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10.10.2000 BASTARD   MAILING   LIST   © Florian Schiel
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Bad Conscience
Excursion weiter 
Bastard Magician from Hell?
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"Ja ... ähm ... ja, also ... hmm ... ich denke ... äh ... meine, daß ... hrrrm ... daß wir die dies- ... äh diesjährige Exkursion ... hmm ... nach ... äh ... zu einer wissenschaftlichen Einrichtung ... äh ... Institution ... durchführen sollten ..." (nachdenklicher Blick an die Decke) "... einer wissenschaftlichen Einrichtung ... äh ... Sie verstehen ... damit die ... hmm ... die Studenten sozusagen ... ähm ... als pädagogischen Zusatzwert ... ähm ... also ... ich bin sicher ... äh ... daß Ihnen etwas Passendes ... hrrrm ... Passendes einfallen wird ... äh ... Leisch ..."
Ich versichere dem Chef, daß er alles getrost meiner erfahrenen Organisation überlassen könne, und der Chef gesteht mir erleichtert, daß er selber leider, leider dieses Jahr (genau wie letztes Jahr und das Jahr davor) nicht persönlich an der Exkursion teilnehmen könne, weil er zu einem immens wichtigen Meeting in Paris fliegen müsse, und so weiter und so fort. 
Kaum ist der Chef aus dem Zimmer, sperre ich vorübergehend seine Mailbox und schicke eine Nachricht an alle Mitarbeiter und Studenten des Inhalts, daß die diesjährige Exkursion aus pädagogischen Gründen an einen Ort erfolgen wird, an welchem dem wissenschaftlichen Nachwuchs anhand von praktischen Übungen ein besseres Verständnis der im Ingenieursstudienplan vorgesehenen technischen Mechanik vermittelt werde. Bei Nicht-Teilnahme könne als Ersatz das 'Physikalische Praktikum III' absolviert werden. 
Dann buche ich für sämtliche Mitarbeiter und Studenten einschließlich Frau Bezelmann ein opulentes Mittagessen und einen anschließenden Reverse-Bunjee-Jump im Freizeitpark 'Kotzgaden'. Danach wird hoffentlich keine Student mehr in der Einführungsveranstaltung Actio mit Reactio verwechseln! 
Um sicher zu gehen, daß niemand aus Versehen dabei ist, der eine solche Aktion auch noch toll finden könnte, schicke ich den notorisch bekannten Sport-Freaks die falsche Bus-Abfahrtszeit. Wenn sie schon so sportlich sind, sollen sie doch gleich mit ihrem 5000-Mark-Bikes hinterher hecheln! (Amerikanische Wissenschaftler an der University of San Diego haben übrigens vor kurzem nachgewiesen, daß sich der Windwiderstand eines Radfahrers um 5,27% reduzieren läßt, wenn man sein Großhirn entfernt. Da das Großhirn des ernsthaft engagierten Radfahrers sowieso nur den Sportartikelverkäufer behindert, wenn dieser seinen neuesten idiotischen Papageien-Dress an den Mann/Frau bringen will, wird diese revolutionäre Entdeckung gewiß unser Straßenbild in Kürze drastisch verändern! Wissenschaft ist doch etwas Wunderbares, nicht wahr?) 
Kaum ist die Mail raus, steht Marianne auf der Matte.
"Wieso organisierst DU wieder die Exkursion, verdammt nochmal!" schnaubt sie wütend. "Wir hatten doch dem Chef eine Mail geschrieben, daß er auf gar keinen Fall ..." 
Marianne bricht mitten in Satz ab, als sie mein süffisantes Grinsen sieht, das ich für ganz besonders leckere Gelegenheiten aufspare. Marianne läuft dunkelrot an. 
"Du hast wieder an den Mailboxen manipuliert!!!" 
"Tstststs, Marianne!" sage ich milde tadelnd. "Wir wissen doch alle, daß Email ein unzuverlässiges Kommunikationsmedium ist, nicht wahr? Außerdem: wann liest der Chef schon mal seine Mail?" 
"Das letzte Mal, als du eine Exkursion organisiert hast", sagt der Kollege O., der inzwischen auch dazu gekommen ist, mit klagender Stimme, "das letzte Mal sind drei Studenten mit Elektroschocks im Krankenhaus gelandet ..." 
"Kann ich was dafür, daß ihr alle unbedingt ein elektrisches Umspannwerk besuchen wolltet?" verteidige ich mich ungnädig. "Wenn's nach MIR ginge, würde ich auch lieber eine heiße Disko besuchen ... Aber keine Sorge: diesmal habe ich vorgesorgt und die Exkursion schon beim Roten Kreuz angemeldet; die schicken prophylaktisch drei Notarztwägen. Es kann also gar nix passieren ..." 
Marianne schnappt nach Luft. Bevor sie tätlich werden kann, kommt der Chef herein. 
"Ah ... äh ... Leisch ... eine sehr ... hrrrm ... eine sehr gute Idee ... äh ... die ... die Dings ... na! die Exkursion dieses ... äh ... Jahr ins ... hm ... ins deutsche Museum zu ... äh ... organisieren. Wirklich ... hmm ... wirklich schade, daß ich selber ... äh ... verhindert bin ..." 
Der Chef klopft mir anerkennend auf die Schulter und ist schon wieder weg. Der Kollege O. und Marianne starren ihm hinterher, wie zwei Schafe, die zum ersten mal ein Space Shuttle vorbei fliegen sehen.
Zwei Wochen später sind wir alle im Freizeitpark Kotzgaden und haben das opulente Mittagessen bereits hinter uns gebracht. Nachdem alle Teilnehmer lautstark bekundet haben, daß sie keinerlei Interesse an dem gebuchten (und bereits bezahlten) Reverse-Bunjee-Jump haben und androhen, sich bei Anwendung von Zwangsmaßnahmen mit eigens dafür mitgebrachten Handschellen an das Mobiliar ketten zu wollen, schlägt der leitende Activity-Animateur vor, statt dessen vielleicht einige 'trust-building group exercises' zu organisieren. Nach einigem Hin und Her - der Kollege Rinzling hatte sich bereits vorsorglich an einem Cola-Automaten im Foyer gekettet, aber dann den Schlüssel verlegt - und nachdem definitiv sicher gestellt wurde, daß diese 'trust-building group exercises' nichts, aber auch gar nichts mit Gummibändern zu tun haben, begibt sich die gesamte LEERstuhl-Belegschaft hinaus in das dafür vorgesehene Freigelände.
"Ok", sagt aufmunternd der Activity-Animateur, ein gräßlich blonder, gut gebauter Body-Builder, wie aus dem Fitness-Geräte-Katalog, nachdem man uns in zwei Gruppen geteilt und zu zwei Bäumen geführt hat, die etwa 200 Meter auseinander stehen, "die erste Aufgabe besteht darin, sicher den jeweiligen Zielbaum zu erreichen. Jede Gruppe bekommt genau ein Farb-Pellet-Gewehr, mit dem man rote Farbkapseln verschießen kann. Gewonnen hat die Gruppe, die ALLE ihre Mitglieder an den Zielbaum bringt, und dabei möglichst wenig Treffer einzustecken hat. Sie müssen also innerhalb Ihrer Gruppe entscheiden, wem Sie das Gewehr anvertrauen, und dieser muß dann die ungeschützten Mitglieder seiner Gruppe decken ..." 
Zum Glück ist Frau Bezelmann in meiner Gruppe. Sie knurrt nur ein kurzes "Simpel!", schnappt sich zuerst das Gewehr und dreht dann dem Activity-Animateur mit einem Kung-Fu-Griff den rechten Arm auf den Rücken. Der Rabe Nero krächzt begeistert und krallt sich in der Blondtolle des armen Burschen fest. 
"Keine falsche Bewegung!" zischt Frau Bezelmann dem völlig überrumpelten Muskelbaby ins Ohr, "sonst hackt Dir der Rabe die Blauaugen aus!" 
Sie rammt ihm das Gewehr unter der Achsel durch und deckt die andere Gruppe, die noch diskutiert, wer das Gewehr bekommen soll, mit einem Sperrfeuer an Farb-Pellets ein. Der Rest unserer Truppe bleibt hinter dem 'lebenden Muskelschild' in Deckung und wir marschieren ganz gemütlich zum Zielbaum. Nur der Kollege O. - obwohl schon selbst übersät mit roten Farbklecksen - schießt ein paar Mal halbherzig in unsere Richtung; eine Ladung trifft unseren Activity-Animateur mitten auf die Stirn ... Komischerweise ist der von unserem Erfolg nicht besonders angetan; eventuell hat es damit zu tun, daß Frau Bezelmann ihm aus Versehen die Schulter ausgerenkt hat. Nachdem sie aus dem Kung-Fu-Griff entlassen hat, liegt der arme Kerl nur noch am Boden und röchelt wehleidig! 
"Man muß ihm ein Muskelrelaxans spritzen!" meint der Kollege Rinzling eifrig, der ein hypochondrinisches Faible für medizinische Notfälle hat. "Weil nur dann sich die Muskelgruppen um das Gelenk entspannen, und dann ..." 
"Unsinn!" unterbricht ihn Marianne, unsere Praktikerin, "einmal kräftig in die richtige Richtung ziehen und die Gelenkkugel schnappt von selbst in die Pfanne zurück! Daß Männer immer so zimperlich sein müssen ..." 
Wir versuchen eine Weile zu viert, den Arm in verschiedene Richtungen zu ziehen, aber ohne Erfolg. Der arme Verletzte ist mittlerweile so tief im Schock, daß er sich gegen jeglichen Hilfeversuch mit allen seinen drei verbleibenden Händen und Füßen wehrt; wir müssen ihn mit dem Gewicht von vier Studenten am Boden fixieren, bevor wir vernünftig an dem ausgekugelten Arm zerren können. Nach ein paar Minuten geben wir es wieder auf, weil uns die Puste ausgeht, und der Verletzte von Schreien schon ganz heiser wird. Die einzige sichtbare Wirkung unserer Ersten-Hilfe ist, daß der Arm jetzt nach schräg hinten oben wegsteht, und unter den Schlüsselbein eine komische Wölbung hervorsteht; wahrscheinlich die Gelenkkugel des Oberarms, obwohl Rinzling meint, es könne auch die Milz sein. So wie der Animateur auf dem Bauch daliegt, schaut er fast aus, als übe er den Hitler-Gruß auf rückwärts. 
"Im Deutschen Museum wäre das nicht passiert!" mault Marianne und ruckt nochmal mit aller Macht an dem Arm. 
"Vielleicht ist das mit der Betäubung doch nicht ganz falsch", grübelt der Kollege O., "schaut euch bloß diese Muskelpakete an! Die sind so verkrampft, daß wir die nie aufkriegen!" 
"Ich sage euch doch, nur ein Muskelrelaxans ..." fängt Rinzling wieder eifrig an. 
"Wo sollen wir hier draußen so ein Muskel-Dingsbums herbekommen!" faucht Frau Bezelmann ihn wütend an und fuchtelt mit dem Pellet-Gewehr herum. "Kann man ihn nicht einfach mit dem Gewehrkolben ...?" 
Der Animateur starrt sie aus blutunterlaufenen Augen an. 
"Dann haben wir nicht nur eine ausgekugelte Schulter, sondern auch noch einen Schädelbasisbruch!" warne ich eingedenk der ganzen Kampfsportarten, die Frau Bezelmann als Hobby betreibt. 
Der Verletzte holt tief Luft und setzt mit verdoppelter Lautstärke zu einer neuen Schrei-Serie an. 
"Wir müssen ihn dazu bekommen, daß er sich entspannt!" brüllt der Kollege O. über das Getöse hinweg, und geht neben dem Verletzten in die Knie. 
"He!" brüllt er ihm ins rechte Ohr. "Ganz ruhig, Mann! Versuchen Sie, ganz ruhig zu sein, ganz locker lassen, Mann! Wir helfen Ihnen doch nur, verdammt noch mal!!!" 
Da uns allen das Gekreische auf die Nerven geht, und bei dem Lärm kein Mensch einen klaren Gedanken fassen kann, stopfen wir dem Animateur vorläufig Mariannes Schal in den Mund. 
"Vorschläge?" frage ich knapp, nachdem der Geräuschpegel um 60 dB abgenommen hat. Jean-Luc Picard wäre stolz auf mich! 
"Wir könnten einen Flaschenzug besorgen", meint ein praktisch veranlagter Student, "oder einen hydraulischen Wagenheber ..." 
"Wo sollen wir hier in der Wildnis denn einen hydraulischen Wagenheber hernehmen ..." 
"Aber ein Flaschenzug ..." 
"Es gibt doch so einen Kung-Fu-Schlag in die Halsbeuge, der vorübergehend den Arm lähmt!" unterbricht Frau Bezelmann die fruchtlose Diskussion und betrachtet nachdenklich ihre rechte Hand, "aber ich weiß nicht mehr genau, wie der sich vom finalen Wirbelbrecher-Schlag unterscheidet ..." 
"Ein Muselrelaxans wäre ..." 
"Natürlich! Betäuben! Wir betäuben ihn einfach!" Der Kollege O. kramt wie wild in seinem Rucksack und fördert unter Massen lilafarbener Unterwäsche eine Flasche Wodka zutage. "Die ... äh ... habe ich immer dabei ... für ... äh ..." 
"Notfälle!" springt Marianne ein. 
"Genau! Für einen Notfall wie diesen ..." 
Alle finden den Plan prima - außer dem Verletzten, dem vor Schmerz offensichtlich jegliche Vernunft abhanden gekommen ist. Kaum nehme ich ihm Mariannes Schal aus dem Schnabel und versuche, die erste Ladung Wodka einzufüllen, fängt er wieder das Brüllen an und spuckt das kostbare Betäubungsmittel wie wild durch die Gegend. Auch als Jenny ihm noch einmal und in aller Ruhe erklärt, daß die Wodka-Methode bestimmt gesünder ist als Frau Bezelmanns Kung-Fu-Schlag, und alle Pro und Contras der Behandlung in wissenschaftlich einwandfreier Darstellung Revue passieren läßt, hört der ungebildete Kerl gar nicht zu und schreit weiterhin um Hilfe. Als ob wir nicht schon längst da wären und Erste-Hilfe leisten würden! 
Immerhin gelingt es mir, immer wenn er Luft holen muß, eine Dosis Wodka einzufüllen. Es geht zwar viel daneben, aber langsam scheint eine beruhigende Wirkung einzutreten: Der Verletzte tritt nicht mehr ganz so wild wie am Anfang, und das infernalische Heulen geht langsam in ein bösartiges Lallen über. Plötzlich verliert Rinzling, der mir beim Einfüllen Hilfestellung leistet, den Halt und rollt recht unsanft über den Rücken des Unfallopfers. Es knackt vernehmbar, wie wenn man eine Kokosnuß aufbricht, und das Lallen hört plötzlich auf. 
"Na, bitte!" freut sich Rinzling, der sich schnaufend wieder hochrappelt. "Ich habs ja gleich gesagt, so ein Muskelrelaxans wirkt Wunder ...!" 
Eine rasche Überprüfung ergibt, daß das Knacken nicht von der Wirbelsäule kam. Leider auch nicht vom Schultergelenk, lediglich die Armani-Sonnenbrille des Animateurs ist zerbrochen, weil er sie nicht wie jeder anständige Mensch auf der Nase trägt, sondern an einem affigen Sportband um den Hals. 
Immerhin hat er aufgehört, so einen Krach zu machen und stiert nur noch aus glasigen Augen sinnlos in die Gegend. Wir versuchen noch einmal, zu sechst den Arm wieder einzukugeln, aber alles was wir erreichen ist, daß er jetzt steif nach vorne unten absteht. 
Wir drapieren das Pellet-Gewehr über den steifen Arm, damit es nicht ganz so auffällt, und bugsieren den leise schnarchenden Adonis in Richtung Ausgang. Dort setzen wir ihn in einer leeren Telefonzelle ab und fahren nach Hause in die relative Sicherheit unseres LEERstuhls.
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