- Nach einem ausgiebigen 2-Stunden-Snack in der Cafete komme ich zurück
zu meinem Allerheiligsten und erwische mitten im Gang kniend einen
langaufgeschossenen Kerl mit asketischen-hageren Gesichtszügen, wie er
gerade intensiv unseren Kabelschrank beschnüffelt.
Bevor ich noch einen Ton sagen kann, springt er hektisch auf wie ein
überdimensionales Rumpelstilzchen und blinkt mich mit fiebrig
glänzenden Augen an.
- "Brennbar", erklärt er strahlend und klopft im Silbentakt zweimal
gegen die Schranktüre. "Brenn-bar."
- Bevor ich noch eine adäquate Antwort formulieren kann - ich
bezweifle, daß es in diesem Fall überhaupt eine adäquate
Antwort gibt -, saust er weiter zu Mariannes Bürotüre, wo er mit
einer unendlich hingebungsvollen, zärtlichen Handbewegung über die
aufgeklebten Kursankündigungen streicht.
- "Leicht entzündlich", flüstert er kaum hörbar, wie in
Ekstase, und streichelt noch einmal mit beiden Händen über das
Papier.
- Marianne reißt wütend die Bürotüre auf, um
herauszufinden was da an ihrer Türe kratzt, und eine Sekunde lang starrt
sie dem Typen, der mit erhobenen Armen dasteht, als wolle er nach ihrem
stattlichen Busen greifen, verblüfft in die tiefliegenden blassen
Augen.
- "Was zum Teufel ...?" beginnt Marianne erbost, aber der Riese
unterbricht sie, indem er zweimal energisch auf ihre Türe
klopft:
"Brenn-bar", sagt er strafend.
Marianne glotzt ihre Türe an. "Natürlich ist die Türe brennbar!
Sie ist ja schließlich aus Holz!"
"Ah!" ruft er überlegen lächelnd und hebt wichtig den
Zeigefinger. "Nicht die Türe; das Papier!"
- Er deutet anklagend auf die Ankündigung zu Mariannes
Mikroprozessor-Praktikum. Seine Augen bekommen plötzlich einen
Schleier.
- "Ach, Papier", seufzt er verzückt, wendet sich ohne ein weiteres Wort
ab und trottet weiter durch den Gang in Richtung Sekretariat, wo Frau
Bezelmann, die sich gerade zum Lunch begeben wollte, ihm mißtrauisch
entgegen blickt.
- Marianne guckt mich fragend an; ich mache das einschlägige
'Wieder-so-ein-durchgeknallter-Philosophie-Student-im-58sten-Semester'-Zeichen
und zucke mit den Schultern. Ein markerschütternder Jubel-Schrei
läßt uns beide zusammenzucken.
Der Typ hat Frau Bezelmanns Super-Monster-Kopierer mit eingebauter
Bosheits-Automatik entdeckt. Das Kopier-Ungetüm, das von allen
Mitarbeitern im Geheimen 'Das Ding aus einer anderen Welt' genannt wird, ist
bekannt dafür, daß die Wahrscheinlichkeit für eine Fehlfunktion
direkt proportional zur Dringlichkeit des Kopierauftrags ist. Wenn zum Beispiel
das Seminar schon seit zehn Minuten läuft, und man noch ganz dringend
zwanzig Kopien des Handouts braucht, kann man mit 150%iger Wahrscheinlichkeit
damit rechnen, daß es einen Papierstau gibt oder daß man Toner auf
den frisch gereinigten Anzug gespuckt bekommt oder daß das Ding
infernalisch nach dem Service-Techniker tutet. Böse Zungen behaupten, Frau
Bezelmann habe das Ding eigenhändig unter 69 sogenannten Montags-Maschinen
ausgesucht; noch bösere Zungen behaupten, ich hätte ihr dabei
geholfen. Da die Kiste zu groß für die Türe zum Sekretariat
war, steht sie jetzt halt mitten auf dem Gang in trauter Gesellschaft mit einer
ausgemusterten, aber noch nicht de-inventarisierten PDP11 und einem riesigen
Stapel Kartone für Computer-Displays, die wir grundsätzlich aufheben,
weil an unserem LEERstuhl sowieso kein Bildschirm die Garantiezeit
überlebt.
- Aus irgendeinem Grunde findet der Unbekannte das alles ganz phantastisch.
"Leicht entflammbar", bemerkt er freundlich zu den aufgestapelten Kartonen.
"Potentieller Brandherd", sagt er ernst und deutet bedeutungsvoll auf das 'Ding
aus einer anderen Welt'. Er umrundet zweifelnd die PDP11, bis er auf der Seite
heraushängende Kabelbäume entdeckt. "PVC", seufzt er
glücklich.
- Frau Bezelmann beobachtet all diese Aktivitäten im unmittelbaren
Bereich ihrer Einflusssphäre mit wachsender Unlust; ihre Mundwinkel ziehen
sich bedrohlich nach unten; der Rabe Nero, der sich wieder mal gegen meine
ausdrückliche Anweisung außerhalb seines Käfigs aufhält,
flattert ihr auf die Schulter und krächzt warnend. Marianne und ich
bleiben in sicherem Abstand stehen, um nicht aus Versehen mit dem anvisierten
Zielobjekt assoziiert zu werden.
- "Sie!" zischt Frau Bezelmann mit Null-Grad-Kelvin-Stimme. "Darf ich mal
fragen, was Sie da eigentlich treiben? Wer sind Sie
überhaupt?!"
Der hagere Riese dreht sich unbekümmert um und strahlt Frau Bezelmann mit
seinen fiebrig glänzenden Augen an. "Dr. Dauerbrandt ...", stellt er
sich fröhlich vor und entblößt seine langen gelben Zähne
zu einem wölfischen Grinsen, "... von der
Brandschutz-Direktion."
- Marianne zieht scharf die Luft ein; Frau Bezelmann und ich wechseln
einen bedeutsamen Blick.
ALARMSTUFE ROT
Das letzte Mal als die Brandschutz-Direktion unseren LEERstuhl inspiziert
hatte - das muß jetzt so etwa 15 Jahre her sein -, waren vier
Räume wegen fehlender Fluchtwege geschlossen worden, wurden drei Projekte
abgebrochen, weil die Versuchsaufbauten angeblich eine akute Feuergefahr
darstellten, hatten vier Mitarbeiter Nervenzusammenbrüche bekommen, weil
die ausliegenden Vorschriften zu viele logische innere Widersprüche
enthielten, konnte der Chef wochenlang sein Büro nicht benutzen, weil die
Holztäfelung mit Asbest unterfüttert werden mußte und ich
durfte mich von meinen schon damals kunstvoll aufgetürmten
Bildschirm-Kartonagen trennen, die sich mittels einer kunstvoll angelegten
Technik besonders attraktiven Studentinnen vor die Füße stürzen
ließen (welche ich daraufhin als Trost für den erlittenen Schrecken
ins Uni-Cafe einladen durfte).
- "Ah ... oh ...", stottert Frau Bezelmann etwas aus dem Konzept
gebracht, "haben Sie ... können Sie sich denn
ausweisen?"
"Ausweisen?" fragt der Inspektor verwundert und legt den Kopf schief. "Ist
das da eigentlich ein echter Rabe?"
"Äh ... natürlich!" bestätigt Frau Bezelmann
entrüstet.
"Glauben Sie, daß seine Federn brennbar sind?"
Frau Bezelmann schnappt wütend nach Luft. Bevor noch mehr Unheil passiert,
halte ich es für angeraten einzugreifen: "So, Sie sind also vom der
Brandschutz-Direktion", sage ich herzlich und schüttele heftig die
heiße Hand des Inspektors. "So früh hatten wir Sie eigentlich gar
nicht erwartet, aber wie Sie ja sehen können, haben wir keine Mühe
gescheut."
- Ich mache eine erklärende Geste über den Kopierer und die
Bildschirm-Kartone.
- Der Inspektor guckt erst mich, dann die Kartone fragend an:
"Mühe gescheut? Äh ..."
"Aber ja", unterbreche ich eifrig, "gleich nach dem Anruf Ihrer Abteilung
haben wir einen geeigneten Platz ausgesucht und mit dem Versuchsaufbau
begonnen. Wie Sie sehen, ist alles an seinem Ort. Aber für Ergebnisse
ist es ja wohl wirklich noch zu früh. Hatten wir nicht bis November
für die Laufzeit vereinbart?"
- Der Inspektor ist jetzt sichtbar verwirrt. Irgendetwas läuft nicht so
wie sonst. Normalerweise fliehen die Angestellten mit allen Anzeichen des
Grauens vor seinem unerbittlichen Inspektionsblick. Überall begegnet er
Mißtrauen und äußerster Vorsicht. Niemand will länger mit
ihm sprechen als unbedingt notwendig. Aber hier wird er empfangen wie ein lange
erwarteter Mitarbeiter. Man sieht förmlich, wie in seinem Großhirn
die roten Warnlampen blinken.
- "Was denn für Ergebnisse?" fragt er unsicher.
Ich gucke ihn verwundert an: "Na, die statistische Auswertung werden Sie wohl
doch selber vornehmen, oder? Ich meine, wir haben alles getan, um das Setup so
echt wie möglich zu gestalten, aber die Berichte ihrer Inspektoren, die
bekommen wir ja gar nicht mehr zu Gesicht, denke ich. Also muß das doch
Ihre Abteilung dann auswerten. Oder habe ich das falsch
verstanden?"
Der Inspektor ist jetzt hoffnungslos von der üblichen Route abgekommen. Er
bringt nur noch ein hilfloses "Häh?" zustande.
Ich mime auf einmal den grenzenlos Bestürzten: "Oh je! Sind Sie am Ende
gar nicht von der Abteilung Controling? Ich meine ... äh ... wie
soll ich sagen ... ähm ... sind Sie tatsächlich ein
wirklicher Brandschutz-Inspektor ...?"
"Äh ... ja ..."
"... so richtig auf routinemäßiger Inspektion? Sie sind gar
nicht gekommen, um sich den Versuchsaufbau anzuschauen?" Ich fuchtele in
Richtung des Kopierers.
"Nein ... äh ... doch, ja ... ich meine ..." Dem
Inspektor tritt sichtbar der Schweiß auf die Stirne.
"Oh Himmel! Ist mir das peinlich", stöhne ich theatralisch und
maßiere mir die Nasenwurzel. "Ist das jetzt nicht bodenlos blöde
gelaufen?" Ich starre Frau Bezelmann auffordernd an.
"Äh ... ja", improvisiert Frau Bezelmann nervös, "das ist jetzt
ziemlich ... äh ..."
"Peinlich", sekundiert Marianne aus dem Hintergrund.
Der Inspektor guckt verwirrt von einem zum anderen. Ich fasse ihn sanft am Arm
und führe ihn sacht aus der Gefahrenzone ins Sekretariat. "Sie müssen
verstehen", sage ich entschuldigend, "daß wir einfach nicht mit einem so
schnellen Auftauchen der ersten ... äh ... Versuchsperson
gerechnet haben ..."
"Versuchsperson?"
"Nun ja. Sehen Sie - es ist mir fürchterlich peinlich, aber ich kann
Ihnen das natürlich erklären: das alles da draußen ...",
ich deute mit dem Daumen nach hinten, "ist selbstverständlich nicht
echt ..."
"Nicht echt?!"
Ich schüttele den Kopf: "Nein, das ist ein Versuchsaufbau, um den uns die
Controling-Abteilung der Brandschutz-Direktion letzte Woche gebeten hat. Er
dient dazu - nun ja, was soll ich weiter um den heißen Brei herum
reden - er dient dazu, die Sorgfalt der Inspektoren zu ...
äh ... zu evaluieren ... Sie
verstehen ..."
"Oh", sagt der Inspektor erleichtert, als sein gewohntes Weltbild a la Orwell
plötzlich wieder ins rechte Lot rückt.
"... und Sie haben nun durch meine Dummheit ... oder anders herum:
durch meine Dummheit ist Ihre Beurteilung jetzt natürlich hinfällig
geworden ... obwohl Sie ja ganz vorbildlich gearbeitet haben ... es
tut mir so leid ..."
"Ah, ja", sagt Dauerbrandt und nimmt Haltung an. "So ...
hmm ..."
"Wissen Sie was" sage ich entschlossen und blicke ihm ernst in die Augen, "ich
nehme das auf meine Kappe. Ich rufe Poschenrieder an und erkläre ihm
alles. Vor allem sage ich ihm, daß Sie ja schon, bevor wir uns
verplappert haben, alle Schwachpunkte des Setups gefunden hatten. Dann
vergessen wir die ganze Sache und Sie bekommen auf diese Weise doch noch Ihre
positive Beurteilung!"
"Poschenrieder?"
"Der Abteilungsleiter der Controling-Abteilung", sage ich
sanft.
- Der Inspektor ist begeistert. Nach einer Tasse Cafe, den Frau Bezelmann
ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit eilig zubereitet, begleite ich den guten
Dr. Dauerbrandt noch zum Ausgang. Auf dem Weg durch die Gänge wechseln wir
bei jeden brandgefährdenden Möbelstück einen vielsagenden Blick
und lachen herzlich.
Ich kann bloß hoffen, dieser Feuerteufel kommt nicht auf die Idee, unser
'Setup' zu überprüfen. Im Gegensatz zu anderen Ämtern hat die
Brandschutz-Direktion leider ein absolut unhackbares Rechnersystem: es
existiert nicht!
|