Es sind Semesterferien und ich langweile mich. Keine Studenten zum Quälen
da, kaum noch interessante Sexthemen in den User-Mailboxen, und die R.k.f.H.
('Reisekostenstelle from Heaven') hat geschlossen ihren Jahresurlaub
angetreten - vermutlich nur damit ich niemanden mehr habe, den ich am
Telefon nerven kann.
Ich blättere lustlos in alten Ausgaben von 'Hacker's Havoc' und versuche
aufzupassen, daß ich mir beim häufigen Gähnen nicht die Kiefer
ausrenke.
- Plötzlich wird ohne Ankündigung die Türe zu meinem
Allerheiligsten aufgerissen. Obwohl ich draußen das Schild 'Nicht
stören! Wichtiger Versuch läuft!' hingehängt
habe!
Natürlich ist es der Chef! Niemand sonst würde es
wagen ...
- "Ah ... äh ... Leisch ... ähm ... gut
daß ... daß ich Sie hier ... ähm ... und ich
hatte schon ... hrrrmm ... schon befürchtet, daß ...
hm ..."
- Was der Chef befürchtet hatte, behält er klugerweise für
sich. Anscheinend hat er nach fünfzehn Jahren Zusammenarbeit mit mir doch
noch gelernt, daß alles Schreckliche, was an diesem LEERstuhl passieren
kann, auch passiert - vorausgesetzt man setzt mich vorher
freundlicherweise in Kenntnis!
Der Chef starrt konzentriert an die Zimmerdecke und sammelt seine
Gedanken neu:
- "... hm ... ich wollte Ihnen sagen ... äh ...
hatte ganz vergessen, daß ... ähm ... daß heute der
Kollege Dr. Katzelbacher von der ... äh ... von der
Firma ... äh ... von der Firma ..."
"Dings?"
- schlage ich hilfreich vor.
- "... von der Firma Dings ... nein ... von der Firma Siemens
vorbeikommen wird ... ähm ... ja ... unser Partner
im ... äh ... SCHWAFEL-Projekt. Er wird ... er bringt das
neue Versuchsfahrzeug, das die ... äh ... Kollegen von Siemens
für den Prototypen entwickelt ... äh ...
haben ..."
- Katzelbacher sei bereits auf dem Weg hierher, fährt der Chef fort, und
solle einen Vertreter des LEERstuhls mit zum SCHWAFEL-Navigations-Meeting
nehmen. Bei der Gelegenheit werde dann auch gleich der neue
Navigations-Prototyp der Presse vorgestellt.
Ich mache den Mund auf, um zu sagen, daß ich mit dem SCHWAFEL-Projekt
nichts mehr am Hut habe, seit es vor zwei Jahren auf der CeBit zum Fiasko mit
der Vorstellung des damaligen SCHWAFEL-Prototypen kam. Es handelte sich damals
um eine sprechende elektrische Zahnbürste, die das Sprachsignal direkt an
den Kieferknochen ankoppelt. Infolge eines Kommafehlers im C-Kode wurde das
Sprachsignal mit der zehnfachen Frequenz im Ultraschallbereich abgestrahlt. Und
der hohe Ministerialbeamte, der den Prototypen vorführen sollte, spuckte
plötzlich die Einzelteile seines Gebisses in die laufenden Kameras. Damals
entschied die Projektleitung, daß es eventuell besser wäre, wenn der
Kollege O. die Leitung des Projektes übernehmen würde - was
mir nur recht war: Drittmittelprojekte braucht ein Assistent so nötig wie
Filzläuse in den Augenbrauen!
Gerade noch rechtzeitig fällt mir ein, daß der Kollege O. ja
auch im Urlaub ist, und daß mir außerdem todlangweilig ist. Also
lasse ich mich nach einigem Hin und Her dazu überreden, heute den
Kollegen O. auf dem Meeting zu vertreten. Der Chef geht erleichert zum
Golfspielen, und ich lasse mir von Frau Bezelmann einen Vordruck zur Abrechnung
von Reisespesen aushändigen.
Keine zwanzig Minuten später sitze ich schon mit Dr. Katzelbacher im
Versuchsfahrzeug, einem 7er BMW, der mit allen möglichen und
unmöglichen Techno-Krimskrams und LCD-Displays vollgestopft ist. Im
Kofferraum befindet sich die Rechenpower einer mittleren Cray, und der
Fahrersitz ist von Sensoren so dicht umzingelt, daß man sich wundern
muß, daß der Fahrer überhaupt noch die Straße sehen
kann.
Katzelbacher scheint mich nicht zu kennen, denn er ist ausgesprochen freundlich
zu mir, und weist mich vorsichtshalber daraufhin, daß der Prototyp
bereits gebootet ist, und daß ich deshalb bitte auf gar keinen Fall
irgendwelche Tastaturen berühren solle.
- "Hmm",
- sage ich skeptisch und beäuge ein LCD genauer, auf dem ich eine
Linux-Root-Konsole sehen kann.
- "Und was ist das für ein komisches
Geräusch?"
"Komisches Geräusch?"
"Naja, dieses hohe Rauschen. Scheint irgendwie von hinten zu kommen. Sind Sie
sicher, daß der Kofferraum auch zu ist?"
- Katzelbacher wird blaß. Immerhin ist im Kofferaum die ganze
Elektronik untergebracht, und im Moment kübelt es wie aus
Gießkannen. Er steuert das Versuchsfahrzeug in die nächste Ausweiche
und springt aus dem Wagen. Ich ziehe rasch den Hebel, der den Kofferaum
entriegelt, damit er dahinten was zu tun hat, dann tippe ich auf der Konsole
einen Suchbefehl ein, der das File-System des Prototypen nach Dateien namens
'left' oder 'links' absucht. Tatsächlich finde ich auf Anhieb zwei
Sounddateien 'Links.wav' und 'Rechts.wav', die vermutlich die Sprachsamples
für die synthetische Stimme des Navigationssystems enthalten. Ich
vertausche die beiden Dateinamen und lösche den Bildschirm, gerade als
Katzelbacher sich wieder hinter das Lenkrad quetscht.
- "Verstehe nicht, wieso der Kofferraum offen war",
- meint er kopfschüttelnd,
- "aber zum Glück ist kein Wasser
eingedrungen."
- Wir fahren weiter und ich sage nach ein paar Kilometern mit möglichst
zweifelnder Stimme:
- "Und? Funktioniert der Prototyp wenigstens ein
bißchen?"
- Katzelbacher starrt mich empört an.
- "Natürlich funktioniert der! Der funktioniert
einwandfrei!"
- Ich warte ... fünf vier drei
zwei ...
- "Soll ich ihn mal anwerfen?"
- fragt Katzelbacher herausfordernd.
- "Ok",
- sage ich mit einem müden, sarkastischen Lächeln, so wie man
einem Kleinkind zustimmt, wenn es ankündigt, den Mount Everest besteigen
zu wollen.
Katzelbacher drückt auf einen Knopf am Lenkrad und
sagt:
- "Navigationssystem?"
- Nach zehn Sekunden signalisiert der Prototyp mit einem Piepston, daß
er bereit ist. Katzelbacher sagt laut und deutlich:
- "Bitte leite mich nach Reutlingen in die Daimlerallee
26."
- Nach einer weiteren Denkpause von 10 Sekunden meldet sich eine
synthetische Schlafzimmerstimme:
- "Sie wollen in die Tzaimszliraudllohj zwei und zwanzig in
Rtloinngon?"
"Die Sprachausgabe von Straßen- und Ortsnamen ist noch nicht ganz
perfekt",
- sagt Katzelbacher etwas verlegen. Dann drückt er wieder die
Taste und sagt:
- "Ja!"
"Navigation beginnt",
- sagt die Schlafzimmerstimme gelangweilt,
- "nach 400 Metern links abbiegen."
- Katzelbacher strahlt.
- "Na? Was sagen Sie jetzt?"
"Noch sind wir nicht in Reutlingen",
- kommentiere ich trocken.
- "Oh, die Zielführung funktioniert immer",
- sagt Katzelbacher fröhlich,
- "das ist ja auch gar keine
Neuentwicklung ..."
- Er biegt links ab. Keine fünf Sekunden später meldet sich
gelangweilt das Navigationssystem:
- "Sie haben die gewählte Route verlassen."
- Katzelbacher schaut konsterniert.
- "Häh? Wieso? Ich bin doch links
abgebogen ..."
"Neue Route wird berechnet",
- verkündet die Schlafzimmerstimme
seelenruhig.
- "Aber ..."
"Nach 200 Metern scharf rechts abbiegen."
"Ok",
- murmelt Katzelbacher zwischen den Zähnen und wirft mir einen
unsicheren Blick zu.
- "Wenn das bloß heute Nachmittag bei der Vorstellung
für die Presse nicht passiert ..."
- Er biegt schwungvoll rechts ab.
- "Sie haben die gewählte Route verlassen",
- verkündet das Navigationssystem. Wahrscheinlich ist es reine
Einbildung, aber mir kommt es so vor, als wäre ein leichter Ton von
Schadenfreude in der Schlafzimmerstimme zu
hören.
- "Aber wieso denn!"
- ruft Katzelbacher erregt, haut wütend auf das Lenkrad und erwischt
dabei die Spracheingabetaste.
- "Ich habe Sie nicht verstanden",
- lispelt die Schlafzimmerstimme pikiert,
- "bitte sprechen Sie mit normaler Stimme."
- Katzelbacher fummelt mit einer Hand an einer Konsole herum, um die
unerwünschte Spracheingabe abzuwürgen. Dabei gerät er mit dem
Wagen gefährlich weit hinüber auf die linke Straßenseite und
rammt beinahe einen Polizeiwagen, der uns just in diesem Moment entgegen
kommt.
Manchmal muß man einfach Glück haben, denke ich - und meine
natürlich nicht die gerade noch vermiedene
Karambolage.
Im Rückspiegel sehe ich, wie der Polizeiwagen eine gekonnte
Handbremsen-Blockade-180-Grad-Wende hinlegt und mit Blaulicht und Sirene
hinter uns herflitzt.
- "Oh, Gott. Auch das noch",
- murmelt Katzelbacher und hält den BMW vor dem U-Bahnhof
Münchner-Freiheit.
Ein dicker bayerischer Polizist mit dunkelrotem Gesicht kommt langsam nach
vorne und beugt sich zum Fahrerfenster hinunter:
- "Se san ja woi damisch!"
- bellt er wütend.
- "Fahrzeugpapiere vorzeign!"
- Bevor Katzelbacher auch nur einen Piep sagen kann, meldet sich das
Navigationssystem:
- "Diese Eingabe ist leider nicht erlaubt!"
- erklärt es mit kategorischer Stimme.
- "Wooos?!"
- brüllt der Polizist und wird womöglich noch dunkelröter. Der
zweite Polizist zieht hastig seine Dienstwaffe und bleibt in sicherem Abstand
in Habachtstellung stehen.
Katzelbacher beginnt fieberhaft zu erklären, worum es sich hier handele,
immer wieder unterbrochen von hilfreichen Bemerkungen des Navigationssystems,
man möge bitte mit normaler Stimme sprechen, diese Eingabe sei leider
nicht erlaubt, es habe leider nicht verstanden und ab und zu auch der Frage, ob
man vielleicht zurück ins Hauptmenu möchte. Ich schaue mir das Chaos
ein paar Minuten mit an, dann steige ich aus dem Fahrzeug und erkläre
Katzelbacher, der zu diesem Zeitpunkt bereits mit Handschellen gefesselt im
Polizeiwagen sitzt, daß ich doch lieber mit öffentlichen
Verkehrsmitteln zum Meeting fahren werde. Dann steige ich in die U-Bahn und
fahre nach Hause.
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