- Wenn man den einen Flughafen verläßt, überall nur englische
Schilder sieht, die Eingeborenen jedoch ein vollkommen unverständliches
Kauderwelch daherbrabbeln, dann ... na?
Genau! Dann kann man nur im United Kingdom sein!
Der Chef hat gemeint, nach 15 Jahren wäre es langsam mal wieder an der
Zeit, daß ich eine wissenschaftliche Konferenz besuchen
sollte.
- "... ähm ... nur ... äh ... nur damit
Sie ... hmm ... damit Sie nicht den ... den ... den
Dings ... na! ... den äh ... Anschluß
verpassen ... äh ... Leisch ..."
- Anschluß! Und das mir, der ich 55% meiner Wachzeit mit den Studium
einschlägiger Fachmedia verbringe (hauptsächlich 'Hacker's Havoc' und
'Games Galore', ganz zu schweigen von allen neuen Ego-Shootern, die ständig
im Internet auftauchen!).
Aber das zählt ja leider nicht als 'Wissenschaft'! Als 'Wissenschaft'
zählt logischerweise nur, was Wissen schaft und nicht, was Wissen
löscht. Dabei kann ich euch flüstern, daß man sich manchmal ganz
schön viel Wissen an-schaffen muß, bevor man anderes Wissen (sprich
User-Daten) effektiv löschen kann ... naja.
Jedenfalls sitze ich jetzt hier in einem abgefuckten Vorortszug, der an jeder
Kuhweide hält, und tuckere nach Morgue's Seaside, wo die diesjährige
WUERG ('XIII. Workshop on Unified Erected Rotation Gravitrons') stattfinden
soll.
Eigentlich sollte Marianne auch hier sein, aber infolge eines lustigen
Computerfehlers (zumindest fand ICH es lustig!) wurde ihre Paßnummer bei
der Immigration unter der Rubrik 'Besonders gefährliche Terroristen'
gelistet, und sie darf sich jetzt erstmal einer ausgedehnten Serie von
Leibesvisitationen unterziehen.
Deshalb sitze ich jetzt nur mit dem Kollegen O. hier im Abteil, wenn man
von den übrigen Eingeborenen absieht, die sich lautstark in ihrem
unverständlichen Idiom unterhalten, Bier aus Dosen trinken und ab und zu
vergeblich versuchen, mit uns zu kommunizieren.
Korrektur: ich dachte nur, es handele sich um Bier. Mein rechter Nachbar hat mir
mit Händen und Füßen zu verstehen gegeben, daß er mich auf
eine Dose einladen wolle, und – soweit ich das kapiere –
er sich im Falle einer Ablehnung meinerseits gezwungen sehe, mich aus dem
Fenster zu kippen.
Kann aber auch sein, daß er nur sein Bier aus dem Fenster zu kippen
gedenkt. Nachdem ich versuchsweise einen kleinen Schluck probiert habe, neige
ich entschieden zur zweiten Interpretation: eigentlich sollte so ein Gesöff
in den Schweizer Konventionen geächtet werden! Und noch dazu ist es lauwarm
und enthält Null Kohlensäure!
Ich hole aus, um die Dose aus dem offenen Fenster zu schmeißen, aber der
Kollege O. zischt mich an, ich solle mich nicht so anstellen, und um Gottes
Willen nicht die Eingeborenen reizen.
Also kippe ich das Gift auf Ex hinunter, was respektvolles Gemurmel bei den
Eingeborenen hervorruft – und mir eine weitere lauwarme Büchse
einhandelt.
Morgue's Abby entpuppt sich als Kleinstadt am Meer – der
Kollege O. behauptet, es handele sich um den Ärmelkanal –
mit einem Bahnhof, der für eine 10mal so große Stadt gereicht
hätte. Wir verlassen ihn (den Bahnhof, nicht den Kollegen O.)
über ein Rolltreppe, und eingedenk der Tatsache, daß hier alles auf
der linken Seite fährt/geht/schlurft, stelle ich mich ordentlich auf die
linke Seite der Rolltreppe. Ein sehr junger Eingeborener macht mich sofort
darauf aufmerksam, daß das genau falsch herum sei: rechts stehen und links
gehen! Ich verstehe das nur, weil er auf ein entsprechendes Schild deutet; was
er sagt, klingt ungefähr wie:
"haimeitlaifsokondaronseitha?"
Da wir keine Ahnung haben, wo das Hotel ist, nehmen wir ein Taxi. Die Taxis sind
sehr leicht zu erkennen, weil sie wie eingeschrumpfte Lieferwagen ausschauen.
Als wir drin sitzen, verstehe ich warum: ein normaler PKW wäre unter der
Last der Panzerglasscheibe zwischen Fahrer und Fahrgastraum
zusammengebrochen.
Alle Autos fahren auf der falschen Seite. Unser Taxi auch. Ich schaue mir auf
der linken Seite die Geschäfte an, damit ich nicht die schwankenden
Doppeldeckerbusse sehen muß, die von rechts mit gefährlicher
Schräglage aus dem nächsten Kreisverkehr auf uns zu
schlingern:
Ein Musikladen, ein Pub, eine Fish&Chips-Bude, ein Pub, noch ein Pub, ein
Musikladen, ein Pub, ein Tattoo-Laden, ein Pub, ein Musikladen, ein Pub, ein
indisches Restaurant, ein Pub, ein Musikladen ... und dann wiederholt sich
das Ganze. Mir fällt plötzlich auf, daß über die
Hälfte der Lieferwägen, die ich von hier aus sehen kann, Bierlaster
sind.
Später: ich habe den Kollegen O. in der Hotel-Lobby abgehängt und
schlendere durchs Gelände. In einer Fish&Chips-Bude namens 'Belcher'
(Rülpser?) versuche ich, eine Portion Fish ohne Chips zu bekommen. Schon
beim Anblick der fett-triefenden, mit Cheddarkäse überbackenen
Kartoffelblöcke bekommen meine Herzkranzgefäße nämlich das
nervöse Flattern. Die Fish&Chips-Verkäuferin erinnert der Form
nach an ein mittelgroßes Weinfaß, was einerseits auf den Fettgehalt
ihrer Ware schließen läßt, und mich andererseits zur Frage
veranlaßt, wie sie durch eine so schmale Tür überhaupt in die
Bude reingekommen ist? Vermutlich lebt sie da drin.
Durch entsprechende Mimik und Gestik mache ich klar, daß ich keinen Wert
auf die Chips lege. Aber das Weinfaß sträubt sich, und erst nach
längeren Verhandlungen unterstützt durch eine Gruppe von Pennern, die
sich nur noch mit Hilfe ihrer Bierdosen aufrecht halten können, einigen wir
uns darauf, daß ich die Chips zwar bezahlen muß, aber gleich an den
lokalen Verein zur Bekämpfung der Unterernährung
( = Pennergruppe) weiterspenden darf.
Gleich darauf erhalte ich für überraschend wenig Geld einen riesigen
panierten Fisch ausgehändigt, der zunächst nach gar nichts schmeckt.
Nachdem ich tonnenweise Salz und – nach Aufforderung des
Weinfasses – auch Essig (sic!) drauf gekippt habe, mundet das Zeug
aber erstaunlich gut. Ein Vereinsmitglied möchte mir zum Dank eine
Büchse lauwarmes Bier in die Hand drücken, was mich zu einem raschen
Rückzug veranlaßt.
Ich schlendere hinüber zum Konferenzzentrum, das sich hier –
genau wie überall im Universum – direkt am Strand breitmacht,
obwohl die Delegierten ja genau genommen nicht zum Baden hier sind. Ich frage
die tief-dekolltierte Rezeptionsmaus nach der üblichen
Internet/Mail-Lounge, wo sich Konferenzteilnehmer ohne Laptop ihre Mail abholen
können. Der diensthabende Student dort erklärt mir umständlich,
daß auf dieser Konferenz private Laptops zur Folien-Präsentation
nicht erlaubt seien und daß sämtliche Präsentationen von einem
zentralen File-Server abgerufen werden und daß ich bitte rechtzeitig, d.h.
einige Tage vorher, meine Präsentation auf den Server laden und dort testen
solle. Obwohl ich gar keinen Vortrag halten muß, ziehe ich meinen
USB-Stick aus der Tasche und setze mich an einen der Rechner, die alle bereits
eingeloggt sind UND FREIEN SCHREIBZUGRIFF AUF DEN SERVER
HABEN.
I guess that's what it feels like to be in Bastard's
heaven!
Ein paar Sekunden später sind vier nette kleine Trojaner auf dem Server,
auf dem Client und – nur zur Sicherheit und weil's einfach zu geil
ist – auf zwei weiteren Client-Rechnern installiert, auf die ich von
hier aus problemlos Zugriff bekomme.
Später im Hotel schreibe ich ein niedliches kleines Programm, das alle
fünf Minuten in sämtlichen auf dem Konferenzserver gespeicherten
Präsentationen die eingebundenen Graphiken austauscht. Nach einigem Suchen
finde ich eine Gay Pride Web-Page der lokalen Schwulengruppe, natürlich mit
Bildergalerie (ohne Bildchen geht bei denen nix!), und mische die Bilder von
dort auch noch locker in die gespeicherten Vorträge.
Hmm, was könnte man noch zu einer gelungenen Konferenz beitragen? Gelungene
Konferenzen sind bekanntermaßen diejenigen, die allen Teilnehmern noch
lange im Gedächtnis bleiben. Da es verdammt unwahrscheinlich ist, daß
auf einer WUERG irgendwelche nobelpreisverdächtigen Entdeckungen
präsentiert werden, sind es meistens die mehr oder weniger
spektakulären Begleitumstände, welche den bleibenden Eindruck einer
Konferenz bewirken. Zum Beispiel wird sich die Wissenschaftsgemeinde an die
ICSLP 1996 für immer als 'die Konferenz, bei der der Wein ausging'
erinnern, weil beim offiziellen Konferenz-Dinner schon nach einer Stunde kein
Wein mehr zu haben war. Oder die LREC 2008 in Marokko, bei der die Veranstalter
die glorreiche Idee hatten, die Welcome-Reception in einem Beduinenlager in der
Wüste zu veranstalten – dummerweise gleichzeitig mit einem
mittelschweren Sandsturm. Und von der IS2009 wird den meisten Teilnehmern in
Erinnerung bleiben, wie sie während des sogenannten Konferenz-Dinners
verzweifelt den viel zu wenigen Hostessen mit Snacks hinterherjagen
mußten, um überhaupt etwas in die knurrenden Mägen zu
bekommen.
Um mich einzustimmen, manipuliere ich ein wenig den time dämon des
Konferenzservers, weil ich sehen kann, daß die Gongsignale, welche den
Beginn der Vorträge signalisieren, auch von diesem Rechner aus gesteuert
werden. Dann – manchmal muß man eben Glück
haben – finde ich zufällig ein Netzlaufwerk, daß wohl zur
Buchhaltung des Konferenzzentrums gehört und der Einfachheit halber auf dem
Server eingebunden wurde. Es ist zwar 'geschützt', aber da es sich um einen
Windoofs-Rechner handelt, kann ich 7einhalb Sekunden später das
Buchungssystem einsehen. Ich finde ziemlich rasch die Bestellungen für das
Konferenzdinner und ändere die Bestellung für 40 Flaschen
Weißwein in 400 Flaschen Whisky und 60 Flaschen langweiligen
Rotwein in 600 Flaschen Tequila. Die 200 Flaschen Tafelwasser ersetze
ich durch 200 Flaschen Ouzo – schaut ja eh fast gleich aus, wenn
man's nicht so genau nimmt! Das Essen lasse ich so, wie es ist – am
britischem Fraß läßt sich sowieso nichts mehr
verschlechtern!
Dann schau ich nach, ob über den Server irgendwelche Drucker oder
Faxgeräte angesteuert werden können (ein, zwei Kilometer schwarzes PDF
nach Indonesien faxen, kommt immer wieder gut!). Dabei entdecke ich einen
merkwürdigen Gerätetreiber, den ich noch nie gesehen habe. Nachdem ich
die Daten, die über die Schnittstelle geschickt werden, eine Weile
analysiert habe, kapiere ich, daß es sich um die Steuerung von
LCD-Hinweistafeln handeln muß, die vor den verschiedenen
Konferenzräumen die jeweiligen Sitzungen ankündigen. Ein
glückliche halbe Stunde lang erfinde ich phantasievolle Sitzungsthemen und
'verbessere' den langweiligen Konferenzplan grundlegend. Morgen früh wird
es zum Beispiel eine Keynote geben mit dem vielversprechenden Titel
'Smith&Wesson Silencer: How to Silence Speakers and to Solve all
Communication Problems for Ever' und am frühen Nachmittag die Plenary
Session 'The Bastard Blabber from Hell: Effective Communication in the New
Millenium'.
Am Donnerstag spricht einer meiner bekanntesten Kollegen über das Thema
'Does the Bra Size Influence Female Language? An Empirical Study.' Um die
Kollegen fit zu halten, programmiere ich außerdem ein
selbst-replizierendes Skript, das alle 15 Minuten die Anzeigen für
alle Räume zyklisch vertauscht.
Inzwischen ist es spät geworden. Gähnend hacke ich mich noch rasch in
den alten Interpol-Rechner in Paris (eine NT-Kiste – man möchte
es ja nicht glauben!), wo sie immer noch die aktuellen Fahndungslisten
verwalten, und kopiere die Teilnehmerliste in die Topliste gesuchter
Terroristen – nicht ohne vorher meine Wenigkeit zu löschen:
Diskretion ist das Merkmal des wahren Gentleman!
Dann überlege ich, ob ich noch was vergessen habe? Ich glaube nicht. Und
wenn ich's mir genau überlege, dann lohnt es sich kaum noch weiter
dazubleiben. Ich weiß ja jetzt sowieso schon, wie die Konferenz ablaufen
bzw. nicht ablaufen wird. Also gehe ich in das Buchungssystem von British Air
und ändere meine Rückflug vom Freitag auf morgen Vormittag nach
Dubai – erste Klasse, versteht sich!
Am nächsten Morgen sage ich dem Taxifahrer, der mich zum Flughafen bringt,
daß er einen Umweg über die Strandpromenade machen soll. Als wir am
Konferenzzentrum vorbeikommen, sehe ich drei schwarze Einsatzwagen der hiesigen
Polizei mit blinkenden Blaulichtern und der Aufschrift 'SWAT TEAM' vor dem
Haupteingang stehen.
Vier erholsame Urlaubstage später treffe ich den Chef auf dem
Gang.
- "Und ... ähm? Wie ... äh ... wie war die ...
hmm ... die ... die Dings ... hmm ... die
WUERG?"
- erkundigt er sich.
- "Ganz normal",
- antworte ich,
- "eigentlich die reinste
Routine-Veranstaltung ..."
- Merkwürdigerweise sind der Kollege O. und Marianne bis jetzt nicht
von der WUERG zurückgekommen ...
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