Der Chef hat mich beauftragt, in diesem Semester für den Kollegen O.
einzuspringen, der mit einer akuten Textilfarben-Allergie in einer
Spezialklinik im Allgäu liegt. Böse Zungen (hauptsächlich Frau
Bezelmanns!) behaupten, O.s Allergie beschränke sich ausschließlich
auf die Farbe Lila und sei darauf hin zurückzuführen, daß er
seine Frau nur noch mit lila Unterwäsche ... und so weiter. Ich
brauche das hier ja nicht so ausführlich darzulegen, wie dies Frau
Bezelmann und Marianne zur Zeit in jeder Kaffeepause tun!
Jedenfalls hält der Kollege O. im Sommersemester
regelmäßig die 'Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten
mittels EDV-Anlagen' (groan!), intern bei uns am LEERstuhl auch
'Aufklärungsstunde' genannt. In dieser Veranstaltung für
Nicht-Ingenieurs-Studenten ist das LEERnziel normalerweise bereits erreicht,
wenn die Kandidaten einen PC von einem Eierkocher unterscheiden
können!
Um herauszufinden, was der Kollege O. in der ersten Stunde mit den Studis
gemacht hat, gehe ich in seinen Account, überfliege kurz aus alter
Gewohnheit seine persönliche Mailbox und mache ich mich dann auf die Suche
nach seinen Vorlesungsunterlagen. Ich finde aber nix. Also begebe ich mich
physikalisch (!) in sein Büro und gucke, ob dort was Schriftliches
herumliegt. Tatsächlich finde ich unter einem Stapel alter
Versandhaus-Kataloge (hauptsächlich italienische Designer-Reizwäsche)
einen Zettel mit ein paar unleserlichen Bleistift-Notizen. Entzückend!
Nachdem ich O.s Klaue sowieso nicht entziffern kann - warum kann er auch
nicht wie jeder ordentliche Rechner in Times Roman schreiben! -, werfe ich
den Zettel in Frau Bezelmanns Reißwolf und beschließe einfach zu
improvisieren.
- "Als allererstes müssen wir über Sicherheit und Hygiene reden",
beginne ich mit ernster Miene. Die kleine Gruppe verschüchterter
Germanistik-, Anglistik-, Finno-Ukristik- und Etcetera-istik-Studentinnen (mit
kleinem 'i'!) starrt mich mit großen erschrockenen Augen an.
Wahrscheinlich hat der Kollege O. letzte Woche erklärt: 'Als
allererstes müssen wir den Einschaltknopf vom Bildschirm finden.', und
dann haben sie eine halbe Stunde geübt, diesen blöden Knopf zu finden
und ihn vom Resetknopf zu unterscheiden. Und jetzt kommt da plötzlich ein
neuer Dozent und interessiert sich gar nicht für den Einschaltknopf des
Bildschirms!
"Computer-Hygiene wird leider oft nicht ernst genommen", erkläre ich und
verteile Sagrotan-Spray und Alkohol-Tücher unter die Studentinnen. "Woher
kommen wohl die ständigen Horrormeldungen über gefährliche
Computer-Viren? Na? Eben! Weil die Leute nicht einmal die einfachsten
Hygiene-Vorschriften beachten! Also!" Ich gucke streng durch die Reihen.
"Jeder, der schon seine Tastatur oder die Maus berührt hat, geht jetzt
sofort auf die Toilette und wäscht sich gründlichst die Hände!
Die anderen beginnen schon mal, alle Berührungsflächen auf Tastatur
und Maus peinlichst zu desinfizieren! Auch das Display! Ich habe keine Lust,
nach der Stunde wieder Dutzende von bulgarischen Viren im System zu
haben!"
- Die 'istik'-Studentinnen machen sich mit Feuereifer an die Arbeit. Das ist
doch mal endlich was Handfestes! Ich gehe derweil hinunter in die Cafete und
gönne mir eine kleine Stärkung. Ziemlich aufreibend, der LEERberuf!
Vor allem wenn man es mit Leuten zu tun hat, die noch nicht mal die einfachsten
Grundlagen beherrschen!
Eine halbe Stunde später inspiziere ich die Tastaturen und jede einzelne
Maus. Aus pädagogischen Gründen mache ich eine Anglistik-Studentin,
die auf der 'ü'-Taste ein Stäubchen übersehen hat,
gründlich zur Sau. Damit wissen jetzt alle, daß es bei mir auf
sorgfältiges Arbeiten ankommt!
- "Übrigens", sage ich dann, " muß jeder, der zu Hause einen
privaten PC hat, aus Sicherheitsgründen während dieser Veranstaltung
sterile Handschuhe und eine Atemschutzmaske tragen. Sie bekommen das in jeder
Apotheke. Wehe, wenn ich hier auf einem Rechner einen Virus entdecke, den Sie
eingeschleppt haben!!!"
- Nach dieser eindringlichen Warnung schaue ich auf die Uhr und erkläre,
daß es sich heute sowieso nicht mehr lohne, mit dem Login-Prozeß zu
beginnen, und gebe allen die Hausaufgabe auf, sich bis zum nächsten Mal
ein Passwort zu überlegen, daß man sich möglichst leicht merken
könne.
- "Kleine Hilfestellung: Besonders gut eignen sich der Vorname oder der
Nachname."
- In der nächsten Veranstaltung tragen tatsächlich über die
Hälfte der Teilnehmer Atemschutzmasken und Handschuhe. Hmm, vielleicht
könnte ich sie auch noch zu grüner OP-Kleidung
überreden ... Aber sie schauen auch so schon aus wie ein verdattertes
Chirurgen-Team, dem man die Skalpelle geklaut hat. Nun
denn ...
- "Heute lernen wir, was ein Passwort ist! Sie haben sich alle ein Passwort
überlegt, daß man sich gut merken kann? Gut! Damit Sie es nicht
vergessen können, speichern Sie jetzt alle Ihr Passwort in einem File
namens 'PASSWORT' in Ihrem Home-Directory ..."
- Ich erkläre im Einzelnen, wie man das macht, und ... sie machen
es!
Keiner kommt auf die Idee, daß es vielleicht nicht so ganz schlau ist,
ein Passwort einfach so abzuspeichern. Erstaunlicherweise denkt auch niemand
daran, daß er ja gar nicht mehr an die Datei herankommt, wenn er sein
Passwort vergessen hat. Ich kopiere mir rasch alle Dateien und schicke einen
'at'-Job los, der die Dinger nach einer Stunde zyklisch
vertauscht.
Mal sehen, wie weit man sie noch treiben kann ...
- "Ihr Passwort dürfen Sie auf GAR KEINEN FALL vergessen! Schreiben Sie
es deshalb auch noch auf einen Zettel und kleben diesen mit Tesa an den
Monitor!"
- Sie machen es! Und ohne mit der Wimper zu zucken!
Zu einer guten Vorlesung gehört, daß man zusätzliche
interessante Hintergrundinformationen gibt:
- "Passwörter dienen oberflächlich dazu, die Daten eines Benutzer
vor fremden Zugriff zu schützen. So ist die allgemeine LEERmeinung. In
Wirklichkeit ist das natürlich vollkommener Bullshit, weil jeder Operator
und Sysadmin trotzdem auf alle Daten zugreifen kann. Frei nach dem Motto: 'Ich
bin /root, ich darf das!' Tatsächlich ist das ganze Passwortsystem nur zum
Amüsement der Systemadministratoren da, weil die sich dann über die
idiotischen Passwörter kaputtlachen
können ..."
- Drei Studentinnen werden tatsächlich so rot wie Strauchtomaten.
Muß mir ihre Passwörter nachher mal genauer
anschauen ...
Gerade noch rechtzeitig fällt mir was Wichtiges
ein:
- "Einzige Ausnahme sind natürlich Ihre Mailboxen (email lernen wir
übernächste Stunde). Die sind absolut hyper-sicher geschützt; so
sicher wie das Briefgeheimnis bei der Post AG."
- Schließlich will ich nicht auf meine tägliche Lektüre
verzichten ...
Zum Schluß erkläre ich noch kurz, wie man nach getaner Arbeit den
Arbeitsplatz hinterläßt:
- "Schalten Sie niemals, ich wiederhole: NIEMALS, irgend etwas aus.
Drücken Sie überhaupt auf gar keine Knöpfe, außer den
Tasten auf der Tastatur! Gar keine, verstanden? Wenn Sie mit Ihrer Arbeit
fertig sind, brauchen Sie nur den automatischen Bildschirmschoner aktivieren.
Wie man das macht? Ganz einfach: in jedem Display sind drei bio-ophtamologische
Wärmesensoren eingebaut; seitlich links und rechts und einer oben drauf.
Sie aktivieren den automatischen Bildschirmschoner, indem Sie je links und
rechts die Hand aufs Gehäuse pressen und gleichzeitig Ihr Kinn auf die
Oberkante des Bildschirms stützen. Also ungefähr so ..." Ich mache die
Übung kurz vor. "Nach einer gewissen Zeit erwärmen sich die Sensoren
und der Bildschirmschoner wird aktiviert. Außerdem ist das eine gute
isometrische Übung für Ihre
Wirbelsäule ..."
- SIE MACHEN ES!!! SIE MACHEN ES TATSÄCHLICH!!!
Zwanzig Studentinnen stützen ihren Kopf auf die Displays wie Verurteilte
unter der Guillotine bei einer Massenhinrichtung! Hoffentlich kommt jetzt
gleich der Chef herein! Natürlich habe ich noch kurz vorher die
Aktivierungszeit für die Bildschirmschoner auf zehn Minuten erhöht.
Keinem fällt auf, daß man in dieser unbequemen Stellung gar nicht
SEHEN kann, wenn sich der Bildschirmschoner aktiviert.
Ich winke noch einmal freundlich und gehe nach Hause.
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