---
05.02.1999 BASTARD   MAILING   LIST   © Florian Schiel
zurück 
Year 2000
Bungaria weiter 
Education
---  
Eines der ungeschriebenen und dennoch felsenfest verankerten Gesetze an deutschen Universitäten lautet: Der Professor beginnt ein sinnloses Projekt und die Assis müssen's zu Ende führen! 
Eines Tages komme ich ins Büro und erfahre von Frau Bezelmann, daß es dem Chef trotz vereinter Kontroll- und Sicherheitsmaßnahmen gelungen ist, sich unbemerkt an einem neuen EG-Projekt zu beteiligen. 
EG-Projekte sind für Uni-Assistenten so etwa wie das Weihwasser für den Teufel: Sie haben meistens schwachsinnige Themen ('Migrationsverhalten der europäischen Kurzwedelhaar-Eule'), verbrauchen mehr Ressourcen als sie einbringen und haben einen bürokratischen Overhead, der selbst der Firma Siemens alle Ehre machen würde. Und wenn man Pech hat, wird man aufgefordert, sich auch noch am Nachfolge-Projekt zu beteiligen!
Das neue EG-Projekt heißt 'BLIMP'. 'BLIMP' steht für 'Bungaria Life Intelligent Mobile Project'. Wie üblich kann sich darunter niemand etwas vorstellen, weshalb der Chef in einem eilig anberaumten Strategie-Meeting die Details erläutert: 
"... hmm ... ja ... also, Kern des ... äh ... Projektes ist die Entwicklung ... hmm ... der Entwurf ... äh ... eines Automobils, daß ... ähm ... daß bungarisch versteht und ... äh ... auch spricht ..." 
"Bungarisch?" 
"... äh ... ja ... hmm ... so steht es hier im ... ähm ... Bewilligungsschreiben ... äh ... 'in bungarischer Sprache' ... äh ... und deshalb auch die ... hmm ... Partner an der University of Bungaria, die ... äh ... vor allem mit uns zusammen ... äh ... zusammenarbeiten sollen, ja ..." 
Der Chef legt das Papier zur Seite und schaut uns prüfend über den Rand seiner Lesebrille an, ob vielleicht einer dabei ist, der NICHT weiß, wo das Land Bungaria liegt. Niemand sagt etwas. 
"Nun ... äh ... naja, die Einzelheiten und ... äh ... können Sie ja dann dem ... äh ... Technical Annex entnehmen ... ja .... äh ... Danke, meine Herren ..." 
Und mit diesem Worten eilt der Chef zum nächsten Termin, damit er ja noch rechtzeitig seinen Weihnachtsurlaub antreten kann. Und wir sitzen da - mit dem 'Technical Annex', zu deutsch Katastrophenbeschreibung, in der Hand.
Als erstes gehen der Kollege O. und ich in die Bibliothek und schauen im Atlas nach, wo Bungaria liegt. Irgendwie haben wir noch die vage Hoffnung, daß es das Land gar nicht gibt, oder daß es letzte Woche in die Luft gesprengt wurde, oder vielleicht im Meer versunken ist, oder daß der letzte Bungare mit dem heutigen Tag seine triste Heimat verlassen hat und nach Australien ausgewandert ist. Aber leider gibt es nicht nur das Land, es hat sogar angeblich 134.000 Einwohner und als einziger Exportartikel sind tatsächlich PKW aufgeführt. 
Zuerst versuchen wir es - wie immer - mit 'FUD'. 
'FUD' steht für 'Fear, Uncertainty, Doubt' und ist möglicherweise die einzige bleibende Kulturerrungenschaft, die Bill Gates seiner Nachwelt hinterlassen wird. 'FUD' kommt immer dann zur Anwendung, wenn man ein unliebsames Projekt, einen störenden Konkurrenten oder eine staatliche Regulierungsbehörde nicht kaufen kann.  
Da das Budget für Bestechungsgelder am LEERstuhl naturgemäß sehr begrenzt ist, bin ich ein begeisterter Anhänger der 'FUD'-Strategie, wenn es darum geht, ein Projekt zu torpedieren. (Außerdem wüßte ich sowieso nicht, womit sich ein Bungare bestechen ließe ...)
In Laufe der nächsten Meetings lasse ich beiläufige Bemerkungen fallen, wie: 
"... übrigens ist in Bungaria eine neue, sehr ansteckende Form der Hepatitis ausgebrochen, bei der einem innerhalb von zwei Stunden die Leber vertrocknet ..." 
"... habe gehört, daß die bungarische Inflationsrate jetzt die 10000%-Marke durchbrochen hat ..." 
"... in CNN kam gerade die Nachricht, daß vorgestern der bungarische Präsident mit dem gesamten Staatshaushalt nach Ecuador geflohen ist ..." 
"... wußten Sie eigentlich, daß bungarische Frauen ihren Ehemännern in der Hochzeitsnacht die Zunge an der Unterlippe festnähen ...?" 
"... erst kürzlich im Reader's Digest gelesen, daß die traditionelle bungarische Gastfreundschaft erfordert, daß der Gast in der ersten Nacht die Hausziege schwängert ..." 
Leider prallen alle meine 'FUD'-Versuche am Chef ab wie Hornissen an einer anfliegenden SS25 - entweder, weil er meine Taktik durchschaut hat, oder weil er sowieso nicht zuhört.
Keine drei Tage später stehen drei bungarische Wissenschaftler vor meiner Türe. Sie sind zu einem ersten 'Kick-Off-Meeting' eingeflogen - Business-Class, versteht sich! Komischerweise haben alle blaue Baseball-Kappen und weiße Ohrenschützer auf und zwei bis drei prall gefüllte Aldi-Tüten in der Hand. Der größte Bungare hat einen beeindruckenden schwarzen Schnauzbart, heißt 'Ourgi' und kann sogar etwas Englisch. Die anderen beiden schauen nur finster und schweigen beharrlich während des ganzen zweitägigen Meetings. Zum Glück sind die Bungaren die meiste Zeit sowieso in der Stadt, um weitere Aldi-Läden auszuräumen und die großzügigen EG-Tagegelder zu verprassen, so daß der Stress des Meetings sich - zumindest für uns - in Grenzen hält. 
Während Ourgi im ersten Meeting versucht, uns das komplizierte Innen-Design bungarischer PKWs näherzubringen, schaue ich unauffällig im 'Technical Annex' unter 'Travel' nach: Auf deutscher Seite sind drei Dienstreisen nach Bungaria vorgesehen, auf bungarischer Seite sechsundzwanzig! 
Es stellt sich heraus, daß das neueste und bisher einzige bungarische Auto-Modell beim letzten Automobil-Salon in Paris großes Aufsehen erregt hat, weil die bungarischen Designer 40 Jahre hinter der Entwicklung herhinken. Bekanntlich haben alle Stilrichtungen nach ca. 40 Jahren ein Revival, so daß die Bungaren mit ihrem 50iger-Jahre-Design Furore machten. 
Daß sie trotzdem keine einzige Bestellung nach Hause brachten, lag nur an der Tatsache, daß die bungarischen Ingenieure ärgerlicherweise den Rückwärtsgang vergessen hatten, und sich eine der französischen Messe-Hostessen dummerweise an den bungarischen Sicherheitsgurten zu Tode strangulierte. Die Bungaren hoffen, diese 'kleinen Schönheitsfehler' mit Hilfe unserer Multi-Media-Technologie bis zum nächsten Auto-Salon wieder auszugleichen. Dann geht Ourgi für den Rest des Meetings zu einer detaillierten Beschreibung des Pariser Nachtlebens über, wobei er frische Erfahrungswerte aus dem Münchner Bahnhofsviertel mit einstreut. Seine Mitarbeiter, die offensichtlich gar kein Englisch verstehen, vertreiben sich derweil die Zeit damit, literweise Kaffee in sich hineinzuschütten und Frau Bezelmanns Möhrenkekse aufzufressen. (Sie sind übrigens die ersten, die freiwillig Frau Bezelmanns selbstgebackenen Kekse verkomsumieren. 
Normalerweise bringt Frau Bezelmann ihre abgesägte Schrotflinte mit, wenn sie herumgeht und Kekse anbietet ...) Als kein Kaffee mehr da ist, holt einer eine Flasche Korn aus seiner Aldi-Tüte. Kurz vor Ende des Meetings erbricht sich der andere in den Papierkorb. 
Nach diesem ersten Meeting gehe ich in mein Büro, fahre die Schutzschilde hoch, massakriere in 'DooM goes War' zwei Dutzend Monster, um meine unter Hochspannung stehenden Nerven zu beruhigen, und denke sechs Minuten lang scharf nach.  
Dann gebe ich einem alten 90iger Pentium, der zur Zeit ohne Aufgabe im Rechnerraum herumlungert, einen falschen Alias-Namen 'www.cia.pentagon.mil' und spiegele das bekannte 'CIA World Fact Book' mit Informationen zu allen Ländern, die nicht USA heißen, auf den Web-Server. Ich lasse alles so, wie die CIA in ihrer grenzenlosen Einfalt glaubt, daß es sein müsse (z.B. daß es in München noch umfangreiche kommunistische rote Zellen im Untergrund gäbe), ändere allerdings ein paar kleine, aber entscheidende Einträge über das Land Bungaria. Zuletzt schicke ich eine dezente email an den zuständigen EG-Beamten in Brüssel mit der Bitte, doch noch einmal genau die Zulassungsbestimmungen für nicht-europäische Partner prüfen zu lassen, - natürlich mit diskretem Hinweis auf den 'CIA-Servers'. 
Damit die email nicht sofort im Trash landet, nehme ich als Absender den Namen eines hohen BMBF-Beamten, von dem ich ziemlich sicher weiß, daß er es bis zu seiner Pensionierung nicht mehr schaffen wird, in seine Mailbox zu gucken. 
Um selber auch noch was von der Sache zu haben, wette ich mit dem verzweifelten Kollegen O. eine Kiste Wein und mit Frau Bezelmann um einen neuen Data-Glove, daß das Projekt in spätestens zwei Wochen abgeblasen wird ...
---
zurück 
Year 2000
zur B.M.L. Homepage   zum Seitenbeginn weiter 
Education
---
Copyright © Florian Schiel