Sommerferien. Der Chef ist auf seiner üblichen Sommer-Konferenz-Welt-Tour
(New York, Malaysia, Fidschi, Hawaii, Berchtesgaden, Pretoria), Kollege O.
liegt immer noch mit Lila-Reizwäsche-Allergie im Krankenhaus, Marianne
besucht eine lesbische Veranstaltung zur Festigung der astralen
Persönlichkeit und sogar Frau Bezelmann ist auf einer Lama-Fang-Expedition
in den nördlichen Anden.
Und ich sitze hier mit Nero im Büro und langweile mich zu
Tode.
Nachdem wir uns drei Stunden lang abwechselnd angegähnt haben, und ich
schon Muskelkater in der Backenmuskulatur verspüre, nehme ich Neros
Käfig, und wir machen einen kurzen Ausflug hinüber ins Rechenzentrum
zu den Jungs der Hotline, die sich in diesen mauen Zeiten genauso langweilen
wie ich.
Anton, der offiziell gerade Schicht hat, studiert eigentlich transsilvanische
Metaphysik im 38. Semester, ist aber schon seit der Gründung des
Rechenzentrums mit dabei. Seine Kollege Konrad, der auch nur aus akuter
Langeweile hier herumlungert, ist von Beruf hauptamtlicher Schneeräumer
und arbeitet deshalb naturgemäß nur im Winter, und auch dann nur,
wenn eben Schnee liegt (ist ja logisch, oder?). Er hat diesen Beruf
gewählt, weil er erstens einzigartig ist, und weil er zweitens im Sommer
mehr Zeit hat, die Topless-Girls im Englischen Garten zu betrachten. Um nicht
verhungern zu müssen, verdingen sich beide als Hilfskräfte in der
Hotline des Rechenzentrums. Wir einigen uns, daß jeder mal im
Uhrzeigersinn dran ist, und mischen die Ausredenkarten. Kurz darauf klingelt
tatsächlich das Telefon. Konrad ist als erster dran und dreht den
Lautsprecher auf, während ich den DAT-Recorder einschalte. Beides
natürlich ganz fürchterlich streng verboten und deshalb ganz
besonders reizvoll.
- Der Anrufer nuschelt undeutlich:
- "Ist da die Hotline? ... Ah, ja. Also: immer wenn ich mich
einwählen will, kommt bloß so ein komisches Pfeifen und dann nichts
mehr ..."
"Ah, so! Verstehe ..."
- sagt Konrad und zieht eine Karte vom Stapel. Dann hält er sie hoch, so
daß wir sie alle sehen können:
'Elektromagnetische Doppler-Strahlung durch abstürzenden
Satelliten-Müll'
steht darauf. Alle Anwesenden - einschließlich Nero -
stöhnen unterdrückt. So ein alter Hut!
- "Alles, was Sie hören, ist also ein lautes Pfeifen", vergewissert
sich Konrad.
"Genau! Und dann passiert nichts mehr ..."
"Hmm, ich denke, da pfeift gar nicht Ihr Modem, sondern das ist wieder so eine
verdammte rotations-invariante Doppler-Einstrahlung der
Mir ..."
"Häh?"
"Ja, Sie wissen schon ... die Teile der alten russischen Raumstation Mir kommen
jetzt Teil für Teil herunter. Sie glauben gar nicht, was wir hier zur Zeit
für einen Ärger mit Dopplerstrahlung
haben ..."
- 'Sie wissen schon ...' ist ein alter Hotline-Trick. In der richtigen
Betonung macht es den ahnungslosen Deppen am anderen Ende zum
High-Tech-Mitverschworenen. Prompt kommt als nächstes aus dem
Lautsprecher:
- "Wirklich? Ach ja, stimmt! Davon habe ich auch schon
gehört ..."
- Was für ein Klugscheißer! Anton und ich geben beide das
Time-Out-Zeichen und Konrad muß nach den Spielregeln noch eine Karte
ziehen:
'Modem-Ausgang mit ausgebrannten Elektronen
verstopft'
- "Könnte aber auch sein", sagt Konrad nachdenklich, "daß Ihr
Modem-Port verstopft ist ..."
"Verstopft???"
"Ja, meistens, wenn das Modem längere Zeit nicht benutzt wurde, ist
der ganze Port voll mit ausgebrannten Elektronen ..."
"Ausgebr ...? Aber ..."
"Wann haben Sie das Ding denn das letzte mal
durchgespült?"
- Verblüfftes Schweigen. Dann:
- "Sie meinen ... so richtig ... durchspülen? Mit ... mit
Wasser ...?"
- Konrad seufzt laut ins Mikro.
- "Natürlich nicht mit Wasser! Sie wollen doch keinen Kurzschluß
in Ihrem Modem haben, oder? Alkohol natürlich! Reiner medizinischer
Alkohol! Oder Glycol können Sie auch nehmen. Einen kräftigen
Schuß durch die oberen Spülschlitze gießen! Sie werden sehen,
das wirkt bei verstopften Modem-Ports wahre Wunder .... Jaja, schon recht.
Auf Wiederhören ..."
"Schwach!"
- ist der einzige Kommentar von Anton, und Nero krächzt abfällig
dazu. Konrad holt beleidigt Luft, um seinem Leistungen zu verteidigen, aber in
diesem Moment läutet schon wieder das Telefon. Anton hebt ab. Diesmal ist
es eine sie, und wir rücken alle näher an den
Lautsprecher.
- "Ja, äh ... hallo erstmal", piepst sie fröhlich.
"Ja ... also, die Sache ist die: mein PC steht normalerweise in meinem
Arbeitszimmer ... Aber ich bräuchte ihn ja eigentlich mehr in der
Küche ..."
"Ähm ... in der Küche?"
"Genau! Wegen der Kochrezepte, und so. Und ... und in der
Gebrauchsanweisung steht nun, man solle den Computer aber nur an einem
trockenen Ort betreiben. Und eine Küche ist ja wohl nicht trocken, oder?
Mit dem ganzen Dampf, und so?"
"Äh ..."
"Und dann hatte ich diese geniale Idee, daß ich den Computer einfach im
Arbeitszimmer lasse, und nur den Schirm und die Tastatur in die
Küche ..."
"Genial", bestätigt Anton und wirft uns einen verzweifelten Blick zu. "Und
wo liegt jetzt das Problem?"
"Die Kabel sind zu kurz", kommt es vorwurfsvoll zurück, so als ob Anton
persönlich dafür zur Verantwortung zu ziehen
sei.
- Anton zieht eine Karte vom Stapel:
'Bügel-BH wirkt als Empfangsantenne'
- "Ja ... hmm ... ich verstehe. Sie bräuchten also eine
Verlängerung für den Monitor und die Tastatur, damit sie beides in
der Küche ... äh ... installieren
können ..."
"Prima! Wo gibt es denn solche Verlängerungen?"
"Hmm ... nicht so hastig. Die Tastatur sollte kein Problem sein. Aber beim
Bildschirm, da ist die Sache nicht so einfach, verstehen Sie? Wegen der hohen
Zeilenfrequenzen kann es zu üblen Interferenzen kommen ... Ich
muß jetzt eine etwas indiskrete Frage stellen: Tragen Sie einen
Bügel-BH?"
"Einen Bügel- ... was ... wieso wollen Sie denn das
wissen?!"
"Ich erklär's Ihnen kurz: Die intermodulare Bus-Taktfrequenz auf den
paarweise gespleißten TP-Leitungen des Monitor-Kabels strahlt irgendwo im
Fünfzig-Zentimeter-Band ..."
"Oh!" sagt sie.
- Mit anderen Worten: DUMMY MODE ON!
- "Ja, und wie Sie sich denken können ..." da war's wieder!
"... wird jede leitfähige Struktur von ca. 25 cm Länge als
Dipol-Antenne wirken und kräftige Resonanzen auslösen. Das kann
ausgesprochen unangenehm sein für ... für ... also für
den Träger eben! Tragen Sie also einen
Bügel-BH?"
"Äh ... ja ..."
"Ziehen Sie ihn aus!" sagt Anton ungerührt.
"Waaas?!"
"Ja, klar. Oder wollen Sie vielleicht die Bügellänge ausmessen,
während Sie ihn tragen? Ziehen Sie ihn aus, holen Sie ein Maßband
und messen die Länge der Bügel! Wir sollten das unbedingt
abklären, bevor Sie eine Verlängerung installieren. Schon aus
Sicherheitsgründen ..."
- Sie macht es! Sie legt den Hörer weg und macht es
tatsächlich!!!
Konrad und ich wälzen uns im ROTFL-Zustand auf dem Boden und stopfen uns
alte Quota-Ausdrucke von 1974 ins Maul, damit wir nicht laut losprusten. Auch
Konrad hat sichtlich Probleme, seine Stimme ruhig zu halten. Nach einer kurzen
Weile meldet sich die Anruferin wieder.
- "Achtundvierzig Zentimeter",
- haucht sie ins Telefon, und wir nicken alle anerkennend (auch Nero nickt).
Warum sind eigentlich alle Hotliners solche Chauvis? Müßte man auch
mal untersuchen ...
- "Achtundvierfzig also", wiederholt Anton. "Und Sie tragen immer
ungefähr den gleichen Bügel-BH?"
- Sie bestätigt auch das. Konrad murmelt ein paar Sekunden vor sich hin,
als würde er rasch im Kopf ein paar Formeln
überschlagen.
- "Schaut ganz so aus, als ob wir damit noch im unterstützten Bereich
liegen", verkündigt er dann fröhlich, und Anton prustet wieder los.
"Sie können sich also beruhigt eine Verlängerung besorgen. Die
bekommen Sie in jedem Computer-Fachgeschäft."
- Mir bleibt gerade noch Zeit, die Kassette zu wechseln und vom ISDN-Display
die Nummer der Bügel-BH-Frau zu notieren, da klingelt es schon wieder.
Diesmal hebe ich ab. Und es ist wieder eine sie! Heute ist scheint's unser
Glückstag!
Nach den einleitenden Floskeln sagt sie
schüchtern:
- "Ja, also ... ich habe nämlich einen Macintosh
Computer ..."
- Ich sage ihr beruhigend, daß das bestimmt nichts sei, weswegen man
sich schämen müsse, und wo denn das Problem
liege.
- "Ja, also. Seit heute morgen bleibt der Bildschirm einfach
dunkel ..."
- Ich ziehe meine Karte:
'Akustische Ferndiagnose'
- "Er bleibt also dunkel", sage ich, "und sonst passiert nichts? Sind zum
Beispiel irgendwelche Töne hörbar?"
"Ja, stimmt! Wenn man ihn einschaltet, kommen ein paar seltsame
Töne ..."
- Ganz klar: die berühmten 'Chimes of Death'. Wahrscheinlich ein
defektes RAM-Modul oder sonst irgendwas Ekelhaftes auf dem Motherboard.
Irgendein ausgeflippter Programmier-Freak bei Apple muß damals wirklich
eine gute Zeit gehabt haben! Hmm, mal sehen, was man daraus machen
kann ...
- "Können Sie ihn mal einschalten? Ich würde mir das gerne mal
anhören ..."
"Ja ... äh ... das geht leider nicht: Der Mac steht im ersten
Stock und oben habe ich kein Telefon ..."
- Perfekt!
- "Es ist ganz wichtig, daß ich einen kreuzmodulierten Referenz-Check
mit Hilfe des akustischen Ferndiagnose-Units durchführen kann", sage ich
eindringlich.
"Oh!"
- sagt sie. Mit anderen Worten, usw.
- "Sie gehen jetzt hinauf zu dem Patienten, schalten ihn an und versuchen
sich die Melodie zu merken. Dann kommen Sie wieder zum Telefon und singen die
Melodie nach ..."
"Ähm ... ok ..."
- Sie macht es! Vielleicht könnte ich sie sogar bitten, ein Taxi zu
rufen, dem Taxifahrer die Melodie beizubringen und ihn hierher zu
schicken ... Naja, wir wollen es mal nicht
übertreiben!
Während sie weg ist, ermittele ich aus der Telefonnummer rasch ihre Daten.
Drei Minuten später ist sie wieder da.
- "Also ..."
"Moment noch", unterbreche ich, "ich muß noch den Ferndiagnose-Unit
starten ..." Ich klappere ein wenig mit der Tastatur.
"Jetzt!"
"Hrrrm ... dadadidaaah - didadadaaaahhh!"
- Ich reagiere nicht.
- "Hallo?" meldet sie sich nervös. "Haben
Sie ...?"
"Sind Sie GANZ sicher mit der Melodie?" frage ich
skeptisch.
"Äh ... ja, ich denke schon ..."
"Singen Sie's nochmal!"
"Aber ..."
"Singen Sie's einfach nochmal, ok? Vielleicht mit etwas mehr Gefühl, ja?
Ich kann das einfach nicht glauben. Unglaublich so
was ..."
- Sie singt es tatsächlich noch einmal, allerdings mit ziemlich zittriger
Stimme. Ich lasse sie noch insgesamt sechsmal vorsingen. Unglaublich,
zu was sich Leute von der Hotline bringen lassen. Dann hole ich tief
Luft und sage:
- "Tja, also, ich weiß jetzt gar nicht, wie ich Ihnen das
'rüberbringen soll. Ich mache schon 12 Jahre Dienst in der Hotline,
aber so etwas ..."
- "WAS denn? WAS?!"
- Die Dame ist inzwischen schon leicht hysterisch.
- "Also, der Ferndiagnose-Unit hier hat sich das siebenmal angehört und
behauptet ... Ich muß aber noch anmerken, daß immer noch ein
kleine Chance besteht, daß der Unit sich geirrt hat, ich
meine ..."
"WAS?! WAS SAGT ER?!"
"Er hat also die Melodie de-kodiert und meldet folgenden Text: 'Mein Leben ist
sinnlos geworden, seit du mein Display nicht mehr streichelst. Lebe wohl,
Katharina!' Heißen Sie Katharina?"
- Schweigen in der Leitung. Dann ein ganz
schwaches:
- "Ja ..."
"Herzliches Beileid" sage ich mit gedämpfter Stimme, "ich fürchte, da
sind wir mit unserer Kunst am Ende. Am besten wenden Sie sich wegen der
Beerdigung an einen Apple Vertragshändler ... ich meine, wegen der
Entsorgung ..."
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