Ihr werdet das folgende zwar nicht glauben, aber ich versichere feierlich,
daß es die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, äh ... und so
weiter. Es geschehen eben auch heutzutage aus heiterem Himmel (autsch!) noch
Zeichen und Wunder:
Der LEERstuhl hat eine Stelle neu zu besetzen! Eine richtige,
wissenschaftliche, brandneue Stelle!!! Eine Stelle, die es vorher nicht
gab!!!!!
Wer mit dem deutschen akademischen Leben nicht so ganz vertraut ist, wird sich
jetzt enttäuscht zurücklehnen, den Kaugummi in die andere Backe
schieben und denken, daß das ja nun wirklich kein Grund sei, sich so
ungebührlich zu erregen. Eine neue Stelle ist zu besetzen. So what? Keep
cool, man!
Um die Tragweite dieser Tatsache vollkommen erfassen zu können, muß
man wissen, daß an unserem LEERstuhl seit 1964 keine neue Stelle mehr
besetzt worden ist! Ein Kollege drüben bei den WiSos (Wirtschaft +
Sozialwissenschaften) hat spaßeshalber mal ausgerechnet, daß die
Uni bei Beibehaltung des derzeitigen Trends im Jahre 2009 negative
Beschäftigtenzahlen ausweisen werde ...
- Egal, der Chef hat jedenfalls - nachdem sich die erste Aufregung
gelegt hatte; der Kollege Rinzling mußte, nachdem er die unglaubliche
Nachricht erfahren hatte, mit Herzkammerflimmern ins Krankenhaus eingewiesen
werden - der Chef also hat mir ganz offiziell die verantwortungsvolle
Aufgabe übertragen, einen geeigneten wissenschaftlichen Mitarbeiter
für diese sagenhafte Stelle ausfindig zu machen.
- "Äh ... ja ... hrrrm ... Sie wissen natürlich,
Leisch ... ähm ... was ... äh ... was das
bedeutet. Hmm, die ... äh ... die ... Dings ...
die ..."
"Stelle?" versuche ich behutsam etwas zu beschleunigen. Aber der Chef
schüttelt heftig den Kopf.
"... die Dings ... die Verwaltung ... hmm ... ja, die
Verwaltung hat uns die Stelle zwar zuge ... äh ...
zugewiesen ... hmm ... aber die warten ... äh ...
lauern natürlich nur darauf ... äh ... daß wir
einen ... hmm ... einen ..."
"Dings?"
"... einen Formfehler bei der ... hrrrrm ... bei der
Stellenausschreibung oder ... äh ... so machen ...
äh ... damit sie die ... ähm ... also, die Stelle
könnte ... ähm ... könnte sofort wieder
gestohlen ... äh ... gestrichen werden ... äh ...
in der Lage zu sein ... ähm ... möglicherweise ...
ja ... hmm ... sogar ziemlich wahrscheinlich, weil ... Sie sehen
also ...",
- bei diesen Worten schaut mich der Chef noch ernster als sonst über den
Rand seiner Lesebrille an, wie immer, wenn er zum Kernpunkt einer fundamentalen
Aussage gelangt,
- "... sehen also, daß ... äh ... wie
außerordentlich ... hmm ... außergewöhnlich
vorsichtig Sie ... in diesem Falle ... hmm ... vorgehen
müssen ..."
- Ich versichere dem Chef, daß er sich wie immer vollkommen auf mich
verlassen könne, und gehe unverzüglich daran, die einschlägigen
Verwaltungsvorschriften aus dem Internet zu laden. Keine drei Tage und 89
Kannen schwarzen Kaffees später bin ich durch die wichtigsten Normen
durch. Nebenbei muß ich hier bemerken, daß ein normaler
menschlicher Angestellter diese Flut von widersinnigen, sinnlosen, sich
gegenseitig widersprechenden und grottenschlecht formulierten Paragraphen
unmöglich in so kurzer Zeit hätte absorbieren können, ohne
unweigerlich mit galoppierender Paranoia Legis Publicantis in der geschlossenen
Abteilung zu landen! Diese Erfahrung bestätigt nur einmal mehr, daß
Scott Adams vollkommen recht hat, wenn er den Verdacht äußert,
Verwaltungsangestellte und Buchhalter seien in Wirklichkeit eine besonders
widerwärtige, aber hervorragend angepaßte Abart des gemeinen,
patagonischen Würgetrolls.
Jedenfalls ist mir nach dieser übermenschlichen Anstrengung und einigen
sehr interessanten Konsultationen eines befreundeten Kollegen (B.J.f.H.) im
Justizministerium vollkommen klar, daß der Chef mit seinem
untrüglichen Instinkt leider nur zu recht hat: die Verwaltung hat alles
getan, um die tatsächliche Vergabe der Stelle unter allen Umständen
zu verhindern.
Nach einigen Überlegungen, entscheide ich mich dafür, den Feind wie
üblich frontal anzugehen und lasse mich von Frau Bezelmann mit dem
Ober-Mufti in der Stellenverwaltung der Uni, Herrn ORD Kaltenschneuzler,
verbinden.
- "So und so", erkläre ich dem ORD (Oberregierungsdirektor), nachdem wir
uns unter Einhaltung der minimal möglichen Höflichkeitsformen eiskalt
begrüßt haben. "Es geht also um die Vergabe der besagten Stelle an
unserem LEERstuhl, Sie wissen schon."
- Der ORD weiß Bescheid. Wahrscheinlich wartet er schon seit 72 Stunden
Tag und Nacht auf meinen Anruf.
- "Nun ist die Sache nicht ganz einfach", fahre ich fort, "wir können ja
nicht einfach eine Stellenausschreibung loslassen, ohne die Vorschriften zu
beachten, nicht wahr?"
- Der ORD am anderen Ende der Leitung schnauft nur als Antwort. Ich kann ihn
förmlich sehen, wie er sich enttäuscht in seinen 5000 Mark teuren
Chefsessel zurücklehnt und seiner Sekretärin, die neugierig durch den
Türspalt lugt, ärgerlich abwinkt: So ein Mist, denkt er jetzt
wahrscheinlich, diese blöden Wissenschaftler haben den Braten gerochen!
Dann erkundigt er sich in vorsichtig-neutralem Ton bei mir, wo ich denn da ein
Problem sehen würde.
- "Nun ja", sage ich freundlich, "da ist natürlich als allererstes die
Frauenquote zu berücksichtigen. Wenn ich die Zahlen von unserem Department
richtig im Kopf habe, dürften wir eigentlich nur eine Frau einstellen.
Alles andere wäre schon mal vorschriftswidrig ..."
"Ach so ...", sagt der ORD enttäuscht. Er dachte doch wohl nicht im
Ernst, daß wir in eine so plumpe Falle tappen
würden!
"Ja, und dann gibt es da noch die Quote für nicht-deutsche
EU-Studienabschlüsse, die bevorzugte Einstellung von körperlich
Behinderten (bei gleicher Eignung natürlich!), Quoten für ethnische
Minderheiten und natürlich die verschiedenen Einstellungsvoraussetzungen,
angefangen bei der richtigen Schulausbildung (selbstverständlich nur
bayerisches Abitur) und dem Studienabschluß (mindestens Magister oder
Diplom oder einen entsprechenden ausländischen Abschluß). Nicht zu
vergessen die ganzen komplizierten akademischen Austauschabkommen mit
außereuropäischen Staaten, z.B. mit
Quebec ..."
"Soso", kommentiert der ORD betont gelassen und in einem wohlwollenden Tonfall,
der Bewunderung für meine erstaunlichen Kenntnisse ausdrücken soll,
"da haben Sie sich ja wirklich genauestens
informiert ...
- Mist!!! Ich wußte doch, daß da noch was fehlt! Fieberhaft
zermartere ich mein armes Vorschriften-umnebeltes Großhirn. Wo ist der
Haken? Mit welchem geilen Trick will er mich packen? Was habe ich nicht
berücksichtigt, auf das sich die Verwaltung, sobald die Ausschreibung raus
ist, wie eine ausgehungerter tasmanischer Teufel stürzen
wird!
- "Das ist natürlich noch nicht alles", klopfe ich auf den
Busch.
"Ach ja?" meint der ORD nervös.
- Jetzt ist es definitiv! Ich habe eine Vorschrift vergessen, und der ORD
hofft inständig, daß ich nicht drauf komme! Wahrscheinlich
zelebriert seine Sekretärin gerade irgendeinen gräßlichen
Woodoo-Zauber, um mein Denkvermögen negativ zu beeinflussen. Mein Blick
irrt wie wild über die zahllosen Gesetzeswerke, die sich meterhoch in
meinem Büro stapeln, und fällt plötzlich auf den Umschlag eines
Kommentars zu Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, der mit
schwarz-rot-gold malerisch illustriert ist. Natürlich! So was Banales
mußte es ja sein! Betont lässig spreche ich in den
Telefonhörer:
- "Für den öffentlichen Dienst kommen logischerweise nur deutsche
Staatsangehörige in Frage ..."
- An anderen Ende ist ein Geräusch zu hören, wie wenn man die Luft
aus einem Luftballon läßt. Nur daß der Ballon hundertmal
größer ist als gewöhnlich ... BINGO!
Bleibt nur noch das kleine Problem, eine geeignete Kandidatin aufzutreiben: Am
besten eine mindestens 60 % schwerbehinderte Sinti mit bayerischen Abitur,
erstklassiger Studienabschluß in Frankreich mit nachgewiesenem
Auslandsaufenthalt in Quebec, Kanada - und natürlich reinster
deutscher Abstammung!
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