- "Der B.X.f.H. spornt zu jeder Tages- und Nachtzeit seine geistige
Aufnahmefähigkeit zur Höchstleistung an und verfügt stets
über ein 100%ig funktionierendes sensorisches
System."
- So steht es im 'Leitfaden für den erfolgreichen Bastard X from
Hell', S. 367, Absatz 3.
Während Professoren und Institutsleiter schon aus purem Selbstschutz ihre
Sensorik auf 15% der Nennkapazität herunterfahren - ganz einfach,
damit sie das unglaubliche Chaos um sie herum nicht mehr wahrnehmen
müssen -, kann sich unsereiner so etwas gar nicht leisten. Ein
Assistent, der nicht den Schimmelpilz in der Bibliothek wachsen hört, ist
von vorne herein weg vom Fenster!
Immer wachsam, immer die Sensorphalanx auf voller Empfindlichkeit, keine ruhige
Minute, in der man die Seele mal baumeln lassen kann, den Adrenalinlevel immer
an der physiologisch erlaubten Höchstgrenze, jederzeit bereit, in hektische
Aktion zu treten:
das ist es, was den wahren Bastard Ass(i) from Hell
ausmacht!
Ich gähne ausgiebig, blättere auf die nächste Seite des
Leitfadens und rücke das Kopfkissen in meiner Hängematte in eine noch
bequemere Position. Ein träger Blick auf die Uhr in meinem
Bildschirmschoner sagt mir, daß es schon auf elf Uhr zugeht, und ich
rufe per Funkmaus die Web-Seiten der Uni-Mensa auf und checke, was heute in der
Cafete als Mittagsmenu angekündigt wird.
Da schon allein die Ankündigung meinen kulinarischen Cortex erschaudern
läßt, beschließe ich, heute mal wieder der kleinen Osteria in
der Schellingstraße einen Besuch abzustatten. Schließlich schuldet
mir der Besitzer noch was, seitdem ich die letzte Hochschulratsitzung aus dem
normalerweise dafür vorgesehenen Senatssaal in die Osteria verlegt hatte.
(Die Ankündigung der Sitzung lief ausgerechnet über unseren
Sendmail-Server!)
Dem Hörensagen nach war das übrigens die erste Hochschulratsitzung, in
der kein Beiratsmitglied vor lauter Langeweile ins Koma gefallen ist, und obwohl
hinterher keiner erklären konnte, wieso die Sitzung in der Osteria
stattfand, hat die Univerwaltung anstandslos die Spesenrechnung
berappt!
Ich verlasse also gemessenen Schrittes mein Allerheiligstes und will mich gerade
dem Ausgang zuwenden, als plötzlich ein eigentümlicher Geruch meine
empfindlichen Nasenschleimhäute erreicht. Nur eine Andeutung, ein Hauch von
säuerlicher Schärfe und blauem Schimmelpilz, vielleicht zusammen mit
einem winzigen Zusatz an verfaulendem Schinken, der in Rattengift gewälzt
wurde?
Im ersten Augenblick denke ich an das Naheliegendste, nämlich daß
unsere berserke Klimaanlage wieder mal die üblichen Ausdünstungen der
Cafeteriaküche im ganzen Gebäude verteilt hat - aber warum, zum
Teufel, läuten dann in sämtlichen Ganglien meines Kleinhirns die
Alarmglocken?
Plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen, beziehungsweise wie
Wattepfropfen aus den Nasenlöchern, woher ich diesem scharfen Geruch kenne:
das ist der typische Geruch, der entsteht, wenn sich irgendwo in der Nähe
eine echte kreative Idee formt!
Vielleicht versteht ihr mein grenzenloses Erstaunen darüber besser, wenn
ich euch sage, daß ich diesen Geruch das letzte Mal vor knapp
14 Jahren in der Nase hatte. Damals hatte der 'Oberste der Klingonen'
(Leiter der Haustechnik) erkannt, daß sich die Zahl der gebrochenen
Nasenbeine und Ellenbogenfrakturen unter der Studentenschaft drastisch
reduzieren läßt, wenn man alle Flügeltüren an der Uni so
konstruiert, daß sie sich nur noch nach einer Seite (nach außen)
öffnen. Seither habe ich diesen Geruch nie wieder wahrgenommen - was
eventuell diejenigen Leser erstaunen wird, die immer noch glauben, daß an
einer Universität irgendetwas Neues erfunden wird.
Prüfend sauge ich die verpestete Luft durch meine Nüstern und
versuche, die Quelle des Kreativitätsgeruchs festzustellen. Ich
schnüffele probeweise an der Türe des Kollegen Rinzling, weil die am
nächsten zu meinem Allerheiligsten liegt. Aber da dringt nur der Gestank
von Desinfektionsmitteln und Doppelherz hervor. Marianne reißt wütend
die Türe auf, als ich gerade an ihrem Schlüsselloch schnuppere, und
droht mir eins mit dem Posaunenkasten überzuziehen, wenn ich nicht sofort
mit dem Quatsch an ihrer Tür aufhöre. Für Marianne ist das eine
ziemlich normale Reaktion und außerdem kommt aus ihrem Büro nur ein
überwältigender Schwall Jil-Sander, weswegen ich kommentarlos das Feld
räume. Bei Frau Bezelmann brauche ich gar nicht erst Halt zu machen; ihre
kreativen Ideen beschränken sich auf verbesserte Methoden der Rabenhaltung
und auf das Austüfteln neuer, noch tödlicherer Handfeuerwaffen. Aber
gleich hinter dem Sekretariat, beim Büro des Kollegen O., werde ich
fündig: ganz deutlich dringt der Kreativitätsgeruch vermischt mit dem
Geruch von frisch gewaschener und gestärkter Reizwäsche (lila) durch
die Ritzen seiner fest geschlossenen Bürotüre.
Nach kurzem Überlegen beschließe ich, den Feind frontal anzugehen.
Ich klopfe nur einmal ganz kurz an und reiße dann sofort die Türe
auf - genau so, wie es der Chef immer macht (nur daß der Chef aus
Effizienzgründen auf das Anklopfen verzichtet).
Der Kollege O. guckt erschreckt von seiner Arbeit hoch, sieht mich und
klickt sofort auf eine andere Oberfläche in seinem Display. Der
sekundenbruchteillange Blick vorher genügt mir aber schon: der
Kollege O. arbeitet ganz eindeutig an einer wissenschaftlichen
Veröffentlichung! Auf die heftige Frage, was ich denn von ihm wolle, frage
ich ganz unschuldig, ob er heute nicht mit zum Essen in die Cafete kommen
wolle.
- "Äh ... nein. Heute mal nicht. Zu viel zu tun ... du
weißt schon ... die Skripten für das Physikalische
Praktikum II und so weiter ..."
- Ich lasse mich anstandslos mit dieser offensichtlichen Lüge abspeisen,
rase zurück in mein Allerheiligstes und leite sofort O.s X-Display-Output
auf meinen Monitor um. Mein Verdacht erhärtet sich zur Gewißheit: der
Kollege O. bereitet tatsächlich eine Veröffentlichung vor. Ich
überfliege rasch sein fast fertiges Manuskript und erkenne sofort,
daß der Kreativitätsgestank nicht unbegründet war. Der
Kollege O. ist da wirklich auf eine hübsche neue Idee gekommen. Leider
steht in seinem Manuskript aber nirgends, bei welcher Konferenz oder Zeitschrift
er das Ding einreichen wird.
Ich rufe bei Frau Bezelmann an und erkundige mich ganz unschuldig nach dem
Reisebudget, wie viel denn da noch drin sei für dieses Jahr und ob noch
irgendwelche größeren Auslandsreisen geplant seien. Frau Bezelmann
erklärt ungnädig, daß sie mir diese Information nicht geben
könne, weil zur Zeit der Zugriff auf ihren Rechner nicht funktioniere,
weil - jetzt kommts! - der Prozessor-Lüfter zu langsam sei und
ihr Prozessor sich deshalb im 'Hitzefrei-Modus'
befände.
Ich gucke reflexartig zu meinen Bastard-Ausredenkalender an der Wand, und
für einen Moment lang bleibt mir tatsächlich die Spucke weg:
'Lüfter dreht zu langsam, Prozessor im Hitzefrei-Modus' lautet die Ausrede
des Tages! Da hat sich diese Hexe tatsächlich heimlich eine Kopie besorgt!
Und dann noch die Frechheit, mir mit meinen eigenen Ausreden zu
kommen!
Um der Sache ein Ende zu machen, erkläre ich Frau Bezelmann freundlich aber
bestimmt, daß ich mich leider gezwungen sehe, den Chef auf ihre ganzen mit
Photoshop gefälschten Genehmigungen aufmerksam zu machen, in denen ihre
ausgefallenen Kampfsportkurse allesamt als Fortbildungsmaßnahmen
deklariert seien.
- "Es sei denn",
- füge ich hinzu,
- "Sie beschaffen mir innerhalb von zehn Sekunden Einblick in das
Reisebudget."
- Zischend rückt Frau Bezelmann mit der Info heraus. Tatsächlich ist
für den Kollegen O. noch dieses Jahr eine geplante Kongressreise nach
Sydney budgetiert! Und was noch besser ist: im Budget ist durchaus noch Raum
für eine zweiten Reise!
Da ich schon ewige Zeiten nicht mehr in 'down-under' war, beschließe ich,
mich selbst mit sofortiger Wirkung zum Co-Autor von O.s Konferenzbeitrag zu
ernennen. (Nur Autoren bekommen nämlich die Reise als Dienstreise
bezahlt!)
Bleibt nur noch die kleine technische Nebensächlichkeit, wie ich den
Kollegen O. von der Notwendigkeit dieser Maßnahme überzeugen
kann.
Ich gehe wieder in O.s Account und stöbere etwas herum, bis ich die
Auswertungen seiner Experimente finde. Glücklicherweise ist er mit der
graphischen Darstellung der Ergebnisse noch nicht weit gediehen, so daß
die meisten Daten noch roh auf dem Server herumlungern. Kurzentschlossen gehe
ich hinüber in den Serverraum, ziehe zwei der Hot-Swap-Platten aus unserem
Server und lasse sie in einem Elektroschrott-Haufen in der Ecke verschwinden.
Ich habe gerade noch Zeit, zwei neue Platten in den Server zu stecken, da
erscheinen auch schon die ersten, aus ihrer Mittagsruhe aufgescheuchten
Mitarbeiter im Rechnerraum.
- "Ruhe, Ruhe",
- sage ich,
- "bitte keine Panik! Es sieht tatsächlich so aus, als ob der
äußerst unwahrscheinliche Fall eines Doppel-Platten-Crashs
eingetreten ist. Das ganze Raid-5 ist natürlich hinüber, aber keine
Sorge: wir haben ja alles im Backup. Ist also nur eine Frage der
Zeit ..."
- Der Kollege O. sieht plötzlich so aus, als leide er ganz
plötzlich an galoppierendem Eisenmangel.
- "Aber ich habe am Freitag eine
Dead-Line ...",
- stottert er,
- "... ich meine, ich muß ganz dringend was fertig machen! Wie
lange ..."
- Ich wiege sorgenvoll meinen Kopf.
- "Erst muß ich die richtigen Versionen lokalisieren ... dann eins
Komma acht Terabyte von Bändern herunterspielen ... alles auf
Konsistenz überprüfen ... tja, und dann müßte ich ja
zuerst noch das Microprozessor-Praktikum vorbereiten ... naja, so ein, zwei
Wochen wird's schon dauern ..."
- In einer hastig anberaumten Unter-Vier-Augen-Konferenz klärt mich der
Kollege O. nach vielem Hin- und Hergeeiere über seine peinliche
Zwangslage auf. Als hilfsbereiter Mitarbeiter bin ich natürlich sofort
bereit, meine ganze Arbeitskraft nur noch auf die Wiederherstellung seiner
wertvollen Daten zu konzentrieren. Als kleine Gegenleistung allerdings ...
Dem Kollegen O. bleibt natürlich keine andere Wahl, als mich
zähneknirschend als Co-Autor zu akzeptieren.
Drei Tage später, gerade noch rechtzeitig vor dem Abgabetermin, stecke ich
die zwei fehlenden Platten wieder in den Server und schicke eine freudige Email
an alle Mitarbeiter, daß es mir dank pausenlosem Tag-und-Nacht-Einsatz
gelungen sei, bereits früher als geplant sämtliche Daten des Servers
zu rekonstruieren.
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