nicht weiß, von welchem,
vielleicht sogar wichtigen CSU-Wahlkreis ich stamme könnte, gibt er mir 45
Sekunden, mein Anliegen vorzutragen.
Ich sage ihm ohne Eile, daß das mehr als genug sei, vor allem, wo ich
doch als ein Mensch bekannt sei, der - wie er sicher wisse - auch die
schwierigsten politischen Sachverhalte in kürzester Zeit glasklar und
sogar dem Standard-CSU-Wähler halbwegs verständlich vermitteln
könne, wobei der Huber sogar mal gesagt haben soll, der Leisch,
der ...
- "Jajaja", unterbricht mich Breitmoser nervös. "Worum geht es denn nun
eigentlich?"
"Finden Sie nicht auch", frage ich unvermittelt, "wir hatten ein bisserl viele
Rücktritte in letzter Zeit, gell?
"Was hat denn das damit zu tun?" fragt Breitmoser
verblüfft.
"Ich erklär's ihnen gleich. Wissen Sie da oben in der Staatskanzlei
überhaupt, was die Leute hier unten an der Basis in diesem Zusammenhang so
wirklich auf die Palme bringt?"
"..."
"Nicht die Ministerrücktritte selber. Nein, nein. Das ist schon in
Ordnung. Irgend jemand muß ja daran schuld sein, daß die Ferkel
jetzt alle BSE kriegen und so weiter ..."
"Die Rinder!"
"Richtig! Die verwechsle ich immer. Also damit haben wir gar kein Problem! Aber
haben Sie sich schon mal überlegt, was so ein Ministerrücktritt den
Steuerzahler kostet?"
"Ja, natürlich, wir haben sogar ..."
"Eben! Horrende Übergangsgelder! Pensionen in 5-stelliger Höhe! DAS
ist es, was den Wähler aufregt! Die bayerische Volksseele kocht! Da kann
der Stoiber ja gleich fünfzig Minister mehr einstellen, wenn er alle die
Zurücktreter auch noch finanzieren muß, nicht
wahr?"
"Schon, aber ..."
"Und jetzt kommt mein g-e-n-i-a-l-e-r Vorschlag: Der
V-Träger!"
- Zwei Sekunden Pause in der Leitung.
- "Wie bitte?"
"Jeder Inhaber eines politischen Amtes, sagen wir mal, vom Staatssekretär
an aufwärts, bekommt einen professionellen V-Träger, einen
Verantwortungs-Träger, zugewiesen. Der V-Träger braucht
überhaupt keine politische Vergangenheit zu haben, keine besondere
Ausbildung, keine besonderen Fähigkeiten. Im Prinzip könnten Sie
sogar Arbeitslose dafür heranziehen. Seine einzige Aufgabe besteht darin,
die Verantwortung für sämtliche Aktivitäten,
einschließlich der zahlreichen ... hmm ... steuer- und
strafrechtlichen Vergehen der echten Amtsinhaber zu übernehmen. Dafür
zahlen wir ihm ein normales Beamtengehalt der gehobenen Laufbahn - er ist
ja immerhin Geheimnisträger -, und wenn er dann seinen Hut nehmen
muß, die üblichen Pension."
"So, aha. Aber ..."
"Für eine zurückgetretene Gesundheitsministerin können Sie
zwanzig V-Träger bekommen! Ist Ihnen überhaupt klar, was man da
einsparen könnte? Und wir könnten viel öfters
Ministerrücktritte haben als bisher ..."
"Wollen Sie mich eigentlich verarschen, Mann? So einfach ist das
doch ..."
"Ich weiß schon, was Sie sagen wollen: Am Anfang gäbe es noch
Schwierigkeiten mit den V-Träger-System, weil wir jetzt schon echte
Minister und einen echten Stoiber ohne V-Träger davor haben. Aber sogar
dafür hätte ich eine Übergangslösung. Wenn der Stoiber
zurücktreten muß, dann wählen wir einen V-Träger zum neuen
Ministerpräsidenten und der Stoiber regiert im Hintergrund einfach weiter.
Das merkt ja sowieso niemand, was in der Staatskanzlei alles abgeht, gell? Und
in Zukunft machen wir es gleich nach den Wahlen immer so, daß nur die
V-Träger photographiert werden dürfen. Auf diese Weise kann der
Stoiber in Zukunft während einer Legislaturperiode das gesamte Kabinett
vier-fünfmal zurücktreten lassen, ohne daß es zu einer
Diskontinuität in den Regierungsgeschäften kommt. Wir hätten
dann schon fast italienische Verhältnisse
quasi ..."
- In der Leitung tritt eine längere Denkpause ein. Beinahe kann man
hören, wie auf der anderen Seite die Zahnräder klicken. Dann
zögernd:
- "Ich werde Ihren Vorschlag mal in der nächsten Arbeitsbesprechung
vorbringen. V-Träger, wie? Naja ... ähm ...
vielleicht ... Aber eines muß vor vorne herein klar sein: zu
niemanden ein Wort, klar? Oder haben Sie etwa schon mit
anderen ...?"
- Ich versichere Breitmoser, daß bisher kein Mensch niemals nicht von
V-Trägern gehört habe. Jedenfalls nicht von
mir.
- "V-Träger ..."
- höre ich ihn in die Muschel murmeln, während er sich eine Notiz
macht. Anscheinend gefällt ihm die Idee immer besser.
Bevor er auflegen kann, füge ich noch hinzu:
- "Äh ... ja ... noch etwas: Da es ja quasi meine Idee war,
und ich deshalb zwangsläufig davon wissen muß, könnten Sie dem
Ministerpräsidenten doch nahelegen, beim nächsten
Ministerrücktritt gleich an mich als zukünftigen V-Träger zu
denken. Ich bin sicher, daß ich das als Nebentätigkeit ausgezeichnet
hinkriege ... Leisch war der Name,
L E I S C H."
- Breitmoser überlegt einen Moment, sieht dann aber sofort ein,
daß ich als Geheimnisträger verpflichtet werden müsse, und
verspricht, es dem Stoiber genau so weiterzugeben.
Nachdem ich aufgelegt habe, überlege ich einen Moment, ob es sinnvoll
wäre, im irgendeinem der bayerischen Ministerien einen kleinen
Datenschutz-Skandal auszulösen, um dem Stoiber noch eindringlicher die
Genialität meiner Idee vom V-Träger vor Augen zu
führen.
Aber dann fällt mein Blick zufällig auf Frau Bezelmann Abendzeitung,
die ich vorhin aus Rache habe mitgehen lassen: "MKS auf dem Vormarsch!
Innenminister lehnt Veranwortung für schwache Grenzkontrollen ab!" lautet
die Überschrift.
Ich lehne mich entspannt zurück. Mein V-Träger-Posten ist nur noch
eine Frage der Zeit ...
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