Der Chef hat seine Sorge ausgedrückt, daß unsere Rechner eventuell
nicht sicher genug seien. Ich solle mich doch bitte darum kümmern,
daß keine '... äh ... ungebetenen ...
ähm ... ungebetenen Gäste oder ... hmm ... gar
Studenten oder ... hrrrm ... sogar ... äh ... Hacker
hier eindringen, nicht wahr?'
Gleich nach dem täglichen Routine-Scan der User-Email lösche ich
daher sämtliche ausführbaren Programme in den User-Accounts und poste
eine message an alle, daß der Chef sich Sorgen um die Datensicherheit
mache, und daß die größte Virenquelle - wie jeder
wisse - in eingespielten Spielprogrammen und Dokumenten liege, und
daß von nun an jegliche Benutzung fremder Binaries mit dreifachem
Formular bei Frau Bezelmann beantragt und von mir höchstpersönlich
genehmigt werden müsse.
Während noch allgemeines Heulen und Zähneklappern wegen der ganzen
gelöschten Moorhühner und Mahjonngs durch den LEERstuhl hallen, fahre
ich ich die Schutzschilde hoch und richte mich auf einen gemütlichen
Vormittag mit 'Deep Dungeon 9.4' ein. Kaum bin ich auf dem fünften
Level, da läutet das Telefon. Normalerweise würde ich so was meiner
Voice Mail überlassen ("Sie haben die Bastard Hot Mail from Hell erreicht.
Nach dem Piepston haben Sie noch genau 14 Sekunden Zeit, Ihre Daten zu
retten, bevor Ihr Account automatisch gelöscht wird. Rufen Sie diese
Nummer bitte nie wieder an! PIEPS!"), aber heute signalisiert mir der spezielle
Klingelton, daß es sich um einen Anruf an die Cray Hotline des
Rechenzentrums handelt, den mein kleiner Dämon (gestern Nacht ins
Telefonsystem eingespielt) auf meinen Anschluß umgelenkt hat.
Verantwortlicher für eine Cray oder besser noch für eine ganze
Batterie von Crays zu sein, war schon immer mein Wunschtraum! Schließlich
verschieben sich da nochmal ganz gewaltig die Dimensionen: So eine Cray
manipuliert tausendmal mehr Daten tausendmal schneller als eine popelige
Linux-Workstation. Logischerweise kann ein geschickter Assistent damit auch
tausendmal mehr Schaden anrichten (in der gleichen Zeit, meine ich
natürlich!). Ich schalte also Deep Dungeon auf hold und hebe ab.
- "Hallo?" sage ich zuckersüß. "Cray Help Desk, wie kann ich Ihnen
helfen?"
"Ah ... gut daß ich gleich jemanden
erreiche ..."
- Der Anrufer klingt einigermaßen überrascht, woraus ich
schließe, daß die Kollegen im Rechenzentrum normalerweise auch
besseres zu tun haben, als blöde Fragen am Telefon zu
beantworten.
- "... äh ... ich habe heute Nacht auf der Cray 3 einen
neuen Hub gestartet und mir heute morgen die vorläufigen Ergebnisse
ausgeben lassen ... Gibt es einen Grund, warum die Maschine nur zu 56%
ausgelastet ist?"
- Ich habe den Ausredenkalender schon längst aufgerufen, aber irgendwie
klappt heute die Verbindung nach USA nicht so schnell wie sonst; ich bekomme
einfach keine Antwort. Auf nix kann man sich mehr verlassen! Also muß ich
schnell etwas improvisieren:
- "Ja, das muß an der ... äh ... erhöhten
CIA-Abgabe liegen ..."
"CIA?"
"Ja, Sie wissen schon ... der CIA scant doch routinemäßig den
ganzen Internet-Verkehr nach Schlüsselwörtern und seit neuestem auch
noch die ganzen Handy-Kanäle ..."
"Schon, aber was ..."
"... und jeder größere Netzknoten im Internet muß zu
diesem Zwecke den CIA Rechner-Ressourcen kostenlos zur Verfügung
stellen."
"Ach so, stimmt! Davon hab' ich auch schon
gehört ..."
- Was für ein Klugscheißer!
- "Heute nacht war eben die Cray 3 dran", fahre ich wichtig fort. "Das
erklärt natürlich die niedrige Auslastung, weil die CIA-Prozesse
haben immer höchste Prio ... hmm ...", ich klappere ein wenig
mit dem Keyboard, "... ich checke gerade die Memory-Auslastung auf der
Cray 3. Wieviel hatten Sie denn in Ihrem
Prozeß?"
"Wieviel Memory? Oh ... äh ... ich schätze, so etwa
600 Megabyte ..."
"Tja, das schaut schlecht aus. Könnte sein, daß die CIA da kurz
drübergebügelt hat, als heute morgen so gegen vier in neunzehn Emails
gleichzeitig das Wort 'Sahnehäubchen'
vorkam ..."
"Was? 'Sahnehäubchen'?!"
"Deckwort für einen taktischen Atomsprengkopf, soviel ich weiß. Die
CIA-Leute werden da immer ganz nervös, wenn so was passiert ...
Wissen Sie was? Sie sollten sicherheitshalber mal alle Ihre Daten nach dem Wort
'Sahnehäubchen' scannen. Wenn Sie das irgendwo finden, können Sie die
Daten gleich wegschmeißen ..."
"Nach 'Sahnehäubchen' suchen? Aber ... aber das kann ja Stunden
dauern ... Ich habe über 2einhalb TeraByte
Simulationsdaten ..."
- Ich liebe Cray-User!
- "Tja, Sie können es ja auch bleiben lassen", sage ich beiläufig,
"aber wenn dann in Ihrer Dissertation irgendwas Komisches auftaucht und
irgendein Gutachter findet in den Daten das Wort
'Sahnehäubchen' ..."
"Ok, ok", sagt er hastig, "ich scanne die Daten ..."
"Sehr weise! Geben Sie mir mal schnell Ihre email Adresse; dann schicke ich
Ihnen den Rest der Liste rüber."
"Welchen Rest der Liste?"
"Na, die Wörter, nach denen Sie auch noch scannen müssen! Glauben
Sie, der CIA sucht nur nach 'Sahnehäubchen'?!"
- Er gibt mir die Adresse, und ich extrahiere schnell alle Wörter aus
dem letzten bayerischen Verfassungsschutzbericht (6343 Stück) und
schicke sie ihm. Nach meiner Schätzung wird er die nächsten Wochen
hauptsächlich mit Scannen beschäftigt
sein ...
Inzwischen klappt die Verbindung zum Ausredenkalender wieder, und ich schaue
nach, was heute dran gewesen wäre:
- "Biologisches Gel-Pack im Netzknoten infiziert"
- Während ich noch überlege, aus welcher StarTrek-Folge dieser
Schmarrn stammen könnte, klingelt wieder das Telefon. Diesmal ist es ein
lokaler Anruf, aber weil ich schon so in Schwung bin, hebe ich trotzdem
ab.
- "Hallo."
"Hallo? Ich habe ein Problem mit StarOffice. Immer wenn ich eine Graphik
exportieren möchte, stürzt das Ding ab. Woran kann das denn
liegen?"
- Die korrekte Antwort wäre, daß StarDivision inzwischen Microsoft
Office so perfekt abgekupfert hat, daß sogar die gleichen typischen
Bugs auftreten. Statt dessen sage ich:
- "Hm, kann mir schon denken, woran das liegt. Haben Sie ein Terminal-Window
offen?"
"Äh ... ja."
"Tippen Sie mal ein: 'gelpack status'"
- <klickediklackedi>
- "Ähm ... 'gelpack not found', kommt da
zurück ..."
"Dacht' ich's mir doch! In Ihrer Workstation ist auch das Gelpack infiziert.
Das ist jetzt schon das ... äh ... dritte heute
morgen!"
"Gelpack?"
"Ja, klar! Wußten Sie nicht, daß auf den modernen Motherboards der
Bus von einer biologischen Einheit gesteuert wird? Die Dinger heißen
'Gelpacks', weil sie mit so einer glibberigen, durchsichtigen Masse
gefüllt sind ..."
"Ach ja, stimmt! Darüber hab' ich schon mal was
gelesen ..."
- Schon der zweite Klugscheißer heute morgen!
- "Wahrscheinlich kann das Gelpack Ihre Graphik nicht mehr auf die Platte
routen", erkläre ich. "Wenn wir Glück haben, ist es nur eine leichte
Infektion ... Schaun wir mal: tippen Sie mal ein:
'Esberitox'!"
"Häh?"
- Ich buchstabiere es ihm vor, und er tippt es ein.
- "Äh ... 'Esberitox not found' heißt es
hier ..."
"Schlecht!" sage ich bedauernd. "Ganz schlecht. Geben Sie mir mal Ihre
Userkennung; dann installiere ich schnell eine neue Version von 'Esberitox' auf
Ihrem Rechner ..."
- Er gibt sie mir! Ohne mit der Wimper zu zucken! Anfänger! Und so was
studiert an unserem LEERstuhl! Aber nicht mehr
lange ...
<klickediklackedi>
- "Ok, ich bin jetzt auf Ihrer Maschine. Das Gelpack scheint nur leicht
infiziert zu sein. Da genügt eine einfache Infusion mit frischem
Substrat ... Passen Sie auf: Sie gehen jetzt in die nächste Drogerie und
kaufen eine Tube 'Aurora Hair Gel No. 5', das farblose. Haben Sie
das?"
"Äh ... schon, aber ..."
"Dann schalten Sie den Rechner aus, kippen die Maschine um circa dreißig
Grad nach vorne und träufeln die ganze Tube langsam in den
Einfüllstutzen direkt über dem Keyboardanschluß. Dann warten
Sie zehn Minuten und schalten wieder ein."
"Aber sind Sie sicher ...?"
"Ich garantiere Ihnen, danach wird Ihr Rechner nicht mehr derselbe
sein! So eine Substrat-Infusion wirkt immer Wunder bei leichten
Infektionen ..."
- Er verspricht, alles ordnungsgemäß zu erledigen.
Bevor ich mich wieder Deep Dungeon widme, fülle ich noch schnell ein
Meldeformular wegen mutwilliger Hardware-Beschädigung aus. Man muß
immer vorbereitet sein. Es könnte ja sein, daß ich das heute noch
brauchen werde ...
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