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15.02.1999 BASTARD   MAILING   LIST   © Florian Schiel
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Auf dem Server B laufen über 100 Prozesse von einem Studenten, der es offensichtlich spaßig findet, jede Aufgabe in winzige Teilprobleme zu zerlegen und dann den Rechner mit Prozessen vollzuknallen. Um ihm noch mehr Spaß zu bereiten, starte ich einen Cronjob, der alle seine Prozesse mit ungeradzahligen IDs nach 1 Minute killt. Mal sehen, ob er von selber drauf kommt, was da abgeht ... 
Danach hole ich mir eine neue Koffein-Infusion und schlendere hinüber ins PC-Labor. Zeit für die wöchentliche Maus-Pflege. Ich kontrolliere alle Mausefallen, die wir seit der Verlegung des neuen Netzes aufstellen mußten - anscheinend haben die Mäuse innerhalb kürzester Zeit die modernen Kabelschächte als den wahren Daten-Super-Highway erkannt: Es lebe der Fortschritt! Einer toten Maus entnehme ich mit der Pinzette ein Büschel Fell und verteile die Haare sorgfältig in ihre anwesenden Computer-basierten Kollegen. Während ich noch so beschäftigt bin, kommen zwei total verpickelte Diplomanden herein. 
Manchmal denke ich wirklich, mal sollte an einer technischen Universität noch viel mehr Spiegel aufhängen. Spiegel in jedem Treppenaufgang, Spiegel in den Hörsälen, Spiegel in der Tiefgarage. Wahrscheinlich könnte man damit die Suizid-Rate unter den Studenten noch schneller in die Höhe treiben, als mit hohen Durchfallquoten im Vordiplom. Einziger Nachteil wäre, daß die ganzen Spiegel wohl dauernd mit Eiterspritzern verunreinigt wären ... 
Und die Dozenten sollten im Gegenzug speziell entwickelte Sonnenbrillen bekommen, die die Wellenlänge von frisch ausgeblühter Akne herausfiltern! Schließlich arbeiten wir im tag-täglichen Angesicht der roten Gefahr! Aber wer hört schon auf mich ... 
Ohne mich zu beachten (sic!), fahren die beiden Diplomanden mit ihrer lautstarken Diskussion fort, die sie anscheinend schon in der U-Bahn begonnen haben. Es handelt sich um das typische 'Ich-hab-gar-nichts-am-Code-gändert-und-jetzt-geht-es-nicht-mehr'-Gespräch, das man bei Diplomanden im zweiten Monat, bei Doktoranden im zweiten Jahr und bei Professoren im zweiten Jahrzehnt am häufigsten beobachten kann:
"... und wenn ich dann den Pointer auf die enumerated structure an die Funktion ZURÜCKGEBE, steht plötzlich eine NULL drin und es gibt natürlich einen segmentation fault ... 
"... mhm ..." 
"... aber das Wahnwitzige ist: unmittelbar vor dem Call kann ich sie noch de-referenzieren! Sie KANN also gar nicht zu NULL gesetzt werden. Kapierst Du das? D a s   k a n n   e i g e n t l i c h   g a r   n i c h t   s e i n !" 
"... <teilnehmender Grunzer> ..." 
"... ich glaube, ich werde noch wahnsinnig! Der Pointer darf gar nicht auf NULL referenzieren! Wie kann das überhaupt sein?! ..." 
"... <nachdenklicher Grunzer> ..." 
"... ist vielleicht das OS selber korrupt? Oder hat der Compiler einen bug? ..." 
"... <verneinender Grunzer> ..." 
"... es gibt einfach keine vernünftige Erklärung! Es dürfte eigentlich gar nicht passieren ..." 
"... mhm ..." 
"... it's magic ..." 
Ich halte es an der Zeit, pädagogisch lenkend einzugreifen. 
"Natürlich gibt es eine Erklärung", sage ich streng. 
Die beiden Pickelgesichter gucken mich an. 
"Es gibt immer eine logische Erklärung; alles andere wäre nicht wissenschaftlich, und schließlich sind wir hier an einer technischen Hochschule und nicht im Zirkus ..." 
Die Diplomanden lauschen ergriffen und merken nicht mal, was für einen galaktischen BULL SHIT ich da verzapfe. Wenn bei uns im Institut immer alles nach streng logischen Regeln ablaufen würde, wäre Frau Bezelmann schon längst an Langeweile eingegangen. 
"Aber", wagt der eine hartnäckig einzuwenden, "wenn man keine logische Erklärung finden kann ..." 
"Die Frage ist nicht", sage ich unerbittlich, "ob es eine logische Erklärung gibt oder nicht - die gibt fast es immer -, sondern vielmehr, ob uns eine Erklärung gefällt oder nicht. Wenn jemandem eine Erklärung nicht gefällt, dann glaubt er nicht an sie; und wenn der Mensch etwas nicht glaubt, führt er tausend scheinbare Gründe dagegen an - auch wenn sie noch so an den Haaren herbeigezogen sind. Und der größte Witz ist, daß die meisten anderen Menschen das auch noch so akzeptieren - im Normalfall jedenfalls ..." 
Beide Studenten protestieren aufs heftigste. Das Wort 'Glaube' ist für Ingenieursstudenten bekanntlich so etwas wie 'MMX Interface Cache Microcode' für eine protestantische Pastorengattin. Demzufolge halten sie es für absolut irrelevant. Daß ihr ganzes mickriges Leben auf Glauben aufgebaut ist - wobei 'Glaube' hier natürlich nicht theologisch gemeint ist -, kapieren nur die Wenigsten. Zum Beispiel glauben fast alle Studenten, daß ihre Prüfungsaufgaben objektiv und von drei unabhängigen Prüfern nachgerechnet werden. Einfach lachhaft! 
"Wenn das so ist", sagt der Grunzer angriffslustig, "was glauben SIE denn, was diesen Programmabsturz da bewirkt ...?" 
"Simpel", sage ich, "in dem Programm ist ein Bug!" 
Beide Studenten stöhnen ungläubig. 
"Aber diese naheliegenste Erklärung gefällt Ihnen nicht (wahrscheinlich weil es Ihre Ehre als Code-Stricker angreift) und deshalb glauben Sie auch nicht daran ..." 
"... aber ..." 
"... der Bug ist übrigens in Zeile 568, im Modul load_sequenzer!" 
"Was??? Aber woher ...?" 
Aber ich bin schon längst draußen und auf dem Weg zu meinem sicheren Büro.
Muß ich noch extra erwähnen, daß die wöchentlich Mauspflege ziemlich langweilig ist, und ich deshalb letzte Woche so ganz nebenbei ein paar Pointer in den Studentenprojekten verbogen habe? Ich glaube nicht ...
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