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16.11.2006 BASTARD   MAILING   LIST   © Florian Schiel
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Die akademische Kaffeepause ist für die wissenschaftliche Entwicklung einer Gesellschaft von so fundamentaler Bedeutung, daß sie eigentlich von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert werden müßte. Ich traue mich zu wetten, daß die meisten revolutionären Ideen nicht im stillen Kämmerlein, unter der Dusche oder im Wartezimmer des Zahnarztes gefunden wurden, sondern dann, wenn Wissenschaftler sich über einer Tasse Espresso darüber streiten, wieso es eine idiotische Idee sei, eine Suchmaschine für das Internet zu bauen. 
Natürlich gibt es da eine gewisse statistische Streuung: nicht jedes Mal, wenn die braune Droge in die Tassen rinnt, wird eine neue Kernwaffe geboren (und das ist vermutlich auch ganz gut so). 
Heute zum Beispiel, während des täglichen LEERstuhl-Espressobar-Outings, streifen wir in lockerer Folge die Themen Unterwasser-Sound-Life-Übertragung aus der Antarktis, flatulente Kommunikation von Fischen (zu deutsch: sie pfurzen sich eins), der Verteilungsschlüssel für die neuen Studiengebühren, wie man Koffein-freien Bohnenkaffee herstellt und das Thema des letzten IG-Nobelpreises: wie viele Bilder muß man von einer Gruppe mit N Menschen machen, um möglichst keine geschlossenen Augen zu erwischen. Plötzlich entbrennt ein heftiger Streit um die Frage, ob das Wasser in einem Becken auf der nördlichen Hemisphäre wegen der Corioliskraft tatsächlich links herum abläuft und in Australien anders herum. Anlaß war Yogi Flop, unser esoterisch angehauchter Physiker, der durch heftiges Umrühren in seiner Cappucino-Tasse den dritten Hauptsatz der Thermodynamik demonstrieren wollte. 
Normale Leute würden jetzt einfach Wikipedia aufrufen und sich auf das Urteil eines unbekannten Spezialisten verlassen, der sich dort mit dem Thema ausführlich beschäftigt hat. Aber das wäre eines echten Wissenschaftlers unwürdig. 
"Woher willst du wissen, ob der recht hat?!" 
fragt Marianne hitzig, nachdem der Kollege Rinzling tatsächlich Wikipedia von seinem PDA zitiert hat. 
"Ich wette meinen Posaunenkasten, daß über 50% der Artikel in Wikipedia von irgendwelchen männlichen Wichtigtuern mit zu wenig Haar abgeschrieben wurden ..." 
Die meisten Kolleginnen pflichten Marianne bei, und somit wird sofort eine Liste von Hypothesen aufgestellt, die sich mit streng wissenschaftlichen Experimenten verifizieren lassen. 
Da sich die Besitzer der Espresso-Bar standhaft weigern, ihr Waschbecken vorübergehend in den Dienst der Wissenschaft zu stellen, eilen wir zurück zum LEERstuhl, wo es merkwürdigerweise in jedem zweiten Büro ein Waschbecken gibt. 
(Wie oft habe ich schon während meiner offiziellen Sprechstunde in der Hängematte gelegen, dem verzweifelten Klopfen der Studenten an meiner fest verschlossenen Türe gelauscht und darüber nachgegrübelt, wieso die Architekten der Universität diese Masse überflüssiger Waschbecken installieren ließen. Wenn man bedenkt, daß unser Gebäude ursprünglich nicht etwa für die Chemiker sondern für die katholische Fakultät errichtet wurde, wundert man sich noch mehr. Wozu diese allgegenwärtige Möglichkeit, sich die Hände zu waschen? Folgen die Theos dem Vorbild P.P.s und waschen sich ständig die Hände in Unschuld? Ist der akademische Beruf so zum Kotzen, daß man ständig ein Waschbecken in Reichweite haben muß? Beschmutzt das dauernde Hantieren mit heiligen Büchern die Hände? Eine Notversorgung für emeritierte Professoren, um sie während ausgedehnter Bibel-Lektüre vor Austrocknung zu schützen? Die Welt ist voller Rätsel ...) 
Wie dem auch sei, für unsere momentanen Bedürfnisse ist der LEERstuhl ideal. Wir verteilen uns mit Klemmbrettern bewaffnet über ein halbes Dutzend Büros und lassen das Wasser in die Becken rauschen. Zunächst ist das Ergebnis ziemlich enttäuschend, weil in den meisten Becken gar kein sichtbarer Strudel entsteht. Erst als Jenny großzügig ihre Puderquaste zur Verfügung stellt, und wir die Wasseroberfläche vorsichtig einstäuben, kann man die Drehbewegung des Wassers einigermaßen beobachten. Aber ein schlüssiges Ergebnis ist nicht zu erzielen: mal dreht es links, mal rechts herum, manchmal scheint gar nichts zu passieren. 
"Ich glaube, das kommt daher, daß der Abfluß ein Sieb enthält. Das ist nicht ein Loch sondern eine Rosette von Löchern", 
mutmaßt Yogi Flop. 
"Man müßte ein Waschbecken haben mit nur einem Loch." 
Wir versuchen, mit einem Schraubenzieher bei einem Waschbecken das Abflußgitter zu entfernen - was aber lediglich dazu führt, daß das Abflußrohr abfällt, und das Experiment sich auf den Fußboden ergießt. Der Kollege O. schlägt vor, den Eimer der Putzfrau zu entführen und unten ein Loch hinein zu schneiden. Aber leider begeht Jenny den taktischen Fehler, der Putzfrau erklären zu wollen, wozu wir den Eimer brauchen. Kurz danach sind plötzlich alle Eimer unter Verschluß und die Putzfrau verschwindet auf Nimmerwiedersehen. 
In diesem Moment sehe ich zufällig, wie der Hausmeister, der Gehilfe des Hausmeisters und der Assistent des Gehilfen des Hausmeisters gerade ihre Laub-Rechen-Aktion abbrechen und zur obligatorischen nachmittäglichen Kaffeepause abziehen. Ihre volle Schubkarre haben sie vor dem Biergarten der Cafete stehen lassen. Wir eilen hinunter, leeren die Schubkarre in den nächsten Lichtschacht und schaffen das Ding in die Männertoilette der Cafete. Mit Hilfe einer alten Versandröhre aus Pappe lassen wir Wasser in die Schubkarre laufen, während der Kollege Rinzling zu den Hausmeistern in die Werkstatt geht und ganz unschuldig einen Akkubohrer ausleiht. Wir bohren fünf Löcher mit verschiedenen Durchmessern in den Boden der Karre, stäuben großzügig Jennys Puder auf die Wasseroberfläche und beginnen mit unseren Reihenuntersuchungen. Leider ergibt sich auch hier kein klares Bild. Der Kollege Rinzling meint, es könnte an den zahlreichen flackernden Neonröhren im Männerklo oder an der Luftfeuchtigkeit liegen, während Yogi Flop etwas von 'quantenmechanischen Fluktuationen in Schrödingers Schubkarre' faselt und vorschlägt, wir sollten alle den Raum verlassen. 
"Ich glaube ja eher, wir brauchen endlich mal einen vernünftigen Versuchsaufbau", 
bemerke ich kritisch und hebe meine italienischen Designerschuhe aus dem mittlerweile knöcheltiefen Wasser. Das findet allgemeine Zustimmung, und wir ziehen uns zu einer wissenschaftlichen Brainstorming-Session in die Cafete zurück. Während im Hintergrund die empörten Schreie der Hausmeister und des Putzpersonals zu hören sind, die inzwischen unseren letzten Versuchsaufbau entdeckt haben, machen die Kollegen Vorschläge: 
"Wie wär's mit dem Kartoffelkessel in der Mensa?" 
"Das Abklingbecken für radioaktive Abfälle im Reaktor?" 
"Wißt ihr noch, wie Leisch mal die Tiefgarage überflutet hat? Da stand das Wasser mindestens 30 cm hoch ..." 
Wir inspizieren kurz die Tiefgarage, können aber keinen geeigneten Ablauf finden. 
"Wahrscheinlich hat damals die Feuerwehr das Wasser einfach abgepumpt", 
sagt Marianne, 
"das nützt uns auch nichts!" 
Plötzlich kommt mir die rettende Idee: 
"Es ist doch ganz einfach: Wo gibt es in München riesige Mengen klaren Wassers und wunderschöne Abflußgullis?" 
Am folgenden Tag steht im Polizeibericht des Münchner Merkurs zu lesen, daß es in der vergangenen Nacht in drei städtischen Badeanstalten zu mysteriösen Fällen von 'Wasserdiebstahl' gekommen sei. Der oder die Täter seien nach Mitternacht in die geschlossenen Bäder eingedrungen und hätten sämtliche Schwimmbecken bis auf den letzten Tropfen geleert. Der Staatsanwaltschaft zufolge sei es noch unklar, ob die Täter das Wasser mitgenommen hätten oder es lediglich haben abfließen lassen - was natürlich vollkommen sinnlos sei. Über Motiv und Herkunft der Täter tappten die Ermittlungsbehörden noch im Dunkeln, obwohl zahlreiche Fingerabdrücke, ein Klemmbrett mit unleserlichem Gekritzel sowie ein lilafarbener Schlüpfer sichergestellt werden konnten. Das Sonderbarste sei, daß viele der Fingerabdrücke bereits vor dem Eintreffen der Ermittlungsbeamten mit Hilfe von herkömmlichem Gesichtspuder eingestäubt und damit sichtbar gemacht worden seien. Die Polizei steht vor einem Rätsel. Sachdienliche Hinweise können unter der Nummer ...
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