19.03.1999 | BASTARD MAILING LIST | © Florian Schiel |
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Ich sitze im Cafe 'Zum faulen Studenten' und schlürfe genüßlich
meine Wiener Melange. Für den oberflächlichen Beobachter könnte
es so außehen, als würde ich bloß das Büro
schwänzen; bei genauerem Hinsehen ist zu bemerken, daß ich mein
Dienst-Handy angeschaltet vor mir auf dem Tisch liegen habe. Das bedeutet, es
handelt sich nicht um pures Kaffeetrinken, sondern um einen
Dienstgang. Für diejenigen, die mit dem Beamtengesetz nicht so vertraut sind: Ein Dienstgang unterscheidet sich von einem normalen Faulenzen dadurch, daß man dafür auch noch extra Auslagen, zum Beispiel für die Schuhabnutzung (DM 0,067 / Stunde) oder sonstige Spesen (Wiener Melange) ersetzt bekommt. Man braucht lediglich einen Auftrag, der es erfordert, den Arbeitsplatz zu dienstlichen Zwecken zu verlassen. Gestern kam der Chef von einer dreitätigen Selbst-Bauch-Pinselungs-Veranstaltung der Firma S. zurück. Die Firma S. hat - wie jede ordentliche Firma, die nicht weiß, was mit ihren ganzen Gewinnen anfangen soll, aber als allerletztes an die Neueinstellung von Angestellten denkt - gemietete Kunstwerke in allen Räumen, wohin sich vielleicht mal ein Kunde hin verlaufen könnte oder wo vielleicht irgendwann einmal in einer ungewissen Zukunft der Vorstandsvorsitzende durchhuschen könnte. (Da wo die eigentliche Arbeit stattfindet, überlegt man gerade, ob es sich wirklich noch lohnt, Damentoiletten einzubauen!). Der Chef war begeistert! Sofort nach seiner Rückkehr ordnet er an, daß auch der LEERstuhl unbedingt durch geschmackvolle Mietkunst zu verschönern sei. Da ich angeblich "... ähm ... über ... hmm ... über die meiste ... äh.. Erfahrung mit ... mit ... hmm ... das heißt ... äh ... das größte Verhandlungs ...äh ... geschick ..." verfüge, wird der ehrenvolle Auftrag sofort auf mich abgewälzt. Und deshalb bin ich jetzt hier auf meinem Dienstgang und warte auf die ersten Künstler. Wirkliche Künstler darf man bekanntlich nicht so unvorbereitet an einen LEERstuhl bringen; da werden Sie nervös und kommen vielleicht auf den unangenehmen Gedanken, daß Sie ihr ganzes bisheriges Leben nur dumm mit Wachsmalkreide 'rumgespielt haben, anstatt in der Akademie einen Haufen attraktiver Studentinnen beim Tonmodellieren anzuleiten. So was kann sich sehr demotivierend auswirken und das weitere künstlerische Werk entscheidend negativ beeinflussen. Ich denke, das reicht erstmal als Begründung für meinen Dienstgang, nicht? Da die Künstler erwartungsgemäß auf sich warten lassen, spiele ich mit den Dienst-Handy herum. Nichts klingt so gräßlich wie klassische Musik, die von einem Piezo mit 100 Hz Bandbreite wiedergegeben wird. Deshalb wähle ich die 78. Symphonie von Mozart als Klingelsignal aus und stelle auf volle Lautstärke. Dann lasse ich das Ding ein Dutzend Mal zur Probe düdeln. Mit ein bißchen Glück kann man mit so was einen wunderschönen Montag-Morgen-Kaffeehaus-Streit vom Zaun brechen. Aber lediglich der angegraute akademische Oberrat am Nebentisch raschelt zornig mit seiner ZEIT und wirft mir einen vernichtenden Blick zu. Ich seufze leise. Die Akademiker sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Kein Kampfgeist mehr. Noch vor 40 Jahren hätte mich der Typ öffentlich gevierteilt, meine Bücher vor dem Universitätsportal verbrannt und später um Mitternacht auf meinem Grab getanzt. Schon gegen elf taucht der erste Künstler auf. Er ist ziemlich klein, mager, hat - wie es sich gehört - eine mächtige Künstlermähne und den typischen, leicht glasigen Schwabing-Blick, den Thomas Mann einmal auf die Tatsache zurückgeführt hat, daß die Schwabinger Künstler sich de facto nur von billigem Rotwein ernähren. Er hat einen riesigen Packen Bilder dabei, die er auf unserem Tisch ausbreitet. Ich gucke mir alles schweigend an. Dann sage ich: "Haben Sie nichts Progressiveres? Ist ja alles ganz schön, aber wir sind schließlich ein technisches Institut, sozusagen an der vordersten Front der unerbittlich dahinstampfenden Technologie. Da können wir uns echt keine Blümchen an die Wände hängen, echt nicht!" Die nächste Kandidatin - eine unglaublich große, unglaublich magere, mittelältliche Dame mit einem blauen und einem braunen Auge - hat nur ein einziges Bild dabei: ein gewaltiger Ölschinken, der nicht mal durch die Eingangstüre des Cafes paßt. Also schauen wir uns das Bild auf der Straße an, unter dem teilnehmenden Interesse der Passanten. Das Bild stellt ungefähr das bildlich dar, was passiert, wenn man zum ersten Mal einen pan-galaktischen Donnergurgler auf nüchternen Magen verpaßt bekommt. Der Titel ist 'Was Gott empfunden hat, als ihm klar wurde, daß alles eine Fehlinvestition war'. Obwohl ich das Ding grandios finde, muß ich die hoffnungsvolle Künstlerin leider abweisen, erstens weil ein 4m hohes Bild nicht in unsere Institutsgänge paßt, zweitens weil sie bis jetzt nur dieses eine Bild gemalt hat - und dafür 7einhalb Jahre gebraucht hat. Der nächste Künstler schaut aus wie ein süd-bolivianischer Versicherungsagent, der gerade seine Urgroßmutter als Hostess für die EXPO 2000 vermittelt hat. Er hat überhaupt keine Bilder dabei, sondern einen Laptop, auf dem man sich die Scans seiner Bilder angucken kann. Die Verhandlungen gestalten sich etwas schwierig, weil der Künstler nur spanisch beherrscht; dafür spricht er doppelt so schnell. Die Preise sind horrend. Als in seinem Katalog plötzlich die Mona Lisa auftaucht, frage ich ihm harmlos, wann er denn dieses Bild gemalt habe. Der Typ wechselt angestrengt den erloschenen Zigarrenstummel in den anderen Mundwinkel, starrt mit zusammengekniffenen Augen etwas unsicher auf das Display und nuschelt, daß das möglicherweise ein 'Amigo' vom ihm gemalt hätte ... Vier Künstler weiter beschließe ich, die Sache lieber selbst in die Hand zu nehmen. Am nächsten Tag reißt jemand meine Tür auf, obwohl ich die Schilde hochgefahren habe. Natürlich ist es der Chef. Er erkundigt sich nach dem Stand der Dinge in Sachen Mietkunst. Ich sage, daß schon alles erledigt sei, und erläutere dem Chef die Exponate. (Beginn pädagogisch wertvoller Einschub:Im Eingangsbereich hängen 4 vergammelte Bilderrahmen, die ich vom Trödler um die Ecke habe liefern lassen - allerdings ohne Bilder! Der Einfachheit halber - und weil ich keinen Hammer finden konnte - hängen die Dinger an den Haken, wo früher die Aschenbecher festgemacht waren. Durch die leeren Rahmen sieht man die schmutzig-graugrünen Wände, die das letzte Mal kurz nach dem Bombenangriff 1944 gestrichen wurden. Fingerabdrücke unzähliger Studentengenerationen, Reste von Tesabändern und undefinierbare braune Spritzer runden das Ganze etwas ab.
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