B.A.g.O.
29 |
- Ich spiele gerade mit meiner neuesten Errungenschaft, einem
programmierbaren Meßsender, herum, als natürlich das Telefon
klingelt.
Nie können sie mich in Ruhe lassen! Wie soll man da wissenschaftlich
arbeiten können, frage ich! Die ganze Misere des Wirtschaftsstandorts
Deutschland (Originalton!) rührt wahrscheinlich allein daher, daß
heutzutage jeder dahergelaufene Idiot Zugang zu modernem Kommunikationsformen
hat. Zum Beispiel eben das Telefon.
Ich möchte nicht wissen, wieviel Zeit jeden Tag in unserer
Volkswirtschaft mit absolut sinnlosen Telefongesprächen vergeudet wird;
ganz abgesehen von den Dauertratschern, die es fertigbringen zwei Stunden am
Stück an der Strippe zu hängen.
Terrorismus ist das! Jeder Affenabkömmling, der in der Lage ist, sieben
Tasten in der richtigen Reihenfolge zu drücken, darf mich einfach
ungestraft von meiner Arbeit abhalten. Ungestraft? Naja, mal
sehen ...
Nach dem zwanzigsten Klingeln hebe ich ab.
- "Hallo."
- Kollege Jeff ist dran.
- "Hallo, Leisch? Weißt Du eigentlich, wie spät es ist?! Wir waren
um 11 Uhr verabredet, um die Folien für das kommende
'CHATTER'-Meeting durchzusprechen! Jetzt ist es halb zwölf!!! Hast Du
verschlafen?!"
- Verschlafen! Das mir, wo ich schon seit 22 Minuten an meinem
Schreibtisch hocke!
Tatsache ist, ich habe es nicht verschlafen. Obwohl ich mir alle Mühe
gegeben hatte. Das 'CHATTER'-Projekt (das amerikanische Pendant zum deutschen
'SCHWAFEL') ödet mich schon lange an! Und die Meetings sind von einer so
abgrundtiefen Langeweile erfüllt, daß wir das letzte Mal drei
Todefälle unter den Teilnehmern zu beklagen hatten. Die Kollegen hatten
vor Langeweile einfach vergessen weiterzuatmen ...
Ich mime den Erstaunten:
- "Oh ... äh ... ist tatsächlich schon so
spät ... <klickediklackedi> ...
komisch, ich dachte ... aber auf meiner Uhr ist es erst halb elf ...
und in meinem Computer auch ..."
"Quatsch ...", sagt Jeff.
- Dann ein längeres Schweigen auf der anderen Seite. Im Hintergrund
klappert eine Tastatur. Dann kommt ein lahmes:
- "Du hast ja recht ... merkwürdig, ich hätte schwören
können ..."
- Anfänger! Wenn er genauer hinschauen würde, könnte er
sehen, daß ich gerade die Zeitzone aller Rechner im Institut nach
Hawaii verlegt habe. Aber wer beherrscht heutzutage noch die einfachsten
UNIX-Befehle? Fast niemand!
Deshalb haben ja Leute wie ich immer Oberwasser!
- "Weißt Du",
- sage ich,
- "es ist trotzdem ganz gut, daß Du schon jetzt anrufst. Ich hätte
mir nämlich ganz gerne die Entwürfe für die Folien schon mal
angeschaut, bevor wir uns zusammensetzen ..."
- Er sagt mir, wo die Dateien liegen! Einfach so!!! (No comment.)
<klickediklackedi ... insert Kim.Basinger.jpg ...
klockkklocklockklock!> (Wenn es drauf ankommt, kann ich auch ganz schön
schnell sein!) Ich füge noch ein paar besonders unanständige GIFs in
die Folien ein - Bildchen, bei denen sogar Beate Uhse rot werden
würde -, dann schicke ich das Ganze unter Jeffs Account mit der Bitte
um konstruktive Kritik an die Chefin. Mal sehen, wie sich Jeff da wieder
rauswinden wird ...
Wenn ich Glück habe, zieht sich der Skandal über den Nachmittag hin,
und ich habe genug Zeit für mein neues Spielzeug, das ich aus den
Nachrichtentechnik-Praktikum geklaut habe. Normalerweise stehe ich ja nicht so
auf echte Hardware - irgendwie behindert es die freie Entfaltung des
Geistes, wenn man jeder Idee erst mit dem Lötkolben zur Realität
verhelfen muß -, aber dieses Baby hier hat durchaus seine Reize.
Ich schließe den programmierbaren Meßsender über die parallele
Schnittstelle an einen alten PC an, den ich normalerweise dazu verwende, meine
Videosammlung zu archivieren. Nach ein paar Probeläufen gelingt es mir
schon mal, Gingers Transistorradio im Sekretariat mit abscheulichen
Heultönen zu stören. So weit, so gut!
Während Ginger noch wütend ihr Radio schüttelt, poke ich im Web
herum, bis ich eine erstaunlich detaillierte technische Beschreibung bei einem
Autoalarmanlagen-Hersteller entdecke. Natürlich sind die Codes der
Funkgeber nicht angegeben, aber das Grundprinzip wird ganz gut
dargestellt ...
In Berkeley - und wahrscheinlich auch woanders an der
Westküste - gibt es ganz bestimmte kulturelle Ausprägungen bei
den Autobesitzern. Zum Beispiel fahren sämtliche Psychotherapeuten und
gehobenen Akademiker grundsätzlich nur Volvos (es gibt hier eine
Fülle von Volvo-Witzen, ähnlich den Manta-Witzen zu Hause!). Die
Schwarzen fahren riesige amerikanische Schlitten, je größer desto
besser, vorzugsweise mit irgendwelchem vergoldeten Firlefanz außen und
roten Plüschsitzbezügen innen. Die weißen Studenten fahren
europäische Marken oder - wer es sich leisten kann - tiefer
gelegte Kleinlaster aus den 50iger Jahren. Die Studentinnen cruisen in billigen
japanischen Zweisitzern herum, vorzugsweise Cabriolets, damit man echt cool die
blonde Mähne in den Wind hängen kann, wenn man übers Golden Gate
fährt. Die übriggebliebene 68iger-Generation (von der es hier eine
Menge gibt!) fahren uralte knatternde VW-Busse, mit denen sie wahrscheinlich
schon zu Anti-Vietnam-Demos nach Washington D.C. getuckert sind. Die Mex
bevorzugen Pickups, weil sie in allen anderen Wagentypen mit ihren
Cowboyhüten am Dach anstoßen würden. Die Chinesen -
sparsam wie immer - fahren die billigen, alten Schlachtschiffe der 70iger
Jahre, die ihnen viel zu groß sind. Das kann ab und zu einen
merkwürdigen Effekt haben, wenn so ein Schlachtschiff scheinbar fahrerlos
auf dich zu schlingert, und erst beim Vorbeifahren sieht man, daß da eine
winzige Chinesin sich am Lenkrad hochzieht und mühsam über das
Armaturenbrett späht.
Und wer fährt die Mantas? Naja, echte Mantas gibts hier nicht mehr, aber
die Rolle der Mannis und Sepps haben hier die asiatischen Youngsters
übernommen. Da paßt wieder alles: tiefergelegte, aufgemotzte
Billig-Japaner mit Rostspuren auf der Fahrertüre (Achselschweiß!),
den Kennwood-Aufkleber quer über die Heckscheibe, etc.
etc.
Aber alle haben eines gemeinsam: jeder hat Panik, daß seinem geheiligten
Kalb etwas passieren könnte. Und deshalb haben alle funkgesteuerte
Alarmanlagen, die jedesmal kurz quäken, wenn der Besitzer lässig den
Knopf an seinem Schlüsselbund drückt. Das klingt so ähnlich wie
"Quickquäck"
oder Wuitwuit!" oder "Ickaick!", und es geht mir auf den Nerv!
Ich plaziere den Meßsender am Fenster und schreibe ein kleines
Programm, das systematisch sämtliche Sequenzen der handelsüblichen
Funkgeber durchprobiert (es gibt erstaunlich wenige, nebenbei bemerkt!).
Schon nach fünf Minuten werde ich durch ein fröhliches
"Quäckquack!" draußen belohnt.
Ein schwarzer Pickup fühlt sich für diese Kombi zuständig.
Ich speichere die Sequenz und suche weiter.
Gegen abend habe ich 36 Sequenzen von Autos auf dem Parkplatz geknackt und
abgespeichert.
Gegen sechs Uhr beginnen die höheren Angestellten der Stadtverwaltung
gegenüber zu ihren fahrbaren Untersätzen zu eilen. Ich warte, bis
einer ziemlich allein mitten auf dem Platz steht und befehlsgewohnt seinen
Funkgeber auf seine Auto richtet:
- "Ickäck!"
- Ich aktiviere die Sequenz sofort nochmal und das Auto macht gehorsam die
Anlage wieder scharf:
- "Äckick?"
- Der Besitzer hat nichts mitbekommen oder er meint, ein anderes Auto
gehört zu haben, und sperrt auf. Natürlich heult sofort die
Alarmanlage auf:
- "Huuiiiaaaaaoooooaaaauuuiiiiiaaaaaoooo ..."
- Nach einigem Fummeln findet der Besitzer in Panik den Notausknopf, und das
Geheule erstirbt mit einem unanständigen Rülpsen. Der verdatterte
Autobesitzer steigt wieder aus und geht ratlos um sein Auto herum. Ich sende
wieder die Aktivierungssequenz, und weil die Türe noch offensteht, heult
der Wagen, ein 94 Nissan, brav wieder los.
Ein schwarzer Polizeiwagen biegt träge wie ein Hammerhai auf der Suche
nach einem leichten Opfer auf den Parkplatz ein. Ein Cop steigt betont langsam
aus und tippt dem Besitzer, der es gerade wieder geschafft hat, den Notausknopf
zu finden, auf die Schulter. Die beiden verhandeln heftig. Ich sehe sogar auf
diese Entfernung, daß der Cop meint, der Autofahrer sei reif für den
Therapeuten (das ist nicht besonders verwunderlich, weil die Cops hier jeden
Unbewaffneten mit genau dieser Grundeinstellung behandeln - und in den
meisten Fällen haben sie auch noch recht!).
Der Cop macht den Mund auf, um auch etwas zu sagen, aber in diesem Moment
aktiviere ich die Alarmanlage des Wagens hinter ihm: "Quickquock!!" und der Cop
macht einen absolut unwürdigen und unprofessionellen Hopser. Um diesen
unverzeihlichen Gesichtsverlust zu kompensieren - inzwischen haben sich
nämlich einige Penner auf der Szene eingefunden, die alles aufmerksam,
wenn auch aus sicherer Entfernung beobachten - packt der Cop den
Nissanfahrer, knallt ihn professionell auf seinen eigenen Wagen und legt ihm
Handschellen an. Der zweite Cop steigt aus dem Polizeiwagen - nicht mehr
ganz so langsam.
Um die Szene etwas musikalisch aufzulockern aktiviere ich wieder die
Alarmanlage des Nissan, bei dem die Türe immer noch offensteht. Der
zweite Cop rennt zu dem Wagen und schüttelt an der Karosserie. Ein
Polizisten-Reflex? Alles was Lärm macht, erstmal schütteln.
Vielleicht hört's dann von selber auf!
Der Nissan läßt sich nicht beirren:
- "Oooaaaiiiiuuuaaaooooaaaaiiiiuuu ..."
- Cop Nummer 2 schreit etwas, aber der der Nissan-Besitzer, dem das Blut
von der überstürzten Festnahme aus der Nase rinnt, schüttelt
trotzig den Kopf.
Worauf ihn Cop Nummer 1 sicherheitshalber nochmal kräftig
durchschüttelt.
Cop Nummer 2 öffnet die Motorhaube und zieht die Dienstpistole. Drei
gezielte Schüsse und das Heulen erstirbt mit einem qualvollen
Röcheln.
Die Sache beginnt mir Spaß zu machen. Zu schade, daß das Licht
immer schlechter wird. Sonst wäre das ein hübsches kleines Video
geworden ...
Ich aktiviere die Alarmanlage des schwarzen Mercedes mit dem vergoldeten
Kühlergrill direkt hinter Cop Nummer 2:
- "Quockquack!!"
- Der Cop fährt blitzschnell herum und jagt zwei Schüsse in den
Kühler des Mercedes 180. Die Penner gehen routiniert hinter
Parkbänken in Deckung.
Grünes Kühlwasser beginnt auf den Asphalt zu bluten.
Ein schon etwas angegrauter Schwarzer kommt aus der Stadtverwaltung und rast
über den Platz. Beim Laufen sieht man sein Hüfthalfter unter seiner
Jacke hervorschlenkern - ganz offensichtlich ein Cop in Zivil. Bei seinem
Anblick nehmen Cop Nummer 1 und Nummer 2 sofort Haltung an. Nummer 2 zerrt
sogar den gefesselten Nissan-Besitzer an den Haaren in eine vertikale Position.
Der zivile Cop brüllt und fuchtelt in Richtung des blutenden
Mercedes - ganz offensichtlich sein Wagen. Cop Nummer 1 versucht zu
erklären und wird niedergebrüllt. Cop Nummer 2 versucht zu
erklären und wird niedergebrüllt. Der zivile Cop geht auf seinen
mißhandelten Mercedes zu, aktiviert seinen Funkgeber und reaktiviert
natürlich damit die Alarmanlage, die ich ja vorhin schon ausgeschaltet
hatte. Er schließt die Tür auf, und prompt fängt das Ding an zu
tuten.
Ich starte mein Programm, das bei allen 36 geparkten Auto ständig die
Alarmanlage an und aus schaltet. Auf dem Parkplatz bricht die Hölle
los.
Die Penner flüchten geduckt in den Park, Cop Nummer 1 und 2 rennen zu
ihrem Wagen und verlassen mit quietschenden Reifen den Parkplatz, der
schwarze Cop flüchtet sich zurück in die Stadtverwaltung. Nur der
Nissanbesitzer bleibt zurück und zerrt ohnmächtig an seinen
Handschellen.
Nach fünf Minuten schalte ich den Meßsender aus und fahre befriedigt
nach Hause. Das dürfte für eine Meldung in CNN gut genug
sein ...
|