Ich bin gerade im Web-Server der HyboVereinsbank (man möchte es nicht
glauben, aber es ist ... Genau! Eine NT-Kiste!) und schaue, ob man nicht
doch irgendwo an die Mailbox des Service-Teams herankommt. An die
Buchungsschnittstellen kommt man sowieso nicht 'ran; ihr braucht es gar nicht
erst versuchen. Aber was die Leute alles in ihren emails verzapfen, das kann
eine wahre Fundgrube sein: Kreditkartennummern, PINs, ... manche schreiben
sogar ganz ohne Anlaß immer ihre Kontonummer mit ins Subject!
- Ich bin also schon ganz nahe an der Mailbox dran, als Jenny ohne
anzuklopfen in mein Allerheiligstes eindringt. Bevor ich sie wieder
hinausschnauzen kann, sagt Jenny mit schmeichlerischer Stimme, ob ich denn gar
nicht mitbekommen hätte, wie schön draußen das Wetter sei. Ich
gucke erst sie an, dann meine heruntergelassenen Jalousien, dann wieder auf den
Bildschirm. Dann sage ich:
- "Meine lateralen Schutzschilde (= Jalousien) sind so programmiert,
daß sie beim ersten Auftreffen von elektromagnetischer Strahlung
automatisch hoch- bzw. herunterfahren. Und da ich das gut finde, wird
das auch so bleiben."
- Ich konzentriere mich wieder auf die Service-Mailbox. Sie ist so nahe,
daß ich sie schon fast riechen kann. Alle in die Enge getriebenen,
ungeschützten Mailboxen riechen stark nach verschmortem Rindsgulasch (Das
war wieder mal ein kostenloser Tipp, Leute! Schreibt ihn euch
auf!)
- "Aber du verpaßt doch die schönste Zeit im Jahr", beharrt Jenny
hartnäckig wie ein eine Malaria-Mücke, die eine angebrochene,
HIV-verseuchte Blutkonserve gesichtet hat.
Ich nehme seufzend die Finger von der Tastatur. "Was wird das hier eigentlich?
Ein Turing-Test? Eine Aufforderung zur kostenfreien
Kopulation?"
"Nein, nein", sagt Jenny hastig und läuft knallrot an, "ich ... wir
haben ... wir dachten nur, daß wir wieder mal alle zusammen in den
Biergarten vor der Cafeteria zu Mittagessen gehen könnten ...
äh ... und ob du ... ob nicht vielleicht ...
hrrrmmpf ... pffffffhhhhh ..."
- Bevor ich auch nur den Mund öffnen kann, kommt Frau Bezelmann mit
Nero auf der Schulter im Sturmschritt hereingefegt und rupft mit einer
einzigen eleganten Bewegung die Lebensader meiner Workstation aus der
Wand. Die Workstation sagt so etwas wie 'Huuitpfiiiuuuuooooaaaahhh'
und bleibt mit ungesyncten Platten stehen.
- "Das war aber nicht nett!" beschwere ich mich
kühl.
- Im Geiste mache ich mir eine Notiz, Frau Bezelmann bei sämtlichen
Wucherkreditkartengesellschaften auf die schwarze Liste zu setzen. Ihr
wißt schon: die Gesellschaften, die jedem einen Kredit geben und dann mit
der abgesägten Schrotflinte kommen, um die Zinsen einzutreiben. Frau
Bezelmann funkelt mich mit ihren tiefgekühlten, blaßgrünen
Hexenaugen an; Nero, die Schadenfreude in Person, versucht krampfhaft sein
höhnisches Gelächter-Gekrächze unter dem linken Flügel zu
ersticken.
- "Anscheinend der einzige Weg, Sie aus dieser Digitalhöhle zu locken",
zischt Frau Bezelmann triumphierend. "Na, los! Packen Sie Ihre Sonnenbrille
ein; wir gehen jetzt zusammen zum Essen!"
- Ich überschlage rasch, daß der Boot inklusive Plattencheck von
200 GB mindestens 15 Minuten dauern wird, und entschließe mich
mitzugehen. Schließlich muß auch der BAfH irgendwann etwas Nahrung
zu sich nehmen, und die Pizza in der Cafete ist auch nicht viel schlechter als
die, die ich mir normalerweise direkt in meine 'Digitalhöhle' liefern
lasse.
Draußen warten der Chef, der Kollege O., Rinzling und Marianne in der
ekelhaft grellen Sonne, und wir ziehen in geschlossener Kolonne hinunter in den
Biergarten vor der Cafete. Obwohl Semesterferien sind schon alle Bierbänke
in der Sonne mit katholischen, evangelischen und sonstigen Theologen besetzt,
bunt durchmixt mit Kirchengeschichtlern, Alttestamentlern und ein paar
vereinzelten vegetarischen Moraltheologen.
- "Kein Tisch mehr frei", stelle ich genüßlich fest. "Warum gehen
wir nicht gleich in die Kellerbar um die Ecke? Da ist bestimmt weniger Ozon und
man braucht keine Sonnenbrille ..."
- Aber Frau Bezelmann dirigiert uns energisch zum einzigen Biertisch, wo noch
ein paar Plätze frei sind. Wir quetschen uns also wie die Leiter in einem
SCSI-Kabel zusammen auf die bayerisch-rustikale Sitzfläche, Schulter an
Schulter mit einigen Moraltheologen, die natürlich während des Essens
das übliche Gesülze von sich geben
müssen:
- "... und das fand ich unwahrscheinlich gut, du! Weil nur, wenn du dich
auch auf deine Gefühle wirklich
einläßt ..."
"... hat Bolzenschwenger schon 1953 in einer berühmten Predigt
gesagt: die Ehe ist als Institution mehr als die moralische Rechtfertigung
für den sexuellen Akt ..."
"... das hat mich ... also irgendwie, du weißt schon, irgendwie
ganz im Innersten ..."
"... hat doch plötzlich die monogame lebenslange Beziehung für
mich eine ganz andere Bedeutung ..."
- usw.
- Der Kollege O. guckt Nero an und sagt mit Grabesstimme: "Raben sollen
angeblich ihr Leben lang in monogamer Ehe leben ..."
- Nero fixiert den Kollegen O. empört mit seinen giftgelben Augen und
plustert kurz die Federn auf.
Das Gespräch der Moraltheologen stockt; gerade als einer Luft holt, um das
Gesülze wieder auf zu nehmen, sage ich:
- "Dagegen läuft das bei den Stockenten ganz anders: vier Erpel suchen
sich ein Weibchen aus und jagen es bis zur totalen Erschöpfung. Wenn die
Ente schließlich aufgibt, hält ein Erpel sie mit dem Schnabel am
Nacken fest und die anderen vergewaltigen sie reihum."
- Ich blinzele Marianne zu. Die greift mit vollem Mund den Faden
auf:
- "Gottesanbeterinnen fressen ihre Männchen nach dem Bumsen. Bestimmt
auch keine gute Grundlage für eine monogame
Beziehung."
- Die Moraltheologen rücken unruhig hin und her und schauen konzentriert
auf ihre Teller. Der Chef guckt verwundert von einem zum anderen und macht den
Mund auf. Aber bevor er etwas sagen kann, ergreift Frau Bezelmann das
Wort:
- "Tiefseefische!"
"Pardon?" frage ich.
"Tiefseefische", wiederholt Frau Bezelmann mit eisiger Stimme. "Bei denen lebt
das Weibchen auf dem Grund und das Männchen an der Oberfläche. Wenn's
soweit ist, taucht das Männchen hinunter und krallt sich auf dem
Rücken des Weibchens ein. Die Häute weichen an der Stelle auf und
wachsen langsam zusammen, bis das Männchen vom Organismus des Weibchens
absorbiert wird."
"Klasse", sage ich anerkennend. Der Kollege Rinzling starrt uns mit offenem
Mund an.
"Die Gottesanbeter-Methode finde ich trotzdem besser", meint Marianne mit
lauter Stimme und betrachtet gedankenverloren ihr
Cafeteria-Messer.
- Die Moraltheologen haben inzwischen alle das Essen
eingestellt.
- "Noch besser treibt es die anopheles cerebralis Mücke", sagt der
Kollege O. genüßlich schmatzend. "Sobald das Weibchen ein
Männchen ortet, fliegt es mit voller Geschwindigkeit auf es zu und bohrt
seinen Stechrüssel durch die Schädeldecke des Männchens. Dann
saugt sie den Samen aus dem Schädel der Leiche und fliegt
weiter."
"Womit wir fast wieder bei der menschlichen Art der Begattung wären",
kommentiere ich trocken und beiße herzhaft in meine Pizza. "Nur
umgekehrt!"
"Umgekehrt?" fragt Jenny verwundert, die wieder mal zu spät schaltet. "Ach
so: umgekehrt! Haha! Na klar!"
- Die Moraltheologen brechen wie ein Mann ihr Essen ab und räumen den
Tisch. Wir besetzen sofort den frei gewordenen
Bierbankraum.
- "Ah ... ähm ... wunderbar", seufzt der Chef erfreut und
breitet seine Serviette neu aus, "es ... hmm ... es wäre doch
schön ... hrrrm ... schön, wenn man immer ...
äh ... seinen eigenen Tisch ... ähm ... Tisch haben
könnte, nicht wahr?"
Alle nicken zustimmend. Nur der Kollege Rinzling ist etwas grün um die
Nase herum ...
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