Was lange währt, wird endlich ertragreich ... so müßte es
eigentlich heißen ('währt' kommt ja schließlich von
'Währung'!). Keine vier Monate hat es gedauert, aber jetzt hat auch der
B.A.f.H. endlich seine eigene 0190-Nummer!
Ihr glaubt gar nicht, was man alles über sich ergehen lassen muß,
bis die Telefon-Mafia ('Bundesamt für Telekommunikation') sich dazu
breitschlagen läßt, eine neue 0190iger-Nummer einzurichten: Wenn man
angibt, daß man sie für ein ehrliches Business brauche, z.B. um
Beratungen über die Uni-Hotline abrechnen zu können, erntet man nur
tiefstes Mißtrauen und kein Verwaltungshengst dort glaubt davon auch nur
ein Bit. Von Zulassung eines solch merkwürdigen Business kann keine Rede
sein! ('Des hats ja no nia 'geben! Da kennt ja jeda komma!') Zum Schluß
habe ich ganz einfach behauptet, daß ich eine Sex-Stöhn-Nummer mit
bayerischen, streng katholischen Internatsschülerinnen aufziehen
möchte, und Bingo! Sofort war die Nummer genehmigt!
In Wirklichkeit brauche ich die 98-Cents-pro-Minute-Melkkuh natürlich
für was ganz anderes: Ich hacke mich in den primären Webserver des
Telekom-Kunden-Zentrums und schleuse ein kleines CGI-Skript ein, das jeden
anrufenden Windoofs-PC dazu animiert, irgendwann später meine
0190iger-Nummer zu wählen. Telekom ist ideal dafür: über
10000 Hits täglich, ein Riesenchaos auf dem Webserver, das zeigt,
daß die Telekom-Webmaster sich schon lange selber nicht mehr auskennen
oder Besseres zu tun haben, und Kunden, die schon so frustriert sind, daß
sie die paar Cents Fehlbetrag auf der Rechnung gar nicht mehr
beachten.
Während ich noch versuche hochzurechnen, nach wie vielen Wochen ich das
Geld für den geplanten Trip auf die Seychellen in der Kasse habe,
höre ich plötzlich verdächtige Geräusche aus Richtung der
Bibliothek. Es klingt ungefähr so, als ob jemand Übungshandgranaten
zwischen die Bücherregale werfen würde.
Als verantwortungsbewußtes Mitglied des universitären Mittelbaus
(die Formulierung habe ich mal in einer Broschüre des Personalrats
gelesen!) mache ich mich sofort auf, um etwaigen Mißbrauch von
universitären Einrichtungen oder gar Vandalismus Einhalt zu bieten (wer
den Witz dieses Satzes nicht versteht, sollte mal mit seiner alten Mutter
darüber reden; sie kann es sicher erklären!). Gerade als ich nach der
Türklinke der geheiligten Bibliothek greife, ...
BoooM!
... wird diese von einer dumpfen Explosion der Stärke 5 auf der
nach oben offenen Bezelmann-Skala erschüttert. Außerdem hört
man gedämpft anfeuernde Rufe mindestens zweier Personen. Ich öffne
die Türe einen Spalt und linse ganz vorsichtig hindurch. Drinnen stehen
Frau Bezelmann und der Kollege O., beide in oliv-kotz-grünen
Tarnanzügen und ... werfen Übungshandgranaten zwischen die
Bücherregale ('Analytische Philosophie'). Die Druckwelle der nächsten
Detonation reißt mir die Türe aus der Hand und ich sehe, wer die
letzte Granate geworfen hat: eine junge ... hm ... Dame, ebenfalls in
kotz-tarn-grün mit dunklem Haar, das zu einem frechen Pferdeschwanz
zurückgebunden ist. Außerdem ist sie relativ klein, schaut
beängstigend zäh aus und hat einen durchbohrenden Blick, der an Frau
Bezelmann erinnert.
- "Äh ... hallo Leisch!" sagt der Kollege O. überrascht,
und läßt seine beiden Hände - in der einen eine
Übungsgranate, in der anderen der bereits abgezogene Stift - hinter
seinem Rücken verschwinden. "Wir ... äh ... wir haben
nur ... wir versuchen gerade ..."
"Wir üben gerade ein bißschen für die
CSSSSU-Military-Competition am nächsssten Wochenende in
Wild-Bad-Kreuthhhh!" zischt Frau Bezelmann mit ihrer typischen Polarstimme und
schaut mich durch ihre blitzenden Brillengläser herausfordernd
an.
- Aus den Trümmern der Bücherregale steigt beißender
Pulverdampf auf. Mindestens 500 Bücher liegen am Boden verstreut. Die
Situation ist insofern pikant, als der Kollege O., als der Verantwortliche
für die geheiligte Bibliothek, erst letzte Woche einen Studenten hochkant
'rausgeschmissen hat, weil er es gewagt hatte, in der Bibliothek zu
hüsteln! Und jetzt steht er (der Kollege O., nicht der Student) da
mit Frau Bezelmann und ... und einer Unbekannten in
Tarn-Kotz-Grün ... hm ...
- "Wer's 'n das?" fragt die Unbekannte und mißt mich mit
kritisch-distanziertem Blick. Sie zieht gekonnt mit den Zähnen den Ring
einer neuen Granate ab. "Euer Boss?"
- Sie wirft die Granate elegant in Richtung 'Meta-Physik' und wir tauchen
alle hinter dem Katalog ab.
BooooM!
- "Bist du noch ganz dicht?" fahre ich den Kollegen O. an, nachdem sich
der Pulverdampf etwas verzogen hat. "Und wer ist dieses
Granaten-Werf-Wunder?!"
"Das ist Tatiana ...", meint der Kollege O. und versucht verlegen,
den Stift wieder in seine Granate zu bekommen. "... vom
Rechnerbenutzerbetreuungsreferat ..."
"Vom Rechner ...?" Mir bleibt der Mund offen stehen und ich merke, wie
mich grüne Augen interessiert mustern. Noch grüner als ihr
kotz-grüner Kampfanzug ...
"Oh!" sage ich - nicht sehr schlagfertig. "Hrrrm ... aha! Naja, darf
man wissen, was ihr hier treibt. Es geht mich ja eigentlich nix an, weil nicht
ICH der Bibliotheksverantwortliche an diesem LEERstuhl bin,
aber ..."
"Leisch, nicht wahr?" Mehr eine Feststellung als eine Frage. Und gleich
ein frech-wissendes Grinsen hinterher.
- Frau Bezelmann läßt ihre eisgrauen Augen hinter den
zentimeterdicken Brillengläsern zwischen uns hin- und herschießen,
wie ein wildgewordener Maustreiber, dem man mit 'kill -9' gedroht
hat.
- "Ssssie kennen ssssichchchch?!"
"Nein!" sagen wir beide automatisch - und einen Sekundenbruchteil zu
schnell.
- Frau Bezelmanns sardonisches Eisblumenlächeln vertieft sich um einige
hundert Grad Kelvin.
Der Kollege O. hat nichts mitgekriegt; er versucht immer noch, den Stift
zurück in die Granate zu bekommen.
- "Großer Core-Dump!" sage ich energisch. "Jetzt laß diese
erotischen Ersatzhandlungen und erklär' mir endlich, wieso zum Teufel
ausgerechnet DU deine geheiligte Bibliothek zum ... äh ...
Abschuß freigegeben hast?"
Der Kollege O. wirft mir einen finster-trotzigen Blick zu. "Kennst du das
neue Hochschulrahmengesetz?"
"Äh ... ja, ich denke ..."
"Die Verwaltung hat mir soeben mitgeteilt, daß genau wegen dem neuen HRG
mein Vertrag leider nicht mehr verlängert werden kann, obwohl ausreichend
Drittmittel im Projekt vorhanden wären ... Sie bedauern
außerordentlich ... blablabla ..."
"So ... hmm ... aber ..."
"Und deshalb habe ich mich entschlossen, in den akademischen Untergrund zu
gehen!"
- Mit einem raschen Schlenker wirft er die scharfe Granate in Richtung
'Festkörperphysik'. Alle außer dem Kollegen O., der weit genug
weg steht, tauchen wieder hinter den Katalog. Leider prallt die Granate an der
Regalvorderseite ab und rollt gemächlich wie eine Billiardkugel in
Richtung Türe - und dem Chef, der gerade hereinkommt, genau vor die
Füße!
- "Ah ... äh ... Herr Kollege O. ... wie ...
hmm ... wie schön, daß ich Sie hier ... hm ... hier
antreffe. Ich suche diesen ... ähm ... diesen hochexplosiven
Artikel, der ..."
- BoooM!
Eines muß man dem Chef lassen! Er ist nach 30 Jahren
LEERstuhl - allerdings auch 10 davon mit mir zusammen - durch nichts
mehr zu erschüttern!
Die Übungshandgranate platzt praktisch direkt unter seinen italienischen
Designerschuhen - aber der Chef weicht keinen Handbreit zurück,
obwohl ihm die Hosenbeine flattern; er steht wie eine Salzsäule, den Mund
noch halb offen, das Grauhaar etwas zerzaust durch die
Druckwelle.
Der Kollege O. steht mindestens genauso erstarrt, faßt sich aber
rasch wieder und geht hinter den Regalresten der 'Spektralanalyse' in Deckung.
Frau Bezelmann stampft energisch durch den Pulverdampf auf den Chef zu, wie
durch Zauberei trägt sie plötzlich wieder ihr übliches
mausgraues Sekretärinnen-Standard-Gewand; keine Spur mehr von
Kotz-Grün. (Transmutane Textilumwandlung? Telekinese? Massenhypnose?
Paralleluniversum? Irgendwann, irgendwann werde ich noch herausfinden, wie sie
das macht!)
- "Herr Professssssor? Hallo? Hallo!! Herr
Professssor!"
- Der Chef rührt sich keinen Millimeter. Totaler Interrupt! Oder
Core-Dump! Blue Screen from Hell!
- Ich wedele probeweise mit der Hand vor seinen Augen. Keine
Reaktion.
- "Verdammt nochmal, O.! Weißt du überhaupt, was du da angerichtet
hast?!" schimpfe ich, jetzt ehrlich empört. "Heute Nachmittag ist
Promotionsausschusssitzung! Und jetzt muß am Ende ICH noch hingehen und
den Chef vertreten!"
- Inzwischen ist Frau Bezelmann hinüber ins Sekretariat gelaufen und
kommt mit einem langen Stachel ihres Postkaktus zurück. Aber selbst Stiche
an empfindlichen Körperstellen rufen keine sichtbare Reaktion
hervor.
- "Laßt mich mal 'ran", sagt schließlich die B.f.A.f.H. -
denn SIE ist es natürlich, wie ihr schon längst erraten habt -,
"ich weiß, wie man Professoren kick-startet!"
- Sie schleppt einen Stuhl heran und steigt darauf und beugt sich vorsichtig
nach vorne, so daß sie mit dem Kopf auf gleicher Höhe mit dem Chef
ist. (Dabei komme ich nicht umhin zu bemerken, daß sie ... also,
daß man zugeben muß, daß ihre Figur ... vor
allem ... hm ... die Kehrseite erstaunlich wohlproportioniert ist.
Sogar in kotzgrün ...)
Wir beobachten gespannt, wie die B.f.A.f.H. dem Chef etwas ins rechte Ohr
flüstert. Nach ein paar Sekunden flackern tatsächlich die
gütigen Augen des Chefs, er blinzelt und holt tief Luft, seine Augen
streifen verwundert über das pulverdampfende Chaos in der ehemaligen
Bibliothek. Schließlich bleibt sein Blick an mir hängen und nach
einer Sekunde spannungsgeladenen Schweigens, in der man die Mäuse in den
Backbone-Kabelschächten an den Lichtleitern nagen hören kann, sagt er
lediglich in seinem so typischen freundlich-vorwurfsvollen
Ton:
- "Aber Leisch!"
Später spendiere ich der B.f.A.f.H. in der Cafete einen Kakao und frage
natürlich die fälligste Frage aller Fragen: "Wie, beim Großen
Core-Dump, wie kick-startet man einen Professor?"
Die B.f.A.f.H. grinst zufrieden und antwortet: "Ganz einfach: Man flüstert
ihm ins Ohr: 'Äh ... was wollte ... wo ...
ähm ... wo war ich ... hrrrm ... wo war ich gerade ...
äh ... stehengeblieben ...? Ach ja ...'"
(Sollte jemand nicht wissen, was 'kill -9' bedeutet, so sollte er sich
erstens schämen und zweitens ist das so in etwa das Gleiche wie 'Task
beenden' - nur noch viel schlimmer.)
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