"Ja ... ähm ... ja, also ... hmm ... ich
denke ... äh ... meine, daß ... hrrrm ...
daß wir die dies- ... äh diesjährige Exkursion ...
hmm ... nach ... äh ... zu einer wissenschaftlichen
Einrichtung ... äh ... Institution ... durchführen
sollten ..." (nachdenklicher Blick an die Decke) "... einer
wissenschaftlichen Einrichtung ... äh ... Sie verstehen ...
damit die ... hmm ... die Studenten sozusagen ...
ähm ... als pädagogischen Zusatzwert ... ähm ...
also ... ich bin sicher ... äh ... daß Ihnen etwas
Passendes ... hrrrm ... Passendes einfallen wird ...
äh ... Leisch ..."
Ich versichere dem Chef, daß er alles getrost meiner erfahrenen
Organisation überlassen könne, und der Chef gesteht mir erleichtert,
daß er selber leider, leider dieses Jahr (genau wie letztes Jahr und das
Jahr davor) nicht persönlich an der Exkursion teilnehmen könne, weil
er zu einem immens wichtigen Meeting in Paris fliegen müsse, und so weiter
und so fort.
Kaum ist der Chef aus dem Zimmer, sperre ich vorübergehend seine Mailbox
und schicke eine Nachricht an alle Mitarbeiter und Studenten des Inhalts,
daß die diesjährige Exkursion aus pädagogischen Gründen an
einen Ort erfolgen wird, an welchem dem wissenschaftlichen Nachwuchs anhand von
praktischen Übungen ein besseres Verständnis der im
Ingenieursstudienplan vorgesehenen technischen Mechanik vermittelt werde. Bei
Nicht-Teilnahme könne als Ersatz das 'Physikalische Praktikum III'
absolviert werden.
Dann buche ich für sämtliche Mitarbeiter und Studenten
einschließlich Frau Bezelmann ein opulentes Mittagessen und einen
anschließenden Reverse-Bunjee-Jump im Freizeitpark 'Kotzgaden'. Danach
wird hoffentlich keine Student mehr in der Einführungsveranstaltung Actio
mit Reactio verwechseln!
Um sicher zu gehen, daß niemand aus Versehen dabei ist, der eine solche
Aktion auch noch toll finden könnte, schicke ich den notorisch bekannten
Sport-Freaks die falsche Bus-Abfahrtszeit. Wenn sie schon so sportlich sind,
sollen sie doch gleich mit ihrem 5000-Mark-Bikes hinterher hecheln!
(Amerikanische Wissenschaftler an der University of San Diego haben
übrigens vor kurzem nachgewiesen, daß sich der Windwiderstand eines
Radfahrers um 5,27% reduzieren läßt, wenn man sein Großhirn
entfernt. Da das Großhirn des ernsthaft engagierten Radfahrers sowieso
nur den Sportartikelverkäufer behindert, wenn dieser seinen neuesten
idiotischen Papageien-Dress an den Mann/Frau bringen will, wird diese
revolutionäre Entdeckung gewiß unser Straßenbild in Kürze
drastisch verändern! Wissenschaft ist doch etwas Wunderbares, nicht
wahr?)
Kaum ist die Mail raus, steht Marianne auf der Matte.
- "Wieso organisierst DU wieder die Exkursion, verdammt nochmal!" schnaubt
sie wütend. "Wir hatten doch dem Chef eine Mail geschrieben, daß er
auf gar keinen Fall ..."
- Marianne bricht mitten in Satz ab, als sie mein süffisantes Grinsen
sieht, das ich für ganz besonders leckere Gelegenheiten aufspare. Marianne
läuft dunkelrot an.
- "Du hast wieder an den Mailboxen manipuliert!!!"
"Tstststs, Marianne!" sage ich milde tadelnd. "Wir wissen doch alle, daß
Email ein unzuverlässiges Kommunikationsmedium ist, nicht wahr?
Außerdem: wann liest der Chef schon mal seine Mail?"
"Das letzte Mal, als du eine Exkursion organisiert hast", sagt der Kollege O.,
der inzwischen auch dazu gekommen ist, mit klagender Stimme, "das letzte Mal
sind drei Studenten mit Elektroschocks im Krankenhaus
gelandet ..."
"Kann ich was dafür, daß ihr alle unbedingt ein elektrisches
Umspannwerk besuchen wolltet?" verteidige ich mich ungnädig. "Wenn's nach
MIR ginge, würde ich auch lieber eine heiße Disko besuchen ...
Aber keine Sorge: diesmal habe ich vorgesorgt und die Exkursion schon beim
Roten Kreuz angemeldet; die schicken prophylaktisch drei Notarztwägen. Es
kann also gar nix passieren ..."
- Marianne schnappt nach Luft. Bevor sie tätlich werden kann, kommt der
Chef herein.
- "Ah ... äh ... Leisch ... eine sehr ...
hrrrm ... eine sehr gute Idee ... äh ... die ... die
Dings ... na! die Exkursion dieses ... äh ... Jahr
ins ... hm ... ins deutsche Museum zu ... äh ...
organisieren. Wirklich ... hmm ... wirklich schade, daß ich
selber ... äh ... verhindert bin ..."
- Der Chef klopft mir anerkennend auf die Schulter und ist schon wieder
weg. Der Kollege O. und Marianne starren ihm hinterher, wie zwei Schafe,
die zum ersten mal ein Space Shuttle vorbei fliegen sehen.
Zwei Wochen später sind wir alle im Freizeitpark Kotzgaden und haben das
opulente Mittagessen bereits hinter uns gebracht. Nachdem alle Teilnehmer
lautstark bekundet haben, daß sie keinerlei Interesse an dem gebuchten
(und bereits bezahlten) Reverse-Bunjee-Jump haben und androhen, sich bei
Anwendung von Zwangsmaßnahmen mit eigens dafür mitgebrachten
Handschellen an das Mobiliar ketten zu wollen, schlägt der leitende
Activity-Animateur vor, statt dessen vielleicht einige 'trust-building group
exercises' zu organisieren. Nach einigem Hin und Her - der Kollege
Rinzling hatte sich bereits vorsorglich an einem Cola-Automaten im Foyer
gekettet, aber dann den Schlüssel verlegt - und nachdem definitiv
sicher gestellt wurde, daß diese 'trust-building group exercises' nichts,
aber auch gar nichts mit Gummibändern zu tun haben, begibt sich die
gesamte LEERstuhl-Belegschaft hinaus in das dafür vorgesehene
Freigelände.
- "Ok", sagt aufmunternd der Activity-Animateur, ein gräßlich
blonder, gut gebauter Body-Builder, wie aus dem Fitness-Geräte-Katalog,
nachdem man uns in zwei Gruppen geteilt und zu zwei Bäumen geführt
hat, die etwa 200 Meter auseinander stehen, "die erste Aufgabe besteht
darin, sicher den jeweiligen Zielbaum zu erreichen. Jede Gruppe bekommt genau
ein Farb-Pellet-Gewehr, mit dem man rote Farbkapseln verschießen kann.
Gewonnen hat die Gruppe, die ALLE ihre Mitglieder an den Zielbaum bringt, und
dabei möglichst wenig Treffer einzustecken hat. Sie müssen also
innerhalb Ihrer Gruppe entscheiden, wem Sie das Gewehr anvertrauen, und dieser
muß dann die ungeschützten Mitglieder seiner Gruppe
decken ..."
- Zum Glück ist Frau Bezelmann in meiner Gruppe. Sie knurrt nur ein
kurzes "Simpel!", schnappt sich zuerst das Gewehr und dreht dann dem
Activity-Animateur mit einem Kung-Fu-Griff den rechten Arm auf den Rücken.
Der Rabe Nero krächzt begeistert und krallt sich in der Blondtolle des
armen Burschen fest.
- "Keine falsche Bewegung!" zischt Frau Bezelmann dem völlig
überrumpelten Muskelbaby ins Ohr, "sonst hackt Dir der Rabe die Blauaugen
aus!"
- Sie rammt ihm das Gewehr unter der Achsel durch und deckt die andere
Gruppe, die noch diskutiert, wer das Gewehr bekommen soll, mit einem Sperrfeuer
an Farb-Pellets ein. Der Rest unserer Truppe bleibt hinter dem 'lebenden
Muskelschild' in Deckung und wir marschieren ganz gemütlich zum Zielbaum.
Nur der Kollege O. - obwohl schon selbst übersät mit roten
Farbklecksen - schießt ein paar Mal halbherzig in unsere Richtung;
eine Ladung trifft unseren Activity-Animateur mitten auf die Stirn ...
Komischerweise ist der von unserem Erfolg nicht besonders angetan; eventuell
hat es damit zu tun, daß Frau Bezelmann ihm aus Versehen die Schulter
ausgerenkt hat. Nachdem sie aus dem Kung-Fu-Griff entlassen hat, liegt der arme
Kerl nur noch am Boden und röchelt wehleidig!
- "Man muß ihm ein Muskelrelaxans spritzen!" meint der Kollege Rinzling
eifrig, der ein hypochondrinisches Faible für medizinische Notfälle
hat. "Weil nur dann sich die Muskelgruppen um das Gelenk entspannen, und
dann ..."
"Unsinn!" unterbricht ihn Marianne, unsere Praktikerin, "einmal kräftig in
die richtige Richtung ziehen und die Gelenkkugel schnappt von selbst in die
Pfanne zurück! Daß Männer immer so zimperlich sein
müssen ..."
- Wir versuchen eine Weile zu viert, den Arm in verschiedene Richtungen zu
ziehen, aber ohne Erfolg. Der arme Verletzte ist mittlerweile so tief im
Schock, daß er sich gegen jeglichen Hilfeversuch mit allen seinen drei
verbleibenden Händen und Füßen wehrt; wir müssen ihn mit
dem Gewicht von vier Studenten am Boden fixieren, bevor wir vernünftig an
dem ausgekugelten Arm zerren können. Nach ein paar Minuten geben wir es
wieder auf, weil uns die Puste ausgeht, und der Verletzte von Schreien schon
ganz heiser wird. Die einzige sichtbare Wirkung unserer Ersten-Hilfe ist,
daß der Arm jetzt nach schräg hinten oben wegsteht, und unter den
Schlüsselbein eine komische Wölbung hervorsteht; wahrscheinlich die
Gelenkkugel des Oberarms, obwohl Rinzling meint, es könne auch die Milz
sein. So wie der Animateur auf dem Bauch daliegt, schaut er fast aus, als
übe er den Hitler-Gruß auf
rückwärts.
- "Im Deutschen Museum wäre das nicht passiert!" mault Marianne und
ruckt nochmal mit aller Macht an dem Arm.
"Vielleicht ist das mit der Betäubung doch nicht ganz falsch",
grübelt der Kollege O., "schaut euch bloß diese Muskelpakete
an! Die sind so verkrampft, daß wir die nie
aufkriegen!"
"Ich sage euch doch, nur ein Muskelrelaxans ..." fängt Rinzling
wieder eifrig an.
"Wo sollen wir hier draußen so ein Muskel-Dingsbums herbekommen!" faucht
Frau Bezelmann ihn wütend an und fuchtelt mit dem Pellet-Gewehr herum.
"Kann man ihn nicht einfach mit dem
Gewehrkolben ...?"
- Der Animateur starrt sie aus blutunterlaufenen Augen
an.
- "Dann haben wir nicht nur eine ausgekugelte Schulter, sondern auch noch einen
Schädelbasisbruch!" warne ich eingedenk der ganzen Kampfsportarten, die
Frau Bezelmann als Hobby betreibt.
- Der Verletzte holt tief Luft und setzt mit verdoppelter Lautstärke zu
einer neuen Schrei-Serie an.
- "Wir müssen ihn dazu bekommen, daß er sich entspannt!"
brüllt der Kollege O. über das Getöse hinweg, und geht
neben dem Verletzten in die Knie.
"He!" brüllt er ihm ins rechte Ohr. "Ganz ruhig, Mann! Versuchen Sie, ganz
ruhig zu sein, ganz locker lassen, Mann! Wir helfen Ihnen doch nur, verdammt
noch mal!!!"
- Da uns allen das Gekreische auf die Nerven geht, und bei dem Lärm kein
Mensch einen klaren Gedanken fassen kann, stopfen wir dem Animateur
vorläufig Mariannes Schal in den Mund.
- "Vorschläge?" frage ich knapp, nachdem der Geräuschpegel um 60 dB
abgenommen hat. Jean-Luc Picard wäre stolz auf mich!
"Wir könnten einen Flaschenzug besorgen", meint ein praktisch veranlagter
Student, "oder einen hydraulischen Wagenheber ..."
"Wo sollen wir hier in der Wildnis denn einen hydraulischen Wagenheber
hernehmen ..."
"Aber ein Flaschenzug ..."
"Es gibt doch so einen Kung-Fu-Schlag in die Halsbeuge, der vorübergehend
den Arm lähmt!" unterbricht Frau Bezelmann die fruchtlose Diskussion und
betrachtet nachdenklich ihre rechte Hand, "aber ich weiß nicht mehr
genau, wie der sich vom finalen Wirbelbrecher-Schlag
unterscheidet ..."
"Ein Muselrelaxans wäre ..."
"Natürlich! Betäuben! Wir betäuben ihn einfach!" Der
Kollege O. kramt wie wild in seinem Rucksack und fördert unter Massen
lilafarbener Unterwäsche eine Flasche Wodka zutage. "Die ...
äh ... habe ich immer dabei ... für ...
äh ..."
"Notfälle!" springt Marianne ein.
"Genau! Für einen Notfall wie diesen ..."
- Alle finden den Plan prima - außer dem Verletzten, dem vor
Schmerz offensichtlich jegliche Vernunft abhanden gekommen ist. Kaum nehme ich
ihm Mariannes Schal aus dem Schnabel und versuche, die erste Ladung Wodka
einzufüllen, fängt er wieder das Brüllen an und spuckt das
kostbare Betäubungsmittel wie wild durch die Gegend. Auch als Jenny ihm
noch einmal und in aller Ruhe erklärt, daß die Wodka-Methode
bestimmt gesünder ist als Frau Bezelmanns Kung-Fu-Schlag, und alle Pro und
Contras der Behandlung in wissenschaftlich einwandfreier Darstellung Revue
passieren läßt, hört der ungebildete Kerl gar nicht zu und
schreit weiterhin um Hilfe. Als ob wir nicht schon längst da wären
und Erste-Hilfe leisten würden!
Immerhin gelingt es mir, immer wenn er Luft holen muß, eine Dosis Wodka
einzufüllen. Es geht zwar viel daneben, aber langsam scheint eine
beruhigende Wirkung einzutreten: Der Verletzte tritt nicht mehr ganz so wild
wie am Anfang, und das infernalische Heulen geht langsam in ein bösartiges
Lallen über. Plötzlich verliert Rinzling, der mir beim Einfüllen
Hilfestellung leistet, den Halt und rollt recht unsanft über den
Rücken des Unfallopfers. Es knackt vernehmbar, wie wenn man eine
Kokosnuß aufbricht, und das Lallen hört plötzlich
auf.
- "Na, bitte!" freut sich Rinzling, der sich schnaufend wieder hochrappelt.
"Ich habs ja gleich gesagt, so ein Muskelrelaxans wirkt
Wunder ...!"
- Eine rasche Überprüfung ergibt, daß das Knacken nicht von
der Wirbelsäule kam. Leider auch nicht vom Schultergelenk, lediglich die
Armani-Sonnenbrille des Animateurs ist zerbrochen, weil er sie nicht wie jeder
anständige Mensch auf der Nase trägt, sondern an einem affigen
Sportband um den Hals.
Immerhin hat er aufgehört, so einen Krach zu machen und stiert nur noch
aus glasigen Augen sinnlos in die Gegend. Wir versuchen noch einmal, zu
sechst den Arm wieder einzukugeln, aber alles was wir erreichen ist, daß
er jetzt steif nach vorne unten absteht.
Wir drapieren das Pellet-Gewehr über den steifen Arm, damit es nicht ganz
so auffällt, und bugsieren den leise schnarchenden Adonis in Richtung
Ausgang. Dort setzen wir ihn in einer leeren Telefonzelle ab und fahren
nach Hause in die relative Sicherheit unseres LEERstuhls.
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