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16.01.2002 BASTARD   MAILING   LIST   © Florian Schiel
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Sado-Maso-System
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Eine unbedingt notwendige Grundvoraussetzung für die fortdauernde Existenz an einem Universitäts-LEERstuhl ist eine schier unersättliche wissenschaftliche Neugier. Wer die nicht mitbringt, kann sich mit seinem Diplom gleich bei der städtischen Wertstoffverwaltung bewerben. Der wahre Wissenschaftler zeigt sich eben erst darin, daß er in allem und jedem sofort ein Feld für wissenschaftliche Betätigung wittert. Anlässe gibt es dazu in Hülle und Fülle, zum Beispiel die Katze. 
Die Katze hat - wie bereits erwähnt - ihren angestammten Nist- und Schlafplatz in der alten PDP11 aufgeben müssen, als diese endlich und unter Beileidsbekundungen aller Programmierer über 50 verschrottet wurde, und hat daraufhin mein offenes 24-Zoll-Display als neuen permanenten Aufenthaltsort ausgewählt. Dort liegt sie normalerweise (d.h. 23einhalb Stunden an Tag) auf dem Schutzgitter des Zeilentrafos und ihre Rückenfellhaare sträuben sich behaglich (22 kV Hochspannung am Gehäuse!). Die restlichen 30 Minuten des Tages sind mit den üblichen feliden Aktivitäten voll ausgefüllt: Fressen (Marianne füttert, so daß ich mich darum zum Glück nicht kümmern brauche!), Saufen, Nero auflauern, sich von begeisterten Studentinnen im Gang streicheln lassen und Doro, die brunzblöde Dogge des Hausmeisters, watschen. Man sieht, daß der Terminkalender der Katze voll verplant ist. Trotzdem findet sie zwischendurch noch manchmal eine paar Minuten, um meine Mausleitung durchzunagen. 
Nach der sechsten ausgetauschten Maus beginne ich eine streng wissenschaftliche Versuchsreihe mit dem Ziel, herauszufinden, welche chemischen Stoffe die Katze abhalten könnten, permanent meine Mausleitung zu attackieren. Üblicherweise sucht sich der erfahrene Wissenschaftler in diesem Falle einen Blöden, sprich eine/n Studentin/en (da wars wieder!), die/der unter Vorspiegelung falscher Tatsachen ("... wissenschaftlich sehr interessant! Eignet sich vorzüglich als Thema einer Magisterarbeit ...") die ganze Arbeit erledigt. 
Dummerweise sind gerade Semesterferien und weit und breit kein Student in Sicht, nicht mal unten in der Cafeteria, wo normalerweise immer irgendwelche Theologen herumlungern. Beim Kaffeetrinken versuche ich Jenny zu überreden, wo die doch schließlich Tierfanatikerin ist und immer noch unter dem dringenden Verdacht steht, die Katze am LEERstuhl eingeschleppt zu haben - obwohl sie das immer vehement abstreitet. Aber Jenny hat gerade vom Chef die ehrenvolle Aufgabe übertragen bekommen, für die nächste internationale Konferenz einen halbstündigen Vortrag über ein Thema ausarbeiten zu dürfen, von dem sie keinen blassen Schimmer hat und der Chef auch nicht (auch eine der typischen Aufgaben eines Universitätsassistenten). Daher ist sie logischerweise permanent am Rande eines Nervenzusammenbruchs und hat keine Zeit für die Katze. 
Frau Bezelmann haßt Katzen (das kommt davon, wenn man unter dem permanenten Einfluß eines alten zerzausten Raben steht!), der Kollege O. interessiert sich nur für Lebensformen auf Silikonbasis (es sei denn, sie tragen lilafarbene Reizwäsche!) und der Kollege Rinzling findet alle Tiere unhygienisch und kann es sowieso nicht fassen, daß wir einen potentiellen Tollwut-Überträger wie die Katze an diesem LEERstuhl dulden. 
Folglich muß ich selber 'ran. Natürlich gehe ich streng wissenschaftlich vor! 
Zu allererst sammle ich eine Liste von Eigenschaften, die die gesuchte Substanz zur Abschreckung der Katze aufweisen muß: 
  • wird von der Katze gehaßt; am besten extrem ekliger Geruch.
  • kommt hier im Hause vor (habe schließlich keine Lust, ewig herumzulaufen; Wissenschaftler laufen nicht, Wissenschaftler sitzen!)
  • haftet an Mauskabeln (auch längerfristig)
Zweitens stelle ich eine Hypothesenliste auf mit möglichen Kandidaten nach Priorität geordnet (Leute! Schreibt das am besten mit; so arbeitet man wissenschaftlich!): 
  1. Einheitsbratensauce in der Cafeteria (die 'Dunkle')
  2. Kollege Rinzlings Herz-Stärkungs-Tonikum
  3. Rasierwasser von Sethimus Typhon, dem Bastard Bureaucrat from Hell
  4. In Aceton aufgelöste Schwanzfedern von Nero, dem Raben
  5. Kloreiniger des Hausmeisters
In der dritten Phase folgt das eigentliche Experiment zur Verifikation der Hypothesen. D.h. die Katze muß den verschiedenen Substanzen ausgesetzt werden. 
Ich gehe hinunter in die Cafeteria, setze meine Nasenklemme auf und pirsche mich vorsichtig an den Schalter der Essensausgabe heran. Die griechische Essensausgabe-Walküre vom Dienst schaut mich fragend an:
"Maultaschn mit Sahnesoß oda Sauabradn mit Nuddln?"
Nach kurzem Zögern - die weiße Knoblauch-Milchpulver-Zwiebel-Fett-Emulsion ('Sahnesauce') schaut heute ganz besonders eklig aus - bleibe ich doch lieber bei meiner ursprünglichen Hypothese 'Dunkle Einheitsbratensauce' und frage die Walküre, ob sie mir nur einen achtel Löffel Bratensauce in einem Schälchen zu rein wissenschaftlichen Zwecken überlassen könne.
"Hah?! Wos?! Maultaschn mit Sahnesoß oda Sauabradn mit Nuddln?"
Ich seufze innerlich und erkläre in gebrochenem Griechisch, daß ich eigentlich gar nichts essen wolle, sondern nur ein ganz kleines bißchen Sauce für ein wissenschaftliches Experiment benötige. (Falls ihr euch jetzt wundert, woher der BAfH Griechisch kann: Das lernt man zwangsläufig, wenn man längere Zeit in unserer Cafeteria ein- und ausgeht! Andernfalls verhungert man ganz einfach!). Nachdem die griechische Walküre begriffen zu haben glaubt, worum es mir geht, füllt sie voller Begeisterung ein Salatschälchen bis zum Rand voll mit dunkler Bratensauce. Ich balanciere das Ding vorsichtig nach oben in mein Allerheiligstes, nervös darauf bedacht, bloß nichts von dem Untersuchungsobjekt auf meine makellosen Beinkleider zu kippen (schließlich sind die nicht säurefest!). 
Ich halte der Katze die Schale mit der ekligen Brühe unter die Nase - und diese fängt sofort an, begeistert zu schlabbern! Ich faß' es nicht! Um ganz sicher zu sein (ein Wissenschaftler darf um der Wahrheit Willen nicht mal davor zurückschrecken!) tauche ich meinen kleinen Finger in das Untersuchungsobjekt 1 und koste vorsichtig. Uuuuaaaarrrgggghhhh!!! Ich glaube, Hypothese 1 können wir vergessen!
Ich gehe in den Gang vor das Büro des welt-einzigen Profi-Hypochonders, Kollege Rinzling, und schreie mit der typisch knarrenden Stimme unseres Hilfs-Hausmeisters: 
"Paket von Luisenapotheke! Hat jemand bestellt was von Luisenapotheke?!" 
Hinter Rinzlings verrammelter Bürotüre rumpelt es, Medizinfläschchen fallen reihenweise zu Boden, dann werden alle sechs Sicherheitsschlösser entriegelt und Rinzling streckt vorsichtig seinen Kopf aus dem Türspalt. Er trägt wie üblich seinen chirurgischen Atemschutz: 
"Wou auft aw hön?!" ruft Rinzling mir zu. 
"Wie bitte?" 
Rinzling lüftet ärgerlich seine Atemschutzmaske: "Wo ist er hin, verdammt noch mal?!" 
"Der Hausmeister? Oh, zum Sekretariat - DENKE ICH", gebe ich bereitwillig Auskunft.
Rinzling humpelt im Affentempo in Richtung Sekretariat davon und vergißt, seine Bürotüre abzuschließen. Im Grunde phantastisch, wie schnell sich jemand mit mindestens 16 diagnostizierten Erkrankungen des motorischen Apparats noch bewegen kann, wenn es darauf ankommt! Aber ich bin nicht hier, um Rinzling zu bewundern, mich interessiert nur sein Herz-Stärkungs-Tonikum. Ich schlüpfe in das Büro - und die geballte Menthol- und Kampferkonzentration in der Atmosphäre trifft mich wie ein Dampfhammer mit 200 km/h. Ich halte den Rest normaler Luft in meiner Lunge an und spähe mit tränenden Augen durch den dichten Inhalatornebel. Auf dem Regal hinter Rinzlings Workstation, die wegen Überhitzung auf dem letzten Loch pfeift, steht die gesuchte Magnum-Flasche. Mit letzter Kraft rette ich mich mit dem Untersuchungsobjekt 2 auf den Gang. Unglaublich, was man als Wissenschaftler alles auf sich nehmen muß! 
Zurück in meinem Büro schaut die Katze schon ganz interessiert, was ich da als nächstes anschleppe. Ich setze die Nasenklemme auf und halte der Katze einen halben Teelöffel zur Begutachtung hin. Die Katze fackelt nicht lange und taucht begeistert ihre riesige rosa Zunge in die dunkle, knisternde Flüssigkeit. Hypothese 2 auch beim Teufel! Wieder koste ich vorsichtig und spucke sofort wieder aus, in hohem Bogen in den RAID-Server, der in der Ecke im Dauertest vor sich hin brummt. Buuuuaaaaarrrrggghhhhh! Kein Wunder, daß Rinzling dauernd über Magengeschwüre klagt! 
Nach all diesen selbstlosen Selbstversuchen ist mir etwas schummrig zumute, um nicht zu sagen: kotzübel! Im Raid-Server in der Ecke zischt und brodelt es leise. Außerdem habe ich einen grauenhaften Geschmack im Mund, so ungefähr, wie wenn man nach einem sehr wilden !PowWow! mit dem Kopf halb in der Kloschüssel wieder zu sich kommt und jemand vorher vergessen hatte hinunterzuspülen. 
Zum Glück habe ich meine Zweit-Zahnbürste immer im Büro - falls ich mal beim DARWYN-Spielen länger als drei Tage nicht von PC wegkommen sollte. Die Katze, in der irrigen Annahme, daß ich noch weitere Leckereien für sie bereit habe, verläßt ihren Stammplatz auf meinem Display und springt auf das Waschbecken, um die Zahnpasta auf der Bürste zu inspizieren. Und siehe! 
Sie weicht so entsetzt zurück, als hätte ich ihr mit der elektrischen Viehpeitsche eins übergezogen! 
Ich gehe ihr langsam hinterher und trage die Zahnbürste wie der Exorzist das Kreuz vor mich her. Die Katze bekommt einen Klobürstenschwanz, faucht wütend und entweicht im Galopp auf den Gang. Ich natürlich hinterher! Vor dem Labor 3 begegnen wir Marianne, die dort gerade den Videobeamer aufräumt. Entgeistert schaut sie uns mit aufgerissenen Augen an, wie wir um die Ecke fegen: die laut klagende Katze und ich mit der hoch erhobenen Zahnbürste im Schweinsgalopp. 
"Leisch! Was ...? Bist du jetzt völlig dem Wahnsinn verfallen?!" 
Ich mache eine Vollbremsung, gucke Marianne an und suche verzweifelt nach einer passenden Erklärung. Da mir keine einfällt, stecke ich einfach die Zahnbürste in den Mund und gehe würdevollen Schrittes und heftig bürstend in mein Büro zurück, wo die Mausleitung auf ihre erste Zahnpasta-Shampoonierung wartet.
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