- Der Chef ist ein begeisterter Sammler. Unter anderem sammelt er Bilder. Was
Unnötigeres kann ich mir nicht vorstellen - wozu gibt es
LCD-Displays? Da kann ich mir den ganzen Louvre durchscrollen, wenn das
für mein Seelenheil notwendig sein sollte (allerdings hoffe ich, daß
es niemals dazu kommen wird!). Auch heute ist er wieder mal auf einer
Flohmarkttour, und als er in den LEERstuhl zurückkommt, begegnen wir uns
zufällig im Gang, gerade als ich vor einer Gruppe verzweifelter Studenten
in mein Allerheiligstes flüchten möchte.
(Warum unsere Studenten in einem permanenten Zustand der Verzweiflung sind,
überlasse ich eurer Fantasie. Ihr kommt bestimmt selber
drauf!)
- "Ah ... äh ... Herr ... ähm ... Herr
Leisch ... äh ..."
- Der Chef drängt sich rücksichtslos mit in mein Büro. Unter
den Arm geklemmt hält er ein riesiges, in tropfendes Packpapier
gehülltes Paket.
- "Das ... äh ... das MÜSSEN Sie sich ...
ähm ... anschauen! Das habe ich ... ähm ... habe ich
gerade auf dem ... dem ... äh ...
dem ..."
"Dings?"
- frage ich hilfreich.
- "... auf dem Dings ... Quatsch! Auf dem Flohmarkt in der ...
äh ... Arnulfstraße er ... äh ...
erstanden ..."
- Während ich zum hundertsten Male beteuere, daß ich nix von Kunst
verstehe und daß ich eigentlich schon längst in der
Fakultätssitzung sein müßte und schließlich sogar
behaupte, daß da draußen vor dem Fenster gerade eine Atombombe
gezündet wurde, packt der Chef, an dem alles abprallt wie
Pingpongbälle an einer Granitwand, liebevoll sein neuestes Bild
aus.
- "Ähm ... na! Hier! Was ... äh ... sagen Sie jetzt?
Ein echter Severinus Xali!"
- Der alte Schinken hat ungefähr das Format eines
36-Zoll-Breitformat-Displays und ist in so düsteren Ölfarben
gehalten, daß man am liebsten spontan losheulen möchte. In der Mitte
schwebt eine altmodische Badewanne mit Krallenfüßen in der Luft, die
irgendein durchgeknallter Typ mit einer Powerflex in zwei Teile geschnitten
hat. In der Wanne liegt ein nacktes Mädchen, das eine grüne Rose quer
im Mund hält und eine Zeitung liest. Offensichtlich aus ökonomischen
Gründen hat der Typ mit der Powerflex das Mädchen gleich mit
durchtrennt. Der untere Teil des Bildes ist weitgehend in Rot
gehalten.
- "Ein echter ... hrrrm ... echter Xali",
- wiederholt der Chef andächtig und dreht das Bild ein wenig, damit er
es auch bewundern kann.
- "Diese Dichte der ... ähm ... der Komposition! Diese sublime
Botschaft! Was ... äh ... was sagt Ihnen dieses Bild,
Leisch?"
- Ich zucke mit den Achseln.
- "Beats me! Vielleicht, daß man lieber duschen sollte anstatt ein Bad
zu nehmen?"
- Der Chef wirft mir einen verwunderten Blick zu und dreht das Bild ganz
zu sich herüber.
- "Ich finde",
- sagt er bedächtig und schiebt die Brille auf die
Stirn,
- "ich finde, dieser ... äh ... dieser wunderschöne Xali
zeigt eine altmodische Badewanne mit Krallenfüßen, die ein ...
äh ... Mann mit einer ... hm ... einer Powerflex
durchtrennt hat. In der durchtrennten Wanne liegt ein ... hmm ...
eine Frau mit einer grünen Rose im Mund und die eine Zeitung liest. Die
Frau ist offensichtlich mit durchgetrennt worden. Und im unteren
Bildteil ... ähm ... sammelt sich das Blut
an."
- Ich gucke dem Chef über die Schulter und
sage:
- "Da wär' ich nie drauf gekommen!"
- Der Chef erklärt glücklich, daß der neu erworbene Xali
gebührlich gefeiert werden müsse.
- "Warum ... äh ... warum veranstalten wir nicht heute
unser ... hmm ... unser lange verschobenes
Insituts-Picnic?"
"Heute?!"
- Ich gucke aus dem Fenster in den strömenden Regen. In gewisser Weise
ist der Gedanke faszinierend.
- "Sind Sie sicher, daß heute dafür
der geeignete Tag ist?"
- Der Chef ist absolut sicher und weist mich an, sofort alle Mitarbeiter und
Studenten zu alarmieren und alles Weitere zu veranlassen. Dann eilt er mit
seinem Xali weiter zu Frau Bezelmann ins Sekretariat.
Entweder verfügt der Chef über prophetische Fähigkeiten oder er
hat Beziehungen ganz nach oben, von denen ich nix weiß. Jedenfalls
lichtet sich am Nachmittag nach 45 Stunden Dauerregen tatsächlich der
wolkenverhangene Himmel ein wenig und es hört auf zu plattern.
Mürrische Studenten und noch mürrischere Assistenten, die viel lieber
in ihren warmen, gemütlichen Büros geblieben wären, trotten
hinunter auf die Terrasse vor der Cafeteria und beginnen unter Anleitung des
Kollegen Rinzling Picnic-Gerätschaften aufzubauen. Schon nach
kürzester Zeit passiert die uralte, schon seit babylonischen Zeiten
bekannte BBQ-Geschlechterteilung: Während sich die Männer
einschließlich Marianne mit Bierflaschen in der Hand um die Grillroste
versammeln, läßt sich die übrige weibliche Belegschaft auf den
nassen Bierbänken nieder und beweist wieder mal, daß Frauen
mühelos gleichzeitig reden, zuhören und das kalte Buffet vertilgen
können.
Da es immer noch nieselt, wollen die Grillkohlen nicht anbrennen. Die
Grillanzünder sind offensichtlich auch feucht geworden und stinken
lediglich wie gepreßte Rattenfelle. Der Kollege Rinzling holt nach kurzem
Überlegen einen riesige Flasche Desinfektionsmittel aus seinem Büro
und schüttet eine großzügige Ladung auf die glimmende Kohle. Es
gibt eine riesige Verpuffung, die ihm die restlichen Haare vom Kopf sengt, aber
tatsächlich scheint das Feuer jetzt endlich in die Gänge zu kommen.
- "Irgendwo habe ich mal von einem Wettbewerb
gelesen",
- sagt der Kollege O. bedächtig,
- "bei dem es darum ging, wer am schnellsten seine
Grillkohlen zum Glühen bringt."
- Das weckt das Interesse der bisher wortkargen Männer um den
Grill.
Einschließlich Marianne:
- "Man könnte einen Föhn verwenden",
- schlägt sie vor.
- "Ach was, Föhn!"
- höhnt der Bastard Hausmeister from Hell.
- "Da weiß ich was viel Besseres!"
- Zwei Minuten später ist er wieder da - mit einem professionellen
2400W-Heißluftgerät und einer Verlängerungsschnur. Der B.H.f.H.
schaltet auf die höchste Leistung und richtet den heißen Strahl auf
die Kohlen. Tatsächlich beginnen diese nach kurzer Zeit hellrot zu
glühen. Der B.H.f.H. ist begeistert und hält noch dichter drauf. Die
Kohlen werden weißglühend. Plötzlich faucht es bedrohlich,
Funken regnen auf uns herab und die ganze Kohlenladung fällt durch den
durchgeglühten Grillboden auf den Rasen.
Nachdem der verlegene B.H.f.H. einen neuen Grill besorgt hat (den Grill der
Alttestamentler vom dritten Stock), schlägt Marianne vor, man könne
den Kohlen mit einem Flammenwerfer einheizen.
- "Und woher sollen wir einen Flammenwerfer
nehmen?"
- fragt Yogi-Flop, unser Esotherik-Physiker.
Marianne lächelt überlegen und präsentiert eine riesige Flasche
Haarspray, die wir normalerweise zum Fixieren von selbst gedruckten
Visitenkarten verwenden.
Eingedenk der Erfahrung, die der Kollege Rinzling gerade gemacht hat, stellt
sich Marianne gut eineinhalb Meter vom Grill entfernt auf und sprüht mit
weit ausgestrecktem Arm in die Kohlen. Der Effekt ist beeindruckend: eine hell
leuchtende Stichflamme lodert aus dem Grill und am Haarspraystrahl entlang bis
kurz vor die Sprühkappe. Marianne macht erschrocken einen Schritt nach
hinten, die Stichflamme hält mühelos mit. Alle anderen tauchen sofort
in Deckung.
(Wer an unserem LEERstuhl nicht nach kürzester Zeit lernt, zu jeder Zeit
und in jeder Lebenslage in Deckung zu tauchen, der hat eine dramatisch
reduzierte Lebenserwartung!)
- "Oh, mein Gott!"
- schreit Marianne,
- "was soll ich denn jetzt machen?!"
"Draufbleiben!"
- schreie ich,
- "sonst erwischt dich die Flamme!"
- Marianne preßt die Augen zu und den Finger noch fester auf den
Sprühknopf. Dadurch ist ihre Zielführung nicht mehr so ganz genau und
der improvisierte Flammenwerfer erwischt die rohen Würstchen, die neben
dem Grill bereitgestellt waren. Zum Glück ist die Flasche bald leer und
die Flamme erlischt. Die Würstchen sind bis zur Unkenntlichkeit verkohlt
und es stinkt wie im Tierversuchslabor von Loreal. Aber: die Kohlen sind jetzt
tatsächlich ganz gut durchgeglüht. Dummerweise ist jetzt nix mehr zum
Grillen da, und Marianne zieht los, neues Grillgut zu
besorgen.
Während sie weg ist, versuchen wir den Salat zu grillen, was aber nicht
besonders gut funktioniert. Frau Bezelmann meint, aus der Art wie die
Salatblätter zu dunkelbraunen, übel riechenden Klumpen
zusammen schnurzeln, lasse sich nichts Gutes über die Herkunft des Salats
schließen.
- "Bis Marianne wieder da ist, sind die Kohlen schon wieder ausgeglüht,
und wir können von vorne anfangen",
- bemerkt der Kollege O. sarkastisch. Ich füge hinzu, daß
außerdem das Bier alle sei. Aber das ist zum Glück kein
größeres Problem: der B.H.f.H. organisiert einfach mittels
Generalschlüssel aus dem Kühlraum der Cafeteria ein volles Faß.
Durstig stehen wir um die Aluminiumtrommel herum und beratschlagen, wie wir
ohne Zapfanlage an den Inhalt herankommen.
Der B.H.f.H. versucht mit einigen Werkzeugen, die er zufällig in der
Tasche seines Blaumanns mit sich führt, das Ventil aufzubekommen. Aber
nichts funktioniert.
- "Man könnte mit einer Metallsäge ganz
vorsichtig ..."
"So ein Quatsch! Dann spritzt doch alles gleich heraus!"
"Können wir nicht in Google nachschauen?"
"Man muß etwas mit dem gleichen Gewinde wie die
Anschlußschläuche der Zapfanlage haben, und dann ganz langsam
hineindrehen ..."
- Schließlich produziert der B.H.f.H. einen Akkubohrer mit einem
1-Millimeter-Diamant-Bohrer und beginnt vorsichtig, die Ventilkappe anzubohren.
Wir anderen warten mit leeren Biergläsern auf den erhofften
Bierstrahl.
Was dann genau passiert, kann später niemand so genau rekonstruieren.
Jedenfalls löst die Bohrerei irgendetwas in dem Ventil und plötzlich
schießt eine fingerdicke Bierfontäne seitlich aus dem Faß und
trifft den Kollegen Rinzling mit voller Breitseite ins Gesicht. Durch den
Rückstoß macht das Faß eine ruckartige Seitwärtsbewegung,
so daß der Bierstrahl voll in den Grill trifft. Bevor jemand
vernünftig reagieren kann, haben sich Bier und Grillkohlen gegenseitig
anihiliert.
Gerade als der Kollege Rinzling die letzten Brikettes in den Grill
schüttet, schreit Yogi-Flop aus dem Fenster des LEERstuhls, daß er
in Google eine Seite mit Empfehlungen zum Grillkohleanzünden gefunden
habe. Ich hole schnell einen Laptop mit WLAN herunter und wir gucken uns die
Seite an.
- "Äh ... sieht ... hmm ... sieht so aus, als ob ...
hmm ... als ob die Methode mit dem ... ähm ...
flüssigen Sauerstoff die ... äh ... schnellste
sei ...",
- sagt der Chef.
Frau Bezelmann macht uns darauf aufmerksam, daß die Napalm-Methode fast
noch bessere Zeiten erzielt habe. Aber niemand weiß genau, wo die
Chemiker das Napalm lagern, wogegen Yogi-Flop sich erinnert, daß im
Anfänger-Praktikum Experimentalphysik II ein Versuch mit flüssigem
Sauerstoff vorkam. Mit Hilfe des Generalschlüssels dringen wir ins
Physikpraktikum ein und schleppen einen ziemlich schweren Thermosbehälter
auf die Terrasse.
- "Und jetzt?"
- fragt der Kollege O., während Yogi-Flop den Deckel
abschraubt.
- "Kippt man das Zeug einfach so auf die Kohlen, oder
was?"
"Die Reaktion könnte schon etwas heftig sein",
- meint Yogi-Flop ganz cool,
- "am besten geht ihr alle ein paar Meter weiter
weg ..."
- Im Polizeibericht der AZ vom nächsten Tag steht etwas von einem
notorischen Schutzengel, den Physikstudenten offensichtlich haben müssen,
sonst wäre die Species schon längst ausgerottet. Außerdem macht
der Autor natürlich die üblichen spitzen Bemerkungen über
Akademiker, die nur linke Hände und offensichtlich kein Gramm gesunden
Menschenverstand haben.
Während ich Zeitungsausschnitte ausschneide und in meine Bastard-Mappe
klebe (wie eine Künstler-Mappe nur mit Katastrophennachweisen statt
Skizzen) ruft der Oberste der Klingonen an und beklagt sich BEI MIR über
den sechs Meter großen Krater auf der Terrasse und daß das jetzt
schon das dritte Mal sei, daß die Cafeteria-Fassade wieder aufgebaut
werden müsse und überhaupt.
Als ich wahrheitsgemäß beteuere, daß ich damit überhaupt
nichts zu tun gehabt habe, meint er säuerlich:
- "Aber natürlich nicht! Trotzdem fände ich es sehr
begrüßenswert, wenn Sie bis zu meiner Pensionierung nächstes
Jahr nicht mehr nichts mit gar nichts zu tun haben werden ..."
|