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30.04.2003 BASTARD   MAILING   LIST   © Florian Schiel
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Million Game
ACDC weiter 
Bastard Stocks
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Es ist Mai und wir sind jetzt mitten in der heißen Phase des Sommersemesters. Alle Seminare sind nach vier Wochen Starthilfe soweit angelaufen, daß immerhin 30% der Studenten auch wirklich erscheinen; auf meinem Stack stapeln sich die ganzen verspätet abgegebenen Semesterarbeiten vom letzten Jahr und warten darauf, daß ich endlich die Energie aufbringe, sie in den Reißwolf zu stopfen; im Biergarten vor der Cafeteria tobt der Balzkampf um die coolsten Studentinnen (die mit den meisten Piercings und/oder den wenigsten Klamotten am Leib); der Kollege Rinzling wird jeden zweiten Tag mit akuten allergischen Reaktionen vom Notarztdienst abgeholt; meine Server verrecken reihenweise, weil sich die Klimaanlage - wie jedes Jahr - nicht von 'Arktisch' auf 'Subtropisch' umschalten läßt; und Frau Bezelmann übt im Sekretariat mit ihrer brandneuen Boozooka, so daß inzwischen schon vier Studenten mit akutem Hörschaden in der HNO-Klinik liegen. 
(Frau Bezelmanns Boozooka ist ausnahmsweise mal keine Boden-Luft-Rakete, sondern ein Musikinstrument, das sie auf dem Flohmarkt von Toschmakota in Hindustan entdeckt hat. Experten sind sich mittlerweile darüber einig, daß es sich dabei um ein Instrument handele, das extra so entworfen wurde, daß es NICHT harmonisch gestimmt werden kann, und daß nach dem geltenden Bundesimmissionsschutzgesetz eigentlich jeder im Umkreis von 63 Metern einen Gehörschutz tragen müsse.) 
Mitten in diesem Chaos sitze ich in meinem Allerheiligsten, stopfe mir bei Bedarf ein paar Schaumstoffflocken in die Ohren und lese in aller Ruhe die neueste Ausgabe von 'Hacker's Havoc'. Mit Befriedigung sehe ich, daß mein neuestes Patent unter der Rubrik 'Erfindungen, die die Welt nicht braucht' den Platz 1 einnimmt. Es handelt sich um einen Nabeltiefenmesser, ein handliches kleines Gerät, mit dem jeder Fitneßfanatiker seine individuelle Nabeltiefe ermitteln kann. Die Maßeinheit ist 1 Leisch und entspricht genau meiner Nabeltiefe nach drei Anchovi-Pizzas und vier Litern Cola. Es versteht sich von selbst, daß in der kommenden Badesaison sich nur noch Leute mit weniger als 0.05 Leisch Nabeltiefe in die Stranddisco wagen werden. 
Der Kommentator von 'Hacker's Havoc' äußert sich hämisch im Text: man könne sich ja so Einiges vorstellen, besonders nach Windows98 und so, aber daß jemand so abgrundtief bescheuert sein könne, die Nabeltiefe als Fitneßindikator zu verwenden, daß sei ja wohl doch ein klein wenig zu optimistisch. 
Wenn der wüßte, denke ich grinsend, und fühle nach dem knisternden, 5-stelligen Scheck in meiner Innentasche, mit dem sich ein namhafter deutscher Sportartikelhersteller die Rechte gesichert hat. 
Ich blättere um, und mein Grinsen gefriert zu einer gruseligen Grimasse des Grauens. Das darf doch nicht wahr sein! DAS KANN DOCH NICHT WAHR SEIN! Wenn das stimmt, was meine entsetzten Augen da lesen, und wenn ich nicht das bemitleidenswerte Opfer einer Boozooka-Musik-induzierten Halluzination bin ... dann habe ich es tatsächlich verpaßt, mir rechtzeitig Karten für das heutige Konzert zu besorgen. Heute Abend, lese ich erschüttert, heute Abend spielt 'Asynchroneous Core Dump Chaos' in der ehemaligen Sondermülldeponie bei Großlappen - UND ICH HABE KEINE KARTE! 
Damit ihr versteht, warum das eine solche Katastrophe darstellt, müßt ihr wissen, daß ACDC (nicht zu verwechseln mit AC DC mit den lächerlichen elektrischen Blitzen dazwischen!), DIE Kultband für alle Hacker ist. Die ... hm ... Musik von ACDC klingt ungefähr so, wie wenn man einen nicht boot-fähigen Linux-Kernel ab Version 2.2 in synthetischen Wodka taucht, mit Zitronensäure beträufelt und anschließend unbearbeitet auf das Sound-Device piped, an dem ein mittelgroßes Kernkraftwerk mit Akustikwandler angeschlossen ist. Natürlich geht auch niemand von uns dorthin, um was davon zu hören - dafür gibt es schließlich die super-coolen ACDC-Rabbit-Ears. Nein, es ist einfach ein Kultereignis, auf dem man nicht fehlen kann. Nicht fehlen darf! Garantiert schon seit Monaten ausverkauft! Und ich steh' da und hab' keine Karte! 
Die Lage ist ernst! Sehr ernst! Ich fahre sofort die Schutzschilde hoch, rufe bei Frau Bezelmann an und drohe, ihren Mac platt zu machen, wenn sie nicht sofort mit dem infernalischen Lärm aufhört. Dann trinke ich in rascher Folge drei Tassen Kaffee, werfe zwei XXXXXXX ein (you better don't know!) und denke viereinhalb Minuten scharf nach. 
Als erstes begebe ich mich zum Sekretariat und linse vorsichtig durch die offene Türe. Frau Bezelmann ist am Telefon und verbreitet sich über die Rücksichtslosigkeit ihrer Kollegen, die sie nicht mal in der Mittagspause ihre Boozooka üben lassen. Ich entwende unbemerkt ihre Ersatzbrille und klopfe gleich darauf beim Kollegen O. an. Keiner da. Bestens! Mit meinem Generalschlüssel dringe ich in sein Büro ein und klaue seinen schwarzen Anzug, den er immer auf Kongressen anlegt. Zurück in meinem Büro ziehe ich den Anzug an, kämpfe eine Weile mit dem Schlips und schmiere mir eine Tube Gleitgel ins Haar. Mit Frau Bezelmanns Brille schaue ich genauso dorky aus, wie man es sich nur wünschen kann. So ausstaffiert gehe ich hinüber in den Innenhof der TU, wo im Audi Max das 'Münchner Management Seminar' stattfindet. Ein riesiges Plakat hängt über den Eingang: 'Kompetenz-Workshop für zukünftige Führungskräfte'. Mit anderen Worten: das Audi Max ist im Moment gesteckt voll mit ehrgeizigen Managern der zweite und dritten Riege, die nur darauf warten, ihren Chefs endlich den Dolchstoß verpassen zu können. Genau das was ich brauche, um heute Abend noch ins Konzert zu kommen! 
Ich betrete den Seminarraum und halte mich unauffällig im Hintergrund bis der Vortragende eine Kaffeepause von zehn Minuten ankündigt. Ich warte bis der Referent den Raum verlassen hat, dann stürze ich nach vorne und lege eine Folie auf den Overhead. 'ACHTUNG - UNANGEKÜNDIGTE SONDERAUFGABE' steht ganz groß drauf. Sofort wird es mucksmäuschen still, wenn man von einigen Handybenutzern absieht, die noch rasch ihre Sekretärinnen abwürgen müssen. 
"Mein Herren", 
sage ich, und ich schwöre, es sind wirklich keine Damen da, 
"meine Herren: dies ist eine unangekündigte Managementaufgabe, in der Sie beweisen können, wie flexibel Sie auf schwierige Situationen reagieren. Wer die folgende Aufgabe erfolgreich löst - und es kann nur einer sein -, der erhält am Ende des Seminars ein zusätzliches Prädikatszertifikat. Die Aufgabe wird nur einmal mündlich gestellt und nicht wiederholt" 
Inzwischen ist es absolut still; alle Möchtegern-Führungskräfte hängen förmlich an meinen Lippen. 
"Folgende Situation", 
fahre ich fort. 
"Der Personalvorstand des Konzerns X, den sie schon lange mal persönlich kennen lernen wollten, ruft sie an und bittet Sie um Ihre Hilfe. Er hatte seinem Sohn Karten zum heutigen ACDC Konzert in Großlappen versprochen, aber keine Karten mehr bekommen. Er befindet sich folglich in einer peinlichen familiären Situation und bittet Sie ihm zu helfen, das Unmögliche zu schaffen und noch heute eine Karte für dieses Konzert zu besorgen. Sie schaffen es und besorgen sogar ZWEI Karten, die Sie unter dem Namen 'Leisch' an der Abendkasse hinterlegen lassen. Dann gehen Sie selber auch heute Abend zu diesem Konzert, lernen den Sohn des Personalvorstandes kennen und knüpfen auf diese Weise erste Kontakte mit der Familie. Wenn Sie es schaffen, bis morgen eine Einladung der Familie vorweisen zu können, haben Sie die Aufgabe bestanden. Ich hoffe, Sie haben alles verstanden. Viel Erfolg!" 
Damit schnappe ich mir die Folie und haue durch den hinteren Ausgang ab. Hinter mir höre ich noch, wie aufgeregte Rufe und Fragen aus der Managermenge hochbranden. 
Während ich über den Hof zurück zu meinem Büro gehe, sehe ich die Manager wie schwarze Fledermäuse aus dem Haupteingang flattern. Alle haben ein Handy am Ohr und alle schreien. 
Eine Stunde vor Konzertbeginn bin ich - in normalem Konzert-Outfit - an der Abendkasse, einem uralten verrosteten Wohnwagen am Maschendraht um das Sondermüllgelände. Als ich mich nach hinterlegten Karten für den Namen 'Leisch' erkundige, stürzt aus dem Halbdunkel ein Typ mit schwarzem Anzug und Schlips und stellt sich begeistert als der Besorger der Karten vor. Ich gucke ihn wortlos an, wie eine Kröte eine besonders saftige Fliege betrachten könnte, und fahre mir mit der Zunge langsam über meine Magnet-Piercings, die ich großzügig in Mund- und Nasenbereich verteilt habe. Dann schalte ich um auf 'Extrem maulfauler angepißter, schlecht erzogener Pubertätslümmel aus zu reichem Hause', eine meiner Lieblingsrollen. Den Rest des Abends lasse ich mir von dem Typen, der sich wie ein gigantischer Blutegel durch nichts abschütteln läßt, alles bezahlen, was es zu solchen Gelegenheiten käuflich zu erwerben gibt. Die meiste Zeit steht er allerdings nur da und preßt sich seine elegante lederne Collegemappe auf die Ohren. Wahrscheinlich deshalb, weil ich und meine Kumpels unseren Stammplatz immer direkt vor den 18 Megawatt-Lautsprechertürmen haben. 
Als wir gegen vier Uhr morgens das Gelände verlassen, bemerken wir am Eingang etwa zwei Dutzend Typen im schwarzen Anzug, die von einem Bein aufs andere treten und sich die Ohren zuhalten. 
Ich lasse mich noch mit dem Taxi nach Hause fahren, dann murmele ich quasi zum Abschied, ob er denn vielleicht Lust hätte, mal zu uns zum Abendessen zu kommen. 
"WAS?!" 
brüllt der Typ verzweifelt und hält seine beiden Hände hinter die Ohren. 
Ich kritzele ihm die Einladung auf die Rückseite der Konzertkarte. Der Typ, dessen Namen ich übrigens nie erfahren habe, strahlt über das ganze Gesicht und zieht überglücklich von dannen. 
Naja, denke ich, soll er die wenigen Stunden bis zum bösen Erwachen noch genießen. Und dann schicke ich noch rasch eine email an Frau Bezelmann, daß ich heute wegen der gestrigen Arbeitsüberlastung nicht im Büro zu erscheinen gedenke, und haue mich in die Falle.
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