11.04.1999 | BASTARD MAILING LIST | © Florian Schiel |
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Ich bin wieder mal knapp bei Kasse. Die neue Fliegerjacke und dann das
Abendessen mit der kleinen Datentypistin aus der Uni-Buchhaltung. Naja, man hat
halt so seine täglichen Ausgaben ... Deshalb stelle ich gleich in der
Früh meinem treuen Finanz-Pseudonym, Dr. Holger Fangutterer, mit Hilfe von
PhotoShop eine Rechnung über diverse Consulting-Dienstleistungen aus,
lasse mir das Ganze von Frau Bezelmann ins SCHWAFEL-Projekt einbuchen und gehe
mit dem Scheck hinüber zu meiner Bank, wo ich ein Konto unter dem Namen
Fangutterer führe. Frau Bezelmann hat natürlich wieder mal die Gelegenheit beim Schopfe ergriffen und mir eine ihrer berühmten Moralpredigten verpaßt. Da ich nun mal ihre Unterschrift unter der Buchung brauche, kann ich in so einem Falle nichts anderes tun als dazustehen, zu lächeln und mir gleichzeitig auszumalen, was ich in einer Stunde mit ihrer Sozialversicherungsnummer anstellen werde. Ich sei immer so weltfremd, giftet sie und funkelt mich mit ihren blitzenden Brillengläsern an. So weltfremd, daß man mir den Bürosessel unterm Hintern wegstehlen könne, und ich würde nix davon mitkriegen und in der Luft sitzen bleiben und weiter in den Bildschirm glotzen. Lächerlich! Schließlich stehe ich fest wie ein Fels in der Brandung im täglichen Chaos des LEERstuhls. Ich werde doch bitteschön weitaus mehr von meiner Umwelt mitbekommen, als Frau Bezelmann mit ihren 6 Dioptrin! Auf beiden Augen! Also, bitte! Auf dem Weg zur Bank mit dem knisternden Scheck in der Hand philosophiere ich zufrieden darüber, was für phantastische Möglichkeiten doch die moderne Computertechnik im speziellen und der bargeldlose Zahlungsverkehr im allgemeinen zu bieten haben. Mit halbem Ohr registriere aus mehreren Richtungen Sirenengeheul; wahrscheinlich hat wieder ein frustrierter Jura-Student, der zum dritten Mal durchs Examen gefallen, den Kopierer im juristischen Seminar angezündet. Weltfremd! Hah! Frau Bezelmann wird sich noch wundern, wenn sie das nächste Mal email lesen will! Ich greife gerade nach dem Türgriff, da wird die Glastüre der Bankfiliale von innen heftig aufgestoßen und ein Typ, der anscheinend noch nicht mitbekommen hat, daß der Fasching schon längst vorbei ist, und daß seit Jahren in Bayern das weltberühmte Vermummungsverbot besteht, rennt voll in mich hinein. Die Maske, die er sich übergestülpt hat, stellt sinnigerweise eines von den drei kleinen Schweinchen dar. Ich kann mich gerade noch an der Türe festhalten und äußere ein paar wohlgesetzte Vergleiche zwischen dem Kerl und ausgewählten Teilen schweinischer Anatomie, während der ungezogene Rempler mit der albernen Maske um sein Gleichgewicht rudert und sich dann doch unsanft auf den eigenen Hosenboden setzt. Das Sirenengeheul ist inzwischen nähergekommen; vermutlich doch kein Brand im Seminar, sondern wiedermal ein Rentner, der auf der Ludwigstraße von einem Betonmischer überrollt worden ist. "Na, und? Was sagt man in so einem Falle?" frage ich ungnädig und entferne sorgfältig ein Stäubchen von meiner neuen Fliegerjacke. Aber der Typ denkt gar nicht daran, sich zu entschuldigen; hab' ich eigentlich auch nicht erwartet. Statt dessen rappelt er sich auf, als ob der Asphalt brennen würde, blickt wild um sich, brüllt "Scheiße!" und schleudert mir eine ziemlich massive Kugel direkt vor die Brust. Ich hatte schon immer gute Reflexe; die braucht man einfach, wenn man dauernd den richtigen Zeitpunkt zum Unterbrechen von suid-Skripten abpassen muß. Deshalb fange ich instinktiv die Kugel mit der rechten Hand auf, bevor sie mir vielleicht noch einen Flecken auf die neue Fliegerjacke macht. Während ich noch das schwere geriffelte Metallding mit dem komischen Aufhänger dran betrachte und überlege, daß ich so was doch schon irgendwo mal gesehen habe, hechtet der Karnevals-Freak in die nächste Toreinfahrt und ist futsch. Ich gucke vorsichtig durch die Glastüre, ob da vielleicht noch ein böser Wolf hinterherkommt, aber da drin rührt sich gar nix, wenn man davon absieht, daß ein Haufen Leute auf dem Boden liegen und anscheinend nach einer Kontaktlinse suchen, die ein Kunde gerade verloren hat. Zwei Streifenwagen mit Blaulicht und Sirene schleudern plötzlich um die Ecke und bleiben mit quietschenden Reifen vor dem Cafe schräg gegenüber stehen. Wahrscheinlich 'ne Schlägerei unter den Gästen, denke ich achselzuckend. Geht mich ja nix an. Ich ziehe die Türe zur Bank auf und gehe hinein, um die komische Kugel abzugeben und endlich meinen Scheck zu cashen. Die Leute hatten anscheinend gerade die Kontaktlinse gefunden und waren am aufstehen, aber in dem Moment wo ich hereinkomme, muß irgend jemand das blöde Ding wieder fallengelassen haben, und alle tauchen wieder auf den Boden ab. Meine Lieblingsberaterin, die kleine Blonde mit den hohen silbernen Stilettos und den Augenwimpern, die man klappern hören kann, wenn man genau hinhört, steht wie üblich hinter ihrem Schalter. Aber heute morgen scheint irgend etwas mit ihrem Make-up schiefgegangen zu sein. Kalkweiß wie die Wand, das arme Mädchen. Wahrscheinlich total verkatert. Ich lege die Kugel auf die Theke, aber bevor ich noch etwas Tröstendes über ihre Zustand sagen kann, kreischt sie so hysterisch los, wie wenn 2000 weiße Ratten auf einmal den Raum überschwemmen würden. Erschrocken mache ich einem Schritt nach hinten und stolpere über einen der Kunden, die immer noch nach der Kontaktlinse suchen. Als ich mich entschuldigen will, sehe ich, daß der Kerl völlig weggetreten ist. Total verdrehte Pupillen. Armer Teufel. Einfach den morgendlichen Joint etwas überdimensioniert. Kann jedem mal passieren. Ich tue so, als ob ich nichts bemerkt hätte, um den armen Typen nicht noch mehr in Schwierigkeiten zu bringen. Vielleicht wacht er ja rechtzeitig wieder auf, bevor die anderen die Linse gefunden haben. Allerdings kreischt meine Beraterin immer noch, was das Zeug hält, und als ich mich ratlos an den Filialleiter wenden will, hechtet der plötzlich mit einem olympiareifen Satz aus seinem Sessel durch die meterhohen Topfpflanzen außer Sichtweite. Irgendwie sind die alle heute etwas weggetreten, denke ich und beschließe, später nochmals vorbeizukommen, wenn die Leute ihre erste Kaffeepause hinter sich haben. Und da sagt Frau Bezelmann ICH wäre weltfremd! Hah! Die sollte sich mal hier umschauen! Das reinste Irrenhaus! Draußen vor der Bank merke ich, daß ich immer noch die blöde Eisenkugel in der Hand halte. Zwei etwas korpulente Polizisten, die auch gerade in die Bank wollten, glotzen mich einen Moment lang an, als ob ich die Freiheitsstatue wäre; dann hechten sie sich hinter die Recycling-Container, die an der Ecke stehen. Irgendwo die Straße weiter unten quäkt ein Autolautsprecher mit irrer Lautstärke völlig unverständliches Zeug; bestimmt wieder der blöde Blutspendedienst vom Roten Kreuz, wo man sich, wenn man lebensmüde ist, freiwillig von modernen Vampiren leer saugen lassen kann, die dann deinem Lebensstoff für teures Geld verscherbeln und damit auf den Malediven Urlaub machen. Alle total bekloppt heute, denke ich kopfschüttelnd. Aber die Recycling-Container bringen mich wenigstens auf eine gute Idee. Ich gehe rasch hinüber und lasse unauffällig die Metall-Kugel in die Blechsammeltonne fallen. Jetzt bin ich das Ding wenigstens los. Der Typ mit der Schweinsmaske sah sowieso nicht so aus, als ob er noch sehr viel Wert darauf legen würde. Erledigt. Sauber entsorgt. Und da behauptet Frau Bezelmann, ich wäre weltfremd! Hinter den Containern höre ich die beiden Polizisten miteinander flüstern. Wer weiß, was die da wieder für Schweinszeug veranstalten. Bloß nicht drum kümmern; das bringt nur Ärger! Ich bin kaum über die Straße, da scheppert es hinter mir, als ob ein CocaCola-Laster umgefallen wäre. Autounfall. Schon wieder! Als erfahrener City-Bewohner läßt mich so was völlig kalt. Bloß schnell weg, bevor sie einen am Ende noch für irgendwelche Zeugenaussagen zum Polizeirevier abschleppen. Ich schlüpfe rasch in die Sicherheit des Institutsgebäudes und in den wartenden Fahrstuhl. Gerettet. Später am Nachmittag sitze ich im 'Cafe zum faulen Studenten' und blättere durch die druckfrische Abendzeitung. "Brutaler Banküberfall mit Handgranate!" steht fett auf der Titelseite. Klar, passiert hier ja sowieso jeden Tag. Käme mir ja schon komisch vor, wenn mal ein Tag vorbeiginge, ohne daß so ein Wahnsinniger für eine Handvoll Mäuse sein Leben riskieren würde. Muß irgendwie die selbe Sorte Leute sein, die immer dann, wenn ich dringend wo hin muß, hartnäckig versucht, vor die U-Bahn zu springen. Ich gucke mir das Täterphoto an, das wie üblich total verwackelt ist. Warum zum Teufel verwenden die Banken keine hochauflösenden CCD-Kameras? Der Bankräuber schien überhaupt keine Sorge zu haben, daß er vielleicht wiedererkannt werden könnte: keinen Strumpf über dem Kopf, nicht mal eine dunkle Sonnenbrille. In der linken Hand hält er tatsächlich so etwas, was mit viel Phantasie als Handgranate durchgehen könnte. Aber wahrscheinlich haben nur die Zeugen in ihrer Panik alles Mögliche in ihre Aussagen hinein phantasiert. Hah! Mir würde das nicht passieren! Schließlich habe ich meine Umgebung immer voll unter Kontrolle, auch in Streßsituationen. Voller Durchblick! Von wegen weltfremd! Ich überlege einen Moment lang, was mir an dem Bild so bekannt vorkommt. Aber es fällt mir nicht ein und ich blättere weiter nach hinten zu den Funny Pages. |
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