Phantasie ist etwas, was man bei einem bayerischen Beamten als allerletztes
erwarten würde. Zumindest ist das die allgemeine Auffassung
hierzulande - ungefähr so fundamental wie die Gewißheit,
daß Spinat Eisen enthält, Michael Schumacher Autofahren kann und die
CSU immer recht hat.
Nichts könnte falscher sein!
Der wahre Beamte muß jederzeit und in jeder Lebenslage auf dem Sprung
sein, sich unnötige Arbeit von Hals zu schaffen. Und das funktioniert nur,
wenn man eine ordentliche Portion Phantasie mitbringt.
Das Telefon klingelt, und weil heute die Opfer-Statistik noch ziemlich mau
aussieht, gehe ich 'ran. Eine Studentin ist dran, die sich für das
Mikroprozessor-Praktikum im Wintersemester anmelden will. Man hört schon
nach dem ersten Satz, sie ist eine von denen, die grundsätzlich alles
besser wissen oder zu wissen meinen, und mit ihrem Wissen nicht hinterm Berg
halten können. Ihr wißt, was ich meine: der Typ, der in der Schule
immer in der ersten Reihe saß, und den Lehrer im Sexualkunde-Unterricht
mit peinlichem Detailwissen versorgt hat. Genau! Der Typ! Ich sage ihr,
daß ich mit dem Mikroprozessor-Praktikum nichts am Hut habe, und
daß Frau Bezelmann im Sekretariat, hehehe, für die Anmeldung
zuständig sei.
- Sie sagt mir, daß das gar nicht sein könne, weil in der
Studienordnung drin stehe, daß der jeweilige verantwortliche Dozent
für die Anmeldung zuständig sei. Und das sei
ich.
- "Aber sicher", sage ich sanft wie ein bengalischer Tiger, dem man die
Brekkies geklaut hat, "wenn Sie sicher sind, daß Sie sich lieber bei mir
anmelden wollen ...?"
- Sie überhört sämtliche Alarmzeichen und besteht darauf, sich
jetzt sofort bei mir persönlich anzumelden.
- "Dann wollen wir mal kurz die Zulassungsvoraussetzungen
abhaken ...",
- beginne ich, und sie leiert sofort, und ohne Aufforderung alle ihre Scheine
und Vorprüfungen herunter. Ich werfe inzwischen einen Blick in den
Ausredenkalender.
- "Sehr schön", sage ich, nachdem sie fertig ist, "und ihren
Schwangerschaftstest haben Sie ja dann sicher
auch ..."
- Zum ersten Mal ist für mehr als eineinhalb Sekunden Schweigen in der
Leitung.
- "Hallo? Sind noch dran?" frage ich munter.
"Äh ... ja. Sagten Sie gerade
'Schwangerschaftstest'?"
"Aber sicher. Sie wissen doch, Paragraph 78b, Absatz 3 der
Studienordnung, in der überarbeiteten Fassung von
1999 ..."
"Ach so .... ja ..."
- Mit anderen Worten: BUREAUCRACY BULL SHIT MODE
ON
- "Der Absatz 3 wurde ja, wie Sie sicher wissen, erst nach der letzten
Reform des Hochschulrahmengesetzes eingeführt", fahre ich ungerührt
fort. "Danach dürfen Studentinnen an Praktika, in denen
Strahlungsbelastungen über 0,35 Millirem auftreten können, nur
teilnehmen, wenn sie einen vom Arzt bestätigten, negativen
Schwangerschaftstest vorweisen können, der nicht älter als
4 Wochen ist."
"Was? Aber ... aber wieso
Strahlenbelastung ...?"
"Die Bildschirme im Praktikum", schnurre ich sanft ins Telefon, "die sind noch
von 1974, und wir können uns leider im Moment keine moderneren leisten.
Tja, und damals war 'mann' halt noch nicht so zimperlich mit der Anodenspannung
wie heute ... Haben Sie den Test bei Ihren Unterlagen?" füge ich
scharf hinzu.
"Ja ... äh ... nein ... das heißt, ich kann ihn
natürlich besorgen", fügt die Studentin hastig
hinzu.
"Tun Sie das", sage ich freundlich, "und dann schicken Sie das alles an mich.
Die Adresse kennen Sie ja sicher aus dem
Vorlesungsverzeichnis ..."
- Glücklicherweise habe ich immer noch das System-Passwort der uralten
Microvax, auf der unsere Verwaltung die Druckvorlage des
Vorlesungsverzeichnisses anfertigt. Durch eine diskrete Korrektur, die ein
kleiner Dämon von mir jedes Semester zuverlässig erledigt, ist meine
Adresse im Vorlesungsverzeichnis leider völlig falsch wiedergegeben. Ein
gewisser Herr Dr. Dr. habil. Edmund Pelzbundler, C3-Professor bei der
altbabylonischen Lingustik bekommt schon seit 12 Jahren meine gesamte
offizielle Snail Mail. Anfangs hat er noch schriftlich protestiert, aber
nachdem die genervte Redaktionsstelle ihm einen Computerausdruck geschickt hat,
wo seine Adresse noch richtig eingetragen war, hat er es aufgegeben und kippt
vermutlich täglich meine Post in den Müllschlucker ... Die
Studentin verspricht, sich sofort einen Termin bei ihrem Frauenarzt geben zu
lassen. Kurz bevor sie auflegt, sage ich noch ganz beiläufig und
routinemäßig:
- "Und bitte beachten Sie natürlich auch Paragraph 78c der
Studienordnung ..."
"Äh ... was?
"Paragraph 78c, kennen Sie doch sicher: der
berühmte-berüchtigte ... äh ...
Beischlaf-Paragraph ... Sie wissen schon ..."
- Natürlich weiß sie nicht! Woher auch; ich wußte es bis vor drei
Sekunden ja auch noch nicht!
- "Der Paragraph 78c besagt kurz gefaßt, daß ...
äh ... Studentinnen, die an einem strahlenexponierten Praktikum
teilnehmen, hmm ... angehalten sind, sich während des betreffenden
Semesters ... ähm ... sagen wir mal ... weitgehendst enthaltsam zu
verhalten ..."
"Enthaltsam?!"
"Naja, Sie wissen schon ... No Sex! Und so weiter. Weil ja sonst Gefahr
für den ... äh ... gerade empfangenen Fötus bestehen
würde ... und das kann man an einer christlich-sozial orientierten
Hochschule auf gar keinen Fall riskieren, verstehen Sie?"
- Wieder eine fassungslose Schweigesekunde in der Leitung. Dann kommt
es zögernd:
- "Ich glaube, ich muß mir das mit dem Mikroprozessor-Praktikum nochmal
überlegen ..."
"Tun Sie das", sage ich sanft, "tun Sie das."
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