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21.05.1999 BASTARD   MAILING   LIST   © Florian Schiel
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Nach einem ausgiebigen 2-Stunden-Snack in der Cafete komme ich zurück zu meinem Allerheiligsten und erwische mitten im Gang kniend einen langaufgeschossenen Kerl mit asketischen-hageren Gesichtszügen, wie er gerade intensiv unseren Kabelschrank beschnüffelt. 
Bevor ich noch einen Ton sagen kann, springt er hektisch auf wie ein überdimensionales Rumpelstilzchen und blinkt mich mit fiebrig glänzenden Augen an. 
"Brennbar", erklärt er strahlend und klopft im Silbentakt zweimal gegen die Schranktüre. "Brenn-bar." 
Bevor ich noch eine adäquate Antwort formulieren kann - ich bezweifle, daß es in diesem Fall überhaupt eine adäquate Antwort gibt -, saust er weiter zu Mariannes Bürotüre, wo er mit einer unendlich hingebungsvollen, zärtlichen Handbewegung über die aufgeklebten Kursankündigungen streicht. 
"Leicht entzündlich", flüstert er kaum hörbar, wie in Ekstase, und streichelt noch einmal mit beiden Händen über das Papier. 
Marianne reißt wütend die Bürotüre auf, um herauszufinden was da an ihrer Türe kratzt, und eine Sekunde lang starrt sie dem Typen, der mit erhobenen Armen dasteht, als wolle er nach ihrem stattlichen Busen greifen, verblüfft in die tiefliegenden blassen Augen. 
"Was zum Teufel ...?" beginnt Marianne erbost, aber der Riese unterbricht sie, indem er zweimal energisch auf ihre Türe klopft: 
"Brenn-bar", sagt er strafend. 
Marianne glotzt ihre Türe an. "Natürlich ist die Türe brennbar! Sie ist ja schließlich aus Holz!" 
"Ah!" ruft er überlegen lächelnd und hebt wichtig den Zeigefinger. "Nicht die Türe; das Papier!" 
Er deutet anklagend auf die Ankündigung zu Mariannes Mikroprozessor-Praktikum. Seine Augen bekommen plötzlich einen Schleier. 
"Ach, Papier", seufzt er verzückt, wendet sich ohne ein weiteres Wort ab und trottet weiter durch den Gang in Richtung Sekretariat, wo Frau Bezelmann, die sich gerade zum Lunch begeben wollte, ihm mißtrauisch entgegen blickt. 
Marianne guckt mich fragend an; ich mache das einschlägige 'Wieder-so-ein-durchgeknallter-Philosophie-Student-im-58sten-Semester'-Zeichen und zucke mit den Schultern. Ein markerschütternder Jubel-Schrei läßt uns beide zusammenzucken. 
Der Typ hat Frau Bezelmanns Super-Monster-Kopierer mit eingebauter Bosheits-Automatik entdeckt. Das Kopier-Ungetüm, das von allen Mitarbeitern im Geheimen 'Das Ding aus einer anderen Welt' genannt wird, ist bekannt dafür, daß die Wahrscheinlichkeit für eine Fehlfunktion direkt proportional zur Dringlichkeit des Kopierauftrags ist. Wenn zum Beispiel das Seminar schon seit zehn Minuten läuft, und man noch ganz dringend zwanzig Kopien des Handouts braucht, kann man mit 150%iger Wahrscheinlichkeit damit rechnen, daß es einen Papierstau gibt oder daß man Toner auf den frisch gereinigten Anzug gespuckt bekommt oder daß das Ding infernalisch nach dem Service-Techniker tutet. Böse Zungen behaupten, Frau Bezelmann habe das Ding eigenhändig unter 69 sogenannten Montags-Maschinen ausgesucht; noch bösere Zungen behaupten, ich hätte ihr dabei geholfen. Da die Kiste zu groß für die Türe zum Sekretariat war, steht sie jetzt halt mitten auf dem Gang in trauter Gesellschaft mit einer ausgemusterten, aber noch nicht de-inventarisierten PDP11 und einem riesigen Stapel Kartone für Computer-Displays, die wir grundsätzlich aufheben, weil an unserem LEERstuhl sowieso kein Bildschirm die Garantiezeit überlebt. 
Aus irgendeinem Grunde findet der Unbekannte das alles ganz phantastisch. "Leicht entflammbar", bemerkt er freundlich zu den aufgestapelten Kartonen. "Potentieller Brandherd", sagt er ernst und deutet bedeutungsvoll auf das 'Ding aus einer anderen Welt'. Er umrundet zweifelnd die PDP11, bis er auf der Seite heraushängende Kabelbäume entdeckt. "PVC", seufzt er glücklich. 
Frau Bezelmann beobachtet all diese Aktivitäten im unmittelbaren Bereich ihrer Einflusssphäre mit wachsender Unlust; ihre Mundwinkel ziehen sich bedrohlich nach unten; der Rabe Nero, der sich wieder mal gegen meine ausdrückliche Anweisung außerhalb seines Käfigs aufhält, flattert ihr auf die Schulter und krächzt warnend. Marianne und ich bleiben in sicherem Abstand stehen, um nicht aus Versehen mit dem anvisierten Zielobjekt assoziiert zu werden. 
"Sie!" zischt Frau Bezelmann mit Null-Grad-Kelvin-Stimme. "Darf ich mal fragen, was Sie da eigentlich treiben? Wer sind Sie überhaupt?!" 
Der hagere Riese dreht sich unbekümmert um und strahlt Frau Bezelmann mit seinen fiebrig glänzenden Augen an. "Dr. Dauerbrandt ...", stellt er sich fröhlich vor und entblößt seine langen gelben Zähne zu einem wölfischen Grinsen, "... von der Brandschutz-Direktion." 
Marianne zieht scharf die Luft ein; Frau Bezelmann und ich wechseln einen bedeutsamen Blick. 
ALARMSTUFE ROT 
Das letzte Mal als die Brandschutz-Direktion unseren LEERstuhl inspiziert hatte - das muß jetzt so etwa 15 Jahre her sein -, waren vier Räume wegen fehlender Fluchtwege geschlossen worden, wurden drei Projekte abgebrochen, weil die Versuchsaufbauten angeblich eine akute Feuergefahr darstellten, hatten vier Mitarbeiter Nervenzusammenbrüche bekommen, weil die ausliegenden Vorschriften zu viele logische innere Widersprüche enthielten, konnte der Chef wochenlang sein Büro nicht benutzen, weil die Holztäfelung mit Asbest unterfüttert werden mußte und ich durfte mich von meinen schon damals kunstvoll aufgetürmten Bildschirm-Kartonagen trennen, die sich mittels einer kunstvoll angelegten Technik besonders attraktiven Studentinnen vor die Füße stürzen ließen (welche ich daraufhin als Trost für den erlittenen Schrecken ins Uni-Cafe einladen durfte). 
"Ah ... oh ...", stottert Frau Bezelmann etwas aus dem Konzept gebracht, "haben Sie ... können Sie sich denn ausweisen?" 
"Ausweisen?" fragt der Inspektor verwundert und legt den Kopf schief. "Ist das da eigentlich ein echter Rabe?" 
"Äh ... natürlich!" bestätigt Frau Bezelmann entrüstet. 
"Glauben Sie, daß seine Federn brennbar sind?" 
Frau Bezelmann schnappt wütend nach Luft. Bevor noch mehr Unheil passiert, halte ich es für angeraten einzugreifen: "So, Sie sind also vom der Brandschutz-Direktion", sage ich herzlich und schüttele heftig die heiße Hand des Inspektors. "So früh hatten wir Sie eigentlich gar nicht erwartet, aber wie Sie ja sehen können, haben wir keine Mühe gescheut." 
Ich mache eine erklärende Geste über den Kopierer und die Bildschirm-Kartone. 
Der Inspektor guckt erst mich, dann die Kartone fragend an: "Mühe gescheut? Äh ..." 
"Aber ja", unterbreche ich eifrig, "gleich nach dem Anruf Ihrer Abteilung haben wir einen geeigneten Platz ausgesucht und mit dem Versuchsaufbau begonnen. Wie Sie sehen, ist alles an seinem Ort. Aber für Ergebnisse ist es ja wohl wirklich noch zu früh. Hatten wir nicht bis November für die Laufzeit vereinbart?" 
Der Inspektor ist jetzt sichtbar verwirrt. Irgendetwas läuft nicht so wie sonst. Normalerweise fliehen die Angestellten mit allen Anzeichen des Grauens vor seinem unerbittlichen Inspektionsblick. Überall begegnet er Mißtrauen und äußerster Vorsicht. Niemand will länger mit ihm sprechen als unbedingt notwendig. Aber hier wird er empfangen wie ein lange erwarteter Mitarbeiter. Man sieht förmlich, wie in seinem Großhirn die roten Warnlampen blinken. 
"Was denn für Ergebnisse?" fragt er unsicher. 
Ich gucke ihn verwundert an: "Na, die statistische Auswertung werden Sie wohl doch selber vornehmen, oder? Ich meine, wir haben alles getan, um das Setup so echt wie möglich zu gestalten, aber die Berichte ihrer Inspektoren, die bekommen wir ja gar nicht mehr zu Gesicht, denke ich. Also muß das doch Ihre Abteilung dann auswerten. Oder habe ich das falsch verstanden?" 
Der Inspektor ist jetzt hoffnungslos von der üblichen Route abgekommen. Er bringt nur noch ein hilfloses "Häh?" zustande. 
Ich mime auf einmal den grenzenlos Bestürzten: "Oh je! Sind Sie am Ende gar nicht von der Abteilung Controling? Ich meine ... äh ... wie soll ich sagen ... ähm ... sind Sie tatsächlich ein wirklicher Brandschutz-Inspektor ...?" 
"Äh ... ja ..." 
"... so richtig auf routinemäßiger Inspektion? Sie sind gar nicht gekommen, um sich den Versuchsaufbau anzuschauen?" Ich fuchtele in Richtung des Kopierers. 
"Nein ... äh ... doch, ja ... ich meine ..." Dem Inspektor tritt sichtbar der Schweiß auf die Stirne. 
"Oh Himmel! Ist mir das peinlich", stöhne ich theatralisch und maßiere mir die Nasenwurzel. "Ist das jetzt nicht bodenlos blöde gelaufen?" Ich starre Frau Bezelmann auffordernd an. 
"Äh ... ja", improvisiert Frau Bezelmann nervös, "das ist jetzt ziemlich ... äh ..." 
"Peinlich", sekundiert Marianne aus dem Hintergrund. 
Der Inspektor guckt verwirrt von einem zum anderen. Ich fasse ihn sanft am Arm und führe ihn sacht aus der Gefahrenzone ins Sekretariat. "Sie müssen verstehen", sage ich entschuldigend, "daß wir einfach nicht mit einem so schnellen Auftauchen der ersten ... äh ... Versuchsperson gerechnet haben ..." 
"Versuchsperson?" 
"Nun ja. Sehen Sie - es ist mir fürchterlich peinlich, aber ich kann Ihnen das natürlich erklären: das alles da draußen ...", ich deute mit dem Daumen nach hinten, "ist selbstverständlich nicht echt ..." 
"Nicht echt?!" 
Ich schüttele den Kopf: "Nein, das ist ein Versuchsaufbau, um den uns die Controling-Abteilung der Brandschutz-Direktion letzte Woche gebeten hat. Er dient dazu - nun ja, was soll ich weiter um den heißen Brei herum reden - er dient dazu, die Sorgfalt der Inspektoren zu ... äh ... zu evaluieren ... Sie verstehen ..." 
"Oh", sagt der Inspektor erleichtert, als sein gewohntes Weltbild a la Orwell plötzlich wieder ins rechte Lot rückt. 
"... und Sie haben nun durch meine Dummheit ... oder anders herum: durch meine Dummheit ist Ihre Beurteilung jetzt natürlich hinfällig geworden ... obwohl Sie ja ganz vorbildlich gearbeitet haben ... es tut mir so leid ..." 
"Ah, ja", sagt Dauerbrandt und nimmt Haltung an. "So ... hmm ..." 
"Wissen Sie was" sage ich entschlossen und blicke ihm ernst in die Augen, "ich nehme das auf meine Kappe. Ich rufe Poschenrieder an und erkläre ihm alles. Vor allem sage ich ihm, daß Sie ja schon, bevor wir uns verplappert haben, alle Schwachpunkte des Setups gefunden hatten. Dann vergessen wir die ganze Sache und Sie bekommen auf diese Weise doch noch Ihre positive Beurteilung!" 
"Poschenrieder?" 
"Der Abteilungsleiter der Controling-Abteilung", sage ich sanft. 
Der Inspektor ist begeistert. Nach einer Tasse Cafe, den Frau Bezelmann ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit eilig zubereitet, begleite ich den guten Dr. Dauerbrandt noch zum Ausgang. Auf dem Weg durch die Gänge wechseln wir bei jeden brandgefährdenden Möbelstück einen vielsagenden Blick und lachen herzlich. 
Ich kann bloß hoffen, dieser Feuerteufel kommt nicht auf die Idee, unser 'Setup' zu überprüfen. Im Gegensatz zu anderen Ämtern hat die Brandschutz-Direktion leider ein absolut unhackbares Rechnersystem: es existiert nicht!
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