Die gelben LEDs am zentralen Switch im Rechnerraum blinzeln mir lustig zu,
während ich fröhlich pfeifend die letzten Backup-Tapes über den
Löschmagneten ziehe. Mit trommelnden Fingern überfliege ich rasch die
neueste Studenten-Email und schicke ein paar ausgewählte Absätze
daraus an eine lokale Klatsch-und-Tratsch-News-Group; der 500 GByte
Fileserver, auf dem meine MP3-Sammlung liegt, brummt gemütlich den Bass
dazu, wenn ich lauthals 'I can get no satisfaction'
intoniere.
Es ist nicht ganz von der Hand zu weisen, daß der BAfH guter Laune
ist.
Die Frage ist: warum? Hat er den letzten Studenten aus dem Einführungskurs
vergrault? Ist ein Praktikant an einem etwas zu heftigen Stromschlag
eingegangen? Hat die RKfH nach jahrzehntelangen erbittertem Kampf endlich die
Spesenrechnung von Hawaii 1989 überwiesen? Ist Frau Bezelmanns neuer
Kaktus (der alte wurde unachtsamerweise verbrannt; wir erinnern uns) unter der
Post erstickt?
Alles ganz falsch: Der BAfH ist so guter Laune, weil er wieder mal gegen
Sethimus Typhon, den 'Bastard Bureaucrate from Hell' (BBfH), einen Sieg nach
Punkten zu verbuchen hat!
Was ist passiert? Die Auseinandersetzung entzündete sich an der einfachen
Tatsache, daß bei offizieller Bewirtung von Gästen, das heißt
also auf Spesenabrechnung, nach dem bayerischen Reisekostengesetz, alles
abrechnungsfähig ist außer - ich zitiere - 'Rauchwaren und
Alkoholika'. Ich interpretiere diese Vorschrift dahingehend, daß Bier und
Marihuana somit voll abrechnungsfähig seien. Begründung: Bier ist
nach der landläufigen (bayerischen) Auffassung kein Alkohol sondern ein
Grundnahrungsmittel, während Gras genaugenommen unter das
Betäubungsmittelgesetz fällt und damit keinesfalls als 'Rauchwahren'
im engeren Sinne des Gesetzgebers angesehen werden kann (auch wenn die Dinger
faktisch gesehen natürlich rauchen; man muß bei Vorschriften immer
abstrahieren können!).
Sethimus Typhon, der nebenbei bemerkt aus dem Sauerland stammt und daher in
Bezug auf die lokalen kulturellen Gegebenheiten hoffnungslos unterbelichtet
ist, stimmt mir zwar in Bezug auf das Gras zu, gibt aber in Sachen
'Grundnahrungsmittel' keinen Millimeter nach, da Bier faktisch - und somit
chemisch nachweisbar - Alkohol enthalte, auch wenn es hierzulande nicht
ganz die übliche Wirkung entfalte. So ein immens wichtiger Streitfall kann
sich Jahre hinziehen! Am Ende landet er noch vor dem Bundesverwaltungsgericht!
Um dem Steuerzahler solche unnötigen Kosten zu ersparen, fordere ich daher
den BBfH ganz einfach zum !PowWow-Duell.
Obwohl sicher die meisten schon wissen, was ein !PowWow-Duell ist, kann es
nicht schaden, wenn ich die wichtigsten Punkte nochmal kurz zusammenfasse
(solche Sachen lernt ihr nie auf der Universität; es sei denn, ihr
studiert hier bei uns am LEERstuhl!). Schließlich ist die direkte
Austragung von Konflikten eine Übung, die jeder angehende Manager aus dem
Effeff beherrschen sollte!
Das !PowWow-Duell läuft ungefähr so ab: Der Unparteiische - in
diesem Fall Frau Bezelmann - sperrt die Duellanten zusammen mit
10 Flaschen Obstler in einen leeren Seminarsaal. Der BBfH und ich nehmen
je eine andersfarbige Kreide zur Hand und schreiben immer abwechselnd einen
Satz aus 'Auerbachs Keller' (Goethe, Faust I) an die Tafel (man ist ja
schließlich gebildet!). Vor jedem Satz kippt man einen Obstler. Wenn am
nächsten Tag die Kontrahenten aus der Betäubung erwachen,
kontrolliert der Schiedsrichter, wer den letzten fehlerfreien Satz geschrieben
hat und bestimmt somit den Sieger.
Aber abgesehen von diesem Erfolg gibt es noch einen Grund, warum ich in
deutlich gehobener Stimmung bin: Heute ist wieder mal ein Diplomvortrag
fällig!
(Für die nicht-diplomierten Leser dieser Kolumne: Der Diplomvortrag bildet
den Abschluß der Diplomarbeit, die jeder Ingenieursstudent am Ende seines
Studiums anfertigen muß. Da die Diplomarbeit ein wesentlicher Bestandteil
der Gesamtnote ist, andererseits die Professoren aber sowieso keine Zeit haben
diese zu lesen und sich lieber eine mündliche Zusammenfassung geben
lassen, ist der Diplomvortrag im Leben eines Diplomanden ungefähr so
wichtig wie ein Upgrade von DOS zu Linux!) Die meisten Assistenten bekommen
schon beim bloßen Gedanken an das obligatorische, stinklangweilige
Diplomandenseminar Zahnweh; ich nicht! Im Gegenteil kann ich mir gar nix
Unterhaltsameres vorstellen.
Gleich nach dem Mittagessen - also so gegen 3 Uhr - schlendere
ich daher hinüber in den Seminarraum, wo der Delinquent bereits seit
6 Stunden vor Nervosität die Tischkanten anknabbert. Das heutige
Opfer, ein blasser, schrecklich magerer Riese mit prominenten Adamsapfel, der
durch den ungewohnten Schlips am Schlucken gehindert wird, hängt
unglücklich in seinem zerknitterten Konfirmandenanzug an
Overhead-Projektor und blättert nervös zum tausendsten Mal durch
seine Vortragsfolien. Außer mir ist noch niemand da, weil natürlich
alle bis zur letzten Sekunde warten.
- Ich schleiche mich lautlos bis auf einen halben Meter heran und rufe dem
Kandidaten ein fröhlich-lautes "Hallo!" zu.
- Der Student läßt natürlich vor Schreck alle Folien auf den
Boden fallen.
- "Hoppala!" sage ich überrascht und trete wie aus Versehen auf eine
besonders schön bunte Folie. "Oh! Das tut mir aber leid!" Auf der Folie
ist ein wunderschöner Abdruck meiner genagelten Panzergrenadier-Sohlen.
"Da sieht man mal wieder, wie schlecht an der Uni die Böden gewischt
werden. Bei Siemens wäre das nicht
passiert ..."
- Der Kandidat starrt verzweifelt auf die ruinierte
Folie.
- "Scheiße! Was mach ich jetzt bloß? Ich schaffe es nie mehr in
fünf Minuten, die noch mal auszudrucken ..."
"Nana", sage ich beruhigend und klopfe ihm auf die Schulter, "Sie wissen doch:
die Folien sind ja sowieso nicht so
entscheidend ..."
- Der Student starrt mich entsetzt an.
- "Für diese Folien habe ich eine ganze Woche
gebraucht!"
"Sicher", sage ich besänftigend, "aber Sie werden sehen, daß der
Professor sowieso die meiste Zeit schläft - das macht er nämlich
immer so kurz nach dem Mittagessen - und die Assistenten lesen derweil die
neueste Fachliteratur, wenn sie sehen, daß der Prof die Augen zu hat.
Also wird wahrscheinlich niemand die versaute Folie bemerken, nicht wahr? Auf
den guten Vortrag kommt es eben an; akustisch dringt alles durch, auch ins
Unterbewußtsein. Das ist sehr wichtig für die spätere Benotung
durch den Prof, verstehen Sie?"
- Der Kandidat nickt heftig und versucht, trotz ungewohnter Krawatte zu
schlucken. Natürlich geht es schief und er bekommt einen Hustenanfall. Ich
haue ihm kräftig auf den Rücken; mit Verschluckern soll man nicht
spaßen. Schon gar nicht so kurz vor einem wichtigen Vortrag. Leider
überschätze ich etwas die Körpermaße des Studenten (an den
heutigen Studenten ist einfach nichts mehr dran) und klopfe ihm die Brille von
der Nase. Sie verschwindet im hohen Bogen hinter dem
Heizkörper.
- "Huurccchhh ... errrcchhhh", ächzt der Student, "wo ist ...
eerrrcchhh ... wo ist meine Brille hin ...?"
- Er geht in die Knie und beginnt blind wie ein Maulwurf den Boden
abzutasten; dabei fallen wieder alle seine Folien zu Boden, und ich trete
vorsorglich noch auf ein paar drauf und drehe mich dabei etwas auf dem
Absatz.
- "Brille?" frage ich verwundert und bücke mich ebenfalls. "Ich kann
leider keine Brille entdecken. Ich hab leider meine Brille im Büro liegen
lassen, und ohne die ..."
- Während der Diplomand weiter den Boden abtastet, schubse ich die
Brille unauffällig mit dem Fuß in eine noch dunklere Ecke. Der
Schweiß läuft ihm schon in Bächen herunter; dabei hat der
Vortrag ja noch gar nicht angefangen!
- "Also, ich kann keine Brille finden", sage ich bedauernd. "Aber die
brauchen Sie ja auch gar nicht. Die Folien legen Sie einfach in der richtigen
Reihenfolge auf und Augenkontakt soll man sowieso nicht suchen. Warten Sie, ich
lege Ihnen die Folien wieder in die richtige
Reihenfolge ..."
- Ich klaube die Folien auf und bringe sie in ein gesundes
Random-Muster.
- "So, hier haben Sie Ihre Folien", sage ich aufmunternd und drücke ihm
das Paket in die schweißigen Hände, "und Ihren Vortrag können
Sie ja auch ohne Brille hersagen. Sie haben ihn doch hoffentlich auswendig
gelernt!!!" füge ich heftig hinzu, und der Kandidat zuckt ebenso heftig
zusammen. Ich liebe diese Abschlußvorträge! Die Diplomanden sind
nervös wie Chihuahuas im Tigerkäfig!
"Lassen Sie sich mal anschauen", sage ich väterlich. "Hm, irgendwie sitzt
Ihre Krawatte so komisch schlaff ..."
- Ich ziehe seinen Krawattenknoten kräftig fest, so daß seine Halsvenen
dekorativ hervortreten.
- "Hhhrrrccchhh!" keucht er und faßt sich reflexartig an den
Hals.
"Na! Aber! Lassen Sie das jetzt doch so", sage ich energisch und haue ihm auf
die Finger. "Sie wollen doch einen guten Eindruck machen, oder? Der erste
Eindruck entscheidet oft schon die Note, glauben Sie mir! Jetzt sitzt
wenigstens Ihre Krawatte richtig! Sie schauen gleich viel besser
aus!"
- Tatsächlich wird seine vorher totenblasse Gesichtsfarbe jetzt etwas
violett angehaucht. Was so ein kleiner Blutstau doch für kosmetische
Auswirkungen hat! Komisch, daß das die Frauen noch nicht entdeckt haben!
Während er angestrengt nach Luft schnappt, lockere ich noch etwas das
Netzkabel des Overheads, so daß es zwar noch drin steckt, aber keinen
Kontakt mehr hat, und verziehe mich diskret in den
Hintergrund.
Der Vortrag wird ein voller Erfolg: Der Chef schläft nach zwanzig Sekunden
friedlich ein. Der Kollege O., Marianne und die anderen Assis studieren
konzentriert ihre mitgebrachte Literatur, und die paar Studenten, die sich aus
Solidarität herbeigequält haben, bleiben nur deshalb wach, weil sie
sich vorher Streichhölzer unter die Augenlider geklemmt
haben.
Der Overhead funktioniert nicht. Die Demo muß abgebrochen werden, weil
der Fileserver gerade jetzt zusammenbricht (wie jeden zweiten Do wenn
Diplomvortrag ist; bin gespannt, wann mal jemand das Cron-Skript dazu
entdeckt), und der Student bekommt keinen einzigen syntaktisch oder semantisch
sinnvollen Satz über die Lippen.
Alles in allem also ein ganz normaler
Diplomabschlußvortrag!
Nur eines verdrießt mich: Die Fußabdrücke auf den Folien bemerkt
tatsächlich niemand!
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