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08.10.2005 BASTARD   MAILING   LIST   © Florian Schiel
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BBB II
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Welch unerwartete Ehre! Der 'Deutsche Bund der Steuerzahler' hat mich in sein Schwarzbuch 2004 aufgenommen! Auf Seite 1428 steht rechts unten: 'Universitätsassistent Leisch, Universität München: Vergeudung von Steuergeldern für unnötige bzw. sinnlose Geräteanschaffungen.' Ist doch schön, wenn man endlich auch mal von halb-offizieller Seite bestätigt bekommt, daß man ganze Arbeit leistet. Man weiß es natürlich selber, trotzdem ist es toll, zu wissen, daß es auch andere wissen! 
Ich scanne den Eintrag mit meiner neuen 8000-Euro-Farblaser-Scanner-Kopierer-Drucker-Einheit, vergrößere den Ausschnitt auf DIN A2 und hänge ihn in Gold gerahmt in meinem Büro an die Wand. (Den Goldrahmen habe ich aus dem Büro des Chefs geklaut. Vorher war, glaube ich, sein Doktordiplom drin; jetzt ist es in Frau Bezelmanns 700-Euro-Power-Shredder.) 
Kaum bin ich mit dieser anstrengenden Arbeit fertig und während ich mich noch bei einer Zwei-Stunden-Porno-DVD entspanne, bekomme ich schon die Nachwirkungen meines plötzlichen Ruhms zu spüren: Das Telefon klingelt, und laut Caller-ID kommt der Anruf aus Berlin. Da ich sehr selten Anrufe aus dem Ausland bekomme, hebe ich ab. Ein Herr Klüter ist dran, vom 'Verein für ein Besseres Deutschland' (mit großem 'B', wie er sogleich betont). Er hat über mich im Bericht des Steuerbundes gelesen und will sich mit mir über 'Ihre Lebenseinstellung und Ihr Verhältnis zu Deutschland' unterhalten. 
Ich sage ihm, daß ich im Moment überhaupt gar keine Zeit habe, weil ich die Email der Studenten heute noch nicht nach Sex-Themen ge-scannt habe, aber Herr Klüter läßt sich nicht so leicht abschütteln. 
"Ich habe außerdem einige Geschichten über Sie im Internet gelesen", 
vertraut er mir mit ernster Stimme an. 
Manchmal könnte ich den Schiel wirklich auf den Mond schießen! 
"Ist Ihnen eigentlich bewußt", 
fährt Herr Klüter fort, 
"daß Sie mit Ihrer negativen Haltung nicht nur Steuergelder vergeuden, sondern darüber hinaus ungünstig auf die öffentliche Moral einwirken? Ihr Verhalten als Vorbild für die Studenten kann unter Umständen einen unglaublichen volkswirtschaftlichen Schaden nach sich ziehen ..." 
"Tatsächlich? Glauben Sie das wirklich?" 
frage ich ehrlich interessiert. Dieser Aspekt war mir noch nie so klar geworden. 
Herr Klüter bekräftigt seine Meinung auf das Energischste. 
"Das Leben ist eine ernste Angelegenheit", 
versucht er, mir salbungsvoll ins Gewissen zu reden. 
"Gerade Sie als Pädagoge müssen doch Ihren Studentinnen und Studenten ein vernünftiges Weltbild vermitteln, damit sie moralisch fit für das Leben sind." 
"Sie glauben wirklich, daß das Leben eine ernste Angelegenheit sei?", 
frage ich skeptisch. 
"Ich glaube es nicht nur", 
verkündet Herr Klüter feierlich, 
"ich weiß es!" 
Der Typ hatte wirklich besser evangelischer Pfarrer werden sollen. Großer Core-Dump! Eigentlich hätte ich schon längst auflegen sollen. Aber irgendwie macht es mir Spaß, den Typen immer weiter zu reizen. Außerdem sollte ich jetzt schon längst den Chef in seiner Sprechstunde vertreten, weil dieser (der Chef) noch in Südfrankreich weilt. Und je länger mich Herr Klüter am Telefon festhält, desto weniger doofe Studentenfragen muß ich hoffentlich beantworten. 
Während wir noch munter darüber debattieren, ob das Leben nun eine ernste Angelegenheit sei oder nicht, wird ohne Vorwarnung die Türe zu meinem Allerheiligsten aufgerissen, und Marianne stürmt herein. Marianne ist außer dem Chef die Einzige, die sich das leisten kann, ohne vorher eine fette Lebensversicherung abgeschlossen zu haben. Vor allem seitdem sie ihren Titan-Posaunenkasten aus Ebay zurückersteigert hat, wo ich ihn letzte Woche ge-postet hatte. Marianne trägt heute ein rosa Mini-Dirndl, das mit roten Herzchen bestickt ist, dazu eine rot-weiß-karierte Bluse mit 'Balkon'-Dekolleté, das optisch nichts zu wünschen übrig läßt. Ein neckisches grünes Hütchen mit weißer Feder und weiße Lederschaftstiefel mit Stiletto-Absätzen runden das saisonale Outfit ab. Bevor sie noch den Mund aufmachen kann, hört Marianne den Herrn Klüter, den ich auf Freisprechen geschaltet habe, damit ich von der Hängematte aus telefonieren kann, emphatisch verkünden: 
"Die künftige Generation braucht positive Vorbilder, an denen sie sich orientieren können. Dazu gehört nicht nur eine ausgezeichnete Arbeitsmoral und moralisch einwandfreies Verhalten, sondern natürlich auch ein würdiges Auftreten und dezentes Äußeres ..." 
"Was'n das für ein Schwallkopf?", 
sagt Marianne verblüfft. 
"Was will'n der von dir?" 
"Wie bitte?", 
fragt Herr Klüter, der Marianne leider nicht sehen kann, irritiert durchs Telefon. 
Aber Marianne beachtet ihn nicht weiter. Es gibt im Moment Wichtigeres: 
"Was sitzt du hier so deppert herum?", 
fährt sie mich an. 
"Hast du vergessen, daß wir heute nochmal auf die Wiesn gehen? Gestern sind immer noch 120 Liter Biermarken übriggeblieben; die müssen wir heute unbedingt niedermachen, weil am Wochenende keiner von uns Zeit hat ... Hopp, jetzt mach schon, daß du aus deiner Hängematte kommst! Der Bus mit den Studenten ist schon weg, aber unten stehen noch vier Taxis, die der Chef aus dem Reisekostentopf bezahlt. Wir warten mal wieder nur noch auf dich. Typisch!" 
Ich erkläre dem Herrn Klüter vom 'Verein für ein Besseres Deutschland', daß ich leider, leider unser interessantes Gespräch beenden müsse, weil ich dringend meinen dienstlichen Verpflichtungen nachkommen müsse. Herr Klüter ist durch Mariannes Auftreten so geschockt, daß er außer einem unartikulierten Stammeln gar nichts mehr hervorbringt. Ich lege auf und folge Marianne durch den völlig verlassenen LEERstuhl zu den wartenden Taxis. 
Auf dem Oktoberfest angekommen installieren sich der Chef und meine Kollegen sofort im Schottenhammel-Festzelt, während die Studenten und HiWis mit den restlichen 80 Biermarken zum Paulaner-Biergarten geschickt werden. Die Stimmung ist noch eher mau: nur einige Hardcore-Norddeutsche und Italiener tanzen auf den Tischen und Spontan-Stripperinnen sind auch noch keine zu sehen. Nach der zweiten Maß gelingt es mir, mich unbemerkt abzuseilen, und ich begebe mich in den hinteren Teil des Festzelts, wo sich der Durchgang zu den Aborten befindet. Innerhalb der nächsten 30 Minuten gelingt es mir, 63 Express-Pinkelgutscheine, das Stück zu 15 Euro an die Besoffenen zu verkaufen, die mit voller Blase zu den rettenden Pissoirs torkeln. Auf dem Pinkelgutschein steht drauf, daß sich der Inhaber nicht wie alle anderen an der ewig langen Schlange vor den Aborten anstellen müsse, sondern sofort zum Express-Pissoir vorgehen könne. Erst nach einer halben Stunde alarmiert einer der Express-Pinkler die Saalaufsicht, und die schmeißen mich hochkant raus. Ich klappere noch vier andere Bierzelte ab, bis mir die Gutscheine ausgehen. 
Einige Tausend Mäuse reicher gehe ich beschwingt hinüber zum Riesenrad, und versuche, es (das Riesenrad) für eine Exklusiv-Fahrt an eine Gruppe angeheiterter Neuseeländer zu vermieten. Aber denen ist der Preis von 500 Euro zu hoch, also vermiete ich es für 250 Euro an eine Reisegruppe Italiener. Bis die einen italienisch sprechenden Polizisten gefunden haben, bin ich schon längst im Teufelsrad, wo ich innerhalb weniger Minuten einen schwunghaften Wetthandel eröffne. 
(Für diejenigen, die noch nie auf dem Oktoberfest waren und das Teufelsrad nicht kennen: Es geht im Wesentlichen darum, daß zwei Besoffene aus dem Publikum (auch weibliche) mit überdimensionalen Boxhandschuhen bewaffnet auf einer immer schneller rotierenden Scheibe gegeneinander antreten. Diejenige, die zuerst von der Fliehkraft hinaus ins johlende Publikum katapultiert wird, hat verloren. Es lebe die bayerische Leitkultur!) 
Da auch hier das Publikum überwiegend jenseits der gesetzlichen Fahrtauglichkeit ist, bemerkt fast niemand, daß meine Quoten auf Dauer nur einen Gewinner garantieren: mich! Die paar, die es dennoch bemerken, werden von den Rausschmeißern, denen ich vorher ein paar Scheine zugesteckt habe, unsanft vor die Tür gesetzt, bevor sie die gute Stimmung vermiesen können. 
Mit prall gefüllter Brieftasche will ich gerade hinüber zum Schichtl marschieren (Öffentliches Köpfen auf freier Bühne; auch so ein Traditionsbetrieb der Wiesn), wo ich letztes Jahr einem Argentinier für 300 EUR den abgeschlagenen Kopf im Voraus verkauft habe, als plötzlich eine schwere, behandschuhte Pranke auf meine Schulter fällt. 
"Se, bleim' S' amoi stehn!" 
Der übliche dreiköpfige Schandi-Trupp steht hinter mir, und der Anführer, ein Riesenkerl mit prächtig ausgebildetem Biermuskel, ist es, der seine schwere Hand des Gesetzes auf meiner Schulter liegen hat. 
"Se, man hat uns gemeldet, daß Se hiea illegales Glückspiel betreiben. Was sang' S' 'n dazu?" 
fragt der Anführer drohend. Wenn ich richtig fühle, hat seine Kohlenschaufel von Hand inzwischen meinen Kragen gepackt. 
"Zarbravsk Petrjof destrovje perutschkin", 
sage ich höflich. 
"Hah?" 
fragt der Anführer der Schandis, etwas aus dem Konzept gebracht. 
"Zarbravsk Petrjof", 
wiederhole ich lächelnd und fahre mit stark russischem Akzent (oder dem, was Deutsche so dafür halten) fort: 
"Das ist main Namä: Zarbravsk Petrjof. Ich bien Mitglied där unkrainischen Ermittlargruppä, die hiea gegän die russischä Mafia ärmittält. Hiea ist main Dienstauswais." 
Ich halte dem Anführer, der inzwischen meinen Kragen losgelassen hat, einen bulgarischen Führerschein unter die Nase, den ich vor Jahren mal auf einen Flohmarkt in der ehemaligen DDR gekauft habe. 
Bevor dieser das Bild genauer betrachten kann, lasse ich das Ding elegant wie ein Zauberkünstler wieder verschwinden und sage im Weggehen: 
"Sie müssän mich äntschuldigän, aber ich muß an mainäm Beobachtungssubjäkt dranblaibän. Wir sähän uns späta!" 
Bis sich die drei verblüfften Schandis wieder gefangen haben, verschwinde ich durch den Seiteneingang im Paulanerbierzelt. Dort treffe ich auf circa dreißig Mitglieder unserer Studentenschaft, die allesamt in bester Laune sind. Was würde wohl Herr Klüter vom 'Verein für ein Besseres Deutschland' (mit großem 'B'!) sagen, wenn er das sehen könnte, denke ich grinsend: Im Moment tanzen alle unsere StudentInnen lauthals den Schlager mitgrölend auf den Biertischen, und es scheint mir, als ob sie das schon eine ganze Weile so machen würden. Zum Glück ist das weder besonders peinlich noch Aufsehen erregend, aus dem ganz einfachen Grunde, als zu dieser fortgeschrittenen Stunde alle Anwesenden genau dasselbe tun. Aufsehen erregend ist vielmehr, was passiert, als die ersten Studenten meine stumme Anwesenheit an ihrem Tisch bemerken: Ein gewaltiger Ruck der Ernüchterung geht durch die ganze Gruppe und in weniger als 15 Sekunden sitzen alle brav und gesittet auf ihren Bänken, halten sich an ihren Maßkrügen fest und versuchen krampfhaft, Augenkontakt zu vermeiden. Na, DAS hätte der Klüter mal sehen sollen, denke ich triumphierend, von wegen moralisches Vorbild und so! Ich bedenke meine Studenten mit einem letzten grimmigen Lächeln und trete beschwingten Schrittes den Heimweg an.
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