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06.07.2007 BASTARD   MAILING   LIST   © Florian Schiel
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Chocolate weiter 
Competency
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Ich sitze im Cafe und bin eifrig damit beschäftigt, die Zeit bis zum Mitttagessen totzuschlagen, sprich, ich lese die Zeitung und schlürfe meinen dritten Espresso, als mein Handy läutet. 
Irgendwie habe ich jedesmal, wenn das Ding losheult, das vage Gefühl, irgendwas in meinem Leben falsch gemacht zu haben. Könnt ihr euch noch an die Zeiten erinnern, als man einfach mal aufs Klo gehen konnte, ohne für jeden beliebigen Idioten erreichbar zu sein, der 7 Ziffern eintippen kann? Nein? Tja, sic transit gloria mundi! 
Zum Glück hat mein Handy eine 'Gespräch Abweisen'-Taste; die Taste ist vom vielen Gebrauch schon komplett abgewetzt. 
In letzter Sekunde sehe ich, daß es sich um die Nummer meines Sachbearbeiters vom Europäischen Patentamt handelt. (Es ist übrigens schon der vierte Sachbearbeiter, dem meine Patentanträge jetzt zugewiesen werden; keine Ahnung, was mit den anderen passiert ist. Bestenfalls sind alle in Frührente gegangen.) 
"Hallo", 
melde ich mich. 
Der Sachbearbeiter kommt ohne Umschweife zur Sache. Es handele sich um meinen Patentantrag Nummer <blablafasel> vom <UnverständlichesDatum>, rattert er routiniert herunter. Dann aber stockt der bürokratisch geölte Redefluß abrupt. 
"Ääääh ... also ... wie soll ich sagen ..." 
"Na, was denn?" 
frage ich ungeduldig. 
"Spucken Sie's schon aus. Ich hab' auch nicht den ganzen Tag Zeit!" 
Ich winke der Bedienung für einen neuen Espresso. 
"Fehlt etwa schon wieder irgendein Formular?" 
"Nein, nein", 
beeilt sich Sachbearbeiter zu versichern, 
"formal ist alles in Ordnung ..." 
"Aber?" 
Ich höre, wie jemand am anderen Ende der Leitung sich einen moralischen Ruck gibt. 
"Herr Leisch! Das können Sie doch nicht ernst meinen, oder? Ich meine ... äh ... 
"Was? Was kann ich nicht ernst meinen? Glauben Sie vielleicht, ich fülle 199 Formulare aus, wenn ich etwas nicht ernst meine?" 
Am anderen Ende raschelt es in den 199 Papieren, und der Sachbearbeiter holt tief Luft. 
"Sie wollen ... also eine neue Art von Schokolade patentieren ..." 
Ich bestätige, daß das richtig sei. 
"... und Sie schreiben hier - ich zitiere - 'Das Neuartige an der Erfindung besteht darin, daß der Genuß der zu patentierenden Schokolade zu einer signifikanten, dauerhaften räumlichen Ausdehnung der ... äh ... weiblichen Brust führt." 
Auch diese wird von mir ruhig bestätigt. 
"Aber das kann doch nicht Ihr Ernst sein ..." 
"Sie wiederholen sich!" 
"... wie wollen Sie das denn beweisen, zum Kuckuck?!" 
Ich verweise auf den hinteren Teil des Patentantrags, genauer gesagt Formular 14b, Teil III, wo ich ausführlich beschreibe, wie Langzeitstudien mit Studentinnen der Universität München sowie einer Kontrollgruppe zu signifikanten Vergrößerungen der jeweils schokoladig unterfütterten Busen führten, wogegen die Kontrollgruppe keinerlei Veränderungen zeigten. 
"Aber ... aber das ist doch lächerlich!" 
platzt der Sachbearbeiter heraus. 
"Genausogut hätten Sie denen Schweinebraten füttern können; das hätte den gleichen Effekt gehabt!" 
Ich betone kühl, daß nirgends in meinem Patentantrag stehe, daß nicht auch andere Lebensmittel zu einer Zunahmen der weiblichen sekundären Geschlechtsorgane führen könnten. Das sei aber hier auch gar der fragliche Punkt, weil es hier ausschließlich um meine Schokolade gehe. Und meines Wissens habe noch nie jemand die Tatsache, daß Schokolade die weibliche Figur in bestimmten strategisch wichtigen Regionen verbessern könne, patentieren lassen. 
Der Sachbearbeiter wird jetzt kategorisch: 
"Ich sag's Ihnen gleich, Herr Leisch: das wird niemals durchkommen! Voll-kommen aus-ge-schlossen!" 
"Hmm", 
erwidere ich, 
"habe ich schon erwähnt, daß ich vor ein paar Stunden einen Anruf aus Ihrem Hause bekommen habe?" 
"Äh ... nein?" 
"Ja, ein Anruf von einer Frau Dr. Henning-Flätbuß. Ist das nicht zufällig Ihre Abteilungsleiterin?" 
Zögernd gibt der Sachbearbeiter zu, daß dem so sei. 
"Frau Dr. Henning-Flätbuß hat anscheinend zufällig meinen Patentantrag bei Ihnen herumliegen sehen. Sie hat sich eingehend bei mir erkundigt,ob, wann und wo man diese Schokolade, die ich zu patentieren beabsichtige, käuflich erwerben könne. Im Falle eines Falles wolle sie gleich 400 Packungen abnehmen ..." 
Am anderen Ende der Leitung herrscht Stille. 
"Hallo?" 
frage ich. 
"Sind Sie noch da? Glauben Sie immer noch, daß eine Patentierung meiner Idee voll-kommen ausgeschlossen ist?" 
Von der anderen Seite kommt nur noch ein genuscheltes: 
"... mal sehen, was ich tun kann ..." 
dann legt der gute Mann auf. 
Wundert euch also nicht, wenn in naher Zukunft der Konsum von Schokolade noch mehr boomen wird, als er es sowieso schon tut ... 
Nach einem ausführlichen Mittagessen begebe ich mich zurück zum LEERstuhl, damit Frau Bezelmann nicht immer behaupten kann, ich würde das Mittagessen nahtlos in die Kaffeepause übergehen lassen. 
Im Büro des Chefs, der wie immer nicht da ist, steht der Kollege O., der vom Chef die ehrenvolle Aufgabe erhalten hat, in allen Zimmern Deckenventilatoren zu installieren. 
Das kam so: Die Uni-Leitung hat nach jahrelangen wütenden Protesten der Studentenschaft und zunehmend auch der Professoren beschlossen, der voranschreitenden Klimaveränderung mutig ins Auge zu sehen. Tatsache ist nämlich, daß wir hier in München jetzt bald in jedem Sommer subtropische Verhältnisse haben, und die Uni-Gebäude - die zum Teil noch aus dem 18. Jahrhundert stammen - für solche Verhältnisse einfach nicht geschaffen sind. 
Die Folge ist, daß immer mehr Dozenten eigenmächtig Hitzefrei geben, weil ihnen dauernd die Kreide aus der schweißigen Hand flutscht oder der Laptop den Hitzetod stirbt. Und die Studentenschaft beschwert sich lautstark, daß man für 500 EUR Semestergebühren ja wohl erwarten dürfe, daß in den Hörsälen sauerstoffhaltige Luft vorhanden sei. Die naheliegendste Lösung, nämlich vernünftige Klimaanlagen einzubauen, kommt wegen der hysterischen Tse-Oh-Zwei Debatte, die zur Zeit alle Politiker verrückt macht, natürlich nicht in Frage. Also hat der Hochschulrat in seiner göttlichen Unfehlbarkeit beschlossen, den Einbau von Miefquirlen zu gestatten, die wenig Strom verbrauchen, aber trotzdem den Anschein eines verbesserten Raumklimas erwecken. Der Kollege O. balanciert gerade gefährlich auf der Leiter und versucht, mit dem Akkuschrauber die Rotorblätter am Motor zu befestigen. Ich beobachte ihn ein paar Sekunden vom Gang aus, dann schalte ich den bereits fix und fertig installierten Schalter auf 'Tornado'. Sofort setzt sich der Motor in Bewegung, und der Kollege O., vollkommen überrascht, verliert den Halt auf der Trittleiter, klammert sich instinktiv an die Rotorblätter und begibt sich auf eine unfreiwillige Karusellfahrt. Leider ruft sein infernalisches Brüllen sofort Frau Bezelmann auf den Plan, die das interessante Experiment unterbricht, indem sie den Stecker aus der Wand rupft. Der Kollege O. dreht noch ein paar Ehrenrunden, bevor er sich, hochrot im Gesicht, auf den Boden plumpsen läßt. 
"Leisch!" 
brüllt er, sobald er wieder Luft holen kann. 
"Du bist ja wohl vollkommen bescheuert, oder was?!" 
Ich erkläre unschuldig, daß ich lediglich das Licht habe einschalten wollen. 
Der Kollege O. starrt mich mit hervorquellenden Augen an, dann guckt er aus dem Fenster, wo eine strahlende Julisonne am wolkenlosen Firmament strahlt, und holt tief Luft, um ein weiteres Donnerwetter von Stapel zu lassen. 
Aber Frau Bezelmann schneidet ihm das Wort ab. 
"Sssagen Sssie mal, issst der Ventilator nichchcht viel zzzu tief?" 
zischt sie und betrachtet kritisch den halb fertig installierten Rotor. 
Aus dem Konzept gebracht, läßt der Kollege O. den Dampf ab und fragt: 
"Was?! Zu tief? Wieso?" 
"Wie hoch ist denn die Decke hier", 
mische ich mich ein, froh über die Ablenkung, denn immerhin hat es sich herumgesprochen, daß der Kollege O. seit neuestem Kickboxen betreibt. 
"Äh ... zwei Meter dreißig ..." 
Ich schnappe mir den Meterstab und halte ihn an den Ventilator. 
"Und der Ventilator-Schaft ist ca. 35 Zentimeter lang, der Motor nochmal 10 Zentimeter ... hmm ... wie groß ist der Chef ungefähr?" 
Wir denken angestrengt nach. 
"Er ... er ist auf jeden Fall größer als ich ...", 
meint der der Kollege O. zögernd. 
"Um wie viel größer?" 
"Naja, einen Kopf etwa ..." 
Frau Bezelmann und ich starren den Kollegen O. an. 
"Was ... was schaut ihr denn so?" 
fragt der Kollege O. nervös. 
"Sssie sssind mindessstensss ein Meter achzzzig!" 
zischt Frau Bezelmann drohend. 
Der Kollege O. wird immer bleicher, während sein Großhirn die Mathematik erledigt. 
"Wenn ich das richtig sehe, werden die Rotoren genau auf Stirnhöhe des Chefs sein", 
sage ich fröhlich. 
Der Kollege O. erklärt hastig, daß nicht er für die Besorgung der Ventilatoren zuständig war. 
"Sssondern wer?" 
erkundigt sich Frau Bezelmann mit unheilschwangerer Grabesstimme. So sehr sie den Chef unter ihrer Fuchtel hat, so sehr steht der Chef andererseits auch unter ihrem mütterlichen Schutz. Und jemand frontal anzugehen, der unter Frau Bezelmanns mütterlichem Schutz steht, entspricht ungefähr dem Versuch, eine Lesung von Salman Rushdie in einer Koranschule zu veranstalten. 
"Die neue Beschaffungsstelle, die Beschaffungsstelle der Uni war das!" 
beteuert der Kollege O. mit Schweißperlen auf der Stirn. Frau Bezelmann zieht sich sofort ins Sekretariat zurück, um der Beschaffungsstelle gründlich die Leviten zu lesen, und der Kollege O. stellt sofort erleichtert sämtlich Montagearbeiten ein. Gemeinsam schaffen wir die noch verpackten Ventilatoren in das ausgediente Physik-Praktikum III, wo sie vermutlich noch in zwanzig Jahren herumliegen werden. 
Auf dem Weg zurück ins Cafe denke ich über das bedauernswerte Schicksal der neue Beschaffungsstelle nach. Fast tun sie mir leid, so mit Frau Bezelmann im Nacken. 
Andererseits sind die Burschen auch wirklich selber schuld! Wenn auf ihrem Bestellrechner ein vernünftiges Administrator-Paßwort wäre, hätte ich mich schließlich nicht so leicht einhacken und die Ventilatorbestellung ändern können. Also bitte!
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