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07.05.1999 BASTARD   MAILING   LIST   © Florian Schiel
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Fire Devil
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Es ist Frühling, es herrscht grauenhaft schönes Wetter, die Hausmeister zwitschern in den Zweigen und die Amseln düngen den Rasen vor der Uni-Bibliothek ... 
Quatsch! Natürlich umgekehrt! Da sieht man's mal wieder: ich bin schon total durchgedreht! Alles redet von neuer Energie und Frühlingserwachen, aber ich bekomme von der hellen Sonne Kopfschmerzen und durch das offene Fenster wehen riesige gelbe Pollennebel des Grauens herein! 
Ich beschließe, allem zum Trotz schlechte Laune zu haben, lasse die Jalousien ganz herunter und vergrabe mich hinter meinen drei Workstations. Jetzt erst recht! Mal sehen, wer den längeren Atem hat: der Frühling oder ich!
Es klopft, und trotz hochgefahrener Schutzschilde streckt der Kollege O. seinen grinsenden Schädel in mein Allerheiligstes. Er sieht wieder mal geradezu ekelhaft gut erholt aus; wahrscheinlich war er gestern wieder im Fitness-Club, und seine Co-Masochisten haben ihn zum Spaß für fünf Stunden auf eine Sonnenbank geschnallt. 
Bevor er den Mund aufmachen kann, knurre ich: 
"Wie siehst DU denn aus! Leidest du seit neuestem unter Bluthochdruck?" 
"Äh ... wieso?" 
"Weil du einem Puter in Angriffsstellung mehr ähnelst als einem Exemplar der Spezies homo sapiens erectus studiosus!" 
"Ich war übers Wochenende beim Skifahren", erklärt der Kollege O. beleidigt, "auf dem Gletscher." 
"Und?" 
"Was: und?" 
"Was gebrochen?" 
"Natürlich nicht!" 
"Schade ..." 
Ich klicke grimmig in meine linke Workstation. Der Kollege O. scharrt verlegen mit seinen zu großen Füßen. 
"Äh ... wir wollten eigentlich zum Mittagessen in den Biergarten ..." 
Ich gebe einen unbestimmten Laut von mir und lasse meine mittlere Workstation stöhnen: "Jah ...uhh ...jaaahhh!" 
"Willst du nicht mitkommen?" 
Ich werfe ihm einen Blick zu, als hätte er vorgeschlagen, zum Lunch einem Studenten bei lebendigem Leibe das Großhirn auszulöffeln. Draußen auf dem Gang schreit Marianne ungeduldig, warum wir denn nicht kommen. 
"Moment noch!" schreit der Kollege O. zurück. 
"Kommt Frau Bezelmann auch mit?" frage ich ungnädig. 
"Äh ... ja, ich denke schon ..." 
"Bringt sie ihren Raben mit?" 
"Nero? Ich weiß nicht ... vielleicht ..." 
Ich seufze und wende mich wieder der linken Workstation zu. 
"Das letzte Mal im Biergarten hat der Killerrabe eine Bedienung attackiert und anschließend dem hinzugezogenen Polizisten auf die Dienstmütze gekackt. Wir mußten alle ein Bußgeld wegen Mißachtung von Hoheitsabzeichen zahlen ..." 
Der Kollege O. verdreht die Augen zur Decke. 
"Gott! Das ist doch schon Jahre her!" 
Ich verziehe schmerzhaft das Gesicht. 
"Bitte nicht dieses Wort!" 
"Häh?" 
"Vergiß es. Ich komme nicht mit." 
"Aber warum ...?" 
"Ganz einfach", sage ich und zähle mit den Fingern mit. "Erstens ist die Sonne draußen zu hell, zweitens bin ich allergisch gegen Kastanien-Pollen, drittens kommt der Monsterrabe mit, viertens ist es zu warm in der Sonne und zu kalt im Schatten, fünftens kostet das Bier im Biergarten das dreifache vom Normalen, weil alle Japaner dort unbedingt eine Maß kaufen müssen, sechstens mag ich keine Japaner, jedenfalls nicht, wenn sie im Biergarten um mich herumsitzen und versuchen, mich beim Saufen zu photographieren, siebtens gibt es beim Biergarten keinen Parkplatz, achtens kann man sich auf Bierbänken nicht anlehnen, neuntens mag ich sowieso kein Bier und zehntens habe ich schlechte Laune und möchte sie gerne noch weiter behalten, damit ich diese Vordiplomsprüfung vernünftig hinbekomme." 
Der Kollege O. starrt mich mit offenem Munde an. Marianne streckt den Kopf zur Türe herein: 
"Was ist denn jetzt: kommt ihr oder nicht?" 
"Und elftens", fahre ich genüßlich fort, "hasse ich es, wenn ich zum Essen getrieben werde, wenn ich gerade erst gefrühstückt habe." 
"Wenn du nicht erst um halb zwölf ins Büro kommen würdest, hättest du damit keine Probleme", giftet Marianne. 
Ich fühle, wie ich allmählich in Schwung komme; sogar das Kopfweh läßt etwas nach. 
"Wenn ich dagegen früher komme, heißt es wieder, ich würde nur so früh da sein, damit ich noch die User-Mail lesen könne, bevor die Mitarbeiter sie vom Server herunterladen." 
Marianne bekommt einen dunkelroten Kopf. 
"Wenn ich dich einmal erwische, daß du in meiner email schnüffelst, hänge ich dich an den Eiern auf!" 
"ICH behaupte ja nicht, daß ich so etwas Verwerfliches tue!" kontere ich beleidigt. "DU hast das letzte Woche beim Kaffeetrinken in der Bibliothek gesagt!" 
Marianne schnappt nach Luft. 
"Moment Mal", mischt sich der Kollege O. verwirrt ein, "da war Leisch doch gar nicht dabei ..." 
Anfänger! Hat wohl noch nie was von eingebauten Mikrophonen in vernetzten Workstations gehört. Manchmal frage ich mich, was der Kollege O. in all den Jahren überhaupt gelernt hat! 
"Wenn ich den erwische, der da wieder getratscht hat", schäumt Marianne, "dem ... der ..." 
Eigentlich mag ich es, wenn Marianne sich erregt. Ich fühle, wie sich langsam Wohlbehangen in meinem Eingeweiden ausbreitet. Fast hätte ich jetzt sogar Lust mit in den Biergarten zu gehen ... 
Frau Bezelmann kommt mit der Haltung eines Brigadegenerals in mein Büro marschiert; der teuflische Rabe Nero thront auf ihrer linken Schulter und taxiert alle Anwesenden mit seinen giftig-gelben Knopfaugen. 
"Gehen wir jetzt heute noch, oder was?" 
zischt sie mit ungnädig herab gezogenen Mundwinkeln. Sie guckt erst die anderen, dann mich an. Schließlich deutet sie mit dem spitzen Kinn auf mich. 
"Macht er mal wieder Ärger?" 
"Genau!" sage ich sarkastisch, "ER macht mal wieder Ärger! ER hat nämlich keine Lust in Begleitung eines Bedienungen mordenden Raben in einen Biergarten zu gehen, bloß weil heute zufällig mal die Sonne scheint und das biersaufende Proletariat meint, es müsse in geschlossenen Kolonnen in die Biergärten ziehen ..." 
"Ich habe auch keine besondere Lust dazu, mich unter das grölende, biersaufende Proletariat zu mischen. Trotzdem gehe ich mit. Das nennt man 'sich sozialisieren'!" zischt Frau Bezelmann. "Aber dieses Wort existiert wahrscheinlich gar nicht in Ihrem Wortschatz ..." 
"Ich sozialisiere mich lieber mit meinem Pentium III als mit dem Killerraben auf Ihrer Schulter", kontere ich. 
"Ich hoffe, Sie betrachten Ihre Kollegen nicht auch als Mitglieder des grölenden, biersaufenden Proletariats", bemerkt Marianne spitz zu Frau Bezelmann. 
"Ich verstehe immer noch nicht, wieso er das mit den Mailboxen wissen konnte", murmelt der Kollege O. verstört dazwischen. 
"Was? Mailboxen? Wieso Mailboxen?" 
fragt Frau Bezelmann irritiert, die gerade tief Luft holt, um Marianne über den Mund zu fahren. Marianne beginnt zu erklären, worum es geht, wird aber von unserer Putzfrau unterbrochen, die gerade zur Türe hereinkommt. Sie hat zur Feier des Tages ihr übliches dunkelblau-kackbraun gemustertes Kopftuch mit einem grell-pinken Hut vertauscht. 
"Ne? Mechten wir necht allebald gehe, Härr Laisch?" fragt sie mich übers ganze Gesicht strahlend. 
Frau Bezelmann und der Rabe erstarren zu Eis. Beide sind nämlich äußerst standesbewußt. Ihrer Auffassung nach ist das Putzpersonal mindestens vierzehn Ebenen unter dem Stand des Raben anzusiedeln. Wo Frau Bezelmann sich selber in der Hierarchie ansiedelt, weiß man nicht so genau; vermutlich aber irgendwo zwischen Staatsminister und Bundespräsident. 
"Äh ... wohin denn?" will der Kollege O. vorsichtig wissen. 
"Ne! Wos! In den Biägarten doch eben! Unsär Härr Professor mech eingeladen, necht? Sel kommt och glaich ..." 
"Aber natürlich!" sage ich zuckersüß. "Und was für eine entzückende Kopfbekleidung Sie heute dabei haben! So farbenfroh, wirklich! Freuen Sie sich schon auf den Biergarten?" 
Die Putzfrau strahlt und läßt einen völlig unverständlichen Schwall von Worten auf uns los. Marianne und der Kollege O. lassen ein mühsam unterdrücktes Stöhnen hören. Frau Bezelmann schießt einen ihrer berühmten Tötungsblicke auf mich ab. Die Putzfrau ist bekannt dafür, daß sie jeden innerhalb eines Umkreises von siebeneinhalb Metern in Grund und Boden redet. Das wäre ja noch gar nicht so schlimm. Das Schlimme daran ist, daß man die ganze Zeit dabei nicht versteht, worum es eigentlich geht. 
"Ähm ... wenn ich's mir recht überlege", 
beginnt der Kollege O., aber schon hören wir den Chef auf dem Gang rufen: 
"Äh ... hallo ... ähm ... ist jemand ... hrrrm ... ist hier überhaupt noch jemand ... äh ...?" 
"Wir sind alle hier drin!" 
ruft Marianne, und gleich darauf streckt der Chef seine weises Haupt herein - mit dem schönsten Soziallächeln, das er auf Lager hat. 
"Ach ... ähm ... wie schön ... hmm ... alle vereint, wie ... ähm ... wie eine ... hmm ... eine große, glückliche Familie, nicht? Gehen wir jetzt dann in den ... ähm ... den Biergarten?" 
Frau Bezelmann, der Kollege O. und Marianne fangen alle gleichzeit an zu reden und zeigen unisono mit anklagendem Zeigefinger auf mich und die Putzfrau. Die Putzfrau bekommt den richtigen Eindruck, daß der Mann, der ihr ein Kompliment über ihren tollen Hut gemacht hat, in Schwierigkeiten ist, und mischt sich aufgeregt ins Sprachgetümmel. Der Rabe Nero krächzt begeistert so laut er kann und schlägt wild mit den mottenzerfressenen Flügeln. Der Chef guckt völlig verwirrt von einem zum anderen, schließlich hebt er verzweifelt beide Hände, um dem unerwarteten Aufruhr Einhalt zu gebieten. Alle verstummen nach und nach (der Rabe als letzter), und der Chef öffnet gerade den Mund, als es plötzlich heftig blitzt und ein gewaltiger Donnerschlag uns alle zusammenzucken läßt. 
Ich lasse die Jalousien hochfahren, und siehe: Die Natur hat ein Einsehen gehabt, und das herrliche Sommerwetter ist einem ebenso herrlichen Gewitter gewichen - wie es nunmal in April so vorkommt. 
Alle Anwesenden, außer der Putzfrau, atmen erleichtert auf.
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