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04.12.2002 BASTARD   MAILING   LIST   © Florian Schiel
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Year Final Celebration
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Ziemlich früh heute morgen habe ich ein Schild unten an den Haupteingang gehängt: 
'Wegen Wasserschaden geschlossen!' 
Bald schon bildet sich eine rasch wachsende Menschentraube auf dem Vorplatz, von der die eine Hälfte darüber spekuliert, ob das jetzt äquivalent ist mit 'Vorlesungsfrei!', und die andere Hälfte darüber streitet, ob es nicht 'Wegen Wasserschadens ...' heißen müsse. Inzwischen durchkämmen der Hausmeister, der Hilfshausmeister und der Assistent des Hilfshausmeisters die Gebäude auf der Suche nach Wasserschäden, und um die Sache abzurunden, hat jemand anonym (!) die Feuerwehr alarmiert, die mit ihrem Löschzug sämtliche Straßen um die Uni blockiert. 
Der Trick ist zwar so alt wie MS-DOS, aber trotzdem sorgt er immer wieder für genügend Verwirrung und Chaos, so daß nur zwei besonders hartnäckige Studenten es schaffen, sich bis zu meinem Hauptseminar um elf Uhr durchzukämpfen. Das Hauptseminar fällt natürlich aus - aus Mangel an Teilnahme, und ich habe dadurch Zeit, mit Yogi-Flop hochwissenschaftliche Konversation zu betreiben. 
Yogi Flop ist unser Metaphysiker - und zwar beschäftigt er sich nur mit angewandter Metaphysik. Eines seiner neuesten Projekte ist herauszufinden, wieso die meisten Mädchen, die er anruft, um sie zu einer Verabredung zu überreden, bereits wieder auflegen, bevor er auch nur einen Ton gesagt hat. Yogi Flops Theorie ist ziemlich kompliziert und hat etwas mit einer Kombination von telepathischen Wellen und deren Verstärkung durch Handy-Transmitterstationen zu tun. Seit nunmehr zwei Monaten macht er daher intensive Telefonversuche mit Germanistik-Studentinnen, die inzwischen die Telefonrechnung des LEERstuhls signifikant haben ansteigen lassen (die Telefonversuche, nicht die Germanistikstudentinnen!). Niemand hat es bisher über das Herz gebracht, Yogi Flop zu erklären, daß die meisten Studentinnen inzwischen Handies mit Rufnummernanzeige haben ...
Wenn Yogi Flop sich von seinen anstrengenden Telefonsessions erholt, lungert bei mir herum: 
"Eins." 
"Vier." 
"Eins. Hast du eigentlich noch eine Ahnung, was für Steuern und Abgaben nächstes Jahr auf uns zu kommen?" 
Yogi Flop zupft sich gedankenverloren ein langes Haar aus dem rechten Nasenloch und betrachtet es mit kritisch-wissenschaftlichen Blick. 
"Fünf. Naja, wie üblich halt: alles was 'rausgeht, wird erhöht, alles was 'reinkommt, wird weniger! Die Politiker nennen das: die Einnahmebasis verbreitern!" 
"Neun. Ich habe gehört, daß sie jetzt die Tabaksteuer nochmal kräftig anheben wollen, weil sie Angst haben, daß nach dem EU-Werbeverbot die Steuereinnahmen sinken." 
Ich schnaube verächtlich durch die Nase. 
"Zwei. Dilettanten! Alles Dilettanten!" 
"Sechs. Wieso Dilettanten?" will Yogi Flop wissen. 
"Fünf. Weil die in puncto neue Steuern so wenig Phantasie haben wie ein timbuktisches Spitzmaulnashorn." 
Yogi Flop grübelt ein paar Sekunden über dieser Auskunft, dann sagt er: 
"Wieso haben timbuktische Spitzmaulnashörner keine Phantasie?" 
"Du hast die Nummer vergessen!" 
"Verzeihung. Äh ... drei. Also wieso ...?" 
"Fünf. Hast du schon mal ein timbuktisches Spitzmaulnashorn mit Phantasie gesehen?" 
"Acht. Ich hab noch überhaupt nie ein timbuktisches Spitzmaulnashorn gesehen. Gibt's die überhaupt?" 
"Neun. Nein. Deshalb haben sie auch keine Phantasie." 
"Sieben. Aha, deshalb!" 
"Neun. Wenn ich Politiker wäre, hätte ich das Finanzproblem schon längst im Griff." 
"Drei. Aha, und wie, bitte schön?" 
"Zwo. Man muß die Leute dort zu packen wissen, wo sie sich nicht wehren können. Was nutzt der Quatsch mit Vermögenssteuer, wenn ich mein Vermögen einfach nach Luxemburg schieben kann?" 
"Drei. Aber ..." 
"Acht. Oder die Rentenbeiträge erhöhen! Das Wahlvolk ärgert sich und die Unternehmer sind angepißt. Und wer finanziert dann den nächsten Wahlkampf?" 
"Fünf. Aber es ist doch immer irgendjemand angepißt, wenn man Geld eintreibt." 
"Sag mal, muß das nicht 'vier' heißen?" 
"Hmm, stimmt! Verzeihung, also vier." 
"Sechs. Man muß das Geldeintreiben eben so veranstalten, daß es keiner merkt." 
"Zwei. Und wie, bitteschön, soll das gehen?" 
"Sechs. Ganz einfach: man macht es so wie andere erfolgreiche Leute." 
"Vier. Häh?" 
"Drei. Wer ist der erfolgreichste Mann auf diesem Planeten?" 
"Drei. Der erfolgreichste ... keine Ahnung." 
"Acht. Mein lieber Yogi, du wirst es nie zu etwas bringen, wenn du nicht mal das beantworten kannst. Hier ist ein kleiner Tipp: der erfolgreichste ist auch meistens der reichste." 
"Drei. Du denkst auch immer nur an Geld!" 
"Zwo. An was soll ich sonst denken, wenn wir über Steuern reden, häh? Also wer ...?" 
"Sieben. Meinst du etwa Old Bill?" 
"Neun. Exactement correct." 
"Fünf. Und was hat Bill Gates mit unseren Steuern zu tun?" 
"Null. Ich hab ja nur gesagt, mal solle sich Bill zum Vorbild nehmen. Microsoft hat das Geldeintreiben perfektioniert und der Staat sollte sich die Methode zum Vorbild nehmen: Zunächst erzeugt man etwas, was eigentlich niemand braucht, aber alle sind aus scheinbar rein rationalen Gründen überzeugt davon, daß man ohne dieses Etwas nicht leben kann." 
"Zwei. Du meinst wie Windoofs." 
"Acht. Genau. Wie Windoofs darf das Ding nur moderat gesundheitsschädlich sein und keine Folgekosten für den Staat verursachen. Dann erzeugt man einen permanenten Bedarf nach Upgrades, indem man immer größere und langsamere Applikationen erzeugt statt umgekehrt, was eigentlich der Richtung des Fortschritts entsprechen würde." 
"Acht. Du meinst, Eichel sollte Betriebssysteme verkaufen?" 
"Vier. Das ist doch nur eine Analogie, du Kleinhirn! Der Trick ist nämlich der, daß die Leute FREIWILLIG die Upgrades kaufen, während man zum Steuern zahlen mit vorgehaltener Pistole gezwungen werden muß." 
"Eins. Trotzdem glaube ich nicht ..." 
"Neun. Als Staat hat man doch alle Freiheiten, Mann! Das Beispiel Microsoft zeigt doch, daß man jeden Bullshit monopolistisch vermarkten kann, wenn man es nur geschickt anstellt. Sogar als Privatfirma! Was muß man da erst als Staat hinkriegen!" 
"Sieben. Da fällt mir UMTS ein ..." 
"Eins. Genau! Das war schon gar nicht so schlecht: einige Hundert Milliarden für etwas, was nur auf den Papier existiert. Aber die Kundschaft war schlecht ausgewählt. Was hab ich davon, wenn nach der ersten Abkassierrunde über die Hälfte der Kundschaft pleite ist? Von Nachhaltigkeit gar nicht zu reden ..." 
"Sechs. Man könnte eine SMS Steuer einführen ..." 
"Neun. Nix Steuer! Hast du nicht kapiert? Die Leute wollen ja freiwillig zahlen! Man muß sie nur dazu bringen zu glauben, daß sie es selber wollen und daß sie ohne das gewisse Etwas bzw. dessen neuestes Update nicht leben können ..." 
"Drei. Staatliches SMS-Monopol?" 
"Neun. Bingo! Aber jetzt ist das alles schon zu spät. Jetzt kann sich Eichel höchstens noch an Bill parasitieren ..." 
"Neun. Inwiefern parasitieren?" 
"Drei. Laß deiner Phantasie freien Lauf, Junge! Zum Beispiel: Eine Windoofs-Boot-Gebühr: 69 Cents pro Booten, Maus-Maut: 37 Cents pro Kilometer, TCP/IP-Paketrouting-Steuer: 9 Cents per hopp, CPU-Cycles-Steuer: Pro MHz 4 Cents pro Jahr, RAM-Steuer: Aller Speicher oberhalb 128 MB wird zum Luxusartikel erklärt, Ökosteuer auf den Elektrosmog, den die ganzen Bildschirme verursachen ..." 
"Sieben. Ha! Das würde doch kein Mensch mitmachen!" 
"Fünf. Nicht? Wir zahlen doch auch alle klaglos für das neue XP; wir lassen sogar zu, daß das Ding, für das wir teuer bezahlt haben, uns per Internet nach unseren Gewohnheiten ausspioniert, damit uns Microsoft noch besser mit seinen Produkten bedienen kann!" 
"Eins. Schon. Aber wir brauchen doch alle aktuallisierte Rechner ..." 
"Null. So! Brauchen wir? Wir ..." 
In diesem Augenblick läutet mein Telefon. An der Rufnummernanzeige sehe ich, daß es weder der Dekan, noch die R.K.f.H., noch Frau Bezelmann sein kann (in aufsteigender Gefährlichkeit geordnet), also hebe ich ab. 
"Hallo?" 
"Hallo? Ist dort die Rechnerwartung?" 
Oooops, und so weiter ... 
"Ja?" sage ich mit zuckersüßer Stimme. "Wie kann ich Ihnen helfen?" 
Yogi Flop verdreht vielsagend die Augen. 
"Ja, also ...", sagt sie in genau dem beleidigten Tonfall, der mir die Zehennägel aufrollt. "... ich habe schon letzte Woche mal angerufen und auf Ihren Anrufbeantworter gesprochen. Mein Rechner hat keine Euro-Taste auf der Tastatur ..." 
"Ah, ja? Und?" 
"Und? Ja, was soll ich denn nun machen, wenn ich Euros eingeben soll?" 
Ich werfe eine Blick in den Bastard Ausredenkalender. 
"Hmm. Was steht denn bei Ihren Keyboard auf der Taste gleich links neben der Leertaste?" 
"Ähm ... da steht 'ALT'." 
"Alles klar! Sie haben noch ein ALTES Keyboard der ALTEN Generation. Schmeißen Sie das Ding auf den Müll, gehen Sie zum nächsten Computer-Shop und verlangen ein aktuelles Keyboard." 
"Ja, aber ..." 
"Aber lassen Sie sich nicht wieder ein ALTES andrehen! Die hinterhältigen Verkäufer versuchen ständig, ihre ALTEN Bestände loszuschlagen. Ein funktionierendes Keyboard erkennen Sie daran, daß die Taste neben der Leertaste 'NEU' heißt, klar?" 
Sie versichert glücklich, daß sie sich gewiß kein Keyboard mehr mit 'ALT' andrehen lassen wird, und hängt auf. 
Ich lasse den Hörer nonchalant auf die Gabel fallen und schaue Yogi Flop an. 
"Wie war das noch? Wir brauchen alle unbedingt aktualisierte Rechner, wie? Fragt sich nur, für was ..."
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