Auf dem Server B laufen über 100 Prozesse von einem Studenten,
der es offensichtlich spaßig findet, jede Aufgabe in winzige Teilprobleme
zu zerlegen und dann den Rechner mit Prozessen vollzuknallen. Um ihm noch mehr
Spaß zu bereiten, starte ich einen Cronjob, der alle seine Prozesse mit
ungeradzahligen IDs nach 1 Minute killt. Mal sehen, ob er von selber drauf
kommt, was da abgeht ...
Danach hole ich mir eine neue Koffein-Infusion und schlendere hinüber ins
PC-Labor. Zeit für die wöchentliche Maus-Pflege. Ich kontrolliere
alle Mausefallen, die wir seit der Verlegung des neuen Netzes aufstellen
mußten - anscheinend haben die Mäuse innerhalb kürzester
Zeit die modernen Kabelschächte als den wahren Daten-Super-Highway
erkannt: Es lebe der Fortschritt! Einer toten Maus entnehme ich mit der
Pinzette ein Büschel Fell und verteile die Haare sorgfältig in ihre
anwesenden Computer-basierten Kollegen. Während ich noch so
beschäftigt bin, kommen zwei total verpickelte Diplomanden
herein.
Manchmal denke ich wirklich, mal sollte an einer technischen Universität
noch viel mehr Spiegel aufhängen. Spiegel in jedem Treppenaufgang, Spiegel
in den Hörsälen, Spiegel in der Tiefgarage. Wahrscheinlich
könnte man damit die Suizid-Rate unter den Studenten noch schneller in die
Höhe treiben, als mit hohen Durchfallquoten im Vordiplom. Einziger
Nachteil wäre, daß die ganzen Spiegel wohl dauernd mit
Eiterspritzern verunreinigt wären ...
Und die Dozenten sollten im Gegenzug speziell entwickelte Sonnenbrillen
bekommen, die die Wellenlänge von frisch ausgeblühter Akne
herausfiltern! Schließlich arbeiten wir im tag-täglichen Angesicht
der roten Gefahr! Aber wer hört schon auf mich ...
Ohne mich zu beachten (sic!), fahren die beiden Diplomanden mit ihrer
lautstarken Diskussion fort, die sie anscheinend schon in der U-Bahn begonnen
haben. Es handelt sich um das typische
'Ich-hab-gar-nichts-am-Code-gändert-und-jetzt-geht-es-nicht-mehr'-Gespräch,
das man bei Diplomanden im zweiten Monat, bei Doktoranden im zweiten Jahr und
bei Professoren im zweiten Jahrzehnt am häufigsten beobachten kann:
- "... und wenn ich dann den Pointer auf die enumerated structure an die
Funktion ZURÜCKGEBE, steht plötzlich eine NULL drin und es gibt
natürlich einen segmentation fault ...
"... mhm ..."
"... aber das Wahnwitzige ist: unmittelbar vor dem Call kann ich sie noch
de-referenzieren! Sie KANN also gar nicht zu NULL gesetzt werden. Kapierst Du
das? D a s k a n n
e i g e n t l i c h
g a r n i c h t
s e i n !"
"... <teilnehmender Grunzer> ..."
"... ich glaube, ich werde noch wahnsinnig! Der Pointer darf gar nicht auf
NULL referenzieren! Wie kann das überhaupt
sein?! ..."
"... <nachdenklicher Grunzer> ..."
"... ist vielleicht das OS selber korrupt? Oder hat der Compiler einen
bug? ..."
"... <verneinender Grunzer> ..."
"... es gibt einfach keine vernünftige Erklärung! Es dürfte
eigentlich gar nicht passieren ..."
"... mhm ..."
"... it's magic ..."
- Ich halte es an der Zeit, pädagogisch lenkend
einzugreifen.
- "Natürlich gibt es eine Erklärung", sage ich
streng.
- Die beiden Pickelgesichter gucken mich an.
- "Es gibt immer eine logische Erklärung; alles andere wäre nicht
wissenschaftlich, und schließlich sind wir hier an einer technischen
Hochschule und nicht im Zirkus ..."
- Die Diplomanden lauschen ergriffen und merken nicht mal, was für einen
galaktischen BULL SHIT ich da verzapfe. Wenn bei uns im Institut immer alles
nach streng logischen Regeln ablaufen würde, wäre Frau Bezelmann
schon längst an Langeweile eingegangen.
- "Aber", wagt der eine hartnäckig einzuwenden, "wenn man keine logische
Erklärung finden kann ..."
"Die Frage ist nicht", sage ich unerbittlich, "ob es eine logische
Erklärung gibt oder nicht - die gibt fast es immer -, sondern
vielmehr, ob uns eine Erklärung gefällt oder nicht. Wenn jemandem
eine Erklärung nicht gefällt, dann glaubt er nicht an sie; und wenn
der Mensch etwas nicht glaubt, führt er tausend scheinbare Gründe
dagegen an - auch wenn sie noch so an den Haaren herbeigezogen sind. Und
der größte Witz ist, daß die meisten anderen Menschen das auch
noch so akzeptieren - im Normalfall
jedenfalls ..."
- Beide Studenten protestieren aufs heftigste. Das Wort 'Glaube' ist für
Ingenieursstudenten bekanntlich so etwas wie 'MMX Interface Cache Microcode'
für eine protestantische Pastorengattin. Demzufolge halten sie es für
absolut irrelevant. Daß ihr ganzes mickriges Leben auf Glauben aufgebaut
ist - wobei 'Glaube' hier natürlich nicht theologisch gemeint
ist -, kapieren nur die Wenigsten. Zum Beispiel glauben fast alle
Studenten, daß ihre Prüfungsaufgaben objektiv und von drei
unabhängigen Prüfern nachgerechnet werden. Einfach
lachhaft!
- "Wenn das so ist", sagt der Grunzer angriffslustig, "was glauben SIE denn,
was diesen Programmabsturz da bewirkt ...?"
"Simpel", sage ich, "in dem Programm ist ein Bug!"
- Beide Studenten stöhnen ungläubig.
- "Aber diese naheliegenste Erklärung gefällt Ihnen nicht
(wahrscheinlich weil es Ihre Ehre als Code-Stricker angreift) und deshalb
glauben Sie auch nicht daran ..."
"... aber ..."
"... der Bug ist übrigens in Zeile 568, im Modul
load_sequenzer!"
"Was??? Aber woher ...?"
- Aber ich bin schon längst draußen und auf dem Weg zu meinem
sicheren Büro.
Muß ich noch extra erwähnen, daß die wöchentlich
Mauspflege ziemlich langweilig ist, und ich deshalb letzte Woche so ganz
nebenbei ein paar Pointer in den Studentenprojekten verbogen habe? Ich glaube
nicht ...
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