(Gähn! Schmatzschmatz ...)
Wer sagt eigentlich, daß ich immer wie ein Uni-Assistent aussehen und
handeln muß? Wieso auch? Ich könnte ja zur Abwechslung auch mal ein
Ameisenbär mit Nobelpreis sein. Oder ein unbestechlicher Politiker. Oder
ein Angestellter der 'Reisekostenstelle from Heaven'. Oder ein Einsiedlerkrebs
mit Satellitenschüssel. Oder ...
- "... hat natürlich auch ... ähh ... sollte bei
genauerer ... hmm ... Analyse bzw. durch Anwendung der ...
äh ... der ... hrrrrm ... der Eigenwertbestimmung ...
ähm ..."
- Teufel, wie ich diese Hauptseminare hasse! Und dann sagt der Chef auch
noch, er brauche meinen wertvollen Input! Als ob ich jemals den Mund in einem
Hauptseminar aufgemacht hätte!
(Gäääääähhhhnnn!)
Gar nicht so einfach, mit geschlossenem Mund zu gähnen! Und dabei auch
noch interessiert zu schauen! Ich glaube, beim letzten Gähnen hab' ich mir
den linken Kaumuskel gezerrt! (Seufz!)
- "... und das setzen wir in Gleichung <scrollscrollscroll>
ähm ... Gleichung <scrollscroll> Ah, hier war's! In
Gleichung 14 ... hmm ... 14? Äh, ja! Also, in
Gleichung 14 ...
<scrollscrollscroll> ..."
- Vielleicht könnte ich auch eine Möwe sein ... Nein, ein
Geier! Ein Geier mit CSU-Parteibuch! Hinterhältig ziehe ich am
sonnendurchfluteten, weißblauen Himmel meine
Kadaver-Aufklärungs-Kreise. Wo ist das nächste öffentlich
geförderte Milliongrab, in das ich meine vergifteten Krallen schlagen
kann? Dort! Am Horizont sammeln sich andere Amigo-Geier mit Gamsbärten
über dem Maximilianeum. Ein leichter Schlag mit dem rechten Flügel
und schon schieße ich pfeilschnell dahin, getragen auf dem warmen
Luftstrudel steuerfreier Parteienfinanzierung ...
- "... äh ... ja? ... äh ... Herr ...
ähm ... Herr Leisch? Sie haben ... hmm ... haben eine
Frage ...?"
- Scheiße! Ich hab' mich wieder mal von meinen Phantasien hinweg
reißen lassen, und der Chef hat mein Manöver mit dem rechten
Flügel als Meldung interpretiert.
- "Äh ...", sage ich wenig souverän, "äh ... war das
wirklich ... äh ... in
Gleichung 14...?
- Der Chef schaut mich unsicher über den Rand seiner Brille
an.
<scrollscrollscrollscrollscroll>
- "Doch ... hmm ... doch ... ich denke, das ist ...
äh ... richtig ...
Gleichung 14 ..."
- <scrollscrollscrollscrollscroll>
Zum Glück stellt gleich darauf ein Student eine noch blödere Frage,
die der Chef nicht versteht und die der Kollege O. zuerst dolmetschen
muß usw. usf.
Bevor der Chef wieder zu seinem roten Faden zurückfinden kann, stehe ich
plötzlich auf, stecke feierlich die rechte Hand in die Knopfleiste und
erkläre pathetisch die Schlacht für gewonnen.
Alle fünfzehn Hauptfachstudenten, der Kollege O, Marianne und der
Chef starren mich überrascht an. Der Chef blinzelt
unsicher:
- "Äh ... hrrrm ... wie bitte?"
"Aber nur, wenn man als Geier die Temperatur der Schlagsahne einschlägig
berücksichtigt", sage ich ernsthaft und hebe den linken
Zeigefinger.
"Schlagsahne?" fragt der Kollege O. verwirrt.
- Ich steige auf den Tisch, breite meine Schwingen aus und springe elegant
von Reihe zu Reihe, dem Ausgang zu.
- "Eins, zwei, drei ... Geiertummelei. Vier, fünf, sechs ...
Kaktusstammgewächs. Sieben, acht, neun ... Geiersingverein", singe
ich die Tonleiter in h-moll hinauf.
"Aber ... äh ... Leisch ... hrrrrrrm! Was soll denn das?!"
Der Chef ist konsterniert.
"Einverstanden!" sage ich mit schwülem Augenaufschlag und drehe auf der
letzten Bank eine langsame Pirouette. "Aber wir fliegen
zusammen!"
- Damit springe ich von der Bank herunter und schlüpfe aus dem
Hörsaal, nicht ohne vorher das Licht auszuschalten.
Der Hausmeister, der Hilfshausmeister und der Assistent des Hilfshausmeisters
lungern wie üblich um diese Zeit in der Halle herum und versuchen, die
Zeit bis zur nächsten beamtenordentlich vorgeschriebenen Ruhepause tot zu
schlagen. Der Assistent des Hilfshausmeisters hat prominent abstehende Ohren,
die von seiner luftgefüllten Kugel in Position gehalten werden. Im
Vorbeigehen schnappe ich mir das eine durchscheinende Ohrwaschel und ziehe
kräftig nach unten. Der liebe Junge quiekt wie ein Nilpferdjunges und
läßt reflexartig die Knie einknicken. Mit meinem silbernen
Kugelschreiber berühre ich feierlich seine beiden Schultern und spreche
salbungsvoll:
- "Hiermit schlage ich Euch zum Ritter des grünen Schneepfluges! Erhebt
Euch, Sir Ohrenweit! Möge der Diesel immer mit Euch
sein!"
- Bevor sich die Hausmeister von ihrem Schreck erholen können, bin ich
schon im Aufzug und auf dem Weg nach oben. Auf halber Strecke schalte ich die
Notbremse ein und singe drei Strophen aus 'Singin' in the Rain', weil es im
Aufzugsschacht so schön hallt! Als ich oben ankomme, stehen schon der
Kollege O., Marianne und Frau Bezelmann vor der Türe. Frau Bezelmann
versucht erfolglos, eine Zwangsjacke hinter ihrem Rücken zu
verstecken.
- "Leisch!" ruft Marianne, sobald die Schiebetür aufgleitet. "Bist du
jetzt völlig übergeschnappt?!"
"The vultures", sage ich betont würdevoll, "are not what they
seem!"
- Damit drücke ich rasch den Knopf für das oberste Stockwerk, und
die Schiebetür gleitet gehorsam wieder zu.
- "Er fährt nach oben!"
- höre ich Frau Bezelmann kreischen, und hastiges Schuhgetrappel
läßt mich vermuten, daß meine Kollegen versuchen, den Aufzug
im olympischen Treppenlauf zu schlagen. Um sie nicht völlig zu
demoralisieren, halte ich den Aufzug kurz vor dem Ziel wieder mit der Notbremse
an und drücke die Schiebetür mit der Hand ein Stück weit
auf.
Frau Bezelmanns schwarze Killerstilettos tauchen genau auf meiner
Augenhöhe auf.
- "Leisch!" japst der Kollege O. und geht in die Hocke, damit er mich
besser sehen kann. "Was ist denn bloß los mit dir?"
"Ich bin ein Geier", rufe ich mit drohender Stimme und schlage probeweise mit
meinen ausgedehnten Schwingen. Der Fahrstuhlkorb wackelt heftig. "Glooork!
Glork! Gloooooork!"
"Komplett übergeschnappt", sagt der Kollege O. halblaut nach hinten
zu Marianne und Frau Bezelmann. "Ich hab' schon immer gesagt, die Hauptseminare
des Chefs werden noch mal jemanden in den Wahnsinn
treiben ..."
"Lassen Sie mich mal", drängt sich Frau Bezelmann in den Vordergrund. "Ich
weiß, wie man mit Vögeln umgeht ... Hallo, Herr Geier! Kommen
Sie sich da unten nicht etwas beengt vor? In dem kleinen Käfig da, meine
ich. So ein großer Vogel wie Sie ... Sie sollten da herauskommen,
meinen Sie nicht?"
"Gloork!" sage ich und schaue lüstern auf Frau Bezelmanns
Stilettos.
"Wie wär's, wenn Sie ganz einfach den Lift weiterfahren ließen? Hier
im Treppenhaus ist viel mehr Platz zum Abheben ..."
- Ich höre auf, mit den Flügeln zu
schlagen.
- "Wissen Sie was?"
- sage ich geheimnisvoll und winke Frau Bezelmann, daß sie näher
kommen soll. Sie geht bereitwillig in die Knie und beugt sich zu mir
herab.
- "Ich bin gar nicht übergeschnappt", flüstere ich. "Ich habe nur
das Hauptseminar des Chefs ..."
"Ja?"
"Das Hauptseminar, Sie wissen schon?"
"Ja, natürlich! Ich weiß, wovon Sie reden: Das Hauptseminar von neun
bis elf ..."
"Genau!" Ich senke meine Stimme zu einem Wispern. "Ich habe mich
verliebt!"
"Was?!"
"In das Hauptseminar! Verliebt! Es heißt
Judith!"
- Damit löse ich die Notbremse und fahre wieder nach
unten.
Auf der sechsten Etage hält der Lift an, und eine Dame mittleren Alters
steigt ein. Wahrscheinlich eine von den evangelischen
TheologInnen.
- "Wußten Sie", sage ich plötzlich zwischen dem fünften und
vierten Stock, "daß bei allen Menschen mikroskopisch kleine Milben in den
Haarwurzeln der Augenbrauen leben?"
- Die Theologin lächelt ganz kurz in meine Richtung und fixiert dann
wieder angestrengt den geschlossenen Spalt der
Schiebetüren.
- "Natürlich nicht bei Geiern", sage ich beruhigend, "nur bei
Menschen!"
"Ah, ja? Tatsächlich?" sagt sie mit leichtem Tremolo in der
Stimme.
- Ich nicke und schweige, bis wir kurz vor dem Erdgeschoß
sind.
- "Geier", erkläre ich dann, "haben nämlich gar keine
Augenbrauen."
- Beim Öffnen der Schiebetüren lasse ich der Theologin wohlerzogen
den Vortritt, und sie schießt aus dem Lift wie eine Tomahawk III,
die einen russischen Bomber wittert.
Im Foyer steht der Chef und beantwortet noch ein paar Fragen von strebsamen
StudentInnen, oder solchen, die sich zumindest wichtig machen
wollen.
- ("Mami, Mami, ich habe heute mit meinem Professor
gesprochen!"
"Das ist ja großartig, Kleines. Und ...?"
"Er hat überhaupt nicht gebohrt!")
- Sobald der Chef mich erblickt, macht er sich von seinen Bewunderern frei
und eilt, mir den Weg ins Freie abzuschneiden.
- "Äh ... Leisch ... hmm ... einen Moment
noch ..."
"Ja?" sage ich mit der natürlichsten Stimme der
Welt.
- Der Chef stutzt und guckt mich forschend über den Rand seiner
Lesebrille an.
- "Ähm ... das ... äh ... vorhin im ... im
Hauptseminar ... mit dem ... äh ... Geier ...
Sie ..."
"Ja?" frage ich mit unschuldigem Augenaufschlag.
- Der Chef beugt sich vorsichtig vor und
flüstert:
- "Was ... äh ... was sollte ... hmm ... sollte das
denn, da vorhin ... äh ... meine ich ... im
Hauptseminar ..."
"Oh!" sage ich. "Das war nur ein psychologischer Test, wie unsere Studenten auf
unvorhergesehene Situationen reagieren. Sie wissen doch, daß wir noch
jemanden für die freigewordene Schleudersitz-Stelle
suchen ..."
"Ah ... ja?"
"Ja, ich wollte testen, ob vielleicht unter den Hauptfachstudenten im letzten
Semester ein cleverer Kandidat mit beflügeltem Geist dabei ist. Aber Sie
haben ja selber gesehen ... keiner hat reagiert -
leider!"
"Oh!" Der Chef ist sichtlich erleichtert. "Na, dann ...
äh ..."
"Übrigens", füge ich hinzu, "Könnte ich mir für morgen frei
nehmen?"
"Ja ... äh ... ich denke schon ...
warum?"
"Ich treff' mich mit ein paar Kollegen aus der Serengeti zum Wettfliegen am
Geierstein", sage ich und flattere ins Freie.
|