- Das Klingeln des Telefons reißt mich aus sanftem
Schlummer.
Anstatt die Hängematte zu nehmen, habe ich dummerweise einfach den Kopf
auf die verschränkten Arme gelegt, und jetzt kann ich infolge versteifter
Nackenmuskulatur den Kopf nicht nach links drehen, wo das Telefon steht. Ich
lasse den Kopf erstmal liegen und überlege eine Weile, ob das ein gute
Ausrede ist, nicht ans Telefon zu gehen.
Das Telefon klingelt.
Andererseits könnte ich ja auch ganz einfach den Stuhl drehen.
Hmm ... Vielleicht ist es ja auch zu heiß zum Telefonieren; seit
einer Woche ist das Thermometer in meinem Büro nicht unter 27 Grad
gefallen. Und so ein Telefonhörer wiegt mindestens ... wie viel?
150 Gramm? Schließlich ist der bayerische Landesbeamte laut
Dienstverordnung angehalten, ich zitiere: '... seine Gesundheit zu
erhalten, um unnötigen Dienstausfall infolge von Krankheit zu
vermeiden ...' Wenn ich mir jetzt an dem Telefonhörer einen Bruch
hebe und dann auf eine 8-wöchige Kur muß? Ich könnte sogar
einen Hitzekollaps bekommen ...
Das Telefon klingelt beharrlich.
Ozonkonzentration! Das ist es! Was haben sie heute morgen im Radio gesagt?
'... sollten anfällige Personen unnötige körperliche
Anstrengung (im Freien) vermeiden ...'
Ganz klar: das Anheben des Telefonhörers wäre so eine unnötige
körperliche Anstrengung, die eventuell zu vermeiden
ist.
Das Telefon klingelt stoisch weiter.
Andererseits gibt es ja so etwas wie Freisprechen. Dazu müßte ich
zwar nicht den Hörer heben, aber den Arm, um auf den Knopf zu
drücken. Hmm. Könnte sein, daß das nicht mehr unter
unnötige körperliche Anstrengung fällt.
Mist!
Das Telefon klingelt immer noch!
Wenn man bedenkt, daß ich die ISDN-Anlage so modifiziert habe, daß
die ersten 10 Klingeltöne sowieso nicht bis zu meinem Anschluß
durchdringen, muß es sich wahrlich um einen hartnäckigen Anrufer
handeln. Am Ende irgendein DAU, der die 'Any'-Taste auf seinem Keyboard nicht
finden kann! Großer Core-Dump!
Das Telefon klingelt.
Na, schön. Wenn es schon sein muß, dann sollte ich mich wenigstens
vorher in die richtige Stimmung bringen.
Hrrrm ... hrrrm ... so eine Sch ...! Das ist jetzt schon der
fünfte Anruf in diesem Monat!! Kann man in diesem Hause keine Minute mehr
in Ruhe arbeiten!!! Wo bleibt das die Qualität unserer
beamtlich-wissenschaftlich-erzieherischen Tätigkeit, wenn man dauernd
gestört wird!!!! Dem werd' ich helfen!!!!!
Gerade als das Telefon zum 36sten Mal klingen will, drücke ich auf die
Freisprechtaste.
- "Hmömmöm?!"
"Wie bitte? Hallo? Hallo?"
- quäkt eine aufgeregte Stimme, die mir bekannt
vorkommt.
- "Ich sagte 'hallo'!"
- sage ich lauter.
- "Wer ...? Spricht dort Herr Leisch? Hier ist Schmidt,
Bundesfinanzministerium ... äh ... persönlicher Referent
von Herrn Eichel. Ist dort Herr Leisch?"
- Ich seufze. Jetzt weiß ich, woher ich die Stimme kenne. Das war der
schreckliche Anruf letzte Woche, der mindestens zehn Minuten gedauert hat.
Komisch, daß solche Leute immer 'Schmidt' heißen; in Amerika
heißen sie 'Smith'.
Ich bestätige, daß ich es bin, und frage ungnädig, was er denn
schon wieder von mir wolle.
Der persönliche Referent druckst nervös etwas herum, bevor er mit
seinem wahren Anliegen herausrückt.
- "... äh ... die Sache ist die ... wir
müßten ... wir bräuchten ... also, um es ganz klar zu
sagen ... hmm ... der Minister, Herr Eichel, läßt fragen,
ob Sie uns nicht vielleicht noch einmal aushelfen ... ähm ...
Assistenz leisten könnten ..."
- Ich gebe einen unbestimmten Laut von mir, der alles heißen
könnte. Schmidt nimmt dies zum Zeichen, daß ich nicht gänzlich
abgeneigt sei, und fährt hastig fort:
- "... die Sache ist die, daß ... nun ja ... die finanzielle
Situation wird immer schlimmer und Herr Eichel dachte, daß Sie vielleicht
noch einmal in Ihrem Buch nachschauen könnten ... so wie letzte
Woche ...?"
- Ich schweige abwartend.
- "... und wie die Woche davor ... und wie ... wie im April und
so ... es wäre uns wirklich ein großes Anliegen, weil ...
weil ... und jetzt mit der vorgezogenen Steuerreform, Sie
verstehen, ..."
- Ich seufze.
- "Also schön",
- sage ich,
- "haben Sie noch meine Kontoverbindung auf den
Caymans?"
- Herr Schmidt beeilt sich zu versichern, daß ich in dieser Hinsicht
ganz beruhigt sein könne.
- "Gut",
- sage ich und greife nach dem zerfledderten 'Leitfaden für den
praktischen Einsatz als Bastard X from Hell', der immer griffbereit unter
meinem Ausredenkalender liegt.
- "Dann schauen wir mal. Hm. Hatten wir schon die Kürzung der
Eigenheimzulage?"
"Ja, das war schon Anfang des Jahres ..."
"Ok, 'Urlaubsgeld von Beamten' hatten wir auch schon, 'Kürzung der
Beihilfe', das war schon letztes Jahr, nicht? Hmm, 'Einfrieren der Renten'
hatten wir letzte Woche, 'Selbstbeteiligung am Krankengeld' war auch
schon ..."
- Ich blättere weiter in meinem Kompendium.
- "... äh ... Herr Eichel dachte an so etwas wie die Tabaksteuer,
die Sie uns letztes Jahr empfohlen haben ..."
"Wenn Herr Eichel auf meinen Rat Wert legt, dann soll er das bitte auch
mir überlassen!"
- sage ich streng.
- "Natürlich,
selbstverständlich ...",
- beeilt sich Schmidt zu versichern.
- "Also, wenn ich das so überblicke, bleiben eigentlich nur noch die
Quellensteuer und die Mehrwertsteuer ..."
"Ausgeschlossen. Das wurde schon zu oft zerredet!"
"... allgemeine Autobahngebühren für
alle ..."
"Auf keinen Fall! Herr Eichel will keinen Ärger mit dem ADAC.
Schließlich ist er Ehrenmitglied!"
"... und das war's",
- sage ich bedauernd,
- "mehr steht hier nicht. Warum holen Sie sich Ihre Anregungen nicht bei der
FDP; die haben immer die unmöglichsten
Ideen ..."
- Der persönliche Referent ist entsetzt.
- "Das ... das darf doch nicht wahr sein ... fällt Ihnen nicht
vielleicht noch etwas ein. So eine ganz klitzekleine Abgabe, mit der wir ein
paar Dutzend Milliarden 'reinbekommen könnten? Da MUSS es doch noch was
geben ..."
- Der Herr Schmidt weint fast.
- "Wir bereiten doch eine Marsmission vor, oder?"
- frage ich.
- "Herr Eichel soll ganz einfach eine Marsabgabe erheben. Zur Entwicklung der
neuen deutschen Marskolonien ..."
"Aber die Marsmission ist doch erst für 2024
geplant ..."
"Na, und? Die Solidaritätsabgabe, die wir jetzt haben wird ja auch nicht
für die neuen Bundesländer verwendet,
oder?"
- Aber Herr Schmidt meint, daß sich eine Marsabgabe 'zur Zeit dem
Bürger nicht vermitteln ließe'.
- "Also gut ... wie wäre es mit einer Handy-Einschalt-Steuer?
Für jede Minute, die das Handy beim Netzprovider eingeloggt ist, ziehen
wir einen Cent ab. Bei 80 Mio Bundesbürgern, die praktisch alle ihr
Handy mindestens 12 Stunden am Tag anhaben, wären das ...
Moment ... rund 210 Milliarden Euro im
Jahr."
- Herr Schmidt schweigt zweifelnd.
- "Aber die Liberalisierung des
Telekommunikationsmarktes?"
- wendet er ein.
- "Sie üben ja damit kein Monopol aus; es trifft ja alle
gleichermaßen",
- sage ich.
- "Und die Abrechnung wäre total simpel. Dazu braucht man eigentlich nur
ein paar zusätzliche Zeilen Code in den
Vermittlungsprogrammen."
"Also gut",
- meint der persönliche Referent zögernd,
- "ich kann das ja mal weitergeben ..."
"Tun Sie das!"
- sage ich aufmunternd.
- "Und ... Herr Schmidt?"
"Ja?"
"Sie denken dann auch an meine üblichen 0,001%, wenn es klappen
sollte ..."
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