Eine Essensmarke ist - theoretisch - eine Art Gutschein im Werte von
einer Mark, der als Arbeitgeberzuschuß zum öffentlich-dienstlichen
Mittagessen fungiert.
Theoretisch!
Praktisch ist die Essensmarke ein verwaltungstechnisches Gräuel und ein
steuerrechtlicher Skandal in der Größenordnung von Watergate!
Daß der Verwaltungsaufwand zur Zuteilung und Abrechnung von Essensmarken
bei ca. 600% des Nutzwertes liegt, habe ich früher schon mal erwähnt.
Nun gut, was soll's! Es gibt schließlich noch andere Arten der
überflüssigen Arbeitsbeschaffung, z.B. CSU-Landtagsabgeordnete! Aber
daß Essensmarken außerdem auch noch ein schamloses Werkzeug zur
Steuerhinterziehung darstellen, das wissen die braven und gesetzestreuen
Uni-Bediensteten erst seit heute!
Mit hochoffiziellem Rundschreiben läßt der oberste Finanzchef der
Uni nämlich allen Lohnsklaven mitteilen, daß es nunmehr nach
jahrelangen Auseinandersetzungen mit dem Finanzamt München 19
offiziell und amtlich sei: Jeder, der seine Essensmarken gebrauchswidrig in den
Umlauf bringt, sprich, etwa mit Essensmarken seine LKS (Brötchen mit
Fleischkäse) bezahlt, begeht staatszersetzende Steuerhinterziehung. Weil,
wie uns das Finanzreferat auf einer ganzen Seite hochgestochenen Amtsdeutschs
beLEERt, es sich bei dem Essenszuschuß von einer Mark pro Tag in den
meisten Fällen um einen geldwerten Vorteil handele, der natürlich
versteuert werden müsse. Deshalb sei es von monumentaler Bedeutung,
daß von nun an mit den Essensmarken genau nach den Vorschriften des
Steuerrechts zu verfahren sei; dies heißt insbesondere, daß an
jedem Arbeitstag nur genau 1 Essensmarke - und zwar zum
Mittagessen! - eingelöst werden dürfe, und auch nur dann, wenn
der Gesamtbetrag des Verzehrs DM 4,68 überschreite. Außerdem
sei der Erwerb von Alkoholika oder Rauchwaren und überhaupt von allen
Dingen, die nicht als unmittelbar verzehrbares Mittagessen interpretiert werden
können, von der Bezuschußung durch Essensmarken vollkommen
ausgeschlossen!
(Ich erspare euch die komplizierten Sonderregelungen für den
Krankheitsfall oder gar den ungenehmigten Schwangerschaftsurlaub ...)
- Nachdem ich den Rundbrief beinahe in Frau Bezelmanns Reißwolf
geworfen habe, überlege ich's mir anders und entwerfe eine Email an das
Finanzreferat (mit CCs an den Rektor, sämtliche Dekane und an den
Personalrat) des Inhalts, daß ich dringend die Einrichtung einer
24h-Hotline vorschlage, bei welcher Uni-Angestellte ihre Probleme bei der
korrekten Verwertung von Essensmarken loswerden können. So wie ich den
Personalrat kenne, wird er die Idee - wie alle idiotischen
Verbesserungsvorschläge zugunsten der Angestellten - für
phantastisch halten und der Verwaltung in den nächsten Monaten die
Hölle heiß machen.
Dann stibitze ich 10 Essensmarken aus Mariannes Schreibtisch - meine
eigenen habe ich schon längst bei einem Sektfrühstück im
Atzinger verpulvert -, marschiere zum nächsten Italiener und
verkonsumiere eine Pizza und eine Russenmaß. Beim Bezahlen akzeptiert der
Kellner, ohne mit der Wimper zu zucken, Mariannes Essenmarken. Ich zücke
das Rundschreiben und erkläre dem baß erstaunten Wirt, daß er,
respektive sein Erfüllungsgehilfe Kellner, sich soeben nachweislich der
Beihilfe zur Steuerhinterziehung strafbar gemacht habe.
- "Natürlich muß ich diesen Vorfall der Uni-Verwaltung melden",
sage ich bedauernd.
- Der Wirt meint, ob es da nicht noch eine andere Lösung geben
könne, und ich meine nach kurzem Nachdenken, daß er mir am besten
die gefährlichen 10 Essensmarken wieder aushändigen solle und
wir das Ganze dann ganz schnell vergessen - inklusive meiner Rechnung.
Dann gehe ich weiter zum Vietnamesen nebenan ...
Sechs Stunden später komme ich zurück zum LEERstuhl und schaffe es
gerade noch, Mariannes Büro zu finden.
- "Da hassu deine Essnsmarkn wieda!" lalle ich und zähle Marianne die
schon etwas mitgenommen wirkenden Marken auf den Tisch.
"Wieso bringst du mir 8 Essensmarken?" fragt Marianne mißtrauisch.
"Und noch dazu feuchte - igitt!"
- Ich halte mich am Bücherregal fest und hole tief Luft, um Marianne den
komplizierten verwaltungstechnisch-steuerrechtlichen Sachverhalt zu
erläutern. Dann aber wird mir klar, daß ich das in dem Zustand heute
nicht mehr sinnvoll zu Ende bringen werde und erkläre lediglich: "Mussu
gut aufhem! Die san Gold wert, die Maaken ..."
Mariannes Aussage zufolge habe ich mich daraufhin über ihren
22-Zoll-Schirm gelehnt und sei sofort eingeschlafen. Das halte ich aber
für eine maßlose Übertreibung, weil ich am nächsten Morgen auf meinem
eigenen 22-Zoll-Schirm wieder zu mir gekommen bin!
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