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02.07.1999 BASTARD   MAILING   LIST   © Florian Schiel
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The Carp Model
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Der Chef hat mich beauftragt, in diesem Semester für den Kollegen O. einzuspringen, der mit einer akuten Textilfarben-Allergie in einer Spezialklinik im Allgäu liegt. Böse Zungen (hauptsächlich Frau Bezelmanns!) behaupten, O.s Allergie beschränke sich ausschließlich auf die Farbe Lila und sei darauf hin zurückzuführen, daß er seine Frau nur noch mit lila Unterwäsche ... und so weiter. Ich brauche das hier ja nicht so ausführlich darzulegen, wie dies Frau Bezelmann und Marianne zur Zeit in jeder Kaffeepause tun! 
Jedenfalls hält der Kollege O. im Sommersemester regelmäßig die 'Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten mittels EDV-Anlagen' (groan!), intern bei uns am LEERstuhl auch 'Aufklärungsstunde' genannt. In dieser Veranstaltung für Nicht-Ingenieurs-Studenten ist das LEERnziel normalerweise bereits erreicht, wenn die Kandidaten einen PC von einem Eierkocher unterscheiden können! 
Um herauszufinden, was der Kollege O. in der ersten Stunde mit den Studis gemacht hat, gehe ich in seinen Account, überfliege kurz aus alter Gewohnheit seine persönliche Mailbox und mache ich mich dann auf die Suche nach seinen Vorlesungsunterlagen. Ich finde aber nix. Also begebe ich mich physikalisch (!) in sein Büro und gucke, ob dort was Schriftliches herumliegt. Tatsächlich finde ich unter einem Stapel alter Versandhaus-Kataloge (hauptsächlich italienische Designer-Reizwäsche) einen Zettel mit ein paar unleserlichen Bleistift-Notizen. Entzückend! Nachdem ich O.s Klaue sowieso nicht entziffern kann - warum kann er auch nicht wie jeder ordentliche Rechner in Times Roman schreiben! -, werfe ich den Zettel in Frau Bezelmanns Reißwolf und beschließe einfach zu improvisieren.
"Als allererstes müssen wir über Sicherheit und Hygiene reden", beginne ich mit ernster Miene. Die kleine Gruppe verschüchterter Germanistik-, Anglistik-, Finno-Ukristik- und Etcetera-istik-Studentinnen (mit kleinem 'i'!) starrt mich mit großen erschrockenen Augen an. Wahrscheinlich hat der Kollege O. letzte Woche erklärt: 'Als allererstes müssen wir den Einschaltknopf vom Bildschirm finden.', und dann haben sie eine halbe Stunde geübt, diesen blöden Knopf zu finden und ihn vom Resetknopf zu unterscheiden. Und jetzt kommt da plötzlich ein neuer Dozent und interessiert sich gar nicht für den Einschaltknopf des Bildschirms! 
"Computer-Hygiene wird leider oft nicht ernst genommen", erkläre ich und verteile Sagrotan-Spray und Alkohol-Tücher unter die Studentinnen. "Woher kommen wohl die ständigen Horrormeldungen über gefährliche Computer-Viren? Na? Eben! Weil die Leute nicht einmal die einfachsten Hygiene-Vorschriften beachten! Also!" Ich gucke streng durch die Reihen. "Jeder, der schon seine Tastatur oder die Maus berührt hat, geht jetzt sofort auf die Toilette und wäscht sich gründlichst die Hände! Die anderen beginnen schon mal, alle Berührungsflächen auf Tastatur und Maus peinlichst zu desinfizieren! Auch das Display! Ich habe keine Lust, nach der Stunde wieder Dutzende von bulgarischen Viren im System zu haben!" 
Die 'istik'-Studentinnen machen sich mit Feuereifer an die Arbeit. Das ist doch mal endlich was Handfestes! Ich gehe derweil hinunter in die Cafete und gönne mir eine kleine Stärkung. Ziemlich aufreibend, der LEERberuf! Vor allem wenn man es mit Leuten zu tun hat, die noch nicht mal die einfachsten Grundlagen beherrschen! 
Eine halbe Stunde später inspiziere ich die Tastaturen und jede einzelne Maus. Aus pädagogischen Gründen mache ich eine Anglistik-Studentin, die auf der 'ü'-Taste ein Stäubchen übersehen hat, gründlich zur Sau. Damit wissen jetzt alle, daß es bei mir auf sorgfältiges Arbeiten ankommt! 
"Übrigens", sage ich dann, " muß jeder, der zu Hause einen privaten PC hat, aus Sicherheitsgründen während dieser Veranstaltung sterile Handschuhe und eine Atemschutzmaske tragen. Sie bekommen das in jeder Apotheke. Wehe, wenn ich hier auf einem Rechner einen Virus entdecke, den Sie eingeschleppt haben!!!" 
Nach dieser eindringlichen Warnung schaue ich auf die Uhr und erkläre, daß es sich heute sowieso nicht mehr lohne, mit dem Login-Prozeß zu beginnen, und gebe allen die Hausaufgabe auf, sich bis zum nächsten Mal ein Passwort zu überlegen, daß man sich möglichst leicht merken könne. 
"Kleine Hilfestellung: Besonders gut eignen sich der Vorname oder der Nachname." 
In der nächsten Veranstaltung tragen tatsächlich über die Hälfte der Teilnehmer Atemschutzmasken und Handschuhe. Hmm, vielleicht könnte ich sie auch noch zu grüner OP-Kleidung überreden ... Aber sie schauen auch so schon aus wie ein verdattertes Chirurgen-Team, dem man die Skalpelle geklaut hat. Nun denn ... 
"Heute lernen wir, was ein Passwort ist! Sie haben sich alle ein Passwort überlegt, daß man sich gut merken kann? Gut! Damit Sie es nicht vergessen können, speichern Sie jetzt alle Ihr Passwort in einem File namens 'PASSWORT' in Ihrem Home-Directory ..." 
Ich erkläre im Einzelnen, wie man das macht, und ... sie machen es! 
Keiner kommt auf die Idee, daß es vielleicht nicht so ganz schlau ist, ein Passwort einfach so abzuspeichern. Erstaunlicherweise denkt auch niemand daran, daß er ja gar nicht mehr an die Datei herankommt, wenn er sein Passwort vergessen hat. Ich kopiere mir rasch alle Dateien und schicke einen 'at'-Job los, der die Dinger nach einer Stunde zyklisch vertauscht. 
Mal sehen, wie weit man sie noch treiben kann ... 
"Ihr Passwort dürfen Sie auf GAR KEINEN FALL vergessen! Schreiben Sie es deshalb auch noch auf einen Zettel und kleben diesen mit Tesa an den Monitor!" 
Sie machen es! Und ohne mit der Wimper zu zucken! 
Zu einer guten Vorlesung gehört, daß man zusätzliche interessante Hintergrundinformationen gibt: 
"Passwörter dienen oberflächlich dazu, die Daten eines Benutzer vor fremden Zugriff zu schützen. So ist die allgemeine LEERmeinung. In Wirklichkeit ist das natürlich vollkommener Bullshit, weil jeder Operator und Sysadmin trotzdem auf alle Daten zugreifen kann. Frei nach dem Motto: 'Ich bin /root, ich darf das!' Tatsächlich ist das ganze Passwortsystem nur zum Amüsement der Systemadministratoren da, weil die sich dann über die idiotischen Passwörter kaputtlachen können ..." 
Drei Studentinnen werden tatsächlich so rot wie Strauchtomaten. Muß mir ihre Passwörter nachher mal genauer anschauen ... 
Gerade noch rechtzeitig fällt mir was Wichtiges ein: 
"Einzige Ausnahme sind natürlich Ihre Mailboxen (email lernen wir übernächste Stunde). Die sind absolut hyper-sicher geschützt; so sicher wie das Briefgeheimnis bei der Post AG." 
Schließlich will ich nicht auf meine tägliche Lektüre verzichten ... 
Zum Schluß erkläre ich noch kurz, wie man nach getaner Arbeit den Arbeitsplatz hinterläßt: 
"Schalten Sie niemals, ich wiederhole: NIEMALS, irgend etwas aus. Drücken Sie überhaupt auf gar keine Knöpfe, außer den Tasten auf der Tastatur! Gar keine, verstanden? Wenn Sie mit Ihrer Arbeit fertig sind, brauchen Sie nur den automatischen Bildschirmschoner aktivieren. Wie man das macht? Ganz einfach: in jedem Display sind drei bio-ophtamologische Wärmesensoren eingebaut; seitlich links und rechts und einer oben drauf. Sie aktivieren den automatischen Bildschirmschoner, indem Sie je links und rechts die Hand aufs Gehäuse pressen und gleichzeitig Ihr Kinn auf die Oberkante des Bildschirms stützen. Also ungefähr so ..." Ich mache die Übung kurz vor. "Nach einer gewissen Zeit erwärmen sich die Sensoren und der Bildschirmschoner wird aktiviert. Außerdem ist das eine gute isometrische Übung für Ihre Wirbelsäule ..." 
SIE MACHEN ES!!! SIE MACHEN ES TATSÄCHLICH!!! 
Zwanzig Studentinnen stützen ihren Kopf auf die Displays wie Verurteilte unter der Guillotine bei einer Massenhinrichtung! Hoffentlich kommt jetzt gleich der Chef herein! Natürlich habe ich noch kurz vorher die Aktivierungszeit für die Bildschirmschoner auf zehn Minuten erhöht. Keinem fällt auf, daß man in dieser unbequemen Stellung gar nicht SEHEN kann, wenn sich der Bildschirmschoner aktiviert. 
Ich winke noch einmal freundlich und gehe nach Hause.
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